Protokoll der Sitzung vom 14.11.2002

Ich erteile das Wort nun dem Herrn Abgeordneten Benker. Er hat sich schon vor einer ganzen Weile auf den Weg zum Rednerpult gemacht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vielen Dank, dass Europa noch zu Wort kommt. Denn in diesem Bericht wird deutlich, Europapolitik ist auch Landespolitik.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Manfred Ritzek [CDU])

Es wird hier einmal mehr bewusst gemacht, dass wir schon lange nicht mehr auf dem Weg nach Europa sind, sondern dass es darum geht, den Weg in Europa mit zu beschreiten und mit zu gestalten. Dieses Mitgestalten wird häufig in der subjektiven Empfindung und auch an Biertischen so mit „die da in Brüssel machen das schon“ konterkariert.

Mit diesem Bericht wird bewiesen, dass es umgekehrt ist.

Erstens. In der europäischen Beschäftigungsstrategie ist bei den Förderungen erstmalig mit der offenen Koordinierungsmethode bis auf die lokale Ebene eine Mitwirkung sichergestellt.

Zweitens. In Brüssel hat sich vielleicht früher als anderswo die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Beschäftigungsprobleme nicht nur konjunkturell, sondern auch strukturbedingt sind. Deshalb gibt es ja auch Fördermittel, um die Strukturen zu ändern.

Drittens. Da Sie vorhin das Wachstum angesprochen haben, Herr Kalinka: Bei aller Wertschätzung der

(Hermann Benker)

Debatte um die Steigerung des Wachstums: Wachstum ist nur in Verbindung mit beschäftigungsorientierten Maßnahmen sinnvoll. Sonst nicht.

(Beifall bei der SPD)

Viertens. Auch das Hartz-Papier wird in der europäischen Beschäftigungsstrategie hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsverwaltung angesprochen. Es gehört also auch zu diesem Bereich. Über die Förderung durch den Europäischen Sozialfonds bei der Beschäftigung von Arbeitslosen wird es geradezu zu einem Baustein der europäischen Beschäftigungsstrategie.

Dass diese Strategien erfolgreich sind, wird deutlich, wenn man den Blick über Schleswig-Holstein hinauslenkt. Die Beschäftigungszahlen auf europäischer Ebene zeigen, dass seit 1997 im EU-Raum 10 Millionen Arbeitsplätze geschaffen worden sind.

(Martin Kayenburg [CDU]: Wo denn?)

Selbst alle Insolvenzen gegengerechnet bleibt noch ein Nettogewinn von 5 Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze. Unter den 10 Millionen geschaffenen Arbeitsplätze sind 6 Millionen für Frauen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nicht in Deutsch- land! - Martin Kayenburg [CDU]: In Euro- pa! - Zurufe von der SPD)

- Der Anteil in Europa! Natürlich. Insofern teile ich Ihre Auffassung und ich komme am Schluss noch einmal auf die Kontrolle, die wir durchzuführen haben. Auch unser Bericht wird ja einer Evaluierung zugeführt werden. Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass wir in Schleswig-Holstein gut aussehen.

(Widerspruch des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Die Beschäftigung vor Ort zu fördern, nämlich eine lokale Dimension für die europäische Beschäftigungsstrategie einzuführen, hat lange gedauert. Aber heute herrscht Übereinstimmung, dass die Mobilisierung der lokalen Akteure erheblich zum Erfolg der beschäftigungspolitischen Maßnahmen beigetragen hat. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Durchführung des Regionalprogramms 2000, wo es auch Europamittel gibt. Dort zeigt sich geradezu exemplarisch, wie in der Basis begonnen wird, wie mit Geschäftsstellen gearbeitet wird und wie mit Beiräten gearbeitet wird und wie Projektentwicklungsgesellschaften helfen, Ideen und Beratung gleichermaßen zuteil werden zu lassen. Und selbst kurz vor der IMAGEntscheidung werden die Landräte noch einmal hinzugezogen. Das ist die offene Koordinierungsmethode gerade in dieser Doktrin der europäischen Be

schäftigungsstruktur und sie ist erfolgreich, das sage ich Ihnen ganz deutlich.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind auch in der Diskussion aktuell. Denn im Arbeitsprogramm der Kommission für das Jahr 2003 wird die Überprüfung der europäischen Beschäftigungsstrategie stehen. Am 18. November 2003 wird im Europäischen Rat und am 20. November im Europäischen Parlament darüber zu beraten sein.

Bezüglich der anstehenden Evaluierung bin ich der Auffassung - das sage ich ganz deutlich -, dass Schleswig-Holstein eine gute Figur macht, nicht nur wegen des Regionalprogramms 2000, sondern auch wegen des Programms „Arbeit für SchleswigHolstein“ und wegen des Programms „ziel“ - Zukunft im eigenen Land -; wir haben in diesen Programmen einen ganzheitlichen Ansatz, in dem die Akteure der lokalen Ebene über die Verbände und andere beteiligt sind, so wie es in der europäischen Beschäftigungsstrategie gefordert wird.

Die europäische Dimension - das hat Frau Ministerin Moser nicht ausgeführt, aber Sie können es alles nachlesen - nimmt in diesem Bericht einen breiten Raum ein. Und weil Europapolitik immer auch Landespolitik ist, zeigt dieser Bericht auch, dass er einer der modernsten ist, die wir bisher vorgelegt bekommen haben.

Ich verweise den Rest der Abgeordneten, die noch hier sind, auf die Internetfundstellen, die weitere Erläuterungen zu dem geben, was ich hier gesagt habe. Mir bleibt nur Dank zu sagen für den Bericht. Ich beantrage die Überweisung federführend an den Europaausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss.

(Beifall bei der SPD - Dr. Heiner Garg [FDP]: Nein, nein!)

Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Garg.

(Zuruf von der SPD: Wo ist seine Fraktion?)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann ganz für mich allein sprechen und vielleicht hört ja der eine oder die andere aus meiner Fraktion an den Lautsprechern zu. Ich weiß es nicht.

(Klaus Schlie [CDU]: Das wünschen wir Ih- nen!)

- Das wünsche ich mir auch.

(Dr. Heiner Garg)

Sehr geehrter Herr Kollege Benker, trotz der fortgeschrittenen Zeit möchte ich doch allen noch einmal kurz klarmachen: Wenn Sie weiterhin so bei den Problemen, die wir haben, sowohl in SchleswigHolstein als auch in der Bundesrepublik, als auch in der Europäischen Union, den Versuch machen zu sagen, das sei alles prima und das werde schon werden, dann ist das nicht in Ordnung.

(Zuruf des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

- Herr Fischer, ich habe weder gesagt, es sind die Arbeitslosen von Frau Ministerin Moser noch habe ich gesagt, es seien die Arbeitslosen von Bundeskanzler Schröder. So einfach ist das nicht. Das Problem ist Folgendes: Wir müssen endlich eine ehrliche Analyse auf den Tisch legen, warum wir hier in SchleswigHolstein weiter steigende Arbeitslosenzahlen haben. Wir haben sie nun einmal und das müssen wir endlich einmal zur Kenntnis nehmen und dann müssen wir uns überlegen, woran das liegt und was man dagegen tun kann. Die Ministerin hat den einen Aspekt betont. Sie wissen ganz genau, dass die FDP-Fraktion den Ansatz der aktiven Arbeitsmarktpolitik insbesondere beim ASH 2000 bisher konstruktiv kritisch unterstützt. Das ist der eine Punkt.

(Unruhe)

Der andere Punkt, auf den ich ebenfalls hinweisen möchte, ist ein wirtschaftspolitischer Punkt. Es ist dies ein ganz zentraler Punkt. Denn Arbeitsplätze werden weder von Frau Moser noch von Frau Schmidt noch von sonst einem Politiker geschaffen. Arbeitsplätze werden sowohl in Schleswig-Holstein als auch in der Bundesrepublik und auch in Europa von den Unternehmern geschaffen. Für sie müssen wir vernünftige Rahmenbedingungen schaffen.

(Beifall bei der CDU)

Ich will in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit diejenigen, die es interessiert, erstens auf meine Pressemitteilung hinweisen, die sich sehr kritisch konstruktiv mit dem Bericht befasst. Zweitens möchte ich einen einzigen aber ganz zentralen Punkt herausgreifen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kommission hat am 12. November 2002 eine Analyse der Fortschritte veröffentlicht, die im fünften Jahr der Umsetzung der so genannten europäischen Beschäftigungsstrategie erzielt wurden. Diese Analyse basiert auf den Umfragen der Mitgliedstaaten im Frühjahr. Insgesamt stellt die Kommission fest, dass die Europäische Union auf dem richtigen Weg ist und trotz der schwachen Kon

junktur Fortschritte beim Beschäftigungswachstum erzielt hat.

Von dieser insgesamt leicht positiven Entwicklung - darauf kommt es mir an, Herr Kollege Fischer - hat sich die Bundesrepublik Deutschland abgekoppelt. Das ist unser Problem. Die Beschäftigungsschwelle liegt bei ungefähr 2 % Wachstum und die erreichen wir weder in diesem Jahr, noch hatten wir sie im letzten Jahr erreicht, noch werden wir sie im kommenden Jahr erreichen. Das ist unser eigentliches Problem.

(Beifall bei der CDU)

Lassen Sie mich das Folgende aus dem Bericht der Kommission zitieren:

„Nur wenige Mitgliedstaaten betreiben eine konsequent beschäftigungsfreundliche Form der Steuer- und Sozialleistungssysteme, wobei der Wechselwirkung zwischen Steuern und Sozialleistungen nicht die gebührende Beachtung geschenkt wird. Die Beschäftigungsauswirkungen der Sozialversicherungsbeiträge werden unterschätzt.“

Ich gehe davon aus, dass insbesondere Sie mir zustimmen werden, denn der Kollege Hentschel sagt ja nie etwas anderes.

„Angesichts der gegenwärtigen Konjunkturflaute sollten die Mitgliedstaaten die Arbeitsmarktreform stärker vorantreiben, um die Arbeitskräfte und die Unternehmer in der Anpassung an den Wandel zu unterstützen.“

Ich habe vor zwei Wochen mit spanischen Freunden sehr intensive Gespräche darüber geführt, warum es in Spanien mit einer hohen Arbeitslosenquote von über 20 % gelungen ist, eine drastische Senkung der Arbeitslosenzahlen hinzukriegen. Wir stehen vor einem generellen Problem, das manchmal mit dem Schlagwort Deregulierung bedient wird. Ganz ehrlich muss man sagen, dass Deregulierung der Arbeitsmärkte auch immer heißt, dass man den Arbeitnehmern, die Arbeit haben, ganz bestimmte soziale Schutztatbestände überantwortet. Das heißt, dass man ihnen zusätzliche Risiken auferlegt. Das ist so und es gehört dazu, dass man das ganz klar und fair sagt.

Herr Kollege Fischer, die zentrale Frage ist: Wo wollen wir in Zukunft hin? Für wen wollen wir in Zukunft Arbeitsmarktpolitik als Zusammenspiel von Wirtschaftspolitik und flankierender Arbeitsmarktpolitik machen? Für diejenigen, die Arbeitsplätze haben, oder für diejenigen, die noch keine Arbeitsplätze haben? Ja, für beide! Die Staaten, die sich ganz klar für den Weg der Deregulierung entschieden haben, die also ein begrenztes Risiko auf die Arbeits

(Dr. Heiner Garg)

platzinhaber rückübertragen, haben große Zuwächse bei den Beschäftigungszahlen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.