Protokoll der Sitzung vom 15.11.2002

Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:

Die Rolle des Ausschusses der Regionen im zukünftigen Aufbau der Europäischen Union

Antrag der Fraktionen von SPD, CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 15/2235

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Rodust.

Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alle politisch Verantwortlichen beobachten mit großer Aufmerksamkeit die Arbeit des Europäischen Konvents, geht es dabei doch um nichts Geringeres als um die Erarbeitung eines Verfassungsvertrages der Gemeinschaft.

Dem Konvent ist in den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Nizza und von Laeken der ausdrückliche Auftrag erteilt worden, über Mechanismen für die Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips nachzudenken.

Jede gut funktionierende Demokratie nimmt in der örtlichen Ebene ihren Anfang. Ein Europa von künftig 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern kann nicht zentral regiert werden. Die Union sollte zwar über alle Kompetenzen verfügen, die zur Erreichung ihrer Ziele erforderlich sind, es muss allerdings eine klare Unterscheidung zwischen den ausschließlichen, den geteilten und den ergänzenden Kompetenzen geben. Die Europäische Union wird von der Öffentlichkeit erst dann wirklich akzeptiert, wenn die Bür

ger wissen, wer in Europa wofür zuständig ist. Sie muss daher die Souveränität ihrer Regionen, also ihrer regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, genau so respektieren, wie es bezüglich der Souveränität ihrer Mitgliedstaaten üblich ist. Dies gilt insbesondere für die institutionellen Regionen, zum Beispiel die Länderparlamente.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Grundsätze der Selbstbestimmung und Selbstverwaltung in einem Verfassungsvertrag festgeschrieben werden müssen. Damit das gelingt, brauchen wir Verbündete, zum Beispiel den Ausschuss der Regionen.

Besonders der Ausschuss der Regionen hat sich in der Vergangenheit in unzähligen Stellungnahmen für die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips eingesetzt. Er hat sich mit Vorschlägen für Gesetze der Gemeinschaft Akzeptanz verschafft und sich beharrlich für die Interessen der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften ausgesprochen. Der AdR hat im Maastrichter Vertrag erreicht, dass er schon heute zwingend zu den Themen, die wir auch hier im Landtag diskutieren - zum Beispiel allgemeine Bildung und Jugend, Sozial-, Arbeitsmarkt- und Umweltpolitik -, gehört werden muss. Wie dann allerdings mit den Vorschlägen des AdR zu verfahren ist, ist bisher nicht geregelt. Aus diesem Grund sollte die Kommission zukünftig verpflichtet werden, eine Begründung abzugeben, wenn sie die Berücksichtigung einer Stellungnahme ablehnt.

In politischen Bereichen mit deutlich regionaler Tragweite, wie etwa der Regionalpolitik und der Strukturpolitik, ist es wichtig, dem Ausschuss der Regionen Vetorecht einzuräumen. Aufgrund dessen werden ihm zum Beispiel sechs Monate Zeit gegeben, um sich mit der Kommission, dem Parlament und dem Rat auf eine bürgernahe Politik zu verständigen, was wiederum bedeutet, dass wir von hier aus Einfluss nehmen könnten. Sinnvoll wäre es, wenn dem AdR außerdem die Möglichkeit eingeräumt würde, schriftliche und mündliche Anfragen an die Kommission zu richten. Auch diese Möglichkeit könnten wir dann trefflich nutzen.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wie häufig stellen wir auch hier im Hause fest, dass diejenigen, die auf EU-Ebene Ziele und Prioritäten festlegen, sich über die finanziellen Konsequenzen ihrer Entscheidungen für andere Verwaltungsebenen keine Gedanken machen.

(Beifall bei der SPD)

(Ulrike Rodust)

In solcher Situation wäre es zum Beispiel sinnvoll, wenn wir - das heißt der Ausschuss der Regionen für uns - Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erheben könnten, falls Belange der Subsidiarität betroffen sind.

Dem Europäischen Rechnungshof ist vor einiger Zeit der Status eines Organs verliehen worden. Damals stellte sich die Frage: Wieso dann nicht auch dem Ausschuss der Regionen? Denn ein gravierender Vorteil wäre die finanzielle und personelle Ausstattung, die dann zu beanspruchen wäre.

Damit hier kein Missverständnis entsteht, möchte ich hier an dieser Stelle auch als stellvertretendes AdRMitglied betonen: Es ist zu keiner Zeit im AdR diskutiert worden, ein Gegenparlament zum Europäischen Parlament aufzubauen. Im Gegenteil, wir fordern und unterstützen alle Maßnahmen, die die Rechte des Europäischen Parlaments ausbauen und ihm die Instrumente an die Hand geben, die es für die Ausübung einer verlässlichen Demokratie braucht. Da jetzt der neue Vertrag ausgearbeitet wird, ist es klug, mit einer Maximalforderung in die Verhandlungen zu gehen. Sollte dies nicht gelingen, wäre darauf zu achten, dass die inhaltlichen Forderungen des AdR in den Vertrag mit aufgenommen werden. Der AdR sieht sich auch künftig in erster Linie als Beratungsgremium und nicht als Entscheidungsträger.

Doch wir sollten alle ein Interesse daran haben, dass Entscheidungen auf die Grundsätze der Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und Bürgernähe gestützt sind. Der AdR steht für diese Forderung und sollte deshalb gestärkt werden, da er sich in Brüssel für unsere regionalen Belange einsetzt. Deshalb ist dieser Antrag besonders wichtig.

Ich hätte mich sehr gefreut, wenn ihm alle Fraktionen zugestimmt hätten. Nun weiß ich, dass es noch Beratungsbedarf gibt. Deshalb bitte ich um Überweisung in den Europaausschuss zur abschließenden Beratung.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Ritzek das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu diesem friedlichen Thema in dieser friedlichen Atmosphäre des hohen Hauses noch einige Anmerkungen:

Der gegenwärtige Erweiterungsprozess der Europäischen Union ist mehr als nur eine Erhöhung der Anzahl der EU-Mitgliedstaaten. Über die wirtschaftlichen und politischen Vorteile hinaus bedeutet er die

friedliche Wiedervereinigung der Länder des Abendlands.

Dieser Prozess muss aber den Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union und in den beitrittswilligen Ländern klar erläutert werden, und zwar bis in die Regionen hinein. Es ist die Überzeugung des Ausschusses der Regionen, dass die Einbeziehung der kommunalen und regionalen Gebietskörperschaften in die Europapolitik der Schlüssel zur weiteren Integration ist.

Auf der Regierungskonferenz von Nizza im Dezember 2000 blieben Fragen der konstitutionellen Weiterentwicklung des europäischen Vertragswerkes, wie etwa die der überarbeiteten Abgrenzung der Kompetenzen zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten, ausgeklammert. Es wurde aber in der Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäischen Union konkretisiert, dass der für ein Jahr eingesetzte Europäische Konvent die Kompetenzzuordnung auch für die Mitwirkung der regionalen Ebene festlegt.

Die Aufgabe des Mitwirkens bis in die regionale Ebene hinein obliegt dem Ausschuss der Regionen. Der AdR lebt ja noch nicht so lange als Organ der Europäischen Union wie zum Beispiel das Europäische Parlament. Während die erste Direktwahl des Europäischen Parlaments 1979 erfolgte, wurde der AdR erst 1994 ins Leben gerufen. Sicherlich hat er auch deshalb noch ein Kompetenzfindungsdefizit.

222 Mitglieder des AdR kommen aus den heutigen 15 Mitgliedsländern. Die Größe der vertretenen Länder, die Rechtsstellung und die Handlungsmöglichkeiten der Regionen in der Europäischen Union sind höchst unterschiedlich ausgeprägt. Neben den vergleichsweise mächtigen deutschen Ländern mit Staatscharakter haben die regionalen Untergliederungen, etwa in Finnland, Griechenland, Irland, Portugal oder auch Dänemark, den Charakter reiner Verwaltungseinheiten.

In seiner gegenwärtigen Ausgestaltung entspricht der Ausschuss der Regionen nicht den Erwartungen, die die deutschen Länder hatten, als sie ihn bei den Verhandlungen über den Maastrichter Vertrag zusammen mit den belgischen Regionen durchsetzten. Die Länder wollten ein politisches Organ der Regionen, das selbstbewusst für mehr Subsidiarität und Bürgernähe eintritt

(Beifall bei CDU und FDP)

und sich energisch dafür einsetzt, dass die politischen Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Regionen gesichert und erweitert werden.

(Manfred Ritzek)

Die unterschiedliche Mitglieder-Struktur des AdR schließt Probleme durch unterschiedliche Interessen innerhalb des Ausschusses nicht aus. Hinzu kommt - und das ist entscheidend -, dass sich seine Aufgabe ausschließlich auf Beratung beschränkt und er seine begrenzten Rechte bisher noch nicht einmal vor dem Europäischen Gerichtshof verteidigen kann.

Deshalb ist der Antrag fast aller Fraktionen zu einer klareren Kompetenzabgrenzung so wertvoll. Er ist zeitgerecht gestellt, weil er in die Konventberatungen aufgenommen werden kann.

Im Antrag werden detaillierte Forderungen zum Klagerecht, zum Fragerecht, zu Berichterstattung und Repräsentanz entsprechend der Ländergröße gestellt. Gerade zum letzten Punkt, der angemessenen Mitgliederzahl pro Region, sei gesagt, dass Deutschland im zukünftigen AdR mit seinen insgesamt 344 Mitgliedern - heute sind es 222 - nach der Erweiterung nur mit 24 Sitzen vertreten sein soll. Das entspricht 7 % der AdR-Sitze bei aber knapp 17 % der Bevölkerung.

(Uwe Eichelberg [CDU]: Wie ungerecht!)

Wir wollen den AdR in seiner Aufgabe stärken, das europäische Forum für die Forderungen nach Subsidiarität für europäische Handlungsspielräume zu sein. Es ist Aufgabe der Mitglieder des AdR, seine Aufgaben auch nach außen zu dokumentieren.

Nach der 46. Plenartagung des AdR am 10. Oktober 02 seien nur einige Themen erwähnt, mit denen sich der AdR befasst hat: Lebenslanges Lernen, hoher Bildungsstand, Bekämpfung von Armut, die Themen Langzeitarbeitslosigkeit, Rentenversorgung, Altenpflege usw.

Es wäre konkret für unser Parlament, für unser Land auch zu begrüßen, wenn bei allen Konventaktivitäten die Kompetenz unseres Parlaments optimal genutzt und auch die zweitstärkste Fraktion in diesem Hause in die unmittelbare AdR-Arbeit einbezogen würde, damit die AdR-Arbeit in Brüssel zwischen den beiden stärksten Fraktionen geteilt wird.

Der Inhalt des Antrages entspricht dem Konzept der Gesamtstrategie der AdR-Vertretungen der Bundesländer. Ich bitte daher um Unterstützung für das Anliegen, den Antrag im Ausschuss weiter zu diskutieren.

(Beifall bei CDU, SPD und FDP)

Das Wort hat nun der Herr Abgeordnete Behm.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier das Votum der FDP-Fraktion im Landtag: Eine der weitsichtigsten Einscheidungen der Europäischen Gemeinschaft war es, mit der Einrichtung des Ausschusses der Regionen der Europäischen Vielfalt an Völkern, Sprachen, Kulturen und politischen Untergliederungen ein Sprachrohr zu geben.

(Beifall bei der FDP)

Das war es dann aber schon. Denn der AdR hatte von Anfang an nur beratende Funktion. Seine Beschlüsse wurden meist zur Kenntnis genommen und - man sollte es hoffen - hier und da auch wohlwollend marginal berücksichtigt. Dies soll sich in Richtung einer so genannten Zwei-Kammer-Funktion - vielleicht dem Bundesrat vergleichbar - ändern.

Ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof soll installiert werden. Dies findet breite Zustimmung, aber im Detail betrachtet ergeben sich natürlich viele formale Fragen, die von Mitgliedsland zu Mitgliedsland in der Europäischen Union unterschiedlich sind. Bei den Ländern mit föderaler Struktur - zum Beispiel Österreich und Deutschland - oder dem zukünftigen Mitgliedsstaat Polen lässt sich eine regionale Struktur mit entsprechender Vertretung im Rat der Regionen leicht regeln.

Ist eine solche Struktur mit den Wahlen legitimierter Vertretungskörperschaften nicht vorhanden, stellen sich automatisch neue Fragen. Wird ein Teil der Delegierten sozusagen demokratisch gewählt, andere werden aber nur ernannt, ergeben sich natürlich verfassungsrechtliche Bedenken, wenn es um die Mitwirkungskompetenz des AdR geht.

Auch die Frage der Gewichtung der Bevölkerungszahlen bei der Zusammensetzung des AdR als Zweiter Kammer ist sicherlich ein nicht so leicht zu lösendes Problem. Der Abgeordnete Ritzek ging darauf ein.

Der Wunsch der größeren Mitgliedsländer, anteilig vertreten zu sein, steht dem Wunsch der kleineren Mitgliedsländer entgegen, nicht in eine geduldete Bedeutungslosigkeit zu fallen. Dies entspricht auch dem Wunsch von Sprach- und Volksgruppenminderheiten, berücksichtigt zu werden.