Die Ministerpräsidentin ließ sich in ihrem ReportInterview vom 5. April 2002 hierzu wie folgt ein - ich zitiere wiederum wörtlich -:
„haben aber gesagt: Wenn der kommt, dann müsst ihr uns bitte sagen, dass er in eurem Namen kommt und dass er auch mit eurem Wissen dort ist, also dass er eine gewisse Verhandlungsposition hat, damit wir uns nicht mit irgendjemandem unterhalten, der dann hinterher sagt: Weiß ich nicht, habe ich nie gedurft - oder ich das vielleicht sagen könnte“.
Unterstellen wir einmal, Herr Pröhl durfte nicht so handeln, wie er gehandelt hat: Was wäre für einen öffentlich Bediensteten eigentlich die logische Konsequenz? - Wir erahnen es schon: Ein Disziplinarverfahren wegen Überschreitung der eingeräumten Befugnisse.
Was geschieht stattdessen? - Das wäre doch das Mindeste. Der Chef der Staatskanzlei erläutert freundschaftlich, Herr Pröhl hätte doch vorher eine Genehmigung einholen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Genehmigung? Hier wird das Wort bereits verräterisch, da es ja nicht um die Genehmigung einer Nebentätigkeit geht, sondern um eine Vollmachtserteilung. Er hätte also eine Vollmacht erhalten müssen, um entsprechend im Ausland auftreten zu können; denn Herr Pröhl war ja offenkundig vollmachtloser Vertreter.
Wie gesagt, wir reden über den öffentlichen Dienst. Die Tatsache, dass Herr Dr. Pröhl für diese Über
schreitung seiner Vertretungsbefugnisse nicht zur Verantwortung gezogen wurde, ist der erste Punkt, der zum tieferen Nachdenken zwingt.
Hier muss es bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine tiefere Interessenidentität zumindest zwischen dem Chef der Staatskanzlei, Herrn Brückner und Herrn Dr. Pröhl gegeben haben, von dem selbstverständlich die Ministerpräsidentin weder etwas wusste noch ahnte noch hätte vermuten können.
Mitte des Jahres 2000 schickt Herr Dr. Pröhl nach eigenen Angaben an die Staatskanzlei ein Schreiben, in dem er erklärt, dass er ein Angebot habe, nach Ablauf des EXPO-Projektes in eine Hamburger Firmengruppe einzusteigen, und hierüber wolle er mit seinem Dienstherrn sprechen. Dieses Schreiben - so erklärt der Regierungspressesprecher - ist in der Staatskanzlei nie angekommen, jedenfalls nicht auffindbar. Gleichwohl - so wird der Pressesprecher der Landesregierung in den „Lübecker Nachrichten“ vom 16. März 2002 zitiert - habe es Gespräche zwischen dem Personalreferenten und Herrn Dr. Pröhl über seine zukünftige Tätigkeit nach der EXPO im Landesdienst oder aber auch in der Privatwirtschaft im Juli 2000 gegeben. Selbstverständlich sind - wir wissen es bereits - weder die Ministerpräsidentin noch der Chef der Staatskanzlei mit diesem Thema befasst worden.
Zwischenzeitlich - das heißt spätestens um die Jahreswende 2000/2001 und im ersten Halbjahr des Jahres 2001 - erreichen die Landesregierung, das heißt sowohl die Staatskanzlei als auch das Finanzministerium beziehungsweise nachgeordnete Behörden, eine Reihe von Schreiben, in denen für unterschiedliche Gesellschaften der Brückner-Gruppe Herr Dr. Pröhl bereits als Vorstandsmitglied auftaucht oder in den jeweiligen Anlagen benannt wird, ohne dass dies von irgendeinem Mitarbeiter in der Staatskanzlei, im Finanzministerium oder in der GMSH zur Kenntnis oder zum Anlass genommen wird, dies näher zu hinterfragen. Im März 2001 kommt es zu einer Begegnung mit der Ministerpräsidentin, deren Ablauf nunmehr auch die ordentlichen Gerichte beschäftigen wird.
Jedenfalls wird klar, dass sich Herr Brückner unter Beteiligung von Herrn Dr. Pröhl und zumindest mit Kenntnis des Chefs der Staatskanzlei um den Erwerb des Kieler Schlosses bewirbt, dessen Vergabe zugunsten der Brückner-Gruppe aus Gründen, die heute immer weniger nachvollziehbar erscheinen, durch das Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein geradezu betrieben wird, indem andere Bewerber vertrieben werden.
Erstaunlich hieran ist, dass uns erst vor wenigen Tagen Herr Dr. Büchmann aus der Staatskanzlei hat wissen lassen, dass ihm nunmehr ein- und aufgefallen sei, dass er bereits am 5. Juli 2001 in dienstlicher Funktion von Herrn Dr. Pröhl Kenntnis darüber erhielt, dass dieser mit Herrn Brückner zusammenarbeite und jedenfalls aktuell oder potenziell in dessen Firmenkonglomerat als Vorstandsmitglied mitwirke oder mitzuwirken beabsichtige. Das war übrigens einen Tag nach dem Geburtstagsessen mit Heide Simonis, in dem es selbstverständlich in Anwesenheit der Ehepartner nur um die künftige Verwendung des Wikingerschiffes, nicht um die künftige Verwendung Pröhls ging.
Herr Kollege Kayenburg, erlauben Sie mir die Anmerkung: Es ist mir vergleichsweise egal, ob die Ministerpräsidentin zu ihrem Essen Mitarbeiter einlädt und der Steuerzahler, die Staatskanzlei bezahlt oder nicht. Das ist mir vergleichsweise egal. Was mich berührt, ist die Peinlichkeit der Erklärungsversuche, mit denen uns weisgemacht werden soll, dass dies aus dienstlichem Anlass geschehen ist. Diese Peinlichkeit ist das eigentlich Erbärmliche.
Es ist doch erstaunlich, dass für die Frage einer möglichen Nebentätigkeit und ihrer Genehmigung die Staatskanzlei mehr als sieben Monate benötigte, um eine Antwort zu finden.
Wir müssen glauben, dass in dieser Zeit weder der Chef der Staatskanzlei noch die Ministerpräsidentin durch Herrn Dr. Büchmann informiert wurden. Ist das, liebe Kolleginnen und Kollegen, nun für uns der Inbegriff ordnungsgemäßer Dienstausübung des Herrn Dr. Büchmann oder aber der Inbegriff einer schweren Dienstpflichtverletzung? Hätte nicht die Verpflichtung von Herrn Dr. Büchmann bestanden, hier den Chef der Staatskanzlei oder die Ministerpräsidentin zu unterrichten, und ist das Versäumnis seinerseits nicht Anlass für ein mögliches Verfahren gegen Herrn Dr. Büchmann?
Es ist ja nicht so, dass bis zum 20. Februar 2002 zwischenzeitlich nichts passierte. Das Kabinett befasste sich mit der Veräußerung des Kieler Schlosses und befürwortete - so jedenfalls ließ sich der Staatssekretär Finanzen Döring öffentlich vernehmen - die Veräußerung des Kieler Schlosses an die Brückner-Gruppe. Im „Holsteinischen Courier“, der in Neumünster herausgegeben wird, erschien am 13. Oktober 2001 ein Artikel, in dem es unter anderem heißt:
„Unklar bleibt weiterhin, wer als Käufer des Schlosses auftreten soll. ’Es wird ein Fonds sein’, sagte Falk Brückner, Geschäftsführer
der B & B gerRelations AG. Das Hamburger Unternehmen fungiert als Projektentwickler. Brückner und der designierte Mit-Geschäftsführer Karl Pröhl sind in Kiel keine Unbekannten. Brückner hatte in Kiel das umstrittene Erlebniszentrum CAP am Bahnhof gebaut und geriet damit in Finanzprobleme. Pröhl war zunächst Sprecher des Wirtschaftsministeriums und später Geschäftsführer der Schleswig-Holsteinischen EXPO-Gesellschaft.“
Wir müssen glauben, dass diesen Artikel niemand gelesen hat, weder der Regierungspressesprecher noch weitere Mitarbeiter der Pressestelle noch Herr Staatssekretär Döring, der ja in Neumünster wohnt. Denn hätte irgendjemand diesen Artikel gelesen, hätte doch sicher Nachfrage- und Aufklärungsbedarf bestanden mit der Folge, dass die Verhandlungen mit der Brückner-Gruppe abgebrochen worden wären. Oder war zum damaligen Zeitpunkt allen Beteiligten nicht nur alles klar, sondern auch bereits alles entschieden, wie das Ratsmitglied der SPD, Frau Halbe, mutmaßt?
Mehr als ein Dutzendmal - so wissen wir bereits jetzt ist Herr Dr. Pröhl im Zusammenhang mit dem Verkauf des Kieler Schlosses jedenfalls nicht für das Land Schleswig-Holstein aufgetreten - und wir müssen glauben, dass dies niemanden gewundert hat. Und es wundert mich auch nicht mehr, dass die Aussage von Staatssekretär Döring, er habe schließlich Herrn Brückner gebeten, Herrn Dr. Pröhl nicht mehr mitzubringen, die Regierungsfraktionen teilnahmslos lässt.
Die Ministerpräsidentin beharrt darauf, dass sie selbst vor dem 20. Februar 2002 von den Nebentätigkeiten des Herrn Dr. Pröhl nichts gewusst habe. Aber nachdem sie dies erfahren hatte, was hat sie veranlasst? Was hat sie eigentlich veranlasst, nicht die weiteren Verhandlungen mit der Brückner-Gruppe zu stoppen? Noch am 28. Februar 2002 hat Herr Staatssekretär Döring dem Finanzausschuss in einem knapp 10minütigen Vortrag dargelegt, dass und warum die Veräußerung des Kieler Schlosses ausschließlich an die Brückner-Gruppe im Interesse des Landes und der Stadt läge sowie überhaupt nötig sei, um sowohl einen angemessenen Erlös zu erzielen als auch eine sinnvolle Nutzung zu gewährleisten.
Wir haben gelernt, dass man miteinander nicht mehr redet - weder der Amtschef des Finanzministeriums mit dem Chef der Staatskanzlei noch der Personalreferent beziehungsweise der Abteilungsleiter mit dem Chef der Staatskanzlei und der Ministerpräsidentin noch der Chef der Staatskanzlei mit der Ministerpräsidentin. Man muss auch nicht mehr miteinander reden. Wer alles weiß, hat keinen Gesprächsbedarf. Deshalb
ist die Erklärung der Ministerpräsidentin im „Hamburger Abendblatt“ vom 25. März 2002 nur folgerichtig, wenn sie sagt:
Beide Affären sind eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses wert. Denn zumindest das Controlling in dieser Regierung und durch diese Regierung hat eklatant versagt.
Wenn der Landesvorsitzende der SPD, Franz Thönnes, für seine Partei den ehemaligen Chef der Staatskanzlei auffordert, alles auf den Tisch zu legen, damit die Ministerpräsidentin nicht weiter beschädigt werde, beleuchtet dies die Notwendigkeit weiterer Aufklärung. Und es müssen Mittel und Wege gefunden werden, von vornherein zu verhindern, dass sich potenzielle Hochstapler und Betrüger im Zentrum des Regierungsapparates einnisten können.
Es ist die Aufgabe des Schleswig-Holsteinischen Landtages, der Öffentlichkeit zu verdeutlichen, dass sich jedermann - gleich, in welcher Funktion - an Recht und Gesetz halten muss und dass die öffentliche Verwaltung, der Staat seine Entscheidungen nicht willkürlich trifft. Günstlingswirtschaft und Nestwärme statt Sacharbeit und Flickschusterei in der Aufgabenstellung und Aufgabenerledigung dürfen nicht das bestimmende Merkmal schleswig-holsteinischer Landespolitik werden.
Ich habe meine Zweifel, ob die Ministerpräsidentin Heide Simonis aus diesen Affären gestärkt hervorgehen wird, wie einige Sozialdemokraten und Grüne sich dies erträumen. Aber ich bin mir sicher, dass die parlamentarische Demokratie, dass das Vertrauen in die Funktionstüchtigkeit öffentlicher Verwaltung durch diesen Untersuchungsausschuss und seine Arbeit gestärkt werden wird.
Das Wort erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir reden hier heute erstens über den Fall Lohmann und das Vergabeverfahren SAP und zweitens über den Fall Pröhl und den Verkauf des Kieler Schlosses.
Wir reden über zwei Sachverhalte, die miteinander direkt vermutlich nichts zu tun haben. In beiden Fällen werden Menschen, die an wichtiger Stelle in dieser Landesregierung Verantwortung trugen, verdächtigt, ihr eigenes Interesse über das des Landes gestellt zu haben. In beiden Fällen ist die Staatsanwaltschaft tätig. Unklar ist noch, ob einzelne Menschen Fehler gemacht haben oder ob mehr dahinter gesteckt hat. Unklar ist noch, ob und in welchem Umfang dem Land materieller Schaden zugefügt wurde und in welchem Umfang politischer Schaden entstanden ist.
Meine Damen und Herren, was den Vorgang SAP/Lohmann betrifft, so ist die Aufgabe des Untersuchungsausschusses noch nicht klar ersichtlich. Dass die Firma SAP ein kompetentes Softwareunternehmen ist, steht außer Frage.
Eine Frage ist aber möglicherweise, ob SchleswigHolstein gut beraten war, sich als Pilotkunde anzudienen.
Bezüglich des Herrn Lohmann geht es erst einmal darum, dass die Staatsanwaltschaft ermitteln muss. Die fachlichen Fragen sind Sache der Haushaltsprüfgruppe des Finanzausschusses. Politischer Aufklärungsbedarf für den Untersuchungsausschuss ergibt sich aus den Fragen, ob weitere Personen etwas gewusst haben. Deshalb stimmen wir auch für diesen Komplex der Einberufung des Untersuchungsausschusses zu; denn es ist das Recht und auch die Pflicht des Parlaments, die Regierung zu kontrollieren und Fragen zu stellen.
Was den Sachverhalt um Herrn Pröhl und das Kieler Schloss betrifft, so stellt sich dieser anders dar. Was
der Ausschuss auch hier nicht leisten kann, ist die Arbeit der Staatsanwaltschaft, also zu klären, ob es Absprachen und Vorteilsnahme bei der Vergabe von Landesaufträgen gegeben hat. Hier geht es aber unabhängig von juristischen Fragen auch um die politische Verantwortung und die Rolle von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Staatskanzlei. Hier sind Kernfragen der Demokratie und der politischen Kultur berührt. Es geht darum, wie weit politische Aufsicht und Kontrolle reichen müssen, wie weit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstständig und kreativ operieren dürfen, was von führenden Beamten ja auch in gewissem Umfang erwartet wird. Es geht auch darum, wie es geschehen konnte, dass ein Mitarbeiter seine Dienstgeschäfte vermutlich systematisch mit eigenen Geschäften zu verbinden begann. Deshalb muss dieser Fall aufgeklärt werden und deshalb stimmen wir dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu.