Protokoll der Sitzung vom 09.10.2002

(Ministerin Anne Lütkes)

Wir sind der Auffassung, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Die verschiedenen Polizeiinspektionen schließen sich diesem Zwischenbericht an. Wir stellen aber auch fest, dass die Frauenberatungsstellen, die Frauenhäuser und alle beratenden Institutionen sich an der immer noch als Modellversuch bezeichneten Arbeit beteiligen. Insofern gilt unser Dank allen, die sich landesweit an diesem Modell beteiligen.

Gestatten Sie mir abschließend einen weiteren Dank zum Ausdruck zu bringen. Es war eine harte Arbeit, das Wegweisungsrecht auf die Schiene zu bringen. Mein Dank gilt der beharrlichen Frauenabteilung in meinem Ministerium, die das Projekt stetig vorangebracht hat und die zusammen mit der ebenso beharrlich arbeitenden Abteilung im Innenministerium die klaren Regelungen für die Praxis geschaffen hat und dafür gesorgt hat, dass die Existenz der roten Karte auf die Schlagenden bei der häuslichen Gewalt eine gute Wirkung hat. Die rote Karte wirkt bekanntlich schon dadurch, dass man sie zeigt oder in der Tasche hat. Das ist ein hervorragender Erfolg. Ich hoffe, Sie teilen diese Auffassung mit mir.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Schwarz.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Modellversuch zur Wegweisung bei häuslicher Gewalt ist in Schleswig-Holstein der richtige Weg beschritten worden.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das steht nach dem uns nun vorliegenden Zwischenbericht, den die CDU beantragt hat, fest. Herzlichen Dank für diesen Bericht, auch an Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, insbesondere an die zuständige Abteilung!

Die positiven Aussagen im Bericht werden durch die positiven Aussagen der Polizisten in den Modellregionen untermauert, zum Beispiel im Kreis SchleswigFlensburg, mit denen ich vor kurzem über dieses Thema sprechen konnte. Der bisherige Handlungsspielraum, die bisherigen Möglichkeiten der Polizei, in Fällen häuslicher Gewalt etwas zu tun, werden, wie es im Bericht auch steht, sinnvoll, wirkungsvoll und offensichtlich auch nachhaltig erweitert. Auf der ei

nen Seite wird durch diese neue polizeiliche Reaktionsmöglichkeit dem Opfer Zeit zum Luftholen und zum Organisieren der eigenen Zukunft und der Zukunft der Kinder - in der Regel stehen 14 Tage zur Verfügung - gegeben. Auf der anderen Seite - das hat mich ganz besonders gefreut - hat die Wegweisung seit Beginn des Modellversuchs auch einen ganz direkten abschreckenden Einfluss und damit eine präventive Wirkung auf zu Gewalttätigkeit neigende Personen.

Täter wurden schon - zwar nur in Einzelfällen, aber immerhin - durch die Androhung der Wegweisung dazu gebracht, in sich zu gehen, aktiv an sich zu arbeiten und sich zu bemühen, ihr Verhalten zu ändern. Die Öffentlichkeitsarbeit, die das Modellprojekt begleitet - das haben Sie, Frau Ministerin, angesprochen -, spielt hierbei eine sehr wichtige Rolle.

Das Wegweiserecht hat sich schon in dieser kurzen Zeit seit dem 1. Dezember 2001 als wirksame Medizin für mehr Frieden in den Familien bewährt.

(Vereinzelter Beifall bei CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ein großer Erfolg, insbesondere für die Kinder, denn - wie Sie bereits sagten - wenn Kinder zu Hause Gewalttätigkeit lernen, verlernen sie es in der Regel auch nicht.

Allerdings bedauere ich die Tatsache, dass das Beratungsangebot durch Frauenfacheinrichtungen im Rahmen des Kooperations- und Interventionskonzeptes - kurz KIK genannt - im Verhältnis zu den Fällen häuslicher Gewalt nur relativ selten von den betroffenen Frauen in Anspruch genommen wurde, obwohl die Polizei die Frauen sofort nach dem Verweisen des gewalttätigen Mannes aus der gemeinsamen Wohnung auf die Beratungseinrichtungen aufmerksam macht, und zwar mithilfe so genannter Notfallkarten, auf denen Adresse, Ansprechpartner und Telefonnummern notiert sind. Die Polizei stellt auf Wunsch auch den direkten Kontakt zu den Beratungseinrichtungen her.

Die 16 Frauenhäuser und 23 Frauenberatungsstellen bei uns im Lande leisten hervorragende Arbeit und beziehen dabei auch die gewalttätigen Männer durch entsprechende Trainingsangebote in ihre Arbeit mit ein. Ihnen ist es an erster Stelle zu verdanken, dass das Thema häusliche Gewalt kein Tabuthema mehr ist, sondern ein Thema, das uns alle angeht, insbesondere vor dem von Ihnen bereits erwähnten Hintergrund, dass jede dritte bis fünfte Frau davon betroffen ist, und zwar unabhängig von ihrer sozialen Herkunft.

(Caroline Schwarz)

Es muss also eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen der Polizei und den Beratungsstellen erreicht werden, wie sie zum Beispiel der Revierleiter von Norderstedt in der Presse gefordert hat. Ebenfalls müssen Jugendamt und Amtsgericht enger mit eingebunden werden. Aber an erster Stelle steht der weitere Aufbau von Vertrauen in die Beratungsstellen, die den betroffenen Frauen kompetente Hilfestellung für einen Neuanfang in Selbstbestimmung und Gewaltfreiheit bieten.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erlauben Sie mir noch eine persönliche Bemerkung. Es macht richtig Spaß, ab und an als Opposition mit den Regierungsfraktionen und der Regierung übereinzustimmen, ganz besonders, wenn es sich um wichtige politische Initiativen handelt, die zwar nicht die ganz große öffentliche Aufmerksamkeit erreichen, die aber dennoch - wie dieser Modellversuch - eine segensreiche Wirkung haben.

(Beifall bei der CDU)

Diese Freude über Gemeinsamkeiten für unser Land und seine Menschen gönne ich auch der SPD und den Grünen.

(Heiterkeit)

- Na ja, auch der FDP. Gerade vor der Mittagspause haben Sie dazu eine gute Chance mit unserem Gesetzentwurf zur Unterbringung von besonders rückfallgefährdeten hochgefährlichen Straftätern verpasst. Das ist sehr schade.

(Beifall bei der CDU)

Nichtsdestoweniger freue ich mich über die Gleichstellungspolitik von Frau Lütkes, die nicht immer, aber immer öfter von einem ganz pragmatischen, wirkungsvollen Ansatz ausgeht, der auch von uns als CDU-Fraktion schon seit langem verfolgt wird. Jetzt ein Geheimnis, Frau Lütkes: Vielleicht wirkt Tante Erika ja noch ein bisschen nach.

(Beifall bei der CDU)

Auf der Tribüne begrüße ich unsere Besuchergruppen, und zwar Besucher der Leitstelle „Älter werden“ der Landeshauptstadt Kiel, der Berufsvorbereitung Eckernförde und des Lufttransportgeschwaders 63, Stab Technische Gruppe, Alt-Duvenstedt. - Herzlich willkommen!

(Beifall)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete SchlosserKeichel.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir waren uns in der September-Tagung des Jahres 2000 alle fraktionsübergreifend einig, dass Gewalt im häuslichen Bereich nicht Privatsache der Betroffenen ist, sondern kriminelles Unrecht. Wir waren uns einig, dass der Staat aktiv eingreifen, die Täter bestrafen und vor allem aber die Opfer schützen muss. Deshalb haben wir gemeinsam die Landesregierung aufgefordert, im Rahmen des Konzepts KIK zusammen mit der Polizei das Instrument der Wegweisung einzusetzen beziehungsweise die Voraussetzungen dafür zu schaffen.

Heute nach knapp zwei Jahren können wir auch - darin bin ich mir sicher - übereinstimmend feststellen: Es funktioniert! Diese Einschätzung ziehe ich nicht nur aus dem vorliegenden Bericht, sondern ebenso wie Frau Schwarz auch aus Gesprächen vor Ort mit den Beteiligten, vor allem in der Modellregion der Polizeidirektion Nord. Die Beteiligten sind vier Kooperationspartnerinnen und -partner, deren Zusammenarbeit dringend notwendig ist, um die Wegweisung zu einem Erfolg zu machen. Das sind natürlich die Polizeibeamtinnen und die Polizeibeamten, die die Wegweisung anzuordnen haben. Ihnen wurden ein Erlassentwurf und Ausführungsbestimmungen an die Hand gegeben. Schulungen haben stattgefunden. Darauf ist in der Diskussion vor zwei Jahren ausdrücklich Wert gelegt worden. Nachdem ich anfangs doch einige Skepsis festgestellt habe, muss man jetzt feststellen, dass die Wegweisung heute als neue polizeiliche Reaktionsmöglichkeit nach relativ kurzer Zeit anerkannt ist.

Die im Bericht genannten Zahlen zeigen, dass die Wegweisung offensiv, aber keinesfalls leichtfertig genutzt wird. Interessant finde ich die Feststellung, dass allein die Androhung Wirkung zeigt. In den Ausschussberatungen würde ich gern die Frage vertiefen, ob sich die Erlasslösung bewährt hat oder ob es nicht doch eine gesetzliche Regelung wie in anderen Bundesländern geben sollte. Auch in Gesprächen mit Polizisten ist diese Forderung vorgebracht worden. Im Ausschuss ist Raum, diese Frage zu vertiefen.

Die polizeiliche Wegweisung ist aber nur dann wirksam, wenn sie keine isolierte Maßnahme der Polizei darstellt. Den prügelnden Mann für 14 Tage vor die Tür zu setzen, mag der Frau und den Kindern - in 80 % der Fälle sind Kinder in diesen Ehekriegen betroffen - unmittelbar helfen. Es mag für den Mann schon eine Strafe sein. Aber in diesen 14 Tagen, die

(Anna Schlosser-Keichel)

die Wegweisung in der Regel dauert, muss sehr viel mehr passieren. Deshalb gehört es auch zum Programm der polizeilichen Einsatzkräfte, auf Hilfsangebote hinzuweisen, zum Beispiel über die neue Helpline Kontakt zu Hilfsorganisationen und Unterstützung zu vermitteln.

Da sind wir bei den zweiten Kooperationspartnern, nämlich den Frauenfachberatungsstellen, die zugegebenermaßen noch mehr eingebunden werden müssen. Sie sind wichtige Partnerinnen. Sie haben langjährige Erfahrungen und Spezialwissen im Umgang mit betroffenen Frauen. Sie können neben der psychischen Betreuung auch praktische Hilfestellung leisten. In diesem relativ kurzen Zeitraum von 14 Tagen muss zum Beispiel ganz schnell ein Beschluss über die Zuweisung der Familienwohnung erfolgen, wenn es wirklich mit der Trennung Ernst wird. Die Justiz ist also die dritte Partnerin in diesem Konzept.

Der Bericht ist in diesem Punkt über die Justiz nicht sehr ausführlich. Unsere Gespräche haben aber gezeigt, dass es doch noch Verbesserungsmöglichkeiten gibt, beispielsweise in der Fortbildung der Staatsanwaltschaft. Das ist ein Punkt, den ich in den Ausschussberatungen gern vertiefen möchte.

Nun komme ich zu dem vierten auch sehr wichtigen Partner, der zu dieser Kooperation gehört. Das sind die Beratungsstellen, die sich der Täter annehmen und mit Anti-Gewalt-Training arbeiten und auf diese Weise mithelfen, dass der Kreislauf der Gewalttätigkeit unterbrochen werden kann.

Diese vier Kooperationspartner und -partnerinnen sind für die Wirksamkeit der Wegweisung nötig. Die gemeinsame Planung, die Koordinierung dieser vier Partner, die nicht zwangsläufig jeden Tag zusammenarbeiten, ist eine wichtige Aufgabe, ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Wegweisung mehr ist als zeitlich befristeter - 14-tägiger - Platzverweis, sondern wirklich eine Chance für die Frauen ist, aus der Gewaltsituation, in der sie oft jahrelang gefangen sind, herauszukommen, um auszubrechen.

Diese Kooperation ist unter der Federführung von KIK gelungen. Dafür allen Beteiligten vielen Dank! Ich weiß, dass das nicht ganz einfach war. Ich hoffe, dass die Wegweisung über dieses Modellprojekt hinaus bald landesweite Praxis ist.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Dr. HappachKasan das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Von Ehepartnern oder Lebensgefährten ausgehende häusliche Gewalt betrifft in erster Linie Frauen und ihre Kinder, aber nicht nur. Die Erhebung in BadenWürttemberg hat gezeigt, dass in Fällen häuslicher Gewalt zu 85 % Männer die Täter sind, aber eben 15 % auch Frauen. Wir sollten das nicht außer Acht lassen.

Schwere körperliche und psychische Misshandlungen führen bei den betroffenen Frauen zu Wunden, die nur schwer verheilen. Gewaltausübung in den eigenen vier Wänden gehört nach Ansicht von Experten zu der am weitesten verbreiteten Form der Gewalt in unserer Gesellschaft. Dennoch ist die Gewaltausübung im häuslichen Bereich lange tabuisiert und bagatellisiert worden. Aber auch häusliche Gewalt ist Gewalt. Sie ist kein Kavaliersdelikt und sie ist auch keine Privatsache.

(Beifall beim SSW)

Das Schlagen hinter der Wohnungstür ist genauso Gewaltausübung wie das Schlagen auf offener Straße. Auch im häuslichen Bereich sind körperliche und seelische Misshandlungen, Vergewaltigung oder sexuelle Nötigung Straftaten und müssen als solche vom Staat verfolgt werden. Kinder und Jugendliche, die selbst Opfer von Gewalt wurden, die bei der Gewaltausübung in der Familie zusahen, werden später als Erwachsene mit größerer Wahrscheinlichkeit selber Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten anwenden als Kinder ohne Gewalterfahrung. Auch um aus früheren Opfern später keine Täter werden zu lassen, muss deshalb häusliche Gewalt als gesellschaftliches Problem wahr- und ernst genommen und es müssen Wege zur Eindämmung dieser Form der Gewalt gefunden werden.

Der bisherige Weg, Frauen und ihren Kindern in Frauenhäusern Schutz zu bieten, hat Leid lindern helfen. Die Opfer sind vor den Tätern geflohen. Das Wegweiserecht bei häuslicher Gewalt gibt dagegen den Opfern Schutz in der eigenen Wohnung und weist die Täter aus. Wer gewalttätig ist, muss gehen. Nur wenn die Täter für ihr strafbares Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, kann eine Enttabuisierung und gesellschaftliche Ächtung von Gewalt in der Familie erreicht werden.

Unsere europäischen Nachbarn, allen voran Österreich, aber auch Baden-Württemberg haben bereits eindrucksvoll vorgemacht, dass auf diesem Wege Menschen geschützt und Gewalt vermieden werden kann. Denn bereits die Androhung der Wegweisung hat abschreckende Wirkung. Bereits von Juni 2000

(Dr. Christel Happach-Kasan)

bis November 2001 lief in Baden-Württemberg der Modellversuch zu Platzverweis in Fällen häuslicher Gewalt, ein zumindest von der Aussprache her besserer Titel für das Verfahren, Täter aus der Wohnung zu verweisen. Es ist mir unverständlich und nicht ganz nachvollziehbar, warum die Landesregierung nicht mit dem Verfahren auch den in Baden-Württemberg eingeführten Namen übernommen hat. Der Modellversuch in Baden-Württemberg war sehr erfolgreich und ist auch umfangreich und inhaltlich sehr sorgfältig dokumentiert. Auf 50 Seiten sind die wesentlichen Fragen abgehandelt und ausgesprochen kompetent behandelt worden. Die Erfahrungen in BadenWürttemberg zeigen, dass anders, als man erwarten konnte, die Platzverweise nicht zu einem Rückgang der Belegungszahlen der Frauen- und Kinderschutzhäuser geführt haben. Es ist offensichtlich, dass durch das Platzverweisverfahren viele Gewaltfälle offenkundig wurden, die früher in der Privatsphäre blieben.