Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Es soll eine Berichterstattung geben, die jetzt erfolgen wird. Deswegen erteile ich das Wort der Frau Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur. Bitte, Frau Ministerin!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Lebe, um zu lernen, lerne, um zu leben!“ Dieser alte und immer noch aktuelle Spruch wird uns wohl nicht so leicht aus dem Gedächtnis entschwinden. Er steht über dem Eingang zum Erfurter Gutenberg-Gymnasium. In diesem Zusammenhang ist er uns ins Gedächtnis zurückgerufen worden. Ich zitiere das aber nicht nur aus aktuellem Anlass, sondern auch deshalb, weil dieser Satz sehr gut den verbindlichen Kerngedanken von Bildung und Erziehung beschreibt. Kinder und Jugendliche mit
den Kompetenzen auszustatten, die sie für ein selbst bestimmtes Leben brauchen, ist Aufgabe jeder Schule.
Ich mache diese Vorbemerkung, weil sich der Bericht auf einen Ausschnitt dessen bezieht und weil er die Aufgabe von Schule natürlich nicht umfassend in den Blick nehmen kann. Insbesondere die Fragen von Erziehung und Wertevermittlung, die im Moment, wie ich finde, zu Recht wieder stark in den Mittelpunkt gerückt sind, werden nicht angesprochen. Bildung ist ein umfassender Begriff, allerdings sind die Art der Wissensvermittlung und ihre Nachhaltigkeit und Qualität darin von zentraler Bedeutung. Dies haben uns TIMSS und zuletzt PISA sehr deutlich vor Augen geführt.
Schulische Qualität ist also nichts, was von selbst entsteht, sondern muss kontinuierlich entwickelt und gesichert werden. Wir haben in der Vergangenheit eine ganze Reihe von qualitätssichernden Maßnahmen, also Verfahren der externen und internen Evaluation, für die Schulen in Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht beziehungsweise sie sind in der Planung. Wir investieren zudem viel in Qualitätsentwicklung. In den meisten Fällen ist das eine vom anderen überhaupt nicht zu trennen. Die Ergebnisse qualitätssichernder Instrumentarien wie etwa TIMSS oder PISA unterstützen zugleich Maßnahmen der Qualitätsentwicklung, indem sie uns nämlich das nötige Wissen, das Steuerungswissen dafür bereitstellen.
Erlauben Sie mir, Ihnen die beiden Studien noch einmal ganz kurz ins Gedächtnis zu rufen. Die PISAStudie untersuchte die Lesefähigkeit und die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kenntnisse von 15Jährigen, gekoppelt an eine Reihe von Faktoren wie Einkommen, Status der Eltern, soziales Umfeld und so weiter. TIMSS hatte - ebenfalls auf internationaler Ebene - in insgesamt drei Stufen die mathematischnaturwissenschaftlichen Kompetenzen von Schülern gemessen. Deutschland hat sich nur an der zweiten und dritten Phase dieser Leistungsmessung beteiligt. Dort wurden die Fähigkeiten von Schülern der 7. und 8. Klasse sowie der 12. und 13. Klasse getestet.
Letztlich hat die TIMS-Studie schon angekündigt, was wir von PISA erwartet haben. Auch damals schon hatte Deutschland enttäuschend mittelmäßig abgeschnitten. Konsequenzen wurden gezogen. Wie PISA gezeigt hat, gibt es aber Anlass genug, noch intensiver, noch breiter und auch mit neuen Ansätzen an der Qualität zu arbeiten.
Seit der Veröffentlichung der ersten TIMSS-Ergebnisse zwischen 1996 und 1998 haben wir eine Reihe von Initiativen - zum Teil im Land, zum Teil im Gefolge bundesweiter Entwicklungen - ergriffen, um ein höheres Niveau und eine andere Unterrichtskultur,
insbesondere im Bereich von Mathematik und Naturwissenschaft, zu erreichen. Maßnahmen von Qualitätssicherung und -verbesserung bilden deshalb nicht erst im Licht von PISA einen festen Bestandteil bildungsplanerischer Arbeit. Es sind nachhaltige und auf Langfristigkeit angelegte Maßnahmen. Denn ich muss mit aller Deutlichkeit sagen: Qualitätsfördernde Schulentwicklung braucht Zeit. Um zu wissen, wohin die Reise geht und wo die Schwachstellen und Defizite liegen, braucht man Evaluierungsverfahren und -methoden. Das ist nicht immer leicht zu vermitteln. Manchem leuchtet das immer noch nicht ein; mancher neigt nach wie vor dazu, lieber den Spiegel, der einem die unliebsame Wahrheit vorhält, zu zerschlagen. Einer solchen Illusion dürfen wir uns aber nicht hingeben.
Ich will ein paar aktuelle Beispiele nennen und dann noch zurückblicken auf das, was bereits auf den Weg gebracht worden ist. Zum Aktuellen: SchleswigHolstein und Bayern haben die Federführung in dem länderübergreifenden Projekt „Qualitätssicherung in Schulen“ übernommen. Dabei geht es um die Sicherung von Qualitätsstandards und ihre Überprüfung. Das ist eine gemeinsame Initiative der KMK. Schleswig-Holstein ist auch bei IGLU federführend, der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung, deren Ergebnisse im nächsten Jahr vorliegen werden. Zudem beteiligen wir uns an DESI, einer Vergleichsuntersuchung zum Leistungsstand im Englischen und in der aktiven Beherrschung der deutschen Sprache. Das sind die großen Projekte im nationalen und internationalen Kontext, von denen wir uns wichtige Impulse für die schulische Qualitätsentwicklung in der nächsten Zeit erwarten.
Darüber hinaus arbeiten wir an einem komplexen Maßnahmebündel zur Verbesserung der Qualität von Unterricht. Daraus will ich wenigstens die wichtigsten Punkte zitieren. Erstens. Seit 1998 verpflichtet das Schulgesetz alle Schulen, bis zum Ende dieses Schuljahres ihr besonderes Profil und die Akzente ihrer pädagogischen Arbeit in einem Schulprogramm zu formulieren. Schulprogramme sind Instrumente des Qualitätsmanagements. Mittlerweile ist das zum Glück unumstritten. Die Festlegung von Zielen und die Messung an diesen Zielen ist zum einen Aufgabe der einzelnen Schule. Darüber hinaus werden wir die Schulprogrammarbeit auch wissenschaftlich evaluieren. Es ist notwendig, Maßnahmen immer wieder auch auf ihre Wirkung hin zu überprüfen. Auch das Projekt „Schulentwicklung im Netzwerk“ gehört in diesen Zusammenhang. Bei dieser Gelegenheit betone ich noch einmal, dass die Schulprogrammarbeit der richtige Weg ist, Schulen mehr Selbstständigkeit und mehr Eigenständigkeit zu geben. Wie nötig das ist, betont
Ich denke, an diesem Punkt müssen wir in SchleswigHolstein noch weiter kommen, als das bisher der Fall war.
Eigenverantwortung und Autonomie der Einzelschule liegen gewissermaßen auf der einen Seite der Waagschale; auf der anderen liegen Lehrpläne, verbindliche Standards und die Überprüfung von außen.
Zweitens. Nach Inkraftsetzen der neuen Lehrpläne für die Grundschule und die Sekundarstufe I zum Schuljahr 1997/1998 sind nun auch die Lehrpläne für die gymnasiale Oberstufe und für die sonderpädagogische Förderung revidiert beziehungsweise neu erstellt worden. Wir haben also alle Lehrpläne von der 1. bis zur 13. Klasse stufen- und schulartübergreifend nach einem einheitlichen Grundkonzept umgestaltet. Die Richtschnur für diese Reform ist klar. Sie ist so modern, wie sie im Hinblick auf PISA nur sein kann, und braucht nicht umgestaltet zu werden. Sie lautet: Konzentration des Unterrichts auf den Erwerb von Kompetenzen, Auseinandersetzung mit Kernproblemen, Reduzierung der Stofffülle, Lernen in thematischen und problemorientierten Zusammenhängen, Förderung des fächerübergreifenden Lernens und des Projektlernens, Stärkung der Berufsorientierung.
Drittens. Schon vor PISA und verstärkt seit Vorliegen der Ergebnisse aus dieser Studie wurden und werden die Lehrpläne für zentrale Fächer und Schulstufen konkretisiert. Auf ihrer Grundlage entwickeln wir in Schleswig-Holstein praxisorientierte Umsetzungshilfen und unterrichtspraktische Standards in Form von Handreichungen und Beispielaufgaben. Für die 7. bis 9. Klasse der Hauptschule stehen diese Standards jetzt zur Verfügung. Sie werden von Beginn des folgenden Schuljahres an eingesetzt und am Ende des folgenden Schuljahres werden wir landesweit Stichproben zu den Ergebnissen erheben. Das bedeutet, dass wir eine Erfolgskontrolle über den Einsatz dieser Standards machen. Im darauf folgenden Schuljahr 2003/2004 werden wir eine verbindliche Hauptschulabschlussprüfung einführen.
Ich glaube, wir sind einen richtigen, behutsamen Weg gegangen, den die Schulen wirklich mitgehen können. Eine überstürzte, sofortige Einführung, Herr de Jager, wie Sie sie damals vorgeschlagen haben, habe ich
nicht für richtig gehalten. Es gibt viele Schulen, die sich erst auf diesen Weg machen mussten, mit höchst unterschiedlichen Voraussetzungen und Problemen. Aber die Bereitschaft ist erheblich gewachsen und es ist ein guter Zeitrahmen, den wir gesetzt haben.
Die Standards für die Klassenstufen 2 und 4 in der Grundschule und 6 am Ende der Orientierungsstufe ebenfalls für Deutsch und Mathematik - werden derzeit erarbeitet. Wir streben dabei eine intensive länderübergreifende Zusammenarbeit an. Darüber, was Schüler in den Kernkompetenzen am Ende bestimmter Klassenstufen wissen und können müssen, muss eine möglichst bundesweite Verständigung gelingen.
Für mich ist das eine Art Nagelprobe für den Föderalismus und den Fortbestand der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern in der Bildungspolitik. Ich hoffe, dass dies unter dem Eindruck des Schocks von PISA jetzt wirklich auf einem guten Weg ist.
Viertens. Alle Aussagen aus großen internationalen Leistungsvergleichsuntersuchungen mit den jeweiligen nationalen Ergänzungen erheben - das liegt in der Natur der Sache - nur statistische Durchschnittswerte. Über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Schule sagen sie nichts oder wenig aus. Wir müssen aber die Wirksamkeit pädagogischen Handelns systematisch vor Ort überprüfen. Deshalb werden wir eine neue Form der externen Evaluation für die Schule einführen - mögen Sie es Schul-TÜV nennen oder mit diesem Begriff belegen. Die Instrumente, Verfahren und Details werden zurzeit sorgfältig erarbeitet, sodass die entsprechenden Teams im Schuljahr 2002/3 ihre Arbeit aufnehmen können. Ich habe Ihnen diese Maßnahme bereits in der 21. Sitzung vorgestellt, sodass ich mich hier auf die knappen Hinweise beschränken kann.
Nicht nur die öffentliche Resonanz bestätigt mich in der Richtigkeit dieses Weges, sondern auch die bundesweite Entwicklung, die in dieselbe Richtung geht. Wir werden vermutlich unterschiedliche Verfahren in den Bundesländern haben, aber das ist in diesem Zusammenhang durchaus legitim.
Auch das Personalentwicklungskonzept für die Schulen ist im Kontext von Qualitätsentwicklung zu sehen. Qualitätsmanagement ist Aufgabe der Schulleitung. Eine Schule ist nur denkbar mit professioneller, motivierter und gut vorbereiteter Leitung. Deshalb ist Personalentwicklung auch im Schulbereich notwendig und wichtig.
Fünftens. Ein wichtiges Element von Qualitätsentwicklung sind Modellversuchsprogramme, vor allem, wenn sie in Zukunft noch stärker auf Breitenwirkung und Transfer angelegt sind. Schleswig-Holstein
beteiligt sich mit circa 90 Schulen an fast allen Modellversuchsprogrammen und hat für drei von ihnen die Federführung. Das wichtigste und erfolgreichste ist SINUS.
Sechstens. Wir unterstützen die Schulen darin, aus PISA zu lernen, indem wir spezielle Schulentwicklungsmoderatoren qualifizieren und sie vor Ort als Berater einsetzen, mindestens für die 96 Schulen, die in Schleswig-Holstein an der PISA-E-Studie teilgenommen haben.
Diese Aufzählung kann nicht vollständig sein, auch wegen der Kürze der Zeit. Vieles andere wäre zu nennen, insbesondere die intensive Qualitätsentwicklungsarbeit auf regionaler Ebene, von sich aus, wie etwa im Kreis Schleswig-Flensburg in hervorragender Weise. Die Arbeit ist nicht abgeschlossen. Wir werden mit den Folgeuntersuchungen von PISA immer wieder neues Wissen und weitere Erkenntnisse über Unterricht und Schule bekommen. Das wird nicht immer angenehm sein, aber ich sehe darin in erster Linie eine große Chance für eine nachhaltige Verbesserung der Qualität von Schule und Unterricht.
Ich danke der Frau Ministerin für den Bericht. Bevor wir in die Aussprache gehen, begrüße ich auf der Tribüne Mitglieder des SPD-Ortsvereins Stockelsdorf sowie Schülerinnen und Schüler der Realschule Halstenbek mit ihren Lehrkräften. - Herzlich willkommen!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kurze Vorbemerkung: Wir haben es hier meines Erachtens mit einem etwas rätselhaften Tagesordnungspunkt zu tun. Über Maßnahmen zur Qualitätsicherung an Schulen sollte die Ministerin berichten das hat sie auch getan - und dieser Bericht war auf einmal so dringlich, dass er nicht wie sonst üblich in schriftlicher Form zur nächsten Sitzung vorgelegt werden soll, nein, dieser Bericht duldet offenbar nach
Bei dieser plötzlichen Hektik von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die auf einmal TIMSS entdeckt haben, eine doch schon etwas betagte Vergleichsstudie der Schulen in Europa und der westlichen Welt, ist die Präzision auf der Strecke geblieben. Was genau die Kollegen Birk und Höppner wissen wollten, bleibt im Unklaren und ich nehme dankbar die Gelegenheit zu einer Generaldebatte auf.
Meine Damen und Herren, interessant an diesem Thema ist vor allem, welche Maßnahmen zur Qualitätsicherung an den Schulen in Schleswig-Holstein die Ministerin und das Ministerium in der Vergangenheit nicht ergriffen haben beziehungsweise welche auch im Bericht nicht auftauchen, zum Beispiel in der Unterrichtsversorgung. Ich weiß, es ist so etwas wie ein ceterum censeo - klar ist, dass die beste Maßnahme zur Qualitätsicherung an Schulen immer noch eine gute Unterrichtsversorgung ist. Hier hapert es an allen Ecken und Enden. Ich könnte da aus den bekannten Statistiken zitieren - wir werden ja auch in diesem Jahr noch den Bericht zur Unterrichtsversorgung bekommen -, ich will aber viel lieber auf die Briefe eingehen, die uns in der CDU-Fraktion und alle anderen Kollegen im Hause auch von Elternvertretern, von Schülern und von Schulen insgesamt erreichen.
Wenn zum Beispiel - das ist wohl der aktuellste Brief, der uns vorliegt - die Fachschaft Sport an der Integrierten Gesamtschule in Eckernförde alle Fraktionen anschreibt und auf das große Dilemma des Sportunterrichts dort hinweist, ist das kein Einzelfall. Wir wissen von der Käthe-Kollwitz-Schule in Kiel, dass dort Abiturienten Sportunterricht nachholen mussten, weil sie sonst die Hochschulzulassung in einigen Bundesländern nicht bekommen hätten.
Wir lesen von dem Gymnasium Kronshagen in den „Kieler Nachrichten“, wo Eltern jetzt privat Musikunterricht finanzieren, weil er sonst nicht erteilt werden kann. Das passt lückenlos in ein Bild, wo Eltern aus ihrer Privatschatulle auch Englisch an den Grundschulen finanzieren, weil dieser Unterricht sonst nicht stattfindet. Wir kriegen Briefe von Eltern und Schülern, die nicht verstehen, dass auch und gerade im Hamburger Rand die Klassen immer voller und Lehrerstellen trotzdem abgezogen werden. Für diese besagten Eltern, Schülerinnen und Schüler klingen die Maßnahmen, die die Ministerin eben ausgeführt hat, wie Nachrichten aus einer fernen Welt. Sie wollen zunächst einmal, dass schlichtweg Unterricht erteilt wird.
Vor diesem Hintergrund ist es geradezu unterlassene Hilfeleistung, wenn das Ministerium 78 Planstellen,