Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Eisenberg.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage mich: Was bezweckt eigentlich dieser Antrag zu diesem Zeitpunkt?

(Zuruf von der CDU: Das fragen wir auch!)

Ist er eine Antwort auf die PISA-Untersuchung im Dezember? Dann bedeutet er einen Nachklapp zu den Vorstellungen der CDU, die wir bereits im April veröffentlicht haben, allerdings, meine Damen und Herren, selbstverständlich mit anderen Schwerpunkten. Oder soll er den Ergebnissen von PISA E vorbeugen, die im Juni veröffentlicht werden? Oder ist er gar eine Antwort auf den gerade vorgelegten Bericht zur Unterrichtssituation, der leider von der Tagesordnung abgesetzt worden ist? Die Antworten auf diese drei Fragen

kenne ich nicht. Vermutlich war es den Mehrheitsfraktionen wichtig, überhaupt einmal etwas zu PISA gesagt zu haben

(Beifall bei der CDU)

und nicht nur Änderungsanträge zu CDU-Initiativen in den Landtag einzubringen.

(Lothar Hay [SPD]: Die sollten Sie lesen!)

Meine Damen und Herren, wir können erst dann zu gesicherten Ergebnissen kommen, wenn uns die vergleichenden Untersuchungen zwischen den Bundesländern vorliegen. Deshalb werden wir heute auch keinen Änderungsantrag vorlegen.

Aber nun zu Ihrem Antrag. Sie übernehmen die bekannten und allgemein gültigen Positionen aus PISA, Positionen, zu denen die CDU in den letzten beiden Jahren - lange vor PISA - konkrete Anträge gestellt hat, die samt und sonders von Ihnen, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, abgelehnt wurden.

(Zuruf des Abgeordneten Thorsten Geißler [CDU])

Ich darf Sie nur an die Debatte um die Stärkung der Hauptschulen und mehr Lehrerstellen erinnern. Sie legen, meine Damen und Herren, keine konkreten Handlungskonzepte vor. Sofern Sie in Ihrem Antrag tatsächlich einmal konkret werden, feiern Sie Teile Ihres ideologischen Bildungsprogrammes ab. Damit ist der vorgelegte Antrag zwar gut gemeint, aber politisch nur sehr bedingt wertvoll. Ich will das kurz an einigen Beispielen belegen. Im G- und H-Bereich, also im Grund- und Hauptschulbereich, beschränken Sie sich auf die Förderaspekte, lassen Sie die Aspekte der Forderung, der Qualitätssicherung und der Weiterentwicklung des Unterrichts völlig außen vor. Realschule und Gymnasium kommen bei Ihnen überhaupt nicht vor. Das finde ich bezeichnend, wenn ich an Ihre Vorstellung einer einheitlichen Schule denke. Dazu gehört auch die sattsam bekannte Forderung des SSW nach einer sechsjährigen Grundschule, Frau Spoorendonk.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Das hatten wir schon diskutiert!)

Sie wollen, meine Damen und Herren, eine verlässliche Halbtagsgrundschule in Verbindung mit den bestehenden Betreuungsangeboten. Familienpolitisch ist das ein richtiges Anliegen - hier stimme ich Ihnen zu -, aber ich sage Ihnen: Das allein ist mir zu wenig. Ich will nicht nur erreichen, dass unsere Jüngsten verlässlich betreut werden, sondern auch, dass sie mehr qualifizierten Unterricht bekommen, damit sie bereits in der Grundschule im gleichen Maßedie Kulturtechniken erlernen, wie es in anderen Ländern selbstver

(Sylvia Eisenberg)

ständlich ist. Dazu, meine Damen und Herren, bedarf es keiner Neustrukturierung der Grundschule, sondern schlicht und ergreifend der Einhaltung fester Stundentafeln

(Frauke Tengler [CDU]: So ist es!)

in Verbindung mit ausreichenden Förderangeboten für Lernschwache und Lernstarke.

Wenn ich aus dem gerade vorgelegten Bericht zur Unterrichtssituation entnehme, dass Schleswig-Holstein im Grund-, Haupt- und Förderschulbereich bezogen auf die erteilten Unterrichtsstunden pro Schüler am Ende der Skala der Bundesländer steht, und das schon seit Jahren, dann frage ich Sie: Musste es eigentlich erst PISA bedürfen, bevor Sie, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, aufwachen?

(Beifall bei der CDU)

Ich sage ganz deutlich: Der Begriff „Bildungswüste“ ist kein Begriff der parlamentarischen Opposition, sondern ein Begriff, den die betroffenen Eltern verwandt haben. Wer weiterhin aus PISA ernsthaft ableitet - das tun Sie in Ihrem Antrag -, dass die Grundund Hauptschulen qualitativ weiter entwickelt werden könnten, indem man das Aufsteigen in die nächste Klassenstufe ohne Versetzungsbeschluss gewährt und statt zu erreichender Qualitätsstandards eine flexible Ausgangsphase in den Klassenstufen 8 und 9 für die richtige Variante hält, leistet der Schulart Hauptschule, meine Damen und Herren, die so verzweifelt um eine qualitative Anerkennung ringt, einen Bärendienst.

(Beifall bei CDU und FDP)

Nicht das weitere Aushebeln dieser Standards muss unser Ziel sein, sondern die Festschreibung dieser Standards auf angemessenem Niveau und ihre Überprüfung.

(Beifall bei der CDU)

Zur Qualitätssicherung, meine Damen und Herren, ist eine Lehrerausbildung notwendig, die auf die Bedürfnisse der jeweiligen Schulart und der sie besuchenden Kinder abstellt. Die geplante Neustrukturierung der Lehrerausbildung wird dies nicht leisten können. Was Ihre Vorstellungen zu den Ganztagsangeboten angeht, so wissen Sie aus unseren Anträgen hier im Landtag, dass die CDU mehr Ganztagsschulen und damit mehr Zeit für Schule und Unterricht will.

(Günter Neugebauer [SPD]: Neuerdings erst!)

- Nicht neuerdings, Herr Kollege. Sie müssen einmal unsere Anträge vom letzten Jahr lesen.

Frau Abgeordnete, bitte kommen Sie zum Schluss.

Ich freue mich im Hinblick auf die schon vorgelegten Veröffentlichungen von PISA E auf die Diskussion im Bildungsausschuss. Ich gehe davon aus, dass der Antrag in den Bildungsausschuss überwiesen wird.

Herr Hentschel, noch ein Wort zu Ihnen: Nur mit leeren Worten kommt man nicht in die erste Liga. Das weiß man vom Fußball, und das gilt auch für den Bildungsbereich. Dazu ist auch Leistung erforderlich. Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eine kluge Rede zu PISA!)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich ein Jammer. Der rot-grüne Aufbruch nach PISA endet bedauerlicherweise irgendwo in der Gegend von Deppendorf.

(Heiterkeit des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Während unserer ersten Aussprache über dieses Thema, über die PISA-Studie, im Dezember letzten Jahres gab es in diesem hohen Hause großes Einvernehmen darüber, dass lernschwächere Schüler ebenso wie hoch begabte Kinder und Jugendliche eine besondere Förderung erhalten müssten und dass dies die zentrale Antwort auf die Ergebnisse der PISA-Studie sei. Von dieser Erkenntnis, meine Damen und Herren, ist in dem Antrag der beiden Regierungsfraktionen herzlich wenig übrig geblieben. SPD und Grüne wollen die schulischen Fördermaßnahmen für diese beiden Gruppen der Lernschwächere und der besonders Begabten jetzt sogar explizit auf den Bereich der künftig zu schaffenden Ganztagsangebote beschränken. Mit welcher Begründung, meine Damen und Herren, wollen Sie der Mehrzahl der Schüler diese Förderung vorenthalten? Es ist klar, dass jedenfalls nicht alle Schulen zu Ganztagsschulen werden. Von Angeboten für besonders begabte Kinder und Jugendliche ist im Antrag der Koalitionsfraktionen außer im Zusammen

(Dr. Ekkehard Klug)

hang mit den Ganztagsangeboten überhaupt nicht die Rede.

(Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war nicht das Hauptproblem der PISA-Ergebnisse!)

- Das ist eines der Hauptprobleme. Das war auch Konsens. Das hat jedenfalls die Ministerin im Dezember letzten Jahres öffentlich und hier im Landtag kundgetan.

(Beifall bei der FDP)

Ich halte Ihre Einschätzung, Frau Erdsiek-Rave, für richtig. Ich habe es ja selbst auch so formuliert.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das hat Frau Birk nicht verstanden!)

Nicht weniger dürftig ist das, was nun der Koalitionsantrag für die lernschwächeren Schüler bietet. Präventive Maßnahmen zum Beispiel, die verhindern könnten, dass Jugendliche die Hauptschule vor deren Abschluss abbrechen, sind hier überhaupt nicht vorgesehen. Dabei gäbe es, wie das in Baden-Württemberg erfolgreich durchgeführte Pforzheimer Modell demonstriert, die Möglichkeit, für solche Maßnahmen Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds, aus dem ESF, einzusetzen, wenn eine solche Förderpraxis in Schleswig-Holstein durch die entsprechenden Richtlinien abgedeckt wäre.

Wir haben noch einmal nachgefragt, nachdem ich das Thema mit einer Kleinen Anfrage hier schon einmal angesprochen hatte. Der ESF-Fondsverwalter im Stuttgarter Sozialministerium hat aufgrund einer Rückfrage der baden-württembergischen FDP-Landtagsfraktion ausdrücklich bestätigt und klargestellt, dass bei diesem Projekt, das in Baden-Württemberg seit fast zwei Jahren erfolgreich durchgeführt wird, selbstverständlich auch Kosten für die sozialpädagogische Betreuung, also Personalkosten für Fachkräfte, als aus dem ESF förderfähig anerkannt würden, wie gesagt, bereits seit September des Jahres 2000. Das ist dort möglich, und das betrifft auch und gerade die jüngeren Hauptschüler, schon von der fünften Klasse an. Das wäre machbar, wenn man es denn aufgrund der Landesrichtlinien wirklich wollte. Aber Sie scheinen es hier in diesem Lande bisher nicht zu wollen. Da frage ich an Ihre Adresse einmal, warum.

Statt also den Hauptschülern konkrete Hilfen zur Erreichung ihrer Bildungsziele zu geben, fordern die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag, dass man an den Hauptschulen in den drei letzten Klassenstufen künftig ohne Versetzungsbeschluss aufsteigen soll. Im selben Antrag heißt es aber an anderer Stelle: Verbindliche Standards müssen definiert und eingehalten werden.

Meine Damen und Herren, wie beides, das Aufsteigen ohne Versetzung und die Einhaltung verbindlicher Standards, zusammenpassen soll, bleibt rätselhaft.

(Beifall bei der FDP)

Der Widerspruch zwischen diesen beiden Punkten scheint den Autoren des Antrages überhaupt nicht aufgefallen zu sein. Das finde ich erschreckend.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])