Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

(Dr. Heiner Garg)

be. Dass uns Konnexität daran hindern soll, dies zu beschließen, ist ja nicht der wirkliche Grund. Der wirkliche Grund ist der ständige Verweis auf die Haushaltslage. Das hat der Kollege Eichstädt gemacht. Und da sage ich noch einmal: 15 Jahre plus fünf Jahre wäre genug Zeit gewesen, zu einer entsprechenden Barrierefreiheit auch bei bestehenden Gebäuden zu kommen. Herr Eichstädt, sie haben dann immer wieder eingewandt, die Kommunen könnten das von heute auf morgen machen, rein theoretisch, und dann könnten wir bereits morgen auf den Kosten sitzen bleiben, und da kein Geld da ist, können wir das auch nicht verwirklichen. Herr Eichstädt, da hätte ich dann aber eine Initiative von Ihnen erwartet, wie man das möglicherweise regeln kann, dass nicht von heute auf morgen die Kosten anfallen. Ich halte es für gefährlich, das Signal auszusenden, dass wir uns die Barrierefreiheit nichts kosten lassen wollen. Das finde ich schade bei allem Verbindenden, bei allen Gemeinsamkeiten, die wir in der Zielsetzung haben.

Meine Damen und Herren, die im Gesetzentwurf formulierten Inhalte sind auch gar nicht neu, und das ist, wie ich finde, das Ärgerliche an der Sache. Bereits das jetzt geltende Baurecht deckt die Anforderung an die Barrierefreiheit bereits ab. Die neuen Regelungen sind daher lediglich eine Augenwischerei. Herr Kollege Eichstädt, seit 1975 gilt § 3 Abs. 1 der Landesbauordnung, und da ist beim Bau auf die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen durch barrierefreies Bauen besondere Rücksicht zu nehmen. Wir müssen uns fragen: Was haben wir in den letzten 25 Jahren gemacht? Wir müssen uns fragen, was in den letzten 25 Jahren passiert ist. Warum haben wir in den letzten 25 Jahren nicht darauf geachtet, dass das, was in Gesetzesform gegossen wurde, auch tatsächlich erfüllt wurde?

Lassen Sie mich einen Punkt, obwohl wir uns dem Änderungsantrag der Union angeschlossen haben, hervorheben. Wir halten den Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderungen für unverzichtbar. Der Unionsantrag verzichtet lediglich darauf, ihn gesetzlich festschreiben zu wollen.

(Wolfgang Baasch [SPD]: Nein, er hat ge- sagt, er will ihn streichen!)

- Moment, Herr Kollege Baasch, hören Sie doch zu Ende zu. Die FDP-Fraktion wird einem entsprechenden Haushaltsantrag der Union nicht zustimmen. Wir sind aber in der Frage, ob der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen weiterhin bei der Ministerpräsidentin oder in Zukunft möglicherweise beim Parlament angesiedelt ist, in unserer Fraktion mit der Meinungsbildung noch nicht zu Ende, und

deshalb sind wir froh, dass dieser Bereich im Unionsentwurf ausgeklammert bleibt. Wir werden nicht für eine Abschaffung des Beauftragten für Menschen mit Behinderungen stimmen. Das kann ich Ihnen jetzt schon versichern.

(Beifall bei der FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte dieses Thema ein paar mehr aufmerksame Zuhörerinnen und Zuhörer verdienen. Ich wende mich also an die Anwesenden.

Nach Verabschiedung des Bundesgleichstellungsgesetzes verabschieden wir heute im Landtag ein entsprechendes Landesgesetz, mit dem wir die Landes- und die Kommunalebene sowie auch die Wirtschaft verpflichten, Menschen mit Behinderung die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Dafür hat sich meine Partei seit ihrer Gründung immer wieder stark gemacht. Gleichstellung bedeutet mehr, als nicht mehr behindert zu werden. In diesem Sinne bezieht sich die Barrierefreiheit nicht nur auf Gebäude, sondern auch auf die Verständigung über Gebärdensprache, offizielle Schreiben in BrailleSchrift für Blinde und Ähnliches mehr.

(Beifall des Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Sie kennen unsere Haltung in Bezug auf die Stellung der Beauftragten. Wir hätten gern ein gemeinsames Büro, um da ein bisschen Effizienz in der Sachbearbeitung zu ermöglichen. Wir wenden uns aber selbstverständlich gegen den indirekten Vorstoß der CDU, die Einrichtung des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung zu streichen oder zu erschüttern, wie es mit dem Änderungsantrag zum Gesetz geschieht. Gerade wenn es um die Umsetzung des Landesgleichstellungsgesetzes geht, brauchen wir den kritischen Blick des Landesbeauftragten. Wir stellen hiermit unsere Überlegungen, wie die „Aufhängung“ dieser kleinen Behörde sein könnte, zurück hinter das große Anliegen, dass wir einen starken Landesbeauftragten wollen.

Vor uns liegt ein Jahr, das besonders den Menschen mit Behinderung gewidmet ist. Alle Abgeordneten und die Landesregierung sind gefordert, sich hieran aktiv zu beteiligen. Wir stellen unser neu verabschiedetes Gesetz in diesem Jahr ausdrücklich noch einmal zur öffentlichen Debatte. Ich sage das gerade im Hin

(Angelika Birk)

blick auf die Äußerung von Herrn Garg. Denn wir wissen, dass gerade im Bereich der alltäglichen Diskriminierung viele Dinge im Detail liegen. Gleichstellung ist ein Prozess. Deshalb haben auch Gesetze zur Unterstützung dieses Weges den Fortschritt im gesellschaftlichen Leben einerseits festzuschreiben, aber ihn andererseits auch voranzutreiben. Es wird deshalb hoffentlich nicht das letzte Mal sein, dass sich Abgeordnete aller Parteien, wie jetzt hier geschehen, für die rechtliche und faktische Gleichstellung für Menschen mit Behinderung engagieren.

Ich bin froh darüber, dass wir im Sozialausschuss verabredet haben, dass wir uns dieses Gesetz nach einem Jahr noch einmal kritisch vornehmen und im Lichte der Auseinandersetzung mit den Organisationen von Menschen mit Behinderung angucken und prüfen, ob wir zu dem Problem, das gerade Herr Garg angesprochen hat, und anderen Fragen, wie zum Beispiel Barrierefreiheit im öffentlich rechtlichen Rundfunk oder Verquickung des Anliegens des GenderMainstreaming mit Barrierefreiheit, zu besseren Lösungen kommen.

Wir hatten aber übereinstimmend den Willen, gerade angesichts der Tatsache, dass ein Bundesgesetz gilt, auch auf Landesebene Entsprechendes zu schaffen, und haben deshalb Detailüberlegungen erst einmal zurückgestellt und hier mit einem Landesgleichstellungsgesetz eine Basis geschaffen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Aufmerksamkeit.

Es mag ja sein, dass manches, was wir gesetzlich nicht so gut regeln können, auf dem Verordnungswege vorangebracht werden kann. Diese Dinge müssen wir im Detail besprechen.

Um hier keine Missverständnisse zum Thema Konnexität aufkommen zu lassen: Die Landesbauordnung ist in der letzten Legislaturperiode deutlich verbessert worden und dazu gehört auch das Thema der Barrierefreiheit. Das Thema Konnexität im Zusammenhang mit Barrierefreiheit so einzuführen, wie wir es in der Expertise des Wissenschaftlichen Dienstes gefunden haben, bedarf aus unserer Sicht noch einmal der kritischen Überprüfung - nicht, weil wir das Thema der Konnexität generell infrage stellen, sondern weil wir glauben, dass der Anspruch, hier zu handeln, aufgrund der Landesbauordnung, aber auch aufgrund des grundgesetzlichen Gebotes

eigentlich schon früher bei den Kommunen und beim Land vorhanden war. Das heißt, zumindest Landes- und Kommunalbehörden hätten schon immer aufgefordert sein sollen, hier etwas zu tun.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Deshalb ist unser Versuch, aus einer Präzisierung und einer zeitlichen Selbstbindung hier etwas mehr Drive reinzubringen, richtig. Wenn nun unser Wissenschaftlicher Dienst sagt, allein der Versuch, das zu präzisieren, löse ungewöhnliche Konnexitätsansprüche seitens der Kommunen aus, möchte ich das an dieser Stelle erst einmal infrage stellen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das heißt nicht, dass ich das Konnexitätsprinzip generell infrage stelle, sondern dass ich die Anwendung dieses Prinzips in diesem Fall infrage stelle.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es war aber in der Kürze der Zeit nicht endgültig zu klären, wer Recht hat und wie man das ganze Thema juristisch so fasst, dass wir dem Anliegen der Menschen mit Behinderung Rechnung tragen. Denn es ist uns ja nicht damit gedient, wenn wir jetzt einen Sturm der Entrüstung seitens der Kommunen haben und die nun allein aus Trotz vielleicht nichts tun. Das wäre wirklich der falsche Weg.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich appelliere an alle: Lassen wir das Gesetz jetzt in Kraft treten und lassen Sie uns in einem Jahr noch einmal draufgucken. Bis dahin werden wir die strittigen Fragen hoffentlich geklärt haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Menschen mit Behinderung leben heute nicht in der Mitte unserer Gesellschaft. Sie sind noch in vielerlei Hinsicht ausgeschlossen. Um mitmachen zu können, müssen sie aber erst in die Lage versetzt werden, überall dort zu sein, wo Menschen ohne Behinderung hinkommen. Dafür müssen noch viele Hindernisse abgebaut

(Silke Hinrichsen)

werden. Eben dies will - wie meine Kollegen vorher schon gesagt haben - das Landesgleichstellungsgesetz erreichen.

Wenn es nach dem neuen Gesetz geht, sollen alle öffentlichen Gebäude - ich denke dabei auch an dieses Haus - zukünftig so eingerichtet werden, dass es dort keine Barrieren für Menschen mit Behinderung mehr gibt.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nur bei Neubau!)

- Wir sind ja gerade dabei, diesen Altbau umzubauen. Es wäre schön gewesen, wenn wir da einige Dinge hätten anders regeln können. Man muss auch bei sich selber gucken, wenn man das anderen auferlegt.

Leider wurde während der Ausschussberatung unsere Freude an dem neuen Gesetz dadurch geschmälert, dass in diesem Zusammenhang die Konnexität entdeckt wurde. Barrieren stehen nun einmal in Städten und Gemeinden - ebenso wie in landeseigenen Gebäuden - und in vielen Fällen steht die kommunale Ebene in der Verantwortung, sie zu beseitigen oder zu vermeiden.

Wir haben aber das Konnexitätsprinzip in der Landesverfassung. Danach muss das Land die Kommunen finanziell entschädigen, wenn es ihnen neue Aufgaben auferlegt. Das barrierefreie Bauen oder der Umbau zur Barrierefreiheit kosten erheblich. Angesichts der heutigen Finanzlage - das müssen wir erkennen - kann das Land die Barrierefreiheit nicht in dem Maße einfordern, wie wir es wünschen. Trotzdem ist das Landesgleichstellungsgesetz ein erster Schritt in die richtige Richtung, denn das Land kann zwar aus finanziellen Gründen den Abbau von Barrieren nicht verbindlich vorschreiben, aber das entlässt die Kreise, Städte und Gemeinden nicht aus der Verantwortung für die Menschen mit Behinderung. Mit der Barrierefreiheit geht es um die Umsetzung von Beschlüssen der Vereinten Nationen, die auch den Kommunen in Schleswig-Holstein eine Verpflichtung sein sollten.

(Unruhe)

Darüber hinaus ist die Barrierefreiheit mehr als der Abbau baulicher Hindernisse in öffentlichen Gebäuden und im öffentlichen Raum. Barrieren sind zum Beispiel ebenso die unsichtbaren Hürden, vor denen Gehörlose stehen. In diesem Sinne beinhaltet das Gleichstellungsgesetz nach unserer Ansicht eine kleine Revolution. Denn mit diesem Gesetz wird endlich die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkannt. Bei diesem Punkt wie in anderen Punkten könnte die praktische Umsetzung sicherlich konse

quenter sein, aber auch hier gilt: Das neue Gesetz ist ein deutlicher Fortschritt.

(Unruhe)

Häufig ist es so, dass nicht behinderte Menschen die Barrieren und die Benachteiligungen erst gar nicht sehen. Deshalb benötigen Menschen mit Behinderung die Unterstützung von Personen, welche die Welt mit ihren Augen sehen. Der wichtigste Mensch in Schleswig-Holstein ist in dem Zusammenhang der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung. Er leistet für die Betroffenen eine enorme Arbeit, die wir gar nicht hoch genug einschätzen können.

Der Landesbeauftragte ist auch Gegenstand des neuen Gesetzes. Wir werden seine Stellung unterstützen. Das heißt, wir werden den Antrag von CDU und FDP insofern ablehnen, da sie ja die Stelle streichen wollen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Nein, Silke, wir wollen die Stelle nicht streichen!)

- „Im Gesetzentwurf“ habe ich gesagt. Sie müssen genau zuhören. Deswegen stimmen wir dem Gesetzentwurf so nicht zu.

Seine Stellung wird nämlich abgesichert, sodass er weiterhin weisungsunabhängig bleibt.

Ein Wermutstropfen bleibt, dass es - wieder aufgrund des Konnexitätsprinzips - nicht möglich ist, die Einrichtung von kommunalen Behindertenbeauftragten vorzuschreiben. Auch hier bleibt vorerst lediglich die Hoffnung, dass die Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker nicht nur Dienst nach Vorschrift machen. Sie sollten von sich aus - viele tun es auch - die Initiative ergreifen, um die behinderten Menschen in ihrer Umgebung ein Stück weit in die Gesellschaft hereinzuholen.