Protokoll der Sitzung vom 21.02.2002

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Reform der Arbeitsverwaltung „Vermitteln statt verwalten“

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 15/1573

Änderungsantrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/1642

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme an, der Kollege Kubicki ist ein bisschen Transrapidfahren gegangen.

Die Fragen beziehungsweise die Rücktrittsforderungen an Bundesarbeitsminister Riester, an den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Bernhard Jagoda, und an wen auch immer mögen ja politisch unendlich spannend sein, sodass man sie tage-, wochen- und monatelang führt; sie führen in der Sache jedoch überhaupt nicht weiter.

Ich finde die von Herrn Jagoda angekündigte Entscheidung, sich zurückziehen zu wollen, respektabel, aber auch das hilft in der Sache nicht sonderlich weiter; denn er hätte es früher tun sollen. Es ist bereits der Eindruck entstanden - ich sage es einmal ganz vorsichtig -, dass „die da oben“ so viel Mist bauen können, wie sie wollen, Konsequenzen daraus aber nicht gezogen werden.

(Dr. Heiner Garg)

Lassen Sie mich zu den Personalfragen - sie standen ja in den letzten zwei, drei Wochen im Brennpunkt der öffentlichen Interesses - nur so viel sagen: Ich hätte berechtigte Zweifel daran gehabt, dass man ausgerechnet mit Herrn Jagoda den notwendigen Reformprozess hätte anschieben oder gar bewältigen können, da dieser Herr Jagoda das System BA über Jahre und Jahrzehnte erst möglich gemacht hat. Mit einem solchen Menschen den Reformprozess bewältigen zu wollen, ist eher albern.

(Beifall bei der FDP)

Was mit Sicherheit für Herrn Jagoda zutrifft, trifft allerdings genauso für den gesamten Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit zu.

(Beifall bei der FDP)

Ich finde es geradezu rührend, wie beispielsweise Frau Engelen-Käfer derzeit nicht müde wird, in jedes Mikrofon zu gurren und zu versichern, dass kein Beschäftigter in irgendwelchen Arbeitsämtern oder Geschäftsstellen der Arbeitsämter an der jetzigen Misere schuld sei. Natürlich ist kein einziger Mitarbeiter an dieser Misere schuld, aber Frau Engelen-Käfer zum Beispiel trägt Mitschuld. Sie sollte es vielleicht unterlassen, ständig zu betonen, dass die Mitarbeiter nicht schuld sind.

(Beifall bei der FDP)

Sie ist Teil dieses Systems.

(Renate Gröpel [SPD]: Es sitzen auch Ar- beitgeber darin!)

- Ja, Frau Gröpel, es sitzen auch Arbeitgeber darin. Auch Herr Kannengießer ist Teil dieses Systems; Sie haben völlig Recht.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nur, Herr Kannengießer, erzählt nicht jeden Morgen, Mittag und Abend, die Arbeitnehmer der Arbeitsämter seien nicht schuld. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sie nicht schuld sind;

(Beifall bei der FDP)

denn die Politik der letzten 20 Jahre hat die Strukturen dafür geschaffen, dass die engagierten Arbeitsvermittler in den Arbeitsämtern überhaupt nicht mehr in der Lage sind, ihre Kernaufgabe zu erfüllen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Karl-Martin Hentschel [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war denn an der Regierung? Wer hat Herrn Jagoda dorthin gesetzt?)

- Herr Hentschel, ich finde Ihre Zwischenrufe sonst immer ganz originell, aber ich habe gesagt: In den letzten 20 Jahren!

Im Kern geht es darum, dass eine Institution, über die wir heute reden, nämlich die Bundesanstalt für Arbeit, eine ganz zentrale Funktion erfüllen soll, nämlich die Koordination von Arbeitsnachfrage und Arbeitsangebot auf dem Arbeitsmarkt.

Dass sie ihrer zentralen Funktion in den letzten Jahren nicht gerecht geworden ist, können Sie an zwei Zahlen ablesen: Wir haben aktuell 4,3 Millionen Arbeitslose, gleichzeitig aber 1,5 Millionen nicht besetzte Stellen, aus welchem Grund auch immer sie nicht besetzt sind. An der Diskrepanz zwischen beiden Zahlen sehen Sie schon, dass die Institution, deren Kernaufgabe es wäre, die Koordination herbeizuführen, schlicht und ergreifend wiederum aufgrund ihrer Strukturen - darauf komme ich noch einmal zu sprechen - nicht in der Lage ist, diese Aufgabe zu erfüllen. Daran müssen wir jetzt gehen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu gehört auch, dass man sich fragt, warum in der kompletten Struktur der Bundesanstalt für Arbeit, also in 181 Arbeitsämtern und 660 Geschäftsstellen, 93.000 Mitarbeiter beschäftigt, von diesen 93.000 Mitarbeitern aber gerade einmal 8.500 mit der originären Vermittlung von Arbeitsuchenden beschäftigt sind. Auch an dem zweiten Zahlenpaar sehen Sie, dass die Kernfunktion überhaupt nicht mehr erfüllt werden kann.

(Beifall bei der FDP)

Im Übrigen spricht auch der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang von einem dringend korrekturbedürftigen Verhältnis zwischen Vermittlungs- und Verwaltungsarbeit.

Ich will es noch einmal ganz deutlich sagen, weil ich die Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Arbeitsämtern nicht nur verstehen kann, sondern auch sehr ernst nehme: Kein einziger Mitarbeiter trägt an der jetzigen Misere - seien es geschönte Statistiken oder die nicht erfüllte Kernaufgabe - Schuld. Aber der Vorstand, der Präsident und selbstverständlich auch die politisch Verantwortlichen tragen Schuld!

(Beifall bei der FDP - Unruhe bei der SPD)

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Dringend notwendig ist ein echter struktureller Neuanfang beim System der Arbeitsvermittlung in der Bundesrepublik Deutschland.

(Dr. Heiner Garg)

Lassen Sie mich die Frage bitte nicht nur auf die Vermittlung von Arbeitsuchenden reduzieren. Wir - vielleicht nicht mehr wir in dieser Zusammensetzung, aber unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger oder wie immer Sie die nennen werden - werden in zehn oder zwölf Jahren diese Debatte so gar nicht mehr führen. Wir werden uns nämlich in zehn Jahren mit der Frage beschäftigen müssen: Wo kriegen wir eigentlich das Arbeitskräftepotenzial her, um die dann offenen Stellen zu besetzen? Wir werden nämlich aufgrund des demographischen Wandels in Zukunft viel mehr Arbeitsplätze zu besetzen haben, als Arbeitskräfte in diesem Land zur Verfügung stehen.

(Beifall bei der FDP)

Ich bin nicht bereit, heute eine Debatte zu führen, die sich ausschließlich auf das Morgen konzentriert. Wir haben die seltene Chance, uns heute zu überlegen, wie wir grundsätzlich Strukturen ändern, um uns in der Frage der Arbeitsvermittlung in diesem Land für die nächsten Jahrzehnte fit zu machen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will deswegen in diesem Zusammenhang sehr deutlich und scharf sagen: Was wir jetzt wirklich nicht gebrauchen können, sind irgendwelche Konsensrunden, die jeden noch so kantigen Ansatz zur Neustrukturierung der Arbeitsvermittlung so zermahlen, dass am Ende irgendso ein konsensualer Brei einer Absichtserklärung übrig bleibt, mit dem alle glücklich sind, mit dem alle leben können, der uns aber in Wirklichkeit keinen Schritt weiterhilft.

(Beifall bei der FDP)

Werfen Sie einmal einen Blick auf die Beschlüsse des Vorstandes der Bundesanstalt für Arbeit vom 14. Februar 2002. Ich erspare Ihnen aus Zeitgründen Zitate daraus. Das, was da beschlossen wurde, ist schlichtweg peinlich. Da sind nämlich Selbstverständlichkeiten festgehalten worden ungefähr nach dem Motto: Wir sind dazu da, Arbeitslose in Arbeit zu vermitteln. - Das ist eine Selbstverständlichkeit. Das muss ich durch Beschluss nicht noch einmal bekräftigen.

Was wir jetzt wirklich brauchen, ist ein struktureller Neuanfang. Ich bin zutiefst überzeugt: Wenn man das will, schafft man das selbst bei einer Behörde wie der Bundesanstalt für Arbeit. Bei der Deutschen Post hat das im Übrigen auch funktioniert. Das ist das Vorbild für den Antrag, den wir heute vorgelegt haben. Wir haben uns angeguckt, welche Aufgaben die BA kraft Gesetz erledigt. Schauen Sie in das SGB III. Dann wissen Sie, welche Aufgaben die Bundesanstalt für Arbeit kraft Gesetz zu erledigen hat. Diese Aufgaben können Sie in drei Kernbereiche aufteilen. Wenn der

politische Wille da ist, können Sie auf Bundesebene eine Gesetzesänderung herbeiführen, dass diese drei Kernbereiche organisatorisch und rechtlich in Zukunft unabhängig voneinander organisiert werden können.

Das ist unsere Vorstellung von einer zukünftigen Arbeitsverwaltung, die sich auch an der Frage orientiert: Wie rüsten wir in Zukunft die Strukturen so aus, dass Arbeitgeber, um das entsprechende Personal zu finden, in der Lage sind, einen Anlaufpunkt zu haben, bei dem sie sich wirklich gut aufgehoben fühlen?

(Beifall bei der FDP)

Es sind nämlich nicht nur die Arbeitsuchenden, sondern auch die künftigen Arbeitgeber. Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass Unternehmerinnen und Unternehmer in Ämter, Verwaltungen oder Behörden rennen, mit denen sie Jahrzehntelang keine guten Erfahrungen gemacht haben. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für den Arbeitsuchenden. Sie haben nämlich keine guten Erfahrungen gemacht. Das können Sie schon daran sehen, dass man im Durchschnitt 16 Wochen lang warten muss, bis man einen Bescheid über das Arbeitslosengeld erhält.

Ich will einen letzten Satz zur Alternative - Kollege Geerdts, ich nehme an, es ist ein Alternativantrag, den Sie gestellt haben - sagen. Das kann man so machen.

(Torsten Geerdts [CDU]: Genau!)

Ihr Antrag hat sehr viel mehr Buchstaben als unserer. Er geht aber leider genau in die Richtung, die ich - für meine Fraktion jedenfalls - gerade abgelehnt habe. Es ist keine neue Struktur,

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Ja!)

die Sie damit schaffen wollen. Es ist der Versuch, zwischen allen Seiten zu vermitteln, es allen Recht zu machen und Selbstverständlichkeiten zu betonen.