Haben wir jetzt ein weiteres Beispiel nach dem Motto: Wo rot-grüne Nachhaltigkeit draufsteht, ist gar keine Nachhaltigkeit drin? Sie können sicher sein, wir bleiben weiter dran, kritisch, aber auch konstruktiv, denn dazu ist uns das Thema zu wichtig.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es muss, Kollege Nabel, schon ein bisschen deprimierend gewesen sein: Mit dem Aufruf des Tagesordnungspunktes „Landesnachhaltigkeitsstrategie“ leert sich das Haus, auch die Ministerbank. Ich kann das nachempfinden, das will ich Ihnen durchaus sagen. Ich will aber auch sagen - Frau Kollegin TodsenReese hat das deutlich gemacht -, es kann vielleicht
Auf der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio im Jahre 1992 hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf die Grundpfeiler einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung verständigt. Ich glaube, wir haben keine Alternative dazu, diese Grundpfeiler auch tatsächlich zu verwirklichen. Nachhaltigkeit heißt, dass wir die Ressourcen der künftigen Generationen nicht heute verbrauchen dürfen. Unsere Kinder sollen weder schlechtere Umweltbedingungen noch schlechtere Berufschancen oder ein schlechteres Lebensumfeld vorfinden, als wir es heute haben. Im Gegenteil, unsere Aufgabe ist es, es für unsere Kinder besser zu bestellen, als es heute ist.
Der Zwischenbericht der Landesregierung zur Erarbeitung einer Landesnachhaltigkeitsstrategie führt insofern auch richtig aus, dass sich der Leitgedanke einer nachhaltigen Entwicklung nicht ausschließlich an die Umweltpolitik richtet, sondern wirtschaftlichen Wohlstand, soziale Sicherheit und die Stabilisierung der ökologischen Systeme als drei unverzichtbare Dimensionen und Ziele gesellschaftlicher Entwicklung ansieht, die gleichberechtigt und wechselseitig voneinander abhängig sind. Das Ziel „zukunftsfähiges Schleswig-Holstein“ ist ehrgeizig, der Weg ist weit, und eine ehrliche Analyse wird zeigen, dass wir bisher kaum die Startlöcher gefunden haben.
Zu Recht weist der Bericht auf die besonderen Schwierigkeiten hin, die der von der BrundtlandKommission 1987 geprägte Begriff der nachhaltigen Entwicklung verursacht. Das Leitbild ist abstrakt, die Diskussion darüber entfaltet keinerlei Breitenwirkung, daher ist es sehr schwer, die Menschen zu motivieren, sich an der Diskussion zu beteiligen. Es breitet sich Resignation aus. Es ist so. Auch beim Lesen des Zwischenberichts breitet sich genau diese im Bericht selbst richtig beschriebene Resignation aus. Die ersten 30 Seiten Politlyrik sind für alles und nichts zu gebrauchen. Die drei von der Landesregierung formulierten Leitbilder sind politisch völlig korrekt gestaltet und von daher nicht zu beanstanden, allerdings lassen sie viele Wünsche offen. Der an anderer Stelle beiläufig erwähnte Bildungsaspekt kommt eindeutig in diesen Leitbildern zu kurz.
Nachhaltige Entwicklung mit den drei Stichworten: Wirtschaftlicher Wohlstand, soziale Sicherheit, Stabilität der ökologischen Systeme: Ohne eine gute Bildung für unsere Kinder, eine fortwährende Weiterbil
dung lässt sich dieser komplexe Dreiklang nicht verwirklichen. Offensichtlich hat die Landesregierung die Ergebnisse von PISA schon jetzt vergessen. Ein Armutszeugnis! Aber noch ein Manko haben die Leitbilder. Es sind Standardleitbilder, die sehr wohl auch ohne die Ergebnisse der Brundtland-Kommission hätten formuliert werden können und auch formuliert worden wären.
Dasselbe gilt für die abgeleiteten Ziele, zum Beispiel die Ressourceneffizienz zu steigern: Klar, das ist eine seit der Ölkrise in den Betrieben konsequent verfolgte Strategie. Zum Beispiel gesunde Lebensbedingungen verbessern: Das ist seit 30 Jahren Motiv im technischen Umweltschutz. Zum Beispiel umweltverträgliche Mobilität fördern: ein Forschungsprogramm der Bundesregierung seit 1970. Mit den Geldern aus diesem Forschungsprogramm wurde beispielsweise der Transrapid entwickelt.
Es sind somit sehr viele als wichtig erkannte Ziele aufgelistet, egal ob sie etwas mit nachhaltiger Entwicklung zu tun haben oder nicht. Um es positiv auszudrücken, die Landesregierung beweist einen sehr pragmatischen Umgang mit dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung. Politische Ziele, die ihr in den Kram passen, sind Ziele der nachhaltigen Entwicklung, politische Ziele, die ihr nicht in den Kram passen, eben nicht. So einfach ist das.
Der von der Landesregierung vorgelegte Zwischenbericht ist somit ein grandioses Ablenkungsmanöver. Die in der Debatte über den Landeshaushalt von der Opposition aufgezeigten Probleme unseres Landes finden in dem Bericht keinerlei Widerhall, Lösungsansätze sind nicht in Sicht, und eben deshalb komme ich zu dem Schluss, dass wir noch nicht einmal die Startlöcher für eine tatsächliche nachhaltige Entwicklung in Schleswig-Holstein gefunden haben.
Der spezifische Ansatz des von der BrundtlandKommission entwickelten Nachhaltigkeitsbegriffs findet kaum Berücksichtigung. Was heißt denn eigentlich dieses Soziologendeutsch: „Der Ansatz des Gender Mainstreaming wird als Strategiesteuerungs- und Controllinginstrument innerhalb der Nachhaltigkeitsstrategie verankert“. Was heißt das konkret? Oder: „Dieses Vorgehen sucht nach dem Besonderen, dem Konkreten als Beispiel für das Allgemeine und das Abstrakte, es zielt somit nicht auf Vollständigkeit, ist aber auch nicht beliebig“. Was will uns der Autor sagen? Ich weiß es nicht. Loriot hätte es nicht besser sagen können. Die intellektuelle Dürftigkeit des Berichts ist peinlich.
Die Eier legende Wollmilchsau steht in der Landwirtschaft für ein Tier, das allen Zielen der landwirtschaftlichen Produktion genügt. Es ist überflüssig zu sagen, dass es das nicht gibt. Aber genau so verwendet die Landesregierung den Begriff der Nachhaltigkeit: Sie soll für alles gut sein. Es gibt so etwas nicht, was für alles gut ist.
Im Bericht setzt die Landesregierung drei Schwerpunkte: Arbeiten und Produzieren, Zusammenleben, das Land nutzen. Im Anschluss an die Benennung der Zukunftsfelder wird eine umfangreiche Bestandsaufnahme vorgenommen. Schon die Reihenfolge zeigt die methodische Verwirrung der Landesregierung. Aber ich will gerne mit dem Erfreulichen anfangen. Es ist erfreulich, dass im Bereich Arbeiten und Produzieren auch die Biotechnologie und damit die Gentechnik aufgeführt wird. Sogar die Pflanzenzucht ist erwähnt. Dennoch schmoren immer noch die Anträge der FDP-Fraktion zur Gentechnik, weil sich die Koalitionsfraktionen nicht einigen können. Nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, dass Ihre Regierung weiter ist als Sie und längst im Sinne unserer Anträge handelt. Wenn Sie denn endlich Vernunft annehmen, nähmen Sie auch gar keinen Schaden, Frau Fröhlich. Der von der Bundesregierung, Ihrer Bundesregierung, in Auftrag gegebene Bericht belegt, dass die Akzeptanz der grünen Gentechnik inzwischen sehr deutlich gestiegen ist. Allerdings entsprechen diese Ergebnisse nicht den Wünschen des Auftraggebers, und daher werden sie verschwiegen.
Unter dem Schwerpunkt „Zusammenleben“ fällt unter anderem der Bereich Bildung. Die Landesregierung spricht dennoch mit keinem Wort die personelle und sächliche Ausstattung der Schulen an. Wie sollen denn all die guten Werte vermittelt werden, wenn zum Beispiel in den Realschulen 10 % des vorgesehenen Unterrichts ausfallen? Dagegen wird die Informationsstelle zu den Gefahren der Atomenergie genannt. Es wird aber mit keinem Wort erwähnt, dass der Energiestaatssekretär in den letzten zwei Jahren insbesondere damit zu tun hatte, die Bevölkerung zu beruhigen, weil die Kernkraft doch nicht so gefährlich ist, wie andere gerne Glauben machen wollen. Die verschiedensten von Kernenergiegegnern in Auftrag gegebenen Gutachten erwiesen sich als Falschmeldungen. Die so genannten heißen Teilchen waren Hirngespinste. Das war für das Land ein teures Vergnügen. Etwa 100.000 € hat es gekostet. Das ganze erinnert an den Zauberlehrling: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.
Zu dem Schwerpunkt „das Land nutzen“ werden an prominenter Stelle der Bau der Ostsee-Autobahn A 20 wie auch der Ausbau der B 404 zur A 21 aufgeführt. Diese Bestandsaufnahme ist richtig, aber auch bemerkenswert, denn die Grünen spielen gerne Opposition von den Regierungsbänken aus. Im Koalitionsvertrag werden die Projekte festgeschrieben, gegen die dann Mitglieder der Landtagsfraktion vor Ort Sturm laufen. Ein bemerkenswertes Verfahren.
Die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie hat den Landtag mehrfach beschäftigt. Die Landesregierung hat es bei der Umsetzung versäumt, durch die Kommunalisierung der Aufgaben dem Land Kosten zu sparen.
Das hat auch etwas mit finanzieller Nachhaltigkeit zu tun. Der SPD-Kreisverband Schleswig-Flensburg hat erst im Juli seine Kritik an dieser Vorgehensweise öffentlich kundgetan. Wir stimmen dem zu.
Es ist überhaupt nicht nachzuvollziehen, dass die noch nicht etablierten Qualitätstore der Landesregierung Erwähnung finden, während das eingeführte bundesweit anerkannte Gütesiegel der Landwirtschaftskammer keine Erwähnung findet. Sie sollten den Mut haben, die Leistungen anderer anzuerkennen. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde von preußischen Forstleuten in Brandenburg geprägt. Dennoch wird das mehrfach vom Landtag wie auch von der Landesregierung erwähnte Ziel, den Waldanteil in Schleswig-Holstein auf 12 % der Landesfläche zu erhöhen, nicht genannt. Angesichts der eindeutigen Beschlusslage des Landtages ist dies ungewöhnlich. Offensichtlich ist die Landesregierung seit langem fest entschlossen, den Zuschuss für die Neuwaldbildung bei Privatwaldbesitzern um 1,5 Millionen € zu kürzen. Der Wald hat bei dieser Landesregierung keine Lobby.
Außerordentlich gefreut hat mich allerdings die Äußerung des Umweltministers, noch 2003 den Nationalpark Wattenmeer als Weltkulturerbe anzumelden. Das ist eine FDP-Forderung. Ich bedanke mich für die Umsetzung sehr. Wir sollten das in die Nachhaltigkeitsstrategie mit aufnehmen.
Die Bestandsaufnahme - das habe ich, glaube ich, zeigen können - der Landesregierung ist umfangreich, ideologisch gefärbt und somit keine ehrliche Analyse,
Von den 196 Seiten des Zwischenberichts der Landesregierung bestehen allein 76 Seiten aus beantworteten Fragebögen. 256 Fragebögen wurden verschickt; 51 Antworten sind eingegangen. Allerdings sind die Antworten in 90 % der Fälle genauso dürftig wie die vier gestellten Fragen. Sie stellen klar, dass viele Gefragte erstens nicht wussten, welches Ziel die Landesregierung mit der Nachhaltigkeitsstrategie überhaupt verfolgt, und zweitens auch keine Ahnung hatten, welchen Beitrag sie konkret zur Verfolgung dieses unbekannten Zieles leisten konnten.
Insgesamt bietet der Bericht mehr Masse als Klasse. Er ist nicht geeignet, einer nachhaltigen Entwicklung Impulse zu geben. Für ein zukunftsfähiges SchleswigHolstein brauchen wir eine nachhaltige Entwicklung im Sinne der Brundtland-Kommission, aber wir brauchen nicht mehr Masse als Klasse. Wir brauchen auch nicht mehr Papiere.
Viel mehr brauchen wir neue grundlegende Ideen. Zu ihnen kommt man nicht durch Papierchenschieben; zu ihnen kommt man in Gesprächen mit den Menschen vor Ort.
Vor diesem Hintergrund werden wir einer Fortführung dieses Berichts nicht zustimmen und befürworten stattdessen den Antrag der CDU-Fraktion.
Ich möchte zunächst in der Presseloge Besucher begrüßen, und zwar sind es Gäste aus Kaliningrad, nämlich Herr Konstantin Khaipov, Abgeordneter der Gebietsduma, und Herr Dr. Lafar Fouxon, den Leiter der Bildungsbehörde.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bitte darum, heute ausnahmsweise meine schwache Stimme zu tolerieren, nicht dazwischen zu reden und meine Rede auch nicht mit Begleittiraden zu schmücken. Meine Stimme gehorcht mir halt noch nicht so, wie sie es sollte. Aber das wird sich im Laufe der Zeit ganz sicher bessern. Ich danke sehr für Ihr Verständnis.
Wir sollen uns mit der Landesnachhaltigkeitsstrategie beschäftigen, und wir wollen das sehr gern tun, weil wir glauben, dass es sich bei dieser Landesnachhaltigkeitsstrategie - daher kommt wahrscheinlich die Verwirrung, von der Frau Todsen-Reese und Frau Happach-Kasan sehr deutlich gesprochen haben - um einen Prozess handelt, der tatsächlich in Bewegung ist. Ich habe nur folgendes Gefühl, Frau TodsenReese: Indem Sie diesen Prozess als in Bewegung befindlich beschreiben, drücken Sie sich vor dem, was unbedingt auch gesagt werden muss, und drücken sich auch vor klar benennbaren Zielen. Hier kann man uns sicherlich auch kritisieren; das nehme ich auch gern in unsere weitere Debatte mit. Denn sicherlich ist dieses nicht die letzte Debatte, die wir zum Thema Nachhaltigkeit führen.
Die viel beachtete und oft zitierte UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio de Janeiro feierte das Zehnjährige. Vom 26. August bis zum 4. September fand in Johannesburg der Nachfolgeweltgipfel „Rio plus 10“ statt. Mit der Konferenz in Rio wurde das Leidbild der nachhaltigen Entwicklung in die politische Diskussion eingeführt. Auf lokaler Ebene hat sich der Nachhaltigkeitsgedanke in der lokalen Agenda 21 und in einer nachhaltigen Stadtentwicklung konkretisiert. Der Gedanke hat sich also weiter fortgesetzt, und das ist auch gut so. Dem soll auch mein Beitrag dienen, nämlich dass sich dieser Gedanke noch weiter fortsetzt und dass er verständlicher wird.
Wir freuen uns, dass die CDU nun auch erkannt hat, dass Nachhaltigkeit auf einem Drei-Säulen-Prinzip beruht, dass man also Ökonomie, Ökologie und soziale Gerechtigkeit an diesem Punkt nicht auseinander dividieren darf. Das ist ganz wichtig.
(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU: Das ist das Ergebnis von Rio und von Herrn Töpfer!)
- Ich höre Ihnen gern zu. Aber im Moment muss ich meine Redezeit ausschöpfen und ich bekomme das nicht hin, wenn ich dabei in Konkurrenz zu anderen treten muss.