Protokoll der Sitzung vom 13.09.2002

Der SSW sieht die Vorschläge der Hartz-Kommission deshalb als einen Schritt in die richtige Richtung an, der aber schon lange notwendig war. Es ist bedauerlich, dass eine vernünftige und ergiebige Diskussion jetzt im Bundestagswahlkampf nicht möglich ist. Die Vorschläge haben es verdient, dass sich eine breite Öffentlichkeit damit auseinander setzt. Aus der Sicht des SSW beinhalten die 13 Module wirklich zum Teil bahnbrechende neue Instrumente, die bei richtiger Anwendung eine Wende am Arbeitsmarkt schaffen könnten. Aber es gibt auch Module, von denen wir nicht sehr begeistert sind, weil sie sozialpolitisch kontraproduktiv wirken. Ich werde jetzt im Einzelnen auf einige der Vorschläge eingehen.

Das Modul 1 findet unsere volle Unterstützung. Es ist schon lange überfällig, dass die Arbeitsämter modernisiert werden und sich verstärkt auf die Vermittlung der Arbeitslosen statt auf die Verwaltung konzentrieren. Unser Vorbild bleibt dabei die Jobvermittlung bei unserem nördlichen Nachbarn, wo 70 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Vermittlung tätig sind. Insbesondere ist es auch wichtig, dass die Unternehmen direkt von neuen Job-Centern betreut werden. Nur so kann man Angebot und Nachfrage besser zusammenbringen. Wenn man bedenkt, dass wir im letzten Jahr bei 4 Millionen Arbeitslosen circa 1,5 Millionen offene Stellen hatten, so wird deutlich, wie notwendig dieses Zusammenspiel ist.

(Beifall beim SSW)

Wir sind auch dafür, dass sowohl die Rechte als auch die Pflichten der Arbeitslosen gestärkt werden. Wenn man den Arbeitslosen ein vernünftiges Arbeitslosengeld zusichert und bessere Arbeitsangebote macht, dann darf man auch verlangen, dass die Anforderungen an die Mobilität der Arbeitslosen im Zusammenhang mit der Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz erhöht werden. Es ist aber auch richtig, auf familienpolitische Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen.

Auch eine Zusammenführung der Sozial- und Arbeitslosenhilfe in eine steuerfinanzierte Leistung, die aber über dem bisherigen Sozialhilfesatz liegt, befürworten wir. Insbesondere geht es aber auch darum, dass die Vermittlung der Arbeitslosen in Zukunft in einer Hand liegt. Die Landesregierung hat aber Recht, wenn sie in ihrem Bericht sagt, dass es ungeklärt ist, wie die bisherige kommunale und regionale Zusammenarbeit zwischen Städten, Gemeinden und Arbeitsämtern weitergeführt werden soll. Hier gibt es aus unserer Sicht eine Lücke.

(Beifall beim SSW)

Ein entscheidender Punkt des Konzeptes sind die geplanten Personalserviceagenturen; denn gerade diese vermittlungsorientierte Leiharbeit ist ein Schlüssel zum Aufbrechen des verkrusteten Arbeitsmarktes. Es ist eine Tatsache, dass viele Firmen zurückhaltend sind bei der Einstellung von neuen Mitarbeitern, wenn noch nicht abzusehen ist, ob Aufträge dauerhaft sind. Der Kündigungsschutz, den auch der SSW aus historischen und sozialpolitischen Gründen unterstützt, produziert in manchen Fällen dann eher viel zu viele Überstunden als neue Arbeitsplätze.

Mit dem Grundkonzept der PSA schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen kann man durch die PSA dem flexiblen Arbeitskräftebedarf der Unternehmen entgegenkommen und zum anderen sichert man Erwerbslosen durch diese Art der Beschäftigung einen schnelleren Zugang zum ersten Arbeitsmarkt als bisher. Alles das geschieht, ohne dass der Kündigungsschutz berührt wird. Entscheidend ist natürlich, dass die Entlohnung dieser Leiharbeit nach den geltenden Tarifverträgen geschieht. Ansonsten wäre ein Lohndumping zu befürchten.

Probleme haben wir mit den Vorstellungen der HartzKommission zu den so genannten Minijobbern oder der Ich-AG. Aus unserer Sicht ist es noch nicht klargelegt, wie die Umsetzung dieser Vorschläge auf die 1999 beschlossenen Gesetze zur geringfügigen Beschäftigung und zur Scheinselbstständigkeit wirken. Diese beiden Gesetze wurden nämlich beschlossen, weil es einen massiven Missbrauch in diesen Bereichen gegeben hatte. Aus sozialpolitischer Sicht könn

(Silke Hinrichsen)

te man befürchten, dass die Minijobber und die IchAG hier kontraproduktiv wirken. An dieser Stelle muss das Konzept unbedingt nachgebessert werden, damit einem Missbrauch vorbeugt wird.

Ein weiterer Vorschlag, der nicht unmittelbar unsere Zustimmung findet, ist der so genannte Job-Floater, bei dem Unternehmen Kredite bekommen, wenn sie Arbeitslose einstellen oder neue Arbeitsplätze schaffen.

Dieser Vorschlag, der insbesondere auf den Mittelstand abzielt, ist unserer Meinung nach nicht wirklich durchdacht. Unternehmen stellen keine neuen Leute ein, um Kredite zu bekommen, sondern weil sie die Arbeitskraft ganz konkret in ihrem Betrieb brauchen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Des Weiteren sehen wir erhebliche Probleme bei der Umsetzung, weil der Aufwand zu bürokratisch ist und weil Mitnahmeeffekte zu befürchten sind.

Ein weiterer Punkt, den auch die Landesregierung anspricht, ist das völlige Fehlen eines frauenpolitischen Ansatzes im Konzept der Hartz-Kommission; denn trotz aller Fortschritte bleibt es ja eine Tatsache, dass die Integration der Frauen auf dem Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik unter dem europäischen Durchschnitt liegt. Hier gibt es aber insbesondere in Schleswig-Holstein gute Initiativen, die unbedingt auch in der Zukunft weitergeführt werden müssen und die es vor allen Dingen auch verdient haben, bundesweit umgesetzt zu werden.

(Beifall beim SSW)

Im Übrigen gilt das für mehrere Bereiche der Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung. Im Bericht wird beispielsweise das Elmshorner Modell erwähnt, das erwiesenermaßen viel effizienter wirkt als zum Beispiel das viel gelobte Mainzer Modell. Wir meinen, dass jetzt nicht alles über den Haufen geschmissen werden sollte, was heute bereits gut funktioniert. Auch hier müssen die Vorschläge der Hartz-Kommission der Wirklichkeit angepasst werden.

Auch wenn gesagt wird, dass die Vorschläge der Kommission ganzheitlich zu betrachten sind, lehnen wir eine Übernahme 1:1 ab. Dennoch ist es ein Verdienst dieser Kommission, die Frage der Reduzierung der Arbeitslosigkeit endlich wieder als gesamtgesellschaftliche Aufgabe in Erinnerung zu rufen. Deshalb begrüßen wir auch Modul 13, mit dem vorgeschlagen wird, dass die so genannten Profis der Nation dazu beitragen sollen, dass endlich Folgendes klar wird: Die Arbeitslosigkeit ist das Problem der ganzen Ge

sellschaft und nicht das Problem der Arbeitslosen allein.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD sowie der Abgeordneten Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Martin Kayenburg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil hier das Elmshorner Modell mehrfach angesprochen worden ist, will ich einmal ein paar Zahlen nennen. Das Elmshorner Modell ist bis 2001 gelaufen. Es wurden in dieser Zeit seit Beginn 235 zusätzliche Arbeitsplätze akquiriert, von denen 107 besetzt wurden; alle anderen wurden wegen mangelnder Qualifikation, geringer Mobilität - Wege waren zu lang - oder mangelnder Beschäftigungsfähigkeit eben nicht besetzt. Das heißt, obwohl hier angeblich das Hartz-Modell in abgewandelter Form schon angewendet worden ist, sind nicht einmal so viele Arbeitslose vermittelt worden, wie Arbeitsplätze da waren.

(Widerspruch der Abgeordneten Jutta Schü- mann [SPD])

Zweiter Punkt! Seit Juli 2001, Frau Moser, ein abgewandeltes PSA-Modell; begleitet wird das mit 5 Millionen € aus einem europäischen Topf beziehungsweise vom Bund. Das Land zahlt nichts dazu.

Hier will ich Ihnen auch einmal die Zahlen nennen: 1.112 sind in der Maßnahme gewesen, 583 wollten nicht, 188 gingen in Praktika, 233 sind in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt worden, im Pool bleiben 296. Das heißt, unter dem Strich hat dieses Projekt nicht einmal in 20 % der Fälle geholfen. Ich kann Ihnen die Zahlen detailliert nachliefern.

Auch im Bereich Elmshorn hatten wir im Vergleich zum Vorjahresmonat 1.400 Arbeitslose mehr und nicht etwa weniger. Das heißt, ein Erfolg dieses Hartz-Projektes oder dieses abgewandelten PSAProjektes ist so überhaupt nicht erzielbar.

Jetzt zur Hartz-Kommission selbst noch einmal! Wie soll denn PSA eigentlich funktionieren? Frau Moser, wenn Sie sich das Konzept einmal anschauen, dann sehen Sie, dass darin steht, dass diejenigen, die in das PSA-Projekt über eine Clearingstelle - ich will das gar nicht im Einzelnen aufzählen - gekommen sind, dann, wenn sie nicht vermittelt werden können, plötzlich in diesen Zeitarbeitsfirmen tarifgebundene Ar

(Martin Kayenburg)

beitsplätze haben. Da wird man sich dann einrichten oder wie soll dort eigentlich noch eine Möglichkeit der Vermittlung gegeben sein, wenn diese soziale Hängematte in dieser Form noch weiter ausgebaut wird?

(Jutta Schümann [SPD]: Wie bitte? Warum dürfen bei Ihnen nicht die Fachleute zu die- sem Thema reden? - Weitere Zurufe von der SPD und Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich verstehe ja, dass Sie Sorgen und Ärger mit diesem Konzept haben,

(Konrad Nabel [SPD]: Sie verstehen gar nichts!)

aber dieses Konzept hilft überhaupt nicht dazu, neue Arbeitsplätze zu generieren; es trägt dazu bei, in einzelnen Fällen mehr zu vermitteln, aber in den meisten Fällen werden Sie keine Erfolge haben, wie es die Zahlen aus Elmshorn längst bewiesen haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem weiteren Beitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Herr Oppositionsführer hat mich dazu provoziert, noch einmal ein paar Sätze zu diesem Thema zu sagen. Eine Bemerkung vorweg. Es ist ja richtig, dass Arbeitsplätze von der Wirtschaft geschaffen werden. Das ist richtig. Aber richtig ist auch, dass die Wirtschaft immer wieder zu ihrem Glück getrieben werden muss. Auch das ist richtig.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Lachen bei der CDU)

Richtig ist, dass wir auf unserem Arbeitsmarkt sehr viele Strukturprobleme haben. Meine Kollegin Silke Hinrichsen sprach es vorhin an.

Richtig ist aber auch, dass die private Nachfrage hinter der Entwicklung in Europa herhinkt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Und warum? Jetzt fragen wir uns: Warum?)

- Ja, warum? Das ist richtig. Das hat mit Psychologie zu tun,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mit Psycholo- gie?)

mit Vertrauen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Meinen Sie, die Konsumenten haben kein Vertrauen mehr?)

- Das haben sie 16 Jahre lang nicht gehabt. Die Nachfrage hat sich nämlich nicht geändert. Darum ist meine Schlussfolgerung, lieber Kollege Kubicki, dass die schwache private Nachfrage auch etwas mit den Problemen zu tun hat, die wir dieser Tage im Rahmen der Landtagstagung schon angesprochen haben, mit den fehlenden sozialen Absicherungen,

(Martin Kayenburg [CDU]: Am besten, wir schaffen Tarifarbeitsplätze ab!)

mit den fehlenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten,

(Jutta Schümann [SPD]: Ja!)

damit, dass Frauen immer noch nicht wissen, was sie machen müssen, wenn sie sich in ihrem Beruf weiter engagieren wollen. Auch das ist ein Punkt. Hier sollten wir einmal ganz offensiv weiterarbeiten.

(Beifall bei SSW sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)