- Wenn niemand aufseiten der Regierung in der Lage ist, den Bericht der Landesregierung abzugeben - -
(Klaus Schlie [CDU]: Die Ministerin ist da! - Ministerin Ute Erdsiek-Rave: Ich wurde auf- gehalten!)
- Wir sind nun wieder bei der Struktur der Diskussion, die das Protokoll vorsieht. Zunächst kommt der Bericht der Landesregierung, und zwar gehalten von der zuständigen Ministerin. Frau Erdsiek-Rave, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor gut acht Monaten, am 30. Januar, hat der Deutsche Bundestag über den 2. Zwischenbericht der Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ entschieden. Das neue Stammzellgesetz ist am 1. Juli 2002 in Kraft getreten. Am 7. Juli hat die Bundesregierung die anschließende Verordnung über die zentrale Ethikkommission beschlossen. Damit ist ein Weg gefunden worden, die Freiheit von Forschung und Lehre mit dem Anspruch auf Würde und Schutz des Menschen zu verbinden.
Die Stammzellforschung ist seither in Deutschland verbindlich geregelt, wobei vor allem die Arbeit an embryonalen Stammzellen nicht nur im Deutschen Bundestag, sondern auch in den Medien und ebenso hier im Landtag intensiv diskutiert worden ist. Es ging dabei insbesondere um die Fragen: Wann beginnt das Leben? Welche embryonalen Stammzellen dürfen überhaupt verwendet werden? Hier haben wir jetzt Klarheit. Bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen, die aus überzähligen humanen Embryonen gewonnen worden sind, entstanden bei der Invitro-Fertilisation, dürfen nur solche verwendet werden, die aus bereits bestehenden Stammzellen stammen, mit der so genannten Stichtagsregelung 1. Januar 2002.
Die Forschung mit adulten Stammzellen ist während dieser heftigen Debatten oftmals aus dem Blick geraten. Von nicht absehbaren Ergebnissen war die Rede, vom geringen Potenzial dieser Forschung und von der
langfristigen Arbeit, die noch vor den Forschern liegt. Diese Wahrnehmung hat sich meines Erachtens deutlich verändert. Diese Forschung ist nicht nur ethisch unbedenklich, sie hat an Intensität und auch an Ergebnisqualität deutlich zugenommen. Das zeigen internationale Veröffentlichungen zu diesem Thema.
Auch das entspricht dem Gesetz, das adulten Stammzellen oberste Priorität einräumt. Die Forschung erfolgt an der Klinik für Allgemeine Chirurgie und Thoraxchirurgie der CAU, am Institut für Immunologie und Transfusionsmedizin und im Bereich Hämathologie und Onkologie der Medizinischen Klinik an der Uni Lübeck sowie in der Abteilung für Immunologie und Zellbiologie am Forschungszentrum Borstel.
Diese Forschungen an den Hochschulen werden institutionell durch das Land gefördert. Die Forschungsaktivitäten werden in Borstel darüber hinaus vom Bund und von der Ländergemeinschaft mitfinanziert. Natürlich werben diese Einrichtungen auch Drittmittel ein, insbesondere beim entsprechenden Bundesministerium, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft und bei der EU.
Die therapeutischen Möglichkeiten der Stammzellforschung sind bei weitem noch nicht absehbar. Aber klar ist: Dieser Wissenschaftszweig hat gewaltige Fortschritte gemacht und das anfänglich starke Forscherinteresse an embryonalen Stammzellen hat sich inzwischen zugunsten der Arbeit mit adulten Stammzellen etwas relativiert. Es hat sich nämlich gezeigt, dass auch diese Zellen das Potenzial haben, sich in unterschiedliche Gewebetypen zu differenzieren. Um verwertbare Ergebnisse gibt es derzeit - so kann man es wohl sagen - einen internationalen Wettlauf der Forscher. Die wissenschaftliche Arbeit an embryonalen Stammzellen wird dadurch nicht überflüssig werden. Es ist eher davon auszugehen, dass sich beide Forschungsrichtungen nebeneinander, vielleicht an der einen oder anderen Stelle auch miteinander, weiterentwickeln.
Von der gesetzlich geregelten Forschung im Labor bis zur Therapie der Wahl ist es ein weiter Weg. Wenn es dort möglich ist, aus Stammzellen sozusagen zuckende Zellen herzustellen, kann man damit noch nicht automatisch etwa Herzmuskelbereiche reparieren, die infolge eines Infarkts oder eines Herzfehlers irreparabel geschädigt sind. Dennoch ist die Stamm
zellforschung mit ihrer Option, schwerwiegende Erkrankungen zu heilen, kein bloßer Menschheitstraum mehr. Bei Leukämie oder bei bösartigem Lymphom wird sie bereits erfolgreich eingesetzt und an der interdisziplinären Stammzelltransplantationseinheit des Universitätsklinikums Lübeck konnten im letzten Jahrzehnt oder - genauer gesagt - seit 1995 etwa 140 Patienten mit autologen, also mit körpereigenen Stammzellen, therapiert werden. Mit hohen Erwartungen begleiten und unterstützen wir die Arbeiten der Forscher Professor Fändrich und Professor Kremer und ihrer Forschergruppe an der Kieler Universitätsklinik, wo bedeutende Patententwicklungen gelungen sind. Sie können sich darüber etwa im neuesten „Spektrum der Wissenschaft“ oder bei „Nature“der amerikanischen Wissenschaftszeitschrift, informieren.
Wie sich die biomedizinische Forschung weiterentwickeln wird, welche Therapien langfristig möglich sein werden, ist im Augenblick noch nicht abzusehen. Aber dass es sie geben wird, ist sehr wahrscheinlich. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass innerhalb der nächsten fünf Jahre verschiedene neue Therapieversuche entwickelt und angewandt werden. Wir setzen in die möglichen Ergebnisse dieser Forschung vor allen Dingen deshalb große Hoffnungen, weil sie ethisch unbedenklicher ist. Wir unterstützen diese biomedizinische Forschungsrichtung mit Nachdruck. Sie ist bereits heute in Schleswig-Holstein gut etabliert und gehört zweifellos zu den Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Wir versprechen uns davon erhebliche therapeutische Fortschritte und auch die Sicherung des medizintechnologischen und des wissenschaftlichen Standorts Schleswig-Holstein.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion der CDU hat die Frau Abgeordnete Schmitz-Hübsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also irgendwie habe ich den Eindruck, dass unser Berichtsantrag der Landesregierung nicht so recht gefallen hat. Einen derart knappen und teilweise dürftigen Bericht habe ich noch nicht gesehen. Gerade sechseinhalb Seiten ist der Landesregierung die Antwort an die CDU-Fraktion wert. Die CDU hatte nur fünf Fragen gestellt und dabei eine Unter-anderem-Formulierung verwendet, sodass reichlich Platz für eigene Ausschmückungen der Landesregierung gewesen wäre. Doch sie hat diese Chance nicht genutzt, son
dern lediglich zwei Seiten mit wenigen Sätzen über die Bedeutung der Stammzellforschung und den Begriff der Stammzelle gefüllt.
Die von uns gestellten Fragen, Frau Heinold, werden dann auf viereinhalb Seiten so karg wie möglich beantwortet. Verglichen mit den bestellten Berichtsanträgen der SPD-Fraktion, bei denen hinterher 100 Seiten herauskommen, ist das wirklich eine knappe Geschichte, die uns hier vorgelegt worden ist.
Auf die Frage, wo in Schleswig-Holstein auf dem Gebiet der Stammzellforschung geforscht wird, kommt die barsche Antwort, das geschehe an den Hochschulen in Kiel und Lübeck und am Forschungszentrum in Borstel. Was geforscht wird, in welche Richtung und mit welchem Ziel, wird nicht gesagt, gerade einmal die Namen der Institute werden genannt.
Die Fragen nach den Vor- und Nachteilen der Stammzellforschung, nach den Therapiechancen und nach dem Zeithorizont der zukünftigen Anwendungen werden sachlich und kühl beantwortet. Auch hier gibt es kein Wort zuviel.
Richtig einsilbig aber wird der Bericht bei der öffentlichen Förderung der Stammzellforschung in Schleswig-Holstein. Diese Antwort, Frau Ministerin, kommt glatt einer Leistungsverweigerung gleich. Wir hatten gefragt, mit welchen öffentlichen Mitteln die Stammzellforschung durch das Land, den Bund, die EU und andere Institutionen gefördert wird. Die Antwort lautet: Ja, es gibt Förderung von Land, Bund, EU und aus Drittmitteln. Im Übrigen seien die medizinischen Fakultäten der Universitäten Lübeck und Kiel Einrichtungen des Landes und erhielten für Forschung und Lehre Landeszuschüsse. Kein Wort findet sich über die Höhe der Gesamtförderung, kein Wort über die Mittel, die die einzelnen politischen Ebenen in dieses Feld investieren.
Ich habe mich also gefragt: Weshalb ist die Regierung so ungewohnt wortkarg?. Schließlich hat das Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur für die Erstellung des Berichts fast vier Monate gebraucht. Ich habe ebenfalls eine Weile für die Suche nach der richtigen Antwort gebraucht. Erst habe
ich gedacht, das Sujet Stammzellforschung sei der Landesregierung nicht angenehm, politisch nicht korrekt genug oder Ähnliches. Aber dann fand ich den folgenden Satz in der Einleitung des Berichtes:
„Im Rahmen der Biotechnologie ist die Stammzellforschung ein zukunftsträchtiges Gebiet, das mit einem hohen Innovationspotenzial verbunden ist.“
Frau Ministerin, Sie haben auch vorhin sehr deutlich gemacht, wie sehr Sie die adulte Stammzellforschung schätzen. Die erste Vermutung, dass Ihnen das nicht passt, war also von mir völlig falsch.
Dann habe ich gedacht, das Ministerium ist vielleicht nicht darüber informiert, mit welchen Mitteln die Stammzellforschung gefördert wird. Vielleicht hat eine arme Seele den Ordner verlegt. Aber auch diese Möglichkeit habe ich verworfen. Ich glaube nicht, dass es in kurzer Zeit gleich zwei arme Seelen im Bildungsministerium gibt. Außerdem heißt das Ministerium ja auch Ministerium für Wissenschaft und Forschung; die werden doch einen Überblick darüber haben, was in ihrem Laden läuft und wofür welche Mittel bereitgestellt werden.
Endlich glaubte ich doch die Lösung gefunden zu haben: Das Ministerium konnte nichts über Förderung durch das Land berichten, weil es anscheinend keine besondere Förderung gibt. Auch eben, Frau Ministerin, haben Sie gesagt, dass Sie das mit allem Nachdruck unterstützen, doch nirgendwo findet sich eine Angabe über einen Cent oder einen Euro oder wie viel auch immer.
Wenn die Universitäten die Forschung aus den allgemeinen Landeszuschüssen bezahlen sollen, dann muss es dort doch düster aussehen. Bekanntlich sind die Zuschüsse an die Hochschulen in den vergangenen Jahren mehr oder weniger überrollt worden. Sie sind real sogar gesunken, weil das Land die Tarifsteigerungen bei den Personalkosten nicht ausgleicht und für eine besondere Forschungsförderung dann einfach kein Geld mehr übrig bleibt. Eben das konnte und wollte das Ministerium anscheinend in den Bericht nicht aufnehmen. Dafür habe ich ja auch Verständnis. Es könnte dann ja deutlich werden, dass es doch nicht so toll ist mit dem Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein und der besonderen Förderung und Innovation, obwohl wir all diese Worte immer in den Sonntagsreden finden.
Dieser klägliche Bericht - es tut mir leid - gibt die klägliche Situation Ihrer Politik im Bereich der For
schungsförderung wieder. Wenn es anders ist, Frau Ministerin, dann verstehe ich nicht, weshalb Sie das nicht hineingeschrieben haben. Sie räumen selbst ein, dass die Stammzellforschung ein zukunftsträchtiges Gebiet ist. Wir haben im Land die wissenschaftlichen Einrichtungen, an denen diese Forschung geleistet werden kann, aber das geht da dann doch nicht, weil wegen einer verfehlten Finanzpolitik die Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden können. Das - es tut mir Leid, das zu sagen - ist ein einziges Armutszeugnis.
(Beifall bei der CDU - Jürgen Weber [SPD]: So viel Blödsinn habe ich lange nicht mehr gehört! - Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl nach 24 Uhr ge- schrieben!)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich finde, es ist ein guter Bericht, der die Dinge konzentriert auf den Punkt bringt. Qualität geht eben immer noch vor Quantität.
Von daher möchte ich mich bei Ihnen, Frau Ministerin, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diesen Bericht bedanken.
Die Bedeutung der medizinischen Forschung mit adulten Stammzellen hat für mich spätestens seit dem Beschluss des Deutschen Bundestages im letzten Jahr, im Prinzip keine Einfuhr embryonaler Stammzellen nach Deutschland zuzulassen, an Bedeutung gewonnen.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich, dass der Gesetzgeber den Import und den Verbrauch embryonaler Stammzellen, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden, unter strengen Voraussetzungen zulässt. Dies können Sie auch im vorgelegten Bericht nachlesen. Ich erwähne es dennoch, weil ich es für die weiteren Betrachtungen für wichtig halte.
Wir haben in diesem Haus im Zusammenhang mit der Stammzellforschung bereits ausgiebig über die ethischen Fragen diskutiert. Gerade in der Frage der Forschung mit embryonalen Stammzellen gibt es über die Parteigrenzen hinweg unterschiedliche Auffassungen. Dennoch hat sich der Landtag in seiner Sitzung am 12. Juli 2001 mit den Stimmen von SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Einfuhr embryonaler Stammzellen ausgesprochen. Ich unterstütze daher ausdrücklich folgende Aussage, zu der die Landesregierung in ihrem Bericht kommt:
„Ethische und rechtliche Überlegungen sowie die noch nicht ausgeschöpften Chancen der Forschung mit adulten Stammzellen unterstützen die Auffassung der Landesregierung, die adulte Stammzellforschung vorrangig zu betreiben und zu intensivieren.“