Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

Das Land Schleswig-Holstein schlägt seit Jahren jeden Negativrekord bei der Investitionsquote und liegt nur noch bei 9 %. Zusätzlich greift es den Kommunen seit Jahren unverfroren in die Tasche. Die Investitionen der Kommunen, die Zweidrittel aller Bausinvestitionen ausmachen, befinden sich im freien Fall.

Die rot-grüne Steuerreform macht es möglich, dass global tätige Konzerne trotz Milliardengewinnen keine Gewerbesteuer zahlen müssen. Bundesweit flossen im vergangenen Jahr 10 % weniger Gewerbesteuern in die kommunalen Kassen, ohne Stadtstaaten. Die Kommunen mussten schon im letzten Jahr ihre Investitionen um über 6 % zusammenstreichen, in den neuen Bundesländer sogar um 10 %. In diesem Jahr erwarten die Experten einen weiteren Einbruch um 7 %. Damit liegen die kommunalen Investitionen um über 11 Milliarden € unter dem Niveau von 1992.

Dabei ist es nicht so, dass nicht genügend Arbeit da wäre. Das Institut für Urbanistik schätzt den Investitionsbedarf der Gemeinden für Infrastrukturmaßnahmen, die gebaut und unterhalten werden müssen, damit sie nicht vor die Hunde gehen, auf über 1 Billion DM beziehungsweise 690 Milliarden €. Aber der Bundeskanzler schwafelt bar jeder Kenntnis von Überkapazitäten in der Bauwirtschaft - so geschehen in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Schröder?“ am vergangenen Montag.

Meine Damen und Herren, Deutschland steht in der Gefahr, seine auch international hoch geschätzte Baukompetenz zu verlieren. Was das für Arbeitsplätze, Know-how und Innovationen bedeutet, kann sich jeder ausmalen.

Ein weiteres Kernproblem in der Bauwirtschaft ist die Schwarzarbeit. Hauptursache der Schwarzarbeit ist, dass die Differenz zwischen Brutto und Netto zu hoch ist.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Diese viel zu große Schere durch entsprechende Reformen zu schließen ist die einzige Möglichkeit, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Das gilt im Übrigen nicht nur für das Baugewerbe. Der Bau ist nur der Focus einer Entwicklung, die zunehmend in allen Wirtschaftsbereichen festzustellen ist.

Aber statt an den Ursachen anzusetzen, wird ein weiteres Bürokratiemonster aufgebaut: noch mehr Regulierung, noch mehr Bürokratie, noch mehr Verwaltungskosten. Die Schätzungen liegen zwischen 70 Millionen und 100 Millionen € allein für die Umsetzung des vorliegenden Gesetzentwurfs. Die Konsequenz ist: Das Bauen wird teurer, also gibt es weniger Bauaufträge. Weniger Bauaufträge heißt weniger Beschäftigung, also noch mehr Arbeitslose.

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Selbst die Verbände sind empört. Die „Welt“ titelte am 29. April: Baubranche macht Front gegen dieses Tariftreuegesetz.

Ein paar Worte noch zum ÖPNV: Auch hier haben wir es -

Frau Abgeordnete, das war ernst gemeint: Kommen Sie bitte wirklich zum Schluss.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Sie gestatten mir, den Satz zu Ende zu bringen.

Auch hier haben wir es mit Idiotie zu tun: Durch das Tariftreuegesetz wird im ÖPNV eine Kostensteigerung von 15 % erwartet. Wer soll die bezahlen?

Komplettiert wird der Irrsinn dieses Gesetzes dadurch, dass es weder unter europarechtlichen Aspekten noch verfassungsrechtlich haltbar sein wird. - Meine Damen und Herren, wir stimmen dem FDP-Antrag zu.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat am 26. April das Tariftreuegesetz verabschiedet. Mit dem Gesetz will die Bundesregierung dem Einsatz von Niedriglohnkräften auf staatlichen Baustellen und im öffentlichen Personennahverkehr einen Riegel vorschieben. Ein Stufenmodell soll dabei dem niedrigen Lohnniveau ostdeutscher Betriebe Rechnung tragen. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, bis 2005 bei öffentlichen Aufträgen im Westen auch unterhalb der Westtarife mitbieten zu können. Nach dem Stufenmodell sollen die Baufirmen erst ab dem Jahr 2005 den ortsüblichen Tariflohn zahlen müssen.

Von Juni 2002 an wird zunächst die Zahlung von mindestens 92,5 % des ortsüblichen Tarifniveaus vorgeschrieben. Über 95 % ab 2003 und 97,5 % ab 2004 werden 100 % im Jahr 2005 erreicht. Die Regelung soll ab einem Auftragsvolumen von 100.000 € greifen. Die Grenze soll bis 2004 auf 50.000 € sinken.

Meine Damen und Herren, es geht darum, die Tariflöhne am Standort zu sichern. Dem Gesetzentwurf zufolge sollen staatliche Stellen Bauaufträge künftig nur noch an Unternehmen vergeben dürfen, die ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern den am Einsatzort geltenden Tariflohn zahlen. Das Gleiche soll im öffentlichen Personennahverkehr gelten. Dadurch können im arbeitsmarktpolitisch sensiblen Bereich Arbeitsplätze erhalten werden, die einen aussichtsreichen sozialen Schutz sowie ein angemessenes Einkommensniveau gewährleisten. Belastungen für die sozialen Sicherungssysteme werden somit vermieden.

Im Baubereich kommt es durch den massiven Einsatz von Niedriglohnkräften zu starken Wettbewerbsverzerrungen, sodass Arbeitsplätze insbesondere in tarifgebundenen mittelständischen Unternehmen in hohem Maße gefährdet werden. Im öffentlichen Personennahverkehr ist angesichts der bevorstehenden Liberalisierung auf europäischer Ebene eine ähnliche Entwicklung zu befürchten. Auch hier droht ein rigoroser Preiswettbewerb die Qualität der Verkehrsdienstleistung und die Sicherheit der Arbeitsplätze zu gefährden.

Die Bundesanstalt für Arbeit und die Zollverwaltung sollen die Einhaltung der Tariftreuepflicht auf den Baustellen kontrollieren. Unternehmen, die sich nicht an das Gesetz halten, müssen Vertragsstrafen zahlen. Auch kann der Vertrag gekündigt und das Unternehmen von staatlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Meine Damen und Herren, neu ist ebenfalls die Einrichtung eines Korruptionsregisters. Der bereits im Dezember 2001 vom Bundeskabinett verabschiedete

Gesetzentwurf zur tariflichen Entlohnung bei öffentlichen Aufträgen - Tariftreuegesetz - sieht auch die Einrichtung eines Registers über unzuverlässige Unternehmen vor. Zu den unzuverlässigen Unternehmen gehören insbesondere diejenigen, die der Korruption überführt oder verdächtig sind. Damit ist jetzt bundesweit das schon oft geforderte Korruptionsregister endlich eingerichtet worden. Dafür gilt ein besonderes Lob den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen. Unternehmen, denen schwere Verfehlungen wie beispielsweise illegale Beschäftigung, Schwarzarbeit oder Verstöße gegen die Tariftreueregelung nachgewiesen werden, sollen in dieses Register aufgenommen und von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden können. Ebenso sollen Untenehmen, die durch Bestechung versuchen, an öffentliche Aufträge zu gelangen, in dieses Register aufgenommen werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: debis/SAP ist in Verdacht geraten!)

Durch die Einrichtung eines Korruptionsregisters soll gewährleistet werden, dass die öffentlichen Auftraggeber Kenntnis erhalten von Unternehmen, die ausgeschlossen wurden.

Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin hat überdies für die Einrichtung von Antikorruptionsbehörden in allen Bundesländern plädiert. Diese sollen schnell und unbürokratisch handeln können. Der Bundesrat muss den Neuregelungen noch zustimmen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Dankenswerter- weise braucht man Sie im Bundesrat nicht!)

Wir werden dem Antrag der FDP, das Tariftreuegesetz abzulehnen, nicht zustimmen. Im Gegenteil: Wir halten das Gesetz für einen wichtigen Schritt nach vorn. Unsere Ablehnung gilt deshalb dem FDP-Antrag.

So weit die ausgesprochen gute Rede meines Kollegen Karl-Martin Hentschel.

Zu Ihnen, Herr Kubicki: Antworten Sie doch einmal auf das, was Herr Müller gesagt hat. Er hat dargestellt, dass die deregulierte Traumwelt, die Ihnen immer vorschwebt, wenn sie wie in den Staaten real wird, überhaupt nicht funktioniert und zum Schaden der Wirtschaft, des Landes und der Bevölkerung insgesamt führt. Sonst hätten die Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika ihre Regelung nicht wieder rückgängig gemacht.

Ich habe noch zwei Fragen an die CDU, an Frau Strauß. Sie haben die Kohlesubvention sehr kritisch angesprochen. Ist die CDU denn dafür, die Subventionierung von Kohle zu streichen? Sie haben das hier ja

(Monika Heinold)

kritisiert. Ich bitte Sie, dazu einmal deutlich Stellung zu nehmen.

(Martin Kayenburg [CDU]: Stellen Sie mal einen Antrag! Sie können dann sehen, ob wir zustimmen!)

Frau Strauß, ich habe Ihnen das schon mehrfach gesagt. Haben Sie einmal finanzpolitisch nachvollzogen, warum das Land so hoch verschuldet ist?

(Martin Kayenburg [CDU]: Weil die Regie- rung nicht wirtschaften kann!)

Haben Sie sich einmal angesehen, dass gerade die hohe Investitionsquote in den 70er- und 80er-Jahren von Ihnen zu verantworten - dazu geführt hat, dass wir uns unverantwortlich hoch verschuldet haben?

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Was?)

Schauen Sie sich die Zahlen an. Es wurde verschuldet immer unter dem Vorwand, dass es ja Investitionen seien. Daran zahlen wir noch heute ab. Schauen Sie sich die Kurven an. Das ist meine herzliche Bitte.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD - Wolfgang Ku- bicki [FDP]: Das war so was von grausam!)

Das Wort hat jetzt der Herr Abgeordnete Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben schon im Frühjahr letzten Jahres ein Vergabegesetz in den Landtag eingebracht. Deshalb wird es Sie natürlich nicht verwundern, dass wir eine grundsätzlich positive Haltung zum Tariftreuegesetz haben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auf die wirtschaftsliberalen Thesen - das meine ich im negativsten Sinne -, die die FDP bewogen haben, den vorliegenden Antrag zu stellen, möchte ich nicht näher eingehen. Ich verweise hierzu auf die Anhörung zu unserem Landesvergabegesetz im Wirtschaftsausschuss, in der sich Gewerkschaften, Betriebsräte, Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsorganisationen positiv und zum Teil begeistert zum Landesvergabegesetz geäußert haben.

(Lothar Hay [SPD]: Da kann man nur sagen: Lesen bildet!)

- Herr Kollege Hay, so viele Menschen können sich nicht irren. Ich denke, da irrt doch eher die FDP.

Ich möchte vielmehr auf die Schwächen des vorgeschlagenen Tariftreuegesetzes auf Bundesebene eingehen. Im Lauf der Beratungen wurde der Gesetzentwurf immer mehr aufgeweicht und verändert, sodass wir nun ein Gesetz vorliegen haben, das erhebliche Schwächen hat.

Da ist zu allererst die Festlegung, dass das ganze Gesetz erst ab einem Auftragswert von 100.000 € respektive 50.000 € gelten soll. Der weit überwiegende Teil der öffentlichen Aufträge liegt unterhalb dieses Schwellenwertes. Somit wird der Geltungsbereich des Gesetzes stark eingeschränkt.

Es ist aber auch ein bisschen schizophren, wenn man über einem Schwellenwert Tarife einhalten muss und unterhalb dieses Wertes jeder machen kann, was er will. Im Übrigen müssen wir bei einer solchen Schwellenwertregelung davon ausgehen, dass die Ausschreibungen verstärkt in Teillosen erfolgen werden, um so unterhalb des Schwellenwertes bleiben und die Tarife weiterhin unterlaufen zu können. Der Schwellenwert muss daher ersatzlos gestrichen werden.

Die zweite große Inkonsequenz in dem Gesetz ist die Regelung, dass in den Jahren 2002 bis 2004 auch unterhalb des vor Ort gültigen Tarifs gezahlt werden darf. Hierdurch wird Lohndumping auch noch staatlich sanktioniert. Das ist völlig inakzeptabel. Ziel des Gesetzes muss sein, Lohndumping zu verhindern, und nicht, Lohndumping in Gesetzesform zu gießen.