Protokoll der Sitzung vom 11.10.2002

„Ethische und rechtliche Überlegungen sowie die noch nicht ausgeschöpften Chancen der Forschung mit adulten Stammzellen unterstützen die Auffassung der Landesregierung, die adulte Stammzellforschung vorrangig zu betreiben und zu intensivieren.“

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Für die medizinische Forschung ist die adulte Stammzelle erwachsener Menschen ein guter Weg, die Erforschung von Krankheiten und die Entwicklung von Behandlungsmethoden voranzubringen, ohne das Risiko ethischer Grundsätze zu verletzen.

Ich bin froh darüber, dass die Landesregierung in ihrem Bericht zum Ausdruck bringt, dass sie den wirtschaftlichen Zielen im Bereich der Stammzellforschung ein schwächeres Gewicht beimisst als der Einhaltung der durch Ethik und Recht gesetzten Grenzen. Ich unterstütze die Aussage, dass die gesellschaftliche Bedeutung der Forschung mit Stammzellen primär in der medizinischen Hoffnung auf Heilung schwerer Erkrankungen liegt.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich erspare Ihnen an dieser Stelle eine Wiedergabe des Inhalts des Berichts der Landesregierung. Sie selbst sind in der Lage, sollte ich Ihr Interesse geweckt haben, Details nachzulesen. Ich persönlich kann es Ihnen nur empfehlen, macht dieser Bericht doch deutlich, dass die Wissenschaft in unserem Lande mit dazu beiträgt, den Menschen bei der Bewältigung bisher noch nicht besiegbarer Krankheiten Hoffnung zu machen.

Zum Schluss möchte ich Ihnen noch einen Gedanken nahe bringen, der auch mir nicht so geläufig war. Es geht um die wirtschaftlichen Aspekte adulter beziehungsweise embryonaler Stammzellen. Adulte Stammzellen sind durch patentierbare Verfahren für Therapien für den nutzbar zu machen, von dem sie entnommen wurden. Es handelt sich dabei um Verfahren im Rahmen einer jeweils individuellen Therapie. Embryonale Stammzellen sind Rohstoffe, die für

die Herstellung von Zellprodukten eingesetzt werden sollen. Diese sind industriell produzierbar, als Stoff patentierbar und sollen dann als Produkt in Apotheken zu kaufen sein. Deshalb sind embryonale Stammzellen für Kapitalanleger mit hoher Risikobereitschaft lohnend. Adulte Stammzellen dagegen sind für Patienten, die Hoffnung auf baldige Hilfe setzen, interessant.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Hoffnung besteht darin, dass wir künftig die adulte Stammzellforschung der Forschung mit embryonalen Stammzellen vorziehen werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Bericht der Landesregierung über die in Schleswig-Holstein betriebene Forschung mit adulten menschlichen Stammzellen ist in der Tat nicht sehr umfangreich, wie es Frau Schmitz-Hübsch festgestellt hat. Er ist aber deswegen durchaus nicht inhaltsleer.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelte bei der SPD)

Ich bedanke mich bei der Ministerin dafür, dass sie in ihrer Rede noch einige Positionen deutlich gemacht hat, nämlich dass wir die Forschung sowohl an adulten wie an embryonalen Stammzellen brauchen.

(Beifall bei der FDP - Jürgen Weber [SPD]: Sehr richtig!)

Frau Ministerin, ich bedanke mich für dieses Statement. Ich hätte mir gewünscht, dass sich auch die CDU in dieser Richtung geäußert und nicht nur über den Bericht gemeckert hätte.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich betone aber auch, dass ich die Botschaft dieses Berichts in manchen Punkten als zwiespältig empfinde. Wir erfahren, dass an den Universitäten in Kiel und Lübeck sowie am Forschungszentrum Borstel Forschungen an adulten Stammzellen durchgeführt werden. Es ist wichtig festzustellen, dass bei der Behandlung bösartiger Krankheiten, Blutkrankheiten und maligner Lymphome bereits adulte Stammzellen

(Dr. Christel Happach-Kasan)

in der Therapie verwandt werden. Deshalb ist es wichtig, in der gesamten Diskussion über embryonale Stammzellen die adulten Stammzellen nicht aus den Augen zu verlieren. Das ist ein wichtiger Punkt.

Als weitere Perspektiven werden die Behandlung von Diabetes und neurologischen Erkrankungen, die Züchtung von Knorpeln und die Regeneration von Herzgeweben genannt.

Das Gesetz zum Import von Stammzellen, das der Bundestag im letzten Jahr beschlossen hat, geht von der Vorstellung aus, dass die Forschung auf menschliche adulte Stammzellen sowie auf Stammzellen tierischer Herkunft konzentriert werden sollte. Daher ist die Frage von besonderem Interesse, ob durch diese Beschränkung der Forschung auf adulte Stammzellen gleichzeitig auch eine Beschränkung in den Therapiemöglichkeiten eintritt. Dahinter steht die Hoffnung, dass adulte Stammzellen dieselben Chancen wie embryonale Stammzellen bieten und so die von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen kritisierte Verwendung embryonaler Stammzellen vermieden werden kann. Daher wird im Bericht die Pressemitteilung amerikanischer Forscher herausgestellt, die adulte Stammzellen im Knochenmark mit großem Entwicklungspotenzial entdeckt haben wollen. Leider bleibt im Bericht unerwähnt, dass diese Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind und bisher niemand diese Versuche hat nachvollziehen können.

Auch die enttäuschenden Ergebnisse britischer Forscher bei ihrer Arbeit an adulten Blutstammzellen bleiben unerwähnt. Die Zellen zeigten ein großes Entwicklungspotenzial bei Versuchen in der Petrischale, im Körper jedoch entwickelten sich aus den Blutstammzellen ausschließlich Blutzellen. Das heißt: Wir können uns nicht einfach zurückziehen und sagen, mit adulten Stammzellen geht es, sondern wir werden uns weiterhin mit der Frage embryonale Stammzellen beschäftigen müssen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Der Bericht der Landesregierung macht insofern zu Recht deutlich, dass adulte Stammzellen nicht das gleiche Einsatzspektrum bei der Entwicklung von Therapiemöglichkeiten bei bis jetzt nicht heilbaren Krankheiten haben wie embryonale Stammzellen. Eine Entwicklung von Therapien zum Beispiel für angeborene und erworbene Stoffwechselkrankheiten, degenerative Nerven- und Muskelkrankheiten ist nur bei Verwendung embryonaler Stammzellen denkbar. Die Hoffnung, dass auch bei einer Beschränkung der Forschung auf adulte Stammzellen dieselben Chancen auf Therapien bestünden wie bei der Forschung mit

embryonalen Stammzellen, hat sich bisher nicht erfüllt.

Ministerin Erdsiek-Rave hatte im vergangenen Jahr in ihrem bemerkenswerten Redebeitrag zum Thema Stammzellforschung gesagt, sie sei zutiefst davon überzeugt, dass sich die Gewinnung von Erkenntnissen nicht verbieten lasse. In anderen Ländern der EU wird die bei uns vorherrschende Haltung nicht geteilt. Es ist möglich, dass durch die embryonale Stammzellforschung Gewebetherapien für Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose oder Parkinson entwickelt werden. Wir alle kennen diese Krankheiten. Viele von uns haben Verwandte und Freunde, die an ihnen leiden. Wir müssen darauf vorbereitet sein, kranken Menschen zu sagen, warum ihnen bestimmte Therapien in Deutschland nicht zur Verfügung stehen. Diese Menschen werden sich, wenn sie es sich leisten können, Hilfe im Ausland suchen.

Ich will nur daran erinnern, wie im Augenblick der Stand bei der PID ist. Bereits jetzt ist erkennbar, dass Paare, die ein hohes Risiko für die Weitergabe einer genetischen Krankheit tragen, Kontakt zu den Zentren für Präimplantationsdiagnostik in Belgien und den Niederlanden aufnehmen. Es ist auch deutlich, dass Menschen, die einer Hochrisikogruppe angehören, über die PID anders als andere denken. In einer vom Bundesforschungsministerium geförderten Studie lehnten 11 % der Menschen in der Hochrisikogruppe, aber 27 % der Menschen in der Kontrollgruppe die PID ab. Ich will auch darauf hinweisen, dass die befragten Paare in beiden Gruppen die PID befürworteten.

Die ethischen Bedenken gegen die Verwendung embryonaler Stammzellen zur Verwendung in der Forschung sind schwerwiegend. Die Ängste in der Bevölkerung dürfen nicht einfach hinweggewischt werden, die Hoffnungen kranker Menschen, durch neue Therapien Hilfe zu erhalten, aber genauso wenig. Mit dem Beharren auf fundamentalistischen Standpunkten ist niemandem geholfen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Deutschland blockiert zurzeit zusammen mit Italien und drei weiteren Staaten die Freigabe eines EUForschungsbudgets in Höhe von 17,5 Milliarden € für das 6. Forschungsrahmenprogramm. Hintergrund dieser Blockade sind die unterschiedlichen Vorstellungen der EU-Länder zur embryonalen Stammzellforschung.

Ich hatte eigentlich vorgehabt, noch einen weiteren Beitrag zu zitieren. Darauf verzichte ich. Ich wünsche mir aber, dass wir in Deutschland weiterhin da

(Dr. Christel Happach-Kasan)

ranbleiben, über Stammzellforschung und Therapiemöglichkeiten zu diskutieren und diesen gesellschaftlichen Diskurs zu einem glücklichen Ende zu führen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fröhlich.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht erst seit der Bundestagsdebatte über den umstrittenen Import embryonaler Stammzellen steht die Forschung an Stammzellen im Brennpunkt der öffentlichen Diskussion. Hierfür sind zwei Gründe ausschlaggebend. Zum einen stehen die Möglichkeiten der medizinischen Behandlung und Heilung schwerwiegender Erkrankungen im Vordergrund. Hier beginnt aber ebenso die Debatte um den wirtschaftlichen Vorsprung und Gewinn und finanziellen Vorteil der Patente und Nutzungsrechte dieser Behandlungsmethoden. Darauf hat dankenswerterweise Herr Beran auch hingewiesen. Ich finde es ein bisschen schade, Frau Schmitz-Hübsch, dass durch Ihren Beitrag die Chance dieser Debatte zunächst einmal verloren zu gehen schien, aber ich fand, dass sie dann in den folgenden Beiträgen doch gewonnen hat.

Zum anderen - dies ist wohl die strittigere Debatte - geht es um ein Abwägen der ethischen und moralischen Fragestellungen, die insbesondere die Forschung an und Nutzung von embryonalen Stammzellen mit sich bringt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben den gesellschaftlichen Diskurs aktiv vorangetrieben und leisten einen wichtigen Beitrag zur Beantwortung dieser Fragen. Wesentlich sind für uns folgende Grundsätze: Menschenrechte und Menschenwürde haben oberste Priorität, die Sicherheit für Mensch und Umwelt muss gewährleistet sein, mögliche Risiken müssen sorgfältig gegenüber Heilungschancen kranker Menschen abgewogen werden, die Vielfalt menschlichen Lebens muss gewahrt bleiben, Entscheidungen über neue Technologien müssen demokratisch und transparent sein, eine Folgenabschätzung muss gewährleistet sein, der Forschungsdiskurs soll möglichst breit angelegt sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Tatsächlich geht es natürlich auch um die Frage, ob die Gesellschaft sich selbst Grenzen setzen möchte für das, womit sie umgehen möchte. Das ist eine ernste und gewichtige Fragestellung. Das haben wir zum

Beispiel gestern bei der Frage des Korruptionsregisters von Ihnen sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben bekommen und ich finde, nicht ganz zu Unrecht. Heute setzen wir sozusagen Grenzen, ich jedenfalls mit meiner Partei. Ich habe auch Herrn Beran so verstanden, dass wir sagen, wir haben uns bestimmte gesetzliche Grenzen gesetzt, was die Verwendung embryonaler Stammzellen angeht, und an diesen Grenzen wollen wir uns zunächst einmal orientieren und nicht als erstes darüber nachdenken, ob wir sie umschmeißen sollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In letzter Konsequenz hat aber auch der Bundestagsbeschluss zur Stammzellforschung die grundsätzliche Debatte nicht beendet. Das kann ein solcher Beschluss auch nicht. Insofern hatte Frau Erdsiek-Raves Wort von der Unmöglichkeit, Gedanken zu begrenzen, Erkenntnisse zu begrenzen, wie Sie es zitiert haben, völlig Recht. In jedem Fall hat er aber doch mehrheitlich einen akzeptablen und pragmatisch handhabbaren Weg des Umgehens mit der derzeitigen Situation gezeigt. Ich will nicht verschweigen, dass dies nicht mein Weg ist. Das ist ja auch bekannt, das muss ich nicht wiederholen.

Wir verfolgen also deswegen gerade mit Hoffnung die Fortschritte der Forschung an adulten Stammzellen und die damit zu erwartenden Möglichkeiten bei der Therapie vieler Krankheiten. Wir unterstützen die Bundesregierung bei ihrer Politik, diese Forschung umfassend zu fördern. Umso willkommener war mir im Mai dieses Jahres der von Frau SchmitzHübsch eingebrachte Antrag zur Forschung an adulten Stammzellen in Schleswig-Holstein. Ich finde, Sie haben Unrecht, wenn Sie sagen, dass sich der Wert eines Berichtes an seiner Dicke ermessen lässt. Ihren Berichtsantrag haben wir ja dann auch einstimmig beschlossen.

Der heute vorliegende Bericht bestätigt mich in meiner grundsätzlichen Auffassung und stimmt mich für die Zukunft, gerade was den Standort SchleswigHolstein betrifft, optimistisch, denn es ist keineswegs ausgemacht, welche Chancen tatsächlich mit embryonalen Stammzellen erreichbar sind. Es gibt noch keine nachweisbaren Therapieerfolge in diesem Bereich.

(Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

Es gibt auch da natürlich Laborerfolge, aber keine wirklichen Therapieerfolge.

Mit meinem Konzept von Menschenwürde unvereinbar ist die Forschung an embryonalen Stammzellen, denn sie öffnet ein Tor sperrangelweit, und wir

(Irene Fröhlich)

sollten uns hüten, dieses Tor zu öffnen, denn hierfür müssen Embryonen getötet werden. Diese so genannte verbrauchende Embryonenforschung lehne ich nach wie vor ab.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])