Danach kommt die Forderung nach Gesetzen. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es auch innerhalb des Antrages widersprüchliche Angaben gibt.
Die Jugend ist ein Seismograph für gesellschaftliche Entwicklungen, heißt es immer und so schauen wir wie viele andere gebannt auf die kleinste Bewegung. Seit Jahren wird viel über Gewalt und Rohheit bei jungen Menschen gesprochen. Auch wenn die Entwicklung kaum so dramatisch ist, wie sie mancher gern darstellen möchte - die diskutierten Tendenzen machen Sorgen, wohin sich unsere Gesellschaft entwickelt. Je nach Standpunkt wird befürchtet, dass es mit der Solidarität, der inneren Sicherheit oder der Kultur des Abendlandes bergab geht.
Für die CDU liegt es offensichtlich nahe, die Erklärung in der moralischen Verwahrlosung der jungen Menschen zu suchen. Sie sind asozial geworden und bekommen vom verantwortungslosen Elternhaus keine Werte mehr mitgeliefert, sondern Prügel, falsche Männlichkeitsvorstellungen und Defizite. Der Staat trägt noch das seine dazu bei, indem er nicht konsequent, sondern zu weich reagiert.
Ebenso wie diese Diagnose nichts Neues ist, birgt der CDU-Antrag auch nicht wirklich Neues im Umgang mit dem Problem. Die Unionskollegen treten mit der Mission an, Werte und Härte als Bollwerk gegen Jugenddelinquenz einzusetzen. Werteerziehung, Einschränkung der Anwendung des Jugendstrafrechts und geschlossene Heime sind immer noch die
alten Zutaten, die sich auch durch eine sehr dezente Prise Ausländerintegration nicht schmackhaft machen lassen.
Besonders viel Raum erhält bei der CDU die Werteerziehung. Es geht aber in der Prävention von Kriminalität und Gewalt nicht darum, bürgerliche Werte zu vermitteln, sondern um grundlegende Regeln des demokratischen menschlichen Zusammenlebens.
Diese erfahren Kinder und Jugendliche am besten, indem sie in ihrem Alter für voll genommen werden und echte Handlungsmöglichkeiten bekommen. In diesem Sinne ist die Partizipation der Kinder und Jugendlichen von ungleich größerem Wert für die Sozialisation als ein Unterricht in Rechts- und Wertekunde.
Echte Mitbestimmung im Alltag bewirkt mehr zur Vermeidung von Jugendkriminalität als staatstragende konservative Moralpredigten.
Die CDU will zudem, dass die Lehrkräfte weitere Ordnungsmittel einsetzen können. Mit einer solchen Werteerziehung mag man die CDU-Wählerinnen und - Wähler ansprechen, die betreffenden jungen Menschen werden sich davon aber kaum angesprochen fühlen.
Auch für andere Felder der Kriminalitätsprävention gilt, dass dies nicht unbedingt jene Themen sind, bei denen die CDU bisher durch Taten aufgefallen ist: Abbau sozialer Ungleichheit, Chancengleichheit in Schule und Ausbildung, Problematisierung der Gewalt in Familien und Medien, Ausnahme der Jugendhilfe von Einsparungen, eine wirklich auf Akzeptanz des Fremden beruhende Integration von Migrantinnen und Migranten und deren Familien. Dies sind die Felder, auf denen der Kinder- und Jugendkriminalität wirksam vorgebeugt wird.
Wie kreativ die Union die Probleme wirklich anpackt, lässt sich am besten daran ablesen, wie sie mit bereits kriminell gewordenen Kindern und Jugendlichen umgehen möchte. Wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, bleibt nicht viel mehr als die hilflose Forderung nach mehr Härte. Die - das wissen wir eigentlich - kann genau das Gegenteil bewirken.
Selbst die bereits mehrfach auffälligen Kinder fallen nur episodenhaft auf und wachsen aus der Kriminalität wieder heraus, wenn sie nicht vorschnell in eine falsche Schublade gesteckt werden. Wer hier nicht mit
viel Geduld herangeht - so schwer das manchmal auch fallen mag -, fördert am Ende selbst die kriminellen Karrieren, die man doch verhindern wollte.
Zu einer verantwortungsvollen Strafjustiz tragen Forderungen wie die Relativierung des Erziehungszieles im Jugendstrafrecht oder die Einführung eines Einstiegsarrestes nicht unbedingt bei. Auch wenn die CDU-Politik neu verpackt worden ist, verfährt sie im Kern immer noch frei nach dem Motte: „Und bist du nicht willig, so brauche ich Gewalt.“ - Das kann nicht die Lösung sein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine friedliche Gesellschaft ist unser aller Ziel. Aber für dieses Ziel sind nun wahrlich nicht alle Mittel recht. Jeder Zweck heiligt nicht alle Mittel. Deshalb lassen Sie mich in Kürze einige Anmerkungen zu Ihren konkreten Anliegen machen.
Der Antrag verlangt, die Strafbarkeit der Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht zu verschärfen. Die Landesregierung teilt diese Forderung nicht. Der Strafrahmen in § 171 StGB reicht aus.
Die meisten dieser Fälle werden wegen geringer Schuld eingestellt - mitunter gegen eine kleine Buße; sie werden eingestellt, weil die Ermittlungsbehörden sehr genau wissen, dass im Regelfall - um das einmal so zu nennen - eine erzieherische Überforderung einer möglichen Strafbarkeit zugrunde liegt, also ein Fehlverhalten, das in materiell schwierigen Lebenssachverhalten begründet ist. Hier mit einer schärferen Strafe reagieren zu wollen, ist nicht das, was wir anzubieten haben. Wir haben konkrete Hilfe für die überforderten Erziehungsberechtigten und Verantwortlichen anzubieten.
Diese Aufgabe - das wissen Sie auch - ist die Aufgabe der kommunalen Dienste und der allgemeinen Jugendhilfe und wird tagtäglich angeboten. Wir haben das in diesem hohen Haus auch schon mehrfach andiskutiert.
Ein weiterer Punkt: Die Aufforderung an die Landesregierung, die Rahmenbedingungen für eine zeitgemäße Schule dadurch zu verändern, dass weitere Ordnungsmittel in das Gesetz aufgenommen werden, halten wir auch für höchst - um es höflich zu sagen
ungeeignet. Durch die Änderung von Sanktionen wird das Verhalten der Schülerinnen und Schüler aus unserer Sicht nicht normgerechter. Auch das sind erzieherische Aufgaben und nicht Sanktionsaufgaben.
Ebenso wenig sachdienlich ist die Forderung, im Bundesrat darauf hinzuwirken, dass das Jugendgerichtsgesetz geändert wird. Als ein vorrangiges Ziel in das Jugendgerichtsgesetz aufzunehmen: „Der Schutz der Öffentlichkeit vor jugendlichen Intensivtätern“, widerspricht dem Grundgedanken des Jugendstrafrechts und des Jugendgerichtsgesetzes. Vorrangiges Ziel ist und bleibt die erzieherische Einwirkung auf Jugendliche und auch - um es ganz deutlich zu sagen - auf heranwachsende Straftäter.
Das Hauptanliegen des Jugendstrafrechts muss es bleiben, diese erzieherische Komponente voranzubringen, und darf es nicht sein, Kinder, Jugendliche und Heranwachsende aus Sicherheitsgründen wegzusperren.
Die Behandlung der Heranwachsenden nach dem Jugendrecht ist ausgeurteilt und eine absolute Notwendigkeit. Es ist eben schon der Jugendgerichtstag 2000 zitiert worden. Im internationalen Vergleich geht die Tendenz eher in die andere Richtung, nämlich, darüber nachzudenken, ob nicht auch auf noch junge Heranwachsende das Jugendrecht stärker anzuwenden ist. Das ist also eine ganz andere Richtung, als sie hier im CDU-Antrag angelegt ist.
Lassen Sie mich noch eine Lanze für unsere Jugendgerichtshilfe brechen. Sie weisen darauf hin, dass Sie meinen, es sei eine Schlichtungsstelle für den TäterOpfer-Ausgleich im Bereich des Jugendstrafrechts einzurichten. In unserem Land ist hier die Jugendgerichtshilfe zuständig. Ich weiß, dass dort qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Ihnen diese Qualifikation aktuell abzusprechen, halte ich für sehr abwegig.
(Beifall bei FDP, SSW und vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Auch zur Rechtsklage beim Thema Graffiti ist hier bereits ausgeführt worden - ich darf darauf hinweisen -, dass die Bundesratsdrucksache 765/91 auf dem Tisch liegt und dass das aus meiner Sicht auch ausreichende gesetzliche Initiativen sind.
Hier ist bereits darauf hingewiesen worden, dass ein zusätzlicher Einstiegsarrest schon nach geltendem
Recht überflüssig ist. Es besteht nach geltendem Recht nicht die Gefahr, dass Jugendliche der Meinung sein könnten, dass sie dann, wenn sie nicht ins Jugendgefängnis kommen, freigesprochen worden seien. Es gibt durchaus ausreichende Sanktions- und Auflagemöglichkeiten für die Jugendgerichte, um deutlich zu machen, dass ein Fehlverhalten auch eine Sanktion nach sich zieht. Herr Geißler, Sie kennen auch die verschiedenen Paletten im Diversionsverfahren. Wir sind hier so glaube ich - bundesweit sehr weit vorn,
auch was die schnelle und zügige Reaktion auf Straftaten angeht. Wir haben das vorrangige Jugendverfahren.
Auch wenn meine Redezeit soeben abgelaufen ist, Herr Präsident, gestatten Sie mir einen weiteren Satz zu der Frage der geschlossenen Heimunterbringung. Diese Forderung ist ständig wohlfeil, wenn es in die Debatte passt. Ich bin sehr froh, dass hier in Schleswig-Holstein eine ganz breite Mehrheit die fachliche nicht die politische - Position vertritt, dass eine geschlossene Heimunterbringung weder den Jugendlichen noch der Gesellschaft nutzt.
Das ist eine Übereinstimmung, die parteiübergreifend ist. Der Landkreistag, der Städteverband und Fachleute in dieser Gesellschaft sind dieser Auffassung.
Das bedeutet nicht, dass wir uns in meinem Ministerium nicht der Aufgabe des Umgehens mit jugendlichen Intensivtätern stellen. Wir haben eine Untersuchung Sie wissen es -, um die Schwachstellen in der Zusammenarbeit in den Kommunen und mit den Gerichten und der Jugendgerichtshilfe herauszuarbeiten. Aber ein Wegschließen von Jugendlichen und Kindern halte ich für nicht diskutierenswürdig,
Wesentliches Ziel meines Ministeriums ist das Umgehen mit dem Gewaltkreislauf. Ich hoffe, dass Sie wissen, dass die Bekämpfung der häuslichen Gewalt von allen meinen Abteilungen, Justiz, Frauen, Jugend und Familie - aus meiner Sicht; ich hoffe, Sie teilen das -, hervorragend bearbeitet wird und wir hier in Übereinstimmung mit dem Innenminister ganz entscheidende Schritte vorangekommen sind.
Abschließend darf ich sagen: Die beste Gewähr für eine sichere Gesellschaft, für heranwachsende Kinder und Jugendliche sind Erwachsene, die diese Gesell
schaft tragen, die die demokratische Ausrichtung dieser Gesellschaft verstanden haben, die das demokratische Verfahren in ihrer Jugend gelernt haben und sich mithin auch für diese Gesellschaft einsetzen. Wenn wir alle es als Kulturaufgabe begreifen, den Kindern eine Kultur des Aufwachsens zu garantieren, haben wir damit die beste Präventionsaufgabe erfüllt.