Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

Da hilft es auch nicht viel, wenn der BUND mit einer Umfrage - das war noch vor der Flut - belegt, dass Umweltthemen in der Gesamtbevölkerung gar nicht out sind. 81 % der Befragten hätten danach ein Leben in gesunder Umwelt für die Zukunft ihrer Kinder sogar höher als einen sicheren Arbeitsplatz eingestuft.

Die Starkregenereignisse und die Jahrhundertflut mit ihren Milliardenschäden haben diesen Trend im Spätsommer nur für ganz kurze Zeit stoppen können. Wir haben die nötigen Konsequenzen auch hier im Landtag eher unverbindlich und ohne konkrete Festlegungen diskutiert. Die meisten - das sieht man an der Anwesenheit auch hier im Haus - sind seither wieder zur Tagesordnung übergegangen.

Es reicht aber nicht aus, den Dreiklang zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialverträglichkeit wortreich zu beschwören. Er muss sich im Reden und im Handeln widerspiegeln. Deshalb, meine Damen und Herren von der CDU: Ihr Antrag genügt diesen Anforderungen in keiner Weise. Wir werden ihn deshalb ablehnen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Der von der Landesregierung bei der Erarbeitung der Strategie für ein zukunftsfähiges Schleswig-Holstein gewählte Weg, sich auf wenige durch uns und in unserem Land umsetzbare Schwerpunkte zu konzentrieren, ist dazu der richtige Ansatz. Es gilt für die drei Bereiche „Arbeiten und Produzieren“ „Zusammenleben“ sowie „Das Land nutzen“ Leitbilder zu entwi

(Konrad Nabel)

ckeln und Ziele zu formulieren. Auf der Grundlage einer Bestandsaufnahme des schon in den vergangenen Jahren Geleisteten wird die Bearbeitung einzelner Handlungsfelder im Dialog mit den davon Betroffenen aufgenommen, um dann die Nachhaltigkeitsstrategie für unser Land zu formulieren und in die Umsetzung zu gehen.

Wir wollen mit unserem Antrag die Landesregierung bei diesem Ansatz für ein zukunftsfähiges SchleswigHolstein unterstützen. Wir begrüßen den umfassenden Managementansatz der Interdisziplinarität, der Partizipation, der Erfolgskontrolle und der diskursiven Fortentwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie. Wir fordern die Landesregierung auf - das gilt auch bei knappen Kassen -, den eingeschlagenen Weg der Modernisierung von Staat und Gesellschaft sowie der Wirtschaft konsequent fortzusetzen. Wir fordern, die Strategie für ein zukunftsfähiges Schleswig-Holstein kontinuierlich zu aktualisieren und gemeinsam mit allen Betroffenen fortzuentwickeln und die darin formulierten neuen Aufgaben in konkrete politische Maßnahmen umzusetzen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen, dass der partizipatorische Ansatz weiter ausgebaut wird. Wir wollen so nicht nur dem Land, den Kommunen und den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch den Verbänden und Unternehmen die Chance geben, hierfür gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Besonders wichtig ist uns die Entwicklung eines Indikatorensystems oder anderer Kontrollmethoden zur Erfolgsbewertung und Kontrolle von Qualitätszielen und die Berücksichtigung des Entwicklungs- und Prozessgedankens bei der Festlegung und Ausgestaltung von Zukunftsfeldern.

Nicht zuletzt bitten wir Kommunen, Verbände, Wirtschaft und Wissenschaft, sich in die jetzige Dialog- und Kommunikationsphase wie auch in die Strategieentwicklung und die Umsetzung aktiv einzubringen. Wir fordern die Landesregierung darüber hinaus auf, dem Landtag ein Jahr nach Fertigstellung der Strategie über den Stand der Umsetzung zu berichten.

Wir haben in unserem Antrag auch stehen, dass wir die Landesregierung bitten, die Ergebnisse der „Rio plus10“-Konferenz in Johannesburg einfließen zu lassen. Ich habe dazu nicht viel gesagt. Denn diese Konferenz hat ein so jämmerliches Ergebnis, dass es sich nicht lohnt, an dieser Stelle eine Verbindung mit der Landesnachhaltigkeitsstrategie herzustellen. Die Konferenz von Johannesburg ist ein Versagen der Weltgemeinschaft in elementaren Fragen, vor allen Dingen in der Frage der Energieversorgung der Zukunft. Wer heute die Werbung des grünen Punktes

liest - die Sie wahrscheinlich alle bekommen haben -, wonach bis 2070 der Verkehr weltweit um 70 % zunehmen wird, und auch Chinesen, Afghanen, Inder und Pakistani mit ähnlichen Schwerpunkten den Verkehr bewältigen wollen wie wir hier in der Bundesrepublik und in den westlichen Industriestaaten, der weiß, dass wir bei diesem Verhalten der Weltgemeinschaft, wie es in Johannesburg zutage getreten ist, einer schwarzen Zukunft entgegensehen. Das bedauere ich sehr.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich bin Vater von zwei Kindern und möchte gerne, dass wir den Kindern, die wir in diese Erde hineingesetzt haben, eine Zukunft bieten. Das scheint mit dieser Weltgemeinschaft schwierig zu sein. Ich erinnere vor allem daran, dass die USA bis heute das Kyoto-Protokoll noch nicht ratifiziert haben.

Bis zum Vorliegen eines weiteren Berichts durch die Landesregierung haben wir Zeit, jede und jeder an seinem Platz, das Unsere zur Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung zu tun. Ich hoffe, dass Sie sich daran beteiligen. Wir bitten um alternative Abstimmung der vorliegenden Anträge in der Sache.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Todsen-Reese das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Landesnachhaltigkeitsstrategie - Top oder Flop? Schauen wir einmal! Lieber Kollege Nabel, in einer Einschätzung sind wir uns völlig einig: Das Bild, das die Landesregierung bei dieser Debatte abliefert, ist mehr als beschämend.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Ich freue mich, dass der Umweltminister und die Landwirtschaftsministerin da sind. Dass aber die Frau Ministerpräsidentin, die dieses Thema im Frühjahr 2002 angeschoben hat, es - ebenso wie andere Minister - nicht für nötig hält, hier zu sein, finde ich traurig. Es handelt sich hier um eine querschnittsorientierte Aufgabe und es geht auch um nachhaltige Finanz-, Bildungs- und auch Verkehrspolitik. Zu

(Herlich Marie Todsen-Reese)

rückhaltend gesagt, findet all dies im Land nur eingeschränkt statt. Dies ist ein großes Armutszeugnis.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür ist Ihr Fraktionsvorsitzen- der ja da!)

Es wird sich zeigen, dass bei uns ansonsten in der Wahrnehmung - bei manchen Gemeinsamkeiten - deutliche Unterschiede bestehen.

Die Landesregierung hat im November 2000 eine Nachhaltigkeitsstrategie für Schleswig-Holstein beschlossen. In 2001 wird von einem interministeriellen Arbeitskreis ein Leitbild entwickelt. In einer Presseerklärung vom 25. April 2001 hat die Ministerpräsidentin im Haus des Sports unter anderem gesagt:

„Nachhaltigkeit ist leider kein konkreter Begriff. Jeder stellt sich darunter etwas anderes vor.“

Das gilt wahrscheinlich auch für sie.

„Es geht darum, das aktuelle politische Handeln in einen Rahmen einzuordnen, der für alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in die Zukunft weist.“

Ich finde, das sind wahrlich keine Aussagen mit aufregendem Neuigkeitsgehalt. Im Mai 2001 habe ich für den Umweltausschuss einen Bericht der Landesregierung über die Nachhaltigkeitsstrategie erbeten. Die Antwort war auf gut vier Seiten dürr. Dabei gab es eine interessante, wenn auch knappe Information:

„Zur Vorbereitung der Workshops hat das MUNF in Abstimmung mit der Staatskanzlei das Hamburger Institut für Ökologie und Politik beauftragt. Für die Vergabe dieses Auftrags sind 70.000 DM im Haushalt veranschlagt, im Haushalt des Jahres 2001 für die Nachhaltigkeitsstrategie insgesamt 400.000 DM eingestellt.“

Wir haben schon damals bei den Hauhaltsberatungen diese hohen Kosten kritisiert und auch die entsprechenden Anträge gestellt, um dies abzulehnen. Ich komme darauf zurück.

Nun legt die Landesregierung ihren Zwischenbericht zur Nachhaltsstrategie „Zukunftsfähiges SchleswigHolstein“ vor. 77 Seiten sind eng bedruckt. Prompt reagieren die Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit einem Antrag. Es ist wirklich rührend, jedoch kaum weiterführend, dass der Landtag heute beschießen soll, dass er die Erarbeitung der Landesnachhaltigkeitsstrategie begrüßt. Ich frage mich wirklich, warum und zu welchem Zweck der Landtag laut Absatz 2 Ihres großartigen Antrags be

schließen soll, dass der Zwischenbericht zur Erarbeitung der Landesnachhaltigkeitsstrategie durch die Landesregierung im März 2002 vorgelegt wurde. Einen tieferen Sinn kann ich in Ihrem Antrag nicht erkennen. Er ist und bleibt für mich leider ein Claqueurantrag!

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Nabel, ich finde es außerordentlich bedauerlich, dass Sie sich nicht ein wenig intensiver mit unserem Antrag auseinander gesetzt haben. Ich will keineswegs in Zweifel ziehen, dass wir uns sehr ernsthaft daranmachen müssen, eine Landesnachhaltigkeitsstrategie für Schleswig-Holstein zu entwickeln. Deshalb haben wir einen eigenen Antrag erarbeitet. Wir haben die Punkte herausgearbeitet, die uns besonders wichtig sind. Dazu gehören natürlich die drei Säulen der Agenda 21. Uns ist wichtig, dass diese jetzt endlich gleichrangig umgesetzt werden, nachdem wir eine Phase hatten, in der der ökologische Bereich deutlich im Vordergrund stand. Dass nachhaltige Entwicklung neben der ökologischen Komponente auch die ökonomische und die soziale Seite beinhaltet, hat gerade auch die Konferenz in Rio aus dem Jahr 1992 deutlich gemacht. Das ist die entscheidende Botschaft.

Ebenso zentral ist unsere Forderung, dass die Gedanken der freien und sozialen Marktwirtschaft Einzug in unsere Landesnachhaltigkeitsstrategie finden. Nach unserer festen Überzeugung sind marktwirtschaftliche Anreize allemal besser als starre Regelungen. Nachhaltige Entwicklung darf kein starres Programm sein, sondern ist ein ständiger offener gesellschaftlicher Such-, Dialog-, Lern- und Umsetzungsprozess. Die Umsetzung hat bei uns allerdings einen zentralen Stellenwert. Das Nachhaltigkeitsprinzip ist eine logische langfristige Ergänzung der Idee der sozialen Marktwirtschaft. Sie fordert auch vom Einzelnen die notwendige eigenverantwortliche Handlungsweise unter Einbeziehung des ökologischen Gleichgewichts und des sozialen Fortschritts.

Sie haben in Ihrer Strategie zwölf Handlungsfelder. Wichtig ist, dass Prioritäten gesetzt werden, sodass die Ziele nicht nur auf dem Papier stehen bleiben, sondern wirklich umgesetzt werden: Umwelt- und Naturschutz finden unter freiem Himmel, in den Betrieben, an den Arbeitsplätzen, in den Haushalten, kurz überall - in allen Lebens- und Arbeitsbereichen - statt und nicht in unendlichen Diskussionsrunden und in den Amtsstuben. Unseren langen Forderungskatalog kann ich hier nicht mehr aufzählen. Sie alle können ihn nachlesen. Herr Nabel, dabei gibt es durchaus eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten. Daher finde ich es bedauerlich, dass Sie an dieser Stelle so rigoros

(Herlich Marie Todsen-Reese)

bleiben. Ich halte es aber auch für unsere Pflicht, dass wir nach nun fast zwei Jahren - seit die Landesnachhaltigkeitsstrategie auf den Weg gebracht worden ist - prüfen und hinterfragen, was dabei eigentlich konkret herausgekommen ist. Hier beginnen viele Fragen und Zweifel.

Dies gilt umso mehr, weil die Strategie nach dem Beschluss der UN-Sondervollversammlung vom Juni 1997 schon lange, nämlich spätestens in diesem Jahr 2002, fertig sein sollte. Davon sind sowohl die rot-grüne Bundesregierung als auch wir hier in Schleswig-Holstein weit entfernt. Dafür sind Sie unter anderem vom Sachverständigenrat für Umweltfragen und durch das Umweltbundesamt klar gerügt worden: Rüffel für Rot-Grün - und das zu Recht!

Sie müssen sich aber auch die Frage gefallen lassen, ob es gelungen ist, den Begriff der Nachhaltigkeit als eines der wesentlichen Gestaltungsprinzipien der Politik in unserer Bevölkerung zu verankern. Hier könnte ich das Eingangszitat der Ministerpräsidentin wiederholen. Deutlicher hätte sie das eigene Armutszeugnis zu dieser Frage nicht ausstellen können. Der Zwischenbericht der Landesregierung macht deutlich, dass bisher viel Aufwand bei der Erarbeitung der rot-grünen Landesnachhaltigkeitsstrategie getrieben worden ist. Viele Menschen, Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Verbände, öffentliche Einrichtungen und Betriebe haben sich in den letzten zwei Jahren beteiligt. Dies geschah hauptamtlich und vor allem auch ehrenamtlich mit Idealismus und mit Ideen, mit Zeit- und Arbeitseinsatz, mit Verantwortungsgefühl und Verantwortungsbereitschaft, mit Hoffnung auf erkennbaren Erfolg. Vor allem finanziell wird viel Aufwand betrieben: Die Antworten der rot-grünen Landesregierung auf die schriftlichen Fragen zum Haushaltsentwurf 2003 sind der beste Beweis: Danach werden im Haushaltsjahr 2002 rund 131.500 € ausgegeben. Im Haushaltsjahr 2003 sollen rund 145.000 € zur Verfügung gestellt werden. Das sind zusammen 276.500 €, also mehr als eine halbe Million DM. Was danach noch auf uns zukommt, ist ungewiss.

In jedem Fall ist es aber eine stolze Summe. Es ist viel Geld, das in die Hand genommen wurde. Allein für die Begleitung der IMAK „Zukunftsfähiges Schleswig-Holstein“ durch ein Institut werden in 2002 insgesamt 75.000 € ausgegeben. Für die Fortsetzung in 2003 sollen weitere 40.000 € bereitgestellt werden. Insgesamt sind es in zwei Jahren also 115.000 €. Ich könnte noch andere Positionen nennen; alles ist nachzulesen. Ich will niemandem zu nahe treten, aber ich sehe diese Entwicklung der rotgrünen Landesnachhaltigkeitsstrategie mit Sorge.

(Beifall bei der CDU)

Sie wird zu einem Arbeitsbeschaffungsprogramm für Gutachter, Planer und Moderatoren. Sie wird zu einem Grab für Hunderttausende von Euro. Es hört sich alles prima an und Ihr rot-grüner Verkauf ist professionell, das ist unbestritten.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Liebe Frau Heinold, Sie spielen als finanzpolitische Sprecherin kostspielige Sandkastenspiele. Bei diesen Spielen steht der Einsatz in keiner vernünftigen Relation zum Erfolg. Sie entwerfen geschickt das Szenario einer Fülle von Projekten, Aktivitäten und Akteuren. Bei genauem Hinsehen taucht die Frage auf, ob es sich nicht eher um ziel- und strukturlosen Aktionismus handelt!

(Beifall bei der CDU)

Dann wäre diese Landesnachhaltigkeitsstrategie alles andere, nur kein nachhaltig wirksames Projekt. Da tauchen gedanklich Begriffe wie Verschwendung von Steuergeldern oder Vergeudung wichtiger Ressourcen auf. Es erinnert in fataler Weise an die Denkfabrik des früheren Ministerpräsidenten Engholm. Unter dem Strich ist dabei auch nichts Gescheites herausgekommen.

(Beifall bei der CDU)

Haben wir jetzt ein weiteres Beispiel nach dem Motto: Wo rot-grüne Nachhaltigkeit draufsteht, ist gar keine Nachhaltigkeit drin? Sie können sicher sein, wir bleiben weiter dran, kritisch, aber auch konstruktiv, denn dazu ist uns das Thema zu wichtig.