Protokoll der Sitzung vom 12.09.2002

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In all diesen Fragen sehe ich im Bund, in den Ländern und in den Kommunen großen Handlungsbedarf bei der Fortentwicklung unserer Betreuungsangebote.

Ich will ein weiteres Thema nennen, das für mich in einem immer stärkeren Maß an Bedeutung gewinnt. Wie groß ist die Chancengerechtigkeit für Kinder beim Staat in das Schulleben? Wir haben Grundschulklassen in Schleswig-Holstein mit einem Ausländeranteil von teilweise an die 50 %. Es ist mehr als nur ein Alarmsignal, wenn die große Zahl von Grundschullehrerinnen und Grundschullehrern in diesen Bereichen darüber klagen müssen, dass ein Großteil der ausländischen Schüler ohne Kenntnisse der deutschen Sprache eingeschult wird. Wir brauchen keine großen Reden über Integration mehr zu halten, wenn wir weiterhin an dieser entscheidenden Schnittstelle so sehr versagen.

(Beifall bei CDU, FDP und SSW)

In dieser Frage kommt also eine weitere Aufgabe auf unsere Kindertagesstätten zu. An welcher Stelle, wenn nicht im Bereich von Kindertagesstätten, muss das Erlernen der deutschen Sprache für ausländische Kinder erfolgen? Wenn uns das nicht gelingt, gibt es weder für ausländische noch für deutsche Kinder eine Chancengerechtigkeit beim Start in das Schulleben.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dazu brauchen wir allerdings eine Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher, damit sie diese zusätzlichen Aufgaben überhaupt leisten können. Dazu brauchen die Träger der Einrichtungen die Gewissheit, dass die Landesregierung an dem Haushaltstitel „Fortbildung des pädagogischen Personals“ in Zukunft nicht mehr herumfummelt. Hier brauchen

(Torsten Geerdts)

wir in der Tat Verlässlichkeit, damit Fortbildung wirklich kontinuierlich angeboten werden kann.

Ein Großteil der Kinder wächst in unserer Gesellschaft als Einzelkinder auf. Ebenfalls ein Großteil wird alleinerziehend von der Mutter großgezogen. Auch auf diese Situation müssen wir mit den Angeboten an Kinderbetreuung reagieren. Verstärkt müssen Kinder auch soziale Kompetenzen erlernen. Dazu gehören Umgangsformen, der erwähnte Spracherwerb und die Wertevermittlung.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch zwei Problemfelder ansprechen. Wir müssen die Gewaltprävention in Kindertagesstätten genauso ausbauen, wie dort auch Ernährungsimpulse gegeben werden müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Großteil der Grundschüler beginnt den Unterricht, ohne zu Hause ein Frühstück erhalten zu haben. Weil in einer solchen Situation eine Unterrichtsaufnahme kaum möglich ist, organisieren mancherorts Lehrkräfte, Vereine, Verbände gemeinsam mit engagierten Eltern eine Frühstücksverpflegung.

Das ist die Situation in unserer Gesellschaft. Machen wir uns nichts vor: Das ist nicht nur die Situation in den Städten, sondern mittlerweile auch auf dem flachen Land.

(Rolf Fischer [SPD]: Hört, hört!)

Zusätzliche Aufgaben können allerdings nicht zum Nulltarif übertragen werden. Die Kommunen sind am Ende ihrer Leistungsfähigkeit angekommen.

(Martin Kayenburg [CDU]: So ist das!)

Die folgende Formulierung der Landesregierung wird die Masse der Kommunalpolitiker als Hohn empfinden. Die Formulierung lautet nämlich: „Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz konnte ohne große Probleme umgesetzt werden.“

Meine Damen und Herren, Sie sind weit weg von der kommunalpolitischen Realität.

(Beifall bei der CDU)

Ich halte es für richtig, den Eltern sehr klar zu sagen, dass zusätzliche Angebote und eine Ausweitung der Öffnungszeiten auch zu höheren Elternbeiträgen führen werden. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass wir nicht so stark an der Elternbeitragsschraube drehen, sodass wir das Thema Wahlfreiheit eigentlich schon wieder einpacken können. Das ist die große Gefahr.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Vorstellung der Eckpunkte zur zukünftigen Finanzierung von Kindertagesstätten hat auch die zuständige Ministerin neue Aufgaben für die Einrichtung definiert. Diese neuen Aufgaben können von Eltern, Trägern und Kommunen nicht allein bewältigt werden. Doch wer den Entwurf des Landeshaushalts sieht, stellt fest, Frau Moser möchte auch in Zukunft keinen weiteren Cent dazuzahlen. 53 Millionen € im vergangenen Jahr, in diesem Jahr und im kommenden Jahr auch, also genau die Summe, die bisher zur Verfügung steht. Sie geben als zuständige Ministerin keine ausreichende Antwort auf die Tariferhöhungen der letzten Jahre, wollen aber gleichzeitig weitere Aufgaben in die Kindertagesstätten integrieren. Das empfinden wir als eine unehrliche Politik.

(Beifall bei der CDU - Jutta Schümann [SPD]: Das hat nicht immer mit Personal zu tun!)

Wir halten auch den Vorschlag der Landesregierung zur künftigen Kita-Finanzierung insgesamt für falsch. Die Landesregierung will eine Umstellung von einer Personalkostenfinanzierung auf eine Pro-Kind-Finanzierung. Das kann nicht funktionieren. Die Personalkosten sind der Löwenanteil der Gesamtkosten. Diese Kosten sind fixe Kosten, egal, ob 15, 17 oder 20 Kinder in einer Gruppe zusammengefasst sind.

(Beifall bei der CDU)

Bei der Umsetzung dieses Finanzierungsvorschlags gefährden Sie den Bestand von kleineren Einrichtungen im ländlichen Bereich. Schleswig-Holstein ist ein Flächenland. Chancengerechtigkeit brauchen wir in einer Stadt wie Lübeck genauso wie in einem dünner besiedelten Kreis wie beispielsweise Nordfriesland.

Dieser Vorschlag gefährdet aus unserer Sicht insgesamt auch die Trägervielfalt. Die kleinen Träger und die privaten Elterninitiativen wären dann akut gefährdet.

Sie schaffen mit Ihren Eckpunkten zur Finanzierung nicht weniger, sondern Sie schaffen sogar mehr Bürokratie. Die Kollegin Fröhlich, die heute erkrankt ist, hat bei einer Veranstaltung der Elterninitiative Husum versucht, das Punktesystem zu erklären. Sie hat sich wirklich Mühe gegeben.

(Lachen des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Die 120 Eltern haben sich aber auch Mühe gegeben, das zu verstehen. Das ist ihnen nicht gelungen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Mir auch nicht!)

(Torsten Geerdts)

- Dem Kollegen Heiner Garg auch nicht! Das heißt auch schon eine ganze Menge.

(Heiterkeit bei der CDU)

Dafür kann Frau Moser in der Tat nichts; es ist schwer zu verstehen. - Wir wollen insgesamt weniger und nicht mehr Bürokratie in den Kindertagesstätten. Ihr Punktesystem würde dazu führen, dass Erzieherinnen und Erzieher noch mehr Verwaltungsaufgaben leisten müssten und noch weniger Zeit für Gruppenarbeit hätten.

Die CDU-Landtagsfraktion ist sich bei der Ablehnung der Eckpunkte der zukünftigen Finanzierung der Kindertagesstätten mit den kommunalen Landesverbänden, den Wohlfahrtsverbänden, vielen Eltern, der FDP und dem SSW einig. Auch die Grünen formulieren in einer Presseerklärung: „Die Kita-Novelle lässt noch viele Fragen offen.“

Frau Ministerin Moser, die Antwort auf die Große Anfrage haben wir zur Kenntnis genommen. Sie ist eine gute Basis, um unsere Kindertagesstätten fortzuentwickeln. Wir glauben aber, dass Ihre Finanzierungsvorschläge dazu nicht den richtigen Beitrag leisten, in die Zukunft gerichtet Kindertagesstättenplätze vorzuhalten und weiterzuentwickeln. Daher unsere Bitte: Ziehen Sie den Gesetzentwurf zurück. Über alles andere können wir reden.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Höfs das Wort.

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedeutung von Kindertagesstätten hat sich in den vergangenen Jahren bundesweit erheblich gewandelt. Ging es zunächst darum, dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zu genügen, liegt der Schwerpunkt nun beim bedarfsgerechten Ausbau und bei weiteren qualitativen Verbesserungen. Schleswig-Holstein war eines der ersten Bundesländer mit einem eigenen Kindertagesstättengesetz. Seit 1988 haben wir nicht nur Investitionen in den Ausbau der Plätze gefördert, sondern später vor allem das pädagogische Personal. Inzwischen stehen rund 86.000 Plätze in den Kindertageseinrichtungen zur Verfügung. Die freiwillige Förderung durch das Land beträgt über 53 Millionen €.

Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz wird in Schleswig-Holstein mit einer Deckungsquote von etwa 93 % vollständig erfüllt. In einigen Bereichen gibt es trotz dieser Leistungen immer noch Defizite.

Dieses entnehme ich der Antwort auf die Große Anfrage der Grünen zur Kinderbetreuung in SchleswigHolstein. Diese Antwort auf die Große Anfrage enthält eine reichhaltige Fülle an Zahlenmaterial, mühevoll zusammengetragen. Einige Kreise haben wirklich gute Daten geliefert, andere haben die Fragen offensichtlich nicht so ernst genommen.

Die Ministerin ist darauf eingegangen.

An dieser Stelle gilt mein Dank dem Ministerium, den Kreisen und den Trägern.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Daten sind eine gute Arbeitsgrundlage für uns. Interessant ist durchaus der Einblick in die noch sehr unterschiedlichen Angebote der Kinderbetreuung in den Landkreisen und kreisfreien Städten. Diese Einblicke in die Angebote vor Ort waren uns bisher nur bei direkten Besuchen der Kindertagesstätten möglich. Die verschiedenen Bereiche haben offensichtlich unterschiedliche Bedarfe an Kinderbetreuung. Ich hoffe und gehe davon aus, dass sich die jeweiligen Angebote an den örtlichen Anforderungen orientieren, sei es bei den Öffnungszeiten, sei es bei der Art der Betreuung überhaupt, auch wenn dies nur ganz wenige Einrichtungen ausgesagt haben.

Auch wenn die Zahl der Kinder, die einen Rechtsanspruch auf Betreuung haben, zum Jahr 2003 landesweit schon um 2,3 % sinkt und bis zum Jahr 2010 eventuell weiter bis 14,6 % sinken wird, gibt es aktuell in einigen Regionen zusätzlichen Platzbedarf. Junge Familien haben in vielen Orten des Landes in den letzten Jahren gebaut. Nun fehlen dort Betreuungsangebote für die Kinder. Auf diesen Bedarf müssen die Gemeinden jetzt auch reagieren, damit die Kinder optimal betreut werden.

Eine Möglichkeit zur kurzfristigen Schaffung zusätzlicher Plätze bietet die Einrichtung eines Waldkindergarten. Die Gemeindevertreter haben gar nicht das besondere pädagogische Konzept im Auge. Schnell muss es einfach gehen. Dann stellt sich heraus, dass dieses Angebot den Kindern sehr viel Freude bereitet und sie mit Begeisterung in den Wald laufen. Es ist schließlich etwas ganz anderes, was ihnen da geboten wird. Die meisten Kinder sind gern an der Luft. Die Bewegung tut ihnen einfach gut, die sie sonst kaum noch haben.

Damit bin ich bei den Defiziten, die unsere Kinder heute leider allzu oft haben. Übergewicht und Fehlernährung gehören wie Bewegungsmangel zum Bild der kleinen Kinder. Kindertagesstätten, die ich kenne, haben dies schon lange erkannt und sich zur Aufgabe

(Astrid Höfs)