Protokoll der Sitzung vom 19.06.2002

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das steht nicht im Wahlprogramm der SPD!)

Es geht - da sind wir wahrscheinlich nicht einer Meinung - um die Reform der Erbschafts- und Schenkungssteuer und die Revitalisierung der Gewerbesteuer.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mit anderen Worten: Ihr wollt Steuererhöhungen!)

Wenn Sie ständig Steuern senken wollen, sagen Sie uns bitte auch, auf welche Ausgaben Sie verzichten wollen. Sie wollen mehr Geld für Bildung - wollen wir auch. Sie wollen mehr Geld für Straßen - wollen wir auch.

(Martin Kayenburg [CDU]: Sie wollen spa- ren, haben Sie gesagt!)

Sie wollen mehr Geld für innere und äußere Sicherheit - das wollen wir auch. Aber Sie können das nicht durch Steuersenkungen finanzieren, sondern vielleicht durch

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Steuererhöhun- gen!)

mehr Steuergerechtigkeit.

(Beifall bei der SPD)

Das Fazit meiner Ausführungen lautet: Wir werden Ihren Antrag in der Sache ablehnen.

Dem Antrag des SSW könnten wir in der Sache zustimmen, weil das unseren Forderungen entspricht. Aber es ist ein Ergänzungsantrag zum Hauptantrag. Deshalb sehen Sie es uns nach, Kollegin Spoorendonk, dass wir, auch wenn wir inhaltlich übereinstimmen, Ihren Antrag trotzdem ablehnen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Anke Spoorendonk [SSW]: Wir sind nicht nachtragend!)

Für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt dem Vorsitzenden der FDP-Fraktion, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Lothar Hay! Lieber Holger Astrup! Liebe Uschi Kähler! Was haben wir als Opposition euch eigentlich getan, dass ihr Günter Neugebauer zum finanzpolitischen Sprecher gemacht habt?

(Beifall bei der FDP)

So schlimm war das in der Vergangenheit doch nicht.

Kollege Neugebauer, ich will ausdrücklich sagen: Wir unterstützen natürlich den Antrag der CDU, gleichwohl wissend, dass wir die Regierung nur auffordern können, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Die Entscheidungshoheit, ob sie das tut, liegt bei der Regierung.

(Holger Astrup [SPD]: So ist es!)

Nach unserer Auffassung gibt es eine ganze Reihe von triftigen Gründen, aus denen man das sinnvollerweise machen sollte. Allerdings weiß ich auch, dass Sie das ablehnen werden. Es ist nämlich vor einer Bundestagswahl außerordentlich schwierig, den Haushalt in seinem Vollzug den tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und damit zu offenbaren, dass viele der Versprechungen, die mit dem Haushalt 2002 von der Landesregierung noch nach außen dokumentiert worden sind, faktisch nicht mehr eingehalten werden können. Es ist schwer, das vor einer Wahl, in einem Wahlkampf öffentlich bekannt zu geben.

Deshalb habe ich Verständnis dafür, dass die regierungstragenden Fraktionen dem nicht beitreten können. Das wäre wahrscheinlich bei einer Regierung, die aus Schwarz-Gelb bestehen würde, nicht wesentlich anders.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Wir hätten bessere Wirtschaftsdaten!)

Allerdings wäre es schon schön, nach den Beiträgen, die hier geliefert worden sind, zu wissen, ob die Regierung, ob Minister Möller, ob die Ministerpräsidentin, ob die SPD-Landtagsfraktion an dem Wahlprogramm der SPD zur Bundestagswahl festhalten will, das gerade verabschiedet worden ist, oder ob gelten soll, was hier gerade gesagt worden ist.

(Beifall bei der FDP)

Dass die Steuerreform des Jahres 2000 zurückgedreht werden soll - das ist der Antrag des SSW, der ja die Unterstützung der SPD findet -, steht diametral zu dem, was die SPD landauf, landab gerade verkündet die Sozialdemokraten dieses Landes im Wahlkampf daran festhalten wollen, dass sie die Erbschaftssteuer verändern, das heißt erhöhen, wollen, dass sie die Körperschaftssteuer verändern, das heißt erhöhen,

wollen, dass sie möglicherweise darüber nachdenken, die Gewerbesteuer auf die freien Berufe, die eigentlich abgeschafft werden soll, auszudehnen. Ich will wissen, ob Sie das wollen, ob Sie das hier propagieren. Das wird nämlich in den Auseinandersetzungen der nächsten Wochen ein große Rolle spielen. Dann stelle ich nämlich fest, dass die SPD dieses Landes nicht auf dem Boden des Wahlprogrammes der SPD des Bundes steht. Das ist auch eine interessante Erkenntnis.

(Beifall bei FDP und CDU)

Im Interesse der Verfassungslage wäre es sinnvoll, einen Nachtragshaushalt aufzustellen. Das habe ich bereits gesagt. Der Landeshaushalt soll nämlich schließlich wahr und klar sein und nicht täuschen und verdecken.

Letztes Jahr hat der Finanzminister wegen eines Fehlbetrages von 50 Millionen € alle finanzpolitischen Notbremsen gezogen. Dieses Jahr weigert er sich bei einem mehr als dreimal so hohen Fehlbetrag von 155 Millionen € beharrlich. Mit einer Haushaltssperre - das wissen Sie - können Sie das Problem überhaupt nicht lösen. Sie verschieben es, Herr Minister Möller - in der Vergangenheit habe ich es Ihnen schon mehrfach gesagt -, aber es kommt der Tag, an dem das Verschieben auch nicht mehr hilft, weil Sie einfach nicht mehr anders können.

Das große Problem, das wir momentan haben - das haben auch Sie; dieses Problem wird uns einholen, entweder unmittelbar vor der Bundestagswahl oder unmittelbar danach -, ist das der so genannten globalen Mehreinnahmen in Höhe von 100 Millionen €, Haushaltstitel 1101-371 01. Hinter dieser schlichten Formulierung, Kollege Neugebauer, verbirgt sich der geplante Verkauf von 5 % Landesbankanteilen an den Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein. Der Verkauf müsste bis zum 31. Dezember 2002 vollzogen werden, damit die Einnahmen noch dieses Jahr zu Buche schlagen.

Ein altbekannter strategischer Ansatz aus der Kiste schlechter Haushaltstricks von Herrn Möller ist, Landesvermögen hektisch zu verkaufen, um Haushaltslöcher zu stopfen. Es gibt dabei aber ein Problem. Herr Finanzminister Möller will verkaufen, aber der SGV will nicht kaufen, zumindest nicht dieses Jahr. Der SGV will diese Anteile dieses Jahr nur kreditieren. Auf Deutsch: Eine solche Übertragung der Anteile würde die Schulden des Landes um 100 Millionen € erhöhen. Aus der globalen Mehreinnahme würde eine Nettoneuverschuldungskatastrophe, unabhängig davon, ob der Nachtrag kommt oder nicht.

Der Nachtrag macht aber einen feinen Unterschied. Im Nachtrag müsste diese Neuverschuldung ausgewiesen

(Wolfgang Kubicki)

und auf die Verschuldungsgrenze angerechnet werden. Um die Verfassung zu achten, müsste die Landesregierung diese 100 Millionen € also investieren, aber sie hat sie bereits als Konsum verfrühstückt. Ohne Nachtrag wüchsen die Schulden auch um 100 Millionen €, aber das wäre nur im Haushaltsvollzug. Da bremst die Verfassung bekanntlich nicht mehr die rotgrüne Schuldensucht. Das ist etwas, was die SPD auf Bundesebene übrigens auch einmal anders gesehen hat. Sie war auch einmal der Auffassung, dass im Haushaltsvollzug die Verfassungsgrenzen eingehalten werden müssten. Bedauerlicherweise haben Sie von der SPD, seitdem Sie regieren, Ihre Klage beim Bundesverfassungsgericht zurückgenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Nachtrag müsste die Landesregierung ihre Strategie der nachhaltigen finanzpolitischen Unfähigkeit offen legen, sofort an der Verfassung messen lassen und dann, so meinen wir, Insolvenz anmelden. Ohne Nachtrag ist das Land auch pleite, aber die Regierung hofft, dass keiner es so richtig mitbekommt. Sie werden sagen: typisch FDPOpposition! Wir sagen: zweimal richtig, denn erstens ist die FDP noch in der Opposition und zweitens haben wir Recht.

Ich habe aber einen Vorschlag zur Güte, Herr Minister. Die Landesregierung ist ja von ihrer Politik überzeugt. Sie hat Schleswig-Holstein nach eigenem Bekunden überall ganz nach vorne, noch viel weiter gebracht. Gut so! Widerlegen Sie doch einfach unsere Kritik! Beweisen Sie es uns und den Menschen in unserem Land! Legen Sie - Herr Kollege Kayenburg, hat es gesagt - im September einfach zusammen mit dem Entwurf des Haushalts 2003 einen Entwurf für den Nachtrag 2002 vor, sozusagen als Erfolgszwischenbilanz Ihrer Regierungsarbeit!

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Das würde dann ja ein toller Erfolg für Rot-Grün genau rechtzeitig vor der Bundestagswahl. Sie brauchen vor den Folgen Ihrer Politik doch keine Angst zu haben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, mit welcher rhetorischen Dynamik die CDU und FDP hier in Schleswig-Holstein einen

Nachtragshaushalt fordern und mit welcher genauso dynamischen Rhetorik sie genau diese Forderung nach einem Nachtragshaushalt in den Bundesländern ablehnen, in denen sie selbst regieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SDP - Martin Kayenburg [CDU]: Diese Bundesländer sind nicht pleite!)

Dies wissend sollten wir die Debatte nicht so hoch hängen. Bekannterweise gibt es als gutes Argument für einen Nachtragshaushalt das der Haushaltswahrheit und -klarheit. Das ist hier auch benannt worden. Dagegen spricht zum einen die Entwicklung der Steuereinnahmen in diesem Jahr. Sie ist sehr ungewiss. Sie alle lesen täglich unterschiedliche Prognosen über Konjunkturentwicklung und Steuereinnahmen. Zum anderen spricht dagegen, dass die Haushalte der Bundesländer schon jetzt fast überall ausgequetscht wie eine Zitrone sind. Dennoch haben fast alle Bundesländer eine Haushaltssperre als letztes Mittel, um noch mehr Gelder einzusparen. Eine Ausnahme macht Bayern, aber Bayern ist ja auch über Jahre durch den Länderfinanzausgleich hochgepäppelt worden. Das dürfen wir nicht vergessen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Auch in Schleswig-Holstein wurde jeder Euro schon dreimal umgedreht. Trotzdem werden auch 2003 weitere Aufgaben wegfallen müssen. Wir haben bereits tiefe Einschnitte in den letzten sechs Jahren beschlossen und durchgesetzt, immer gegen die Stimmen der CDU. Beispielhaft nenne ich die Reform des Landwirtschaftskammergesetzes, die Reduzierung der Zahl von Ämtern, Gerichten und Behörden, der Reform der Forstwirtschaft, die emotional sehr schwierige Kürzeung des Landesblindengeldes sowie die Maßnahmen im Bereich der Abendschulen. Die Opposition war jeweils dagegen. Die Opposition, vor allem die CDU als Retter bestehender Strukturen, hat bisher keine einzige unliebsame Maßnahme im Land mitgetragen. Wie sie auf diese Weise den Haushalt sanieren will, bleibt ihr Geheimnis.

Gerade letzte Woche ist die „Reformfreudigkeit“ der CDU wieder voll durchgebrochen. Sie lobte angesichts der noch offenen Diskussion über das Kindertagesstättengesetz vorsorglich erst einmal die bestehenden Strukturen. Ihr Lob für das geltende Kindertagesstättengesetz ehrt uns. Vielen Dank! Im Bund ist die CDU noch „reformfreudiger“: Der Wahlkampf hat gerade begonnen, da erklären die ersten Landesfürsten bereits, Reformpolitik dürfe nach einer gewonnenen Wahl nicht so schnell umgesetzt werden, könnte sie doch bevorstehende Landtagswahlen gefährden. Wir müssen uns als Regierungsparteien also darauf einstellen,

(Monika Heinold)

auch weiterhin Reformen, welche zur Entlastung des Landeshaushalts weiterhin unbedingt notwendig sind, im Lande weiter allein durchzusetzen. Wir müssen die Zusammenarbeit mit den norddeutschen Ländern noch stärker einfordern als bisher. Das beginnt bei der Koordinierung des Hochschulangebots und reicht hin bis zur Zusammenlegung von Behörden. Auch hier gab es Gegenstimmen von CDU und FDP, als wir im Landtag einen entsprechenden Antrag behandelten. Das können Sie gerne nachlesen. Die Diskussion über eine Gebietsreform muss geführt werden, nicht um lieb gewonnene kleine Gemeinden aufzulösen, sondern um die Größe der kommunalen Verwaltungseinheiten zu hinterfragen. Das Bildungssystem muss durchforstet werden:

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

mehr Eigenverantwortung der Schulen und weniger Bürokratie, Geld statt Stellen und Verantwortung für Unterricht in den Schulen. Auch hier gibt es schon bei dem Gedanken daran, dass vielleicht auch Studenten und andere mit in die Unterrichtsversorgung einsteigen, Proteste von der CDU. Die Ausgaben müssen den Einnahmen angepasst werden. Dabei wird das Land nicht darum herumkommen, Personal abzubauen.

Außer der Debatte über diese Maßnahmen brauchen wir eine neue Diskussion in unserem Land über Gerechtigkeit und Chancengleichheit und damit über die notwendigen Einnahmen des Staates. Wer jetzt im Wahlkampf weitere Steuersenkungen verspricht, belügt die Bürgerinnen und Bürger.