- Frau Heinold, wenn man dann noch bedenkt, dass die Kultusministerin in absehbarer Zeit eine qualitätsvolle Hauptschulabschlussprüfung einführen will, um diese Schulart zu stärken, dann wird, wie ich finde, die Konfusion in der rot-grünen Bildungspolitik vollends deutlich.
Das ist wie bei einem Hürdenlauf, bei dem der Veranstalter erst das Training verweigert, dann die Hürden wegräumt und zum Schluss einen Hochsprung verlangt. So machen Sie hier, jedenfalls Ihre Fraktionen, bildungspolitische Konzepte!
Offenbar ist der Antrag der beiden Regierungsfraktionen mit heißer Nadel zusammengestrickt worden. Vor der Veröffentlichung des innerdeutschen PISA-Ländervergleichs wollte die Koalition hier offenbar schnell noch ein paar Dinge festzurren, mit denen man sich nach dem Bekanntwerden von PISA-E nicht hätte an die Öffentlichkeit trauen können.
Das Gleiche gilt auch für den Modellversuch „Geld statt Stellen“. Wir haben entsprechende Initiativen Stichwort: Unterrichtsergänzungsfonds - hier schon eingebracht und haben sie auch mit Haushaltsanträgen unterlegt, zum Beispiel im letzten Jahr für die berufsbildenden Schulen. Bei Ihnen heißt es, dass diese Versuchsschulen mit den bisher für sie eingesetzten Landesmitteln ausgestattet werden sollen. Das bedeutet dann aber, wenn sie die ganze Personalverwaltung selber übernehmen sollen, nichts anderes, als dass sie den Verwaltungsaufwand in Zukunft eben auch aus den Mitteln abdecken müssen, die bislang allein für pädagogische Zwecke eingesetzt werden. Das heißt im Klartext: mehr Geld aus dem Bildungsetat für Schulgeschäftsführer und weniger Geld für Lehrer. So ist es jedenfalls bei Ihnen im Antrag formuliert.
Meine Damen und Herren, ich will nicht verschweigen, dass es hier und da auch Punkte gibt, etwa zur Stärkung der Grundschulen, zum Vorschulbereich oder zur Sprachvermittlung bei Kindern mit Migrations
hintergrund, an denen wir in diesem Antrag auch positive Ansätze sehen, aber bedauerlicherweise muss man gleichzeitig so viele Kröten mitschlucken, dass einem der Geschmack an diesem Antrag doch kräftig verdorben wird.
Wer in PISA heute einen breiten und hohen Turm schaffen will, der macht das nicht über Nacht, sondern er ist gut beraten, erst einmal die Fachleute zu hören und sich selber in die Debatte hineinzubegeben.
Das haben beide Fraktionen der Regierung unabhängig voneinander getan. Wir machen heute erste gemeinsame Schritte mit schnell umsetzbaren Maßnahmen, aber wir gehen davon aus, dass die Reform des bundesdeutschen Bildungssystems mindestens fünf Jahre dauern wird. Das wird in diesem Landtag auch nicht die letzte Debatte zu diesem Thema sein, und ich denke, das ist auch angemessen.
Bleiben wir zunächst bei der Geschichte vom schiefen Turm: Es hat ja diese Schräglage nicht aus Versehen gegeben, sondern die Erbauer haben sie rechtzeitig erkannt und haben Begradigungsversuche gemacht. Das kann man am Bauwerk sehen. So ist auch bei uns - beispielsweise mit der Einführung des zweiten Bildungsweges und mit der Gesamtschule - versucht worden, an der Schräglage in der Bildungspolitik etwas zu verändern, leider mit zu wenig Erfolg, wie wir sehen; denn der Grund ist moorig - in PISA und bei uns eben auch.
Der Grund beruht auf Illusionen. Eine dieser Illusionen ist, dass es notwendig ist, leistungshomogene Gruppen zu haben. Herr Klug, Sie haben gerade ein Beispiel dafür gegeben, dass Sie nicht begreifen, dass man
Man kann klügere und weniger kluge Kinder in einer Klasse haben und kann trotzdem Standards erreichen. Das ist die Kunst guter Pädagogik, die wir bei unserer Reise in Finnland bewundern konnten.
Die zweite Illusion ist, dass man Jugendlichen in der gymnasialen Oberstufe pro Schüler sehr viel mehr Mittel zur Verfügung stellt als Kindern in der Grundund der Hauptschule. Hier setzen wir mit unserem Antrag vorsichtig mit einer ersten Umsteuerung an. Wir sagen, wir brauchen mehr Geld in der Grundschule, und wir brauchen auch viel Geld in der Kindertagesstätte, damit der Bildungsauftrag gelingt.
Eine Illusion ist auch, dass belehrende Unterweisung und Befragung durch die Lehrkraft für den Lernerfolg stehen. Wir wissen aus der Pädagogik anderer Länder, dass dem nicht so ist. Ich glaube, wir werden zukünftig noch viel über die Institutionalisierung einer neuen Lehrerbildung zu diskutieren haben. Da ist in Deutschland wirklich ein gravierendes Umdenken angesagt.
Die nächste Illusion ist, dass Lehrkräfte nur wissenschaftlich ausgebildet werden müssen. Dabei kommt die Pädagogik zu kurz. Auch darüber werden wir uns noch zu unterhalten haben.
Eine weitere Illusion ist, Deutschland sei kein Einwanderungsland, und Mütter stünden als Hilfslehrerinnen der Nation für Hausaufgaben und Nachhilfe grenzenlos zur Verfügung. Auch hier setzen wir mit unserem Antrag an. Es muss endlich gelingen, Personen mit Migrationshintergrund als Lehrkräfte an die Schulen zu bringen. Hierzu müssen die Rahmenbedingungen rasch geschaffen werden.
Es muss außerdem der muttersprachliche Unterricht vorsichtig eingeführt werden. Interkulturelle Erziehung ist keine Einbahnstraße. Es müssen sich nicht die Migrantinnen und Migranten nur an uns anpassen, sondern wir können auch von ihnen lernen. Aber selbstverständlich, Deutschunterricht ist das „sine qua non“ für Migrantenkinder, damit sie dem Unterricht folgen können. Damit wollen wir eben schon in der Kindertagesstätte beginnen. Das heißt,
sowohl für deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten - weil zu wenig gesprochen wird, weil sie Sprachfehler haben - als auch für Migrantenkinder mit mangelnden Deutschkenntnissen gilt es schon im Kindergarten ein entsprechendes Angebot zu machen. Hierzu hat ja die Landesregierung in einer breiten Fortbildungskampagne der Erzieherinnen und Erzieher gerade schon erste Grundsteine gelegt. Wir glauben aber, dass mit einer Testung aller Fünfjährigen, also ein Jahr vor Schulbeginn, mit dem Vorziehen der Schuleingangsuntersuchung endlich alle Kinder erreicht werden müssen, auch solche, die bisher gar nicht im Kindergarten auftauchen, und dass wir damit die Grundlagen für eine gute Schuleingangssituation schaffen können.
Wenn dann auch noch Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen in gemeinsamer Fortbildung und zukünftig wahrscheinlich auch mehr in gemeinsamer Ausbildung stärker zueinander finden und wenn die Konzepte aufeinander abgestimmt werden, dann legen wir, so glaube ich, einen neuen Grund, einen soliden Grund für eine Bildungskarriere aller Kinder und Jugendlichen in diesem Land.
Wir wissen, es muss darüber hinaus noch viel mehr diskutiert werden und noch viel mehr geschehen. Wir sind aber froh, dass wir sowohl in Bezug auf Kita und Grundschule als auch im Bereich der Hauptschule darauf werden meine Kollegen noch eingehen - als auch beim Thema der Migration erste Schritte gemacht haben.
Last, but not least brauchen wir mehr Ganztagsschulen, wir brauchen die volle Halbtagsschule in der Grundschule jetzt, und wir brauchen mehr Schulautonomie.
Wir müssen endlich einen Modellversuch durchführen, bei dem eine Schule wirklich alles selbst verwaltet. Es ist doch ermutigend, bei unseren Nachbarn in Skandinavien zu sehen, wie so etwas funktioniert. Mehr innere Demokratie, besseres Schulklima, mehr Verantwortung von Eltern, Schülerschaft und Lehrerschaft für das, was sie entscheiden, und auch wirklich mehr Entscheidungskompetenz, dies wird, so glaube ich, die Qualität voranbringen, und dann wird es auch gelingen, bei knappen Kassen die Gelder wirklich sinnvoll auszugeben.
Lassen Sie uns hier gerne im Detail darüber diskutieren, wie wir dorthin kommen. Wir sind für einzelne Punkte der Kritik, die Sie von der Opposition an den ersten Versuchen geübt haben, offen. Aber darin, dass wir dorthin wollen, sollten wir uns einig sein.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wäre schon interessant, zu erfahren, wie in den verschiedenen OECD-Ländern über PISA diskutiert worden ist. Ich bin mir fast sicher, dass in keinem Land die Debatte so emotional geführt wird wie in der Bundesrepublik. Das liegt natürlich zum einen an den Ergebnissen der PISA-Studie; zum anderen hängt es aber auch damit zusammen, dass Bildung zur Kulturhoheit der Bundesländer gehört.
Das heißt, dass schulpolitische Debatten auch über PISA selten unter der Überschrift „Schule“, sondern eher unter der Überschrift „Politik“ geführt werden. Ich behaupte ganz einfach: Stünden die Schule und die Weiterentwicklung der Schule im Mittelpunkt dieser Debatten, wäre es möglich, politische Beschlüsse im Konsens zu fassen. Stattdessen wird versucht, die Konsequenzen aus der PISA-Studie allein als inhaltliche Mängel unseres Schulwesens oder des Schulwesens der unterschiedlichen Bundesländer hinzustellen. Eine Änderung schulischer Strukturen wird also von vornherein abgelehnt, weil die Angst vor neuen Grabenkämpfen in der Bildungspolitik zu Recht zu groß ist.
Was bleibt, ist ein Bildungssystem, das kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“ wie folgt umschrieben wurde. Ich kann nur allen empfehlen, sich diesen Artikel in der „Frankfurter Rundschau“ noch einmal anzusehen. Dort steht:
Der Autor des Artikels weist auf eine weit verbreitete Einstellung in der Bundesrepublik hin, der zufolge eine anspruchsvollere Bildung für leistungsschwache Schüler nicht möglich und auch nicht nötig sei. Sie sei nicht möglich, weil die einzelnen Schülerinnen und Schüler von Natur aus - ich zitiere immer noch sinngemäß - mit ungleichen und weitgehend bildungsresistenten Begabungen ausgestattet seien. Von daher - so sagt er - sei die Teilung der Kinder ab der 4. Klasse angeblich nach Eignung - nur folgerichtig.