Protokoll der Sitzung vom 16.05.2002

(Beifall)

Wird das Wort zur Begründung des CDU-Antrags Drucksache 15/1798 gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

(Unruhe)

Ich erteile zunächst der Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur das Wort. Frau Ministerin Erdsiek-Rave hat für die Landesregierung das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe den Ältestenrat so verstanden, dass wir Bericht und Antrag in einen Redebeitrag integrieren und hierüber eine zusammengefasste Debatte führen.

Meine Damen und Herren, der Bedarf an Lehrkräften ist nach wie vor hoch, nicht nur an den öffentlichen allgemein bildenden Schulen in SchleswigHolstein, sondern natürlich auch an den beruflichen Schulen wird er in den nächsten Jahren kontinuierlich ansteigen. Das ist eine bundesweite, ja - wenn man über die Grenzen unseres Landes hinausguckt - eine europaweite Situation. Bis zum Jahre 2004 gehen wir von einem Zuwachs der Schülerzahlen an den allgemein bildenden Schulen um 2,5 % aus, was sich hauptsächlich an den weiterführenden Schularten abzeichnen wird, während an den Grundschulen bereits jetzt ein Rückgang der Schülerzahlen zu registrieren ist. An

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

den berufsbildenden Schulen gehen wir bis zum Schuljahr 2008/9 von einer deutlichen jährlichen Zunahme aus, im Vergleich zum Jahr 2001 von einem Plus von insgesamt 23 %. Es ist klar, die starken Jahrgänge wachsen sozusagen nach oben durch. Danach fällt die Kurve wieder ab.

Ich betone diese Perspektive deswegen, weil alle unsere Entscheidungen über die Gewinnung und Einstellung von Lehrkräften unmittelbar mit dieser Verlaufskurve zusammenhängen. Wir haben akut einen hohen Bedarf an Lehrkräften für die allgemein bildenden Schulen, der - wenn man die Schülerprognose zugrunde legt - bereits vom Schuljahr 2008/9 wieder unter das heutige Niveau sinken und dann ganz stark abfallen wird. Bei den berufsbildenden Schulen ist - wie gesagt - diese Zeitspanne, auch was den Lehrerbedarf angeht, größer und die Kurve deshalb weiter.

Gleichzeitig kommt als zusätzlich zu betrachtende Entwicklung hinzu, dass bis 2010 etwa 35 % aller Lehrkräfte an den öffentlichen allgemein bildenden Schulen und 31 % an den berufsbildenden Schulen in den Ruhestand gehen werden.

Angesichts dieser Situation sind Maßnahmen gefragt, die erstens möglichst zeitnah wirksam sind und zweitens flexibel sind, um die Weichen nicht allzu starr zu stellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge an dieser Stelle einmal ein: Wir werden die Zahlen der Lehramtsstudierenden an den Hochschulen, die erfreuerlicherweise wieder steigen, nicht so präzise steuern können, dass nicht möglicherweise wieder ein Überhang entsteht. Das ist im Verlaufe von mehreren Jahrzehnten unvermeidlich. Wir sollten aber alles tun, um es zu vermeiden.

So viel zur langfristigen Perspektive, die ich nicht zu unserer Entlastung anführe, sondern deshalb, weil wir alle unsere Entscheidungen nicht nur vor dem finanziellen, sondern auch vor dem strukturellen Hintergrund treffen müssen. Nun zu den kurzfristigen, unmittelbar wirksamen Maßnahmen!

Erstens. Die Lehrerlaufbahnverordnung wurde im Januar dieses Jahres - wie angekündigt - geändert: In Fächern, in denen Mangel besteht, können hoch qualifizierte Universitätsabsolventen, die nicht aus Lehramtsstudiengängen kommen, die aber ein Diplom oder anderes Examen vorweisen können, als Quereinsteiger in den Vorbereitungsdienst beziehungsweise in das Referendariat übernommen werden.

Zweitens. Wir haben mit unerwartet hohem Erfolg um diese Quereinsteiger geworben, die bereits im Berufsleben stehen. Von den rund 2.000 Interessenten ist

nach einer sorgfältigen Auswahl der Fachbedarf, der besondere Bedarf herausgefiltert worden: Bis zu 90 Personen werden wir in einem ersten Schritt zum 1. August in ein Referendariat übernehmen können beziehungsweise es ihnen anbieten. Ob sie das annehmen, ist ihre eigene Entscheidung.

Drittens. Über die Welcome-back-Aktion, die sich an Lehrkräfte richtete, die fertig ausgebildet sind, aber möglicherweise in anderen Berufen oder auch gar nicht berufstätig sind, konnten im Frühjahr dieses Jahres rund 70 Lehrkräfte für den Schuldienst zurückgewonnen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das sind erfahrene Lehrkräfte, die wieder in den Schuldienst kommen, insbesondere Frauen, denen wir den Übergang durch entsprechende Maßnahmen erleichtern.

Infolge des Ländertauschverfahrens, das neu geordnet worden ist, wird die Mobilität von Lehrkräften, die in einem anderen Bundesland unterrichten wollen, erheblich verbessert. Es ist davon auszugehen, dass sich wie bisher für Schleswig-Holstein ein positiver Wanderungssaldo ergibt, denn die Bereitschaft von Lehrkräften, nach Schleswig-Holstein zu wechseln, ist immer schon höher gewesen als umgekehrt. Deswegen gehören wir zu den Ländern, die von diesen Neuregelungen besonders profitieren. Möglicherweise wird auch die Zahl von Bewerberinnen und Bewerbern aus Hamburg ansteigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Zurück zu dem Maßnahmenkatalog, den wir nicht nur angekündigt, sondern tatsächlich umgesetzt haben! Wir regeln darüber hinaus derzeit die Übernahme von Lehrkräften aus Brandenburg und MecklenburgVorpommern. Auch das wird zum neuen Schuljahr beginnen, seinen Schwerpunkt aber erst ab dem folgenden Schuljahr 2003/4 haben. Das Ganze ist nicht eine unsolidarische Abwerbeaktion in Richtung Osten, sondern die Übernahmen finden zu einem Zeitpunkt statt, in dem die neuen Bundesländer mit einem erheblichen Personalüberhang zu kämpfen haben. Wir wollen da solidarisch ein Angebot machen und hoffen natürlich auf Interesse. Im Hinblick auf die anderen oder besseren Besoldungsbedingungen hier ist dies sicherlich auch nicht ausgeschlossen, dass das mit erheblicher Nachfrage verbunden ist.

Schließlich werben wir für den Lehrerberuf in Schleswig-Holstein. Wir werben gezielt für die Fächer, für die bereits ein akuter Mangel besteht oder absehbar ist, in einer ausführlichen Broschüre. Tatsächlich steigen die Neueinschreibungen von Studierenden für

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

das Lehramt an den Universitäten Flensburg und Kiel erfreulich an. Ich füge allerdings hinzu: stiegen sie doch auch überall in den wirklich notwendigen Fächern an. Wir können die Entscheidung der Studierenden nicht wirklich steuern, dass sie die Fächer, die nachgefragt sind, die wichtig sind, die wir brauchen auch wirklich wählen. Ich komme darauf noch einmal zurück. Zugleich reformieren wir die Studien- und Ausbildungsstrukturen, damit möglichst viele Lehramtstudierende zügig studieren können, das Studium tatsächlich beenden und das Referendariat und den Vorbereitungsdienst und die entsprechenden Stellen auch antreten.

Trotzdem gibt es natürlich - das darf nicht verschwiegen werden - auch Versorgungsengpässe. Sie rühren daher, dass in manchen Fächern der Nachwuchs sehr begrenzt ist und nur bedingt durch die genannten Maßnahmen aufzufangen ist. Darüber werden wir auch morgen noch reden. Das betrifft insbesondere die musischen Fächer, die Fächer Musik und Kunst, aber auch Sport, Mathematik und Physik. Hier soll das IPTS beziehungsweise das zukünftige Institut spezielle Zusatzqualifikationen anbieten, so genannte dritte Fächer, um Entlastungen zu erreichen. Wenn diese Maßnahmen in Verbindung mit dem Gesamtkatalog keine zureichende Entlastung schaffen, müssen wir auch nachdenken und gemeinsam mit den Hochschulen darüber reden, wie denn Studien- und Prüfungsordnungen so modifiziert werden können, dass wir diesen Fachbedarf wirklich decken können. In jedem Fall stärken wir - und dafür bitte ich auch um Unterstützung - sowohl innerschulisch als auch gesellschaftlich den Stellenwert von elementaren Fächern. Ich denke, dass man in diesem Zusammenhang auch das Jahr des Schulsports oder auch die zunehmenden Diskussionen über den Stellenwert des Schulsports und auch der musischen Fächer sehen kann. Sie tragen dazu bei, diesen Mangel längerfristig zu beheben und das Bewusstsein für diese Fächer nachdrücklich zu erhöhen. Das ist einfach notwendig, weil sie oft genug aus dem schulischen Alltag ausgeblendet werden.

Natürlich gehört zu den Problemen, die wir haben, auch, dass nicht alle Dienstorte in Schleswig-Holstein gleichermaßen attraktiv sind für den Nachwuchs. Das ist so; wir erfahren es immer wieder. Wir versuchen, Ungleichgewichten nach Möglichkeit gegenzusteuern, aber hier sind sicherlich die einzelnen Schulen in der Pflicht, über ihre Profilbildung gezielt um Lehrkräfte zu werben, sowie die Schulträger für ihre Standorte zu werben und im Interesse aller an der Schule Beteiligten die Versorgung sicher zu stellen haben. Ich werbe nachdrücklich für die Zusammenarbeit zwischen Land und Schulträgern, denn nur so können wir diese Probleme in den Regionen Schleswig-Holsteins, die aus

unserer Erfahrung eben nicht bevorzugt von den Studierenden gesucht werden, lösen. Ich weiß sonst keine andere Lösung. Wir müssen natürlich das Land gleichmäßig mit Lehrkräften versorgen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun zu der Frage, den Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärtern an beruflichen und allgemein bildenden Schulen, Anwärtersonderzuschläge zu bezahlen. Dies wird seit Beginn des Jahres durch die Neufassung des § 63 im Bundesbesoldungsgesetz ermöglicht. Wir haben im letzten Jahr über die Optionen geredet, wir haben über Alternativen geredet. Damals gab es noch keine Gesetzesänderung, jetzt ist sie da. Voraussetzung dafür ist - so definiert es das Gesetz -, dass ein erheblicher Mangel an qualifizierten Bewerbern besteht. Vorgesehen ist ein Zuschlag, der gezahlt werden kann, 70 % des Anwärtergrundbetrages, im Höchstfall 100 %. Das sind 705 beziehungsweise 1.007 € pro Monat.

Die Berufsverbände der Berufsschullehrer fordern einer gemeinsamen Pressemitteilung zufolge einen Zuschlag von 400 € pro Monat. Wenn man die Mangelfächer der berufsbildenden Bereiche zu Grunde legt, die in der Kapazitätsverordnung definiert sind - in den beruflichen Schulen sind das besonders die Metall- und Elektrotechnik und der nahrungsgewerbliche Bereich -, so erforderte ein 70-prozentiger monatlicher Sonderzuschlag die Summe von 1,5 Millionen € jährlich, eine Zusage von 400 € pro Monat die Summe von 0,8 Millionen € jährlich - überschlägig. Ich habe Ihnen hier nur die Beträge genannt, die im Bereich der beruflichen Schulen anfallen würden. Die sind im Personalbudget des Haushaltes 2002 nicht enthalten und sie sind im laufenden Haushalt natürlich auch nicht zu erwirtschaften.

Diese Aussagen gelten uneingeschränkt auch für die im Landesbeamtengesetz geregelte Reisekostenvergütung. Dementsprechend erhalten Beamtinnen und Beamte im Vorbereitungsdienst für die Teilnahme an Ausbildungsveranstaltungen seit diesem Haushaltsjahr eine höhere Vergütung in Höhe von 0,14 € als Kilometerpauschale. Eine volle Angleichung, wie Sie es fordern, meine Damen und Herren, würde zu Mehrkosten im Haushalt von ungefähr 280.000 € führen. Selbstverständlich werden wir diese Möglichkeit, die natürlich eine von mehreren Alternativen darstellt, um den Nachwuchs zu sichern, genau prüfen. Wir stehen derzeit am Beginn der Haushaltsverhandlungen. Sie werden sicherlich Verständnis dafür haben, dass wir im Augenblick keine Vorabverfügung treffen können. Wir wollen diese Verhandlungen in Ruhe führen, ohne etwas vorweg zu nehmen.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Ich möchte aber noch etwas Grundsätzliches dazu anmerken. Auf den ersten Blick ist der Gedanke attraktiv, durch Erhöhung von Besoldungen, die Brutto manchmal bedeutender klingen, als sie dann Netto aussehen, die Nachfrage zu steuern, auch die Nachfrage nach einem Beruf. Lehrerinnen und Lehrer haben eine erhebliche und mitunter wirklich schwierige und schwere Verantwortung für Bildung und Ausbildung. Es ist ein interessanter Beruf, es ist eine Herausforderung und auch ein Beruf, bei dem man sehr viel gewinnt, nicht zuletzt für sich selbst. Ein Funke Berufung sollte bei dieser Wahl natürlich mit enthalten sein, und den kann man nicht mit Sonderzuschlägen aufwiegen, meine Damen und Herren.

Ein zweites Argument kann auch ich nicht von der Hand weisen: Natürlich ist es eine Umstellung, wenn man im Berufsleben gestanden hat und eine Familie möglicherweise hat und dann geringer bezahlt wird als vorher. Natürlich verlangt das Einschränkungen, aber es ist eine zeitlich befristete Einschränkung,

(Zuruf von der FDP: Für zwei Jahre!)

- ja, für zwei Jahre -, und es ermöglicht hinterher die Perspektive auf einen sicheren Arbeitsplatz und einen hervorragenden Beruf, einen Beruf, der noch dazu mehr Erfüllung geben kann als mancher andere Beruf. Das zeigt die steigende Nachfrage, und ich hoffe, dass dies so bleibt.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich möchte die geschäftsleitende Bemerkung machen, dass die zusätzliche Redezeit für die Fraktionen eine Minute zwanzig Sekunden beträgt.

Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Ich erteile zunächst für die Fraktion der CDU der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst etwas zum Bericht, und zwar etwas ganz Grundsätzliches zu dem Bericht über die Frage der Gewinnung von neuen Lehrkräften. Mir scheint, dieser Bericht der Landesregierung liest sich nicht wie ein Bericht zum Problem oder zur Frage, wie ich neue und junge Lehrkräfte gewinne, sondern in weiten Teilen wie ein Bericht zur Frage, wie ich verhindere, dass junge und neue Lehrkräfte eingestellt werden.

(Beifall bei CDU und FDP)

Denn die in diesem Bericht angeführten Maßnahmen zur angeblichen Lehrergewinnung wie zum Beispiel

die Aussetzung der Altersteilzeit, die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung und der Abbau von Ausgleichsstunden sind Maßnahmen, die zwar in Ansätzen, aber doch nur in Ansätzen - ich komme nachher noch einmal darauf zurück - der Erhöhung des Unterrichtsangebotes durch Verlängerung der Arbeitszeit der alten Lehrer dienen, aber keinesfalls dazu geeignet sind, junge und neue Lehrkräfte für den Beruf des Lehrers zu gewinnen.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sagen Sie mal was zu Hamburg!)

- Da fragen Sie doch bitte die Herren von der anderen Seite!

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Frau Heinold, Sie sind nachher dran.

Gerade auch die nach Schularten differenzierte Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung wird den in den nächsten Jahren anfallenden Unterrichts- und Lehrerbedarf vor allem in den Berufsschulen, Frau ErdsiekRave, aufgrund von Pensionierungen und zusätzlichen Schülerzahlen nicht auffangen können, abgesehen davon, dass ein Teil der durch die beschriebenen Maßnahmen erwirtschafteten Stunden dazu verwendet wird, Stelleneinsparungen vorzunehmen und Ganztagsangebote zu finanzieren und nicht etwa neue Lehrkräfte einzustellen.