Was die Ausstiegsbeschlüsse angeht, wenn sie Deutschland dazurechnen, kann ich Ihnen nicht zustimmen. Deutschland hat den Ausstieg so gar nicht beschlossen. Es hat nur eine 20 Jahre dauernde Vereinbarung beschlossen, dass erst einmal nichts Weiteres passieren soll. Wenn Sie das dazurechnen, dann könnten Sie höchstwahrscheinliche Recht haben, aber Sie haben wahrscheinlich nicht Recht.
Herr Kollege, worum geht es hier? Es geht um die Beseitigung eines Stücks der europäischen Einigungsgeschichte, die 1957 begonnen hat. Man muss sich einfach einmal damit vertraut machen; was der EURATOM-Vertrag wirklich wollte. In § 2 heißt es:
„Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrags a) die Forschung zu entwickeln und die Verbreitung der technischen Kenntnisse sicherzustellen; b) einheitliche Sicherheitsnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte aufzustellen und für ihre Anwendung zu sorgen;“
Herr Kollege, wollen Sie das alles nicht mehr? Wollen Sie, dass das jeder auf eigene Faust, nach eigenem Gusto macht? Im Zuge der europäischen Einheit bekommen wir viele neue Mitglieder in Europa dazu. Sie wollen, dass da jeder vor sich hinwerkelt? Sie wollen das nicht europarechtlich einheitlich ordnen? Das ist der wesentliche Sinn von EURATOM, und den wollen Sie offensichtlich beseitigen. Wissen Sie, das macht die Sache wirklich gefährlich. Das wollen Sie verantworten, das ist Ihre Umweltpolitik. Meine Damen und Herren, das ist wirklich unverantwortlich.
(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]. Sagen Sie doch endlich, wo Sie in Schleswig-Holstein ein Atomkraftwerk bauen wollen!)
Wir haben 1973 eine Zäsur gehabt, wir haben nämlich die Abhängigkeit vom Öl gespürt. Seither ist in der Tat eine große energiepolitische Entscheidung getroffen worden, im Übrigen zuzeiten einer sozialliberalen Regierung. Die FDP will sich da auch nicht davonstehlen, die Sozialdemokraten wollen es. Wir brauchen eine Energiepolitik, die Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet, wir brauchen Versorgungssicherheit und wir brauchen Klimaschutz. Zum Klima
schutz und zur Wettbewerbsfähigkeit leistet die Kernenergie in der Tat einen ganz wesentlichen Beitrag. Das können Sie überhaupt nicht bestreiten.
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege, gerade zur Versorgungssicherheit leistet sie eben auch einen wesentlichen Beitrag. Die Kernenergie erfüllt sämtliche dieser drei Forderungen.
Wenn die Schleifspuren Ihrer Energiepolitik und Ihrer Wirtschaftspolitik noch weiter sichtbar werden, als sie ohnehin sichtbar geworden sind, dann werden auch Sie eines Tages möglicherweise über die Richtigkeit dieses Kurses, den Sie seit vier Jahren steuern, nachzudenken haben, beziehungsweise Sie werden nachdenklich werden.
Meine Damen und Herren, wenn Deutschland nicht mehr gesprächsfähig ist bei der Sicherheitstechnologie, und wir sind es kaum noch in der Nukleartechnologie, wenn wir nicht mehr gesprächsfähig sind, weil wir nicht mehr gefragt werden, weil wir nicht mehr wettbewerbsfähig sind mit unseren Unternehmen, dann wollen Sie es nicht gewesen sein, die Tausende von Arbeitsplätzen aufs Spiel gesetzt haben und die gleichzeitig das Gefahrenpotential in Europa erhöht haben. Das in der Tat droht, wenn wir den EURATOM-Vertrag verlassen würden. (Beifall bei der CDU)
Meine Damen und Herren, es geht darum, dass man in einem sensiblen Gebiet - und die Kernenergie gehört durchaus dazu - Gefahren beherrschbar macht. Ich sage noch einmal, denken Sie an die zahlreichen neuen EU-Mitglieder, die sämtlich auf die Kernenergie als Energieträger setzen. Denken Sie daran, dass natürlich die dort bestehenden Risiken beherrschbar gemacht werden müssen und beherrschbar bleiben müssen. Dafür brauchen wir selbstverständlich die EURATOM, dafür brauchen wir auch die jetzt beantragten höheren Zuschüsse für Euratom, und deshalb ist dieser Antrag wirklich kontraproduktiv und das Gegenteil dessen, was nötig wäre.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kerssenbrock, eines muss ich feststellen: Letztens hatte ich gesagt, dass Sie auf dem Jahrmarkt gewesen
sind. Ich muss jetzt aber sagen, Sie müssen zu Hause eine Geisterbahn haben und jeden Tag da drin sitzen. Anders kann es eigentlich nicht sein.
Die Nutzung der Atomenergie birgt Risiken, die auf Dauer nicht verantwortbar sind. Sie steht im Widerspruch zur Generationengerechtigkeit, auf die eine nachhaltige Entwicklung zielt, weil sie mit ihren Hinterlassenschaften, der Endlagerung des Atommülls, künftige Generationen über unvorstellbar lange Zeiträume hinweg belastet.
Meine Damen und Herren, beschirmt von EURATOM konnte sich die Nuklearindustrie bis heute eine wirtschaftliche Sonderstellung, günstige Kredite und üppige Forschungsmittel sichern. Sie ist die einzige Energieform, die mit einem eigenen EU-Vertrag gestützt wird. Dieses Privileg passt nicht mehr in eine gerechte Wettbewerbslandschaft. Der EURATOMVertrag ist heute zu einem Anachronismus geworden. Der Vertrag widerspricht den Bemühungen um Transparenz, Effizienz sowie der Vereinheitlichung der Verträge. Die Kompetenzen sind für den Bürger intransparent und über die Generaldirektion der Europäischen Kommission verstreut. Dem Amt für Sicherheitsüberwachung mangelt es an Mitteln und Kompetenzen, um seiner Aufgabe der Kontrolle und Bilanzierung der Verwendung von Kernmaterialien nachzukommen. Effizienz und Handlungsfähigkeit lassen auch die Bestimmungen im Bereich des Gesundheits- und Umweltschutzes vermissen.
Wichtige Fragen, besonders der Anlagensicherheit, der Entsorgung oder der Endlagerung werden nicht behandelt. Die Rolle des Europäischen Parlaments als Kontroll- und Rechtsetzungsorgan wird unterlaufen. Weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle üben die Verantwortlichen des EURATOM-Vertrages ihre Befugnisse aus. Bei internationalen Atomverträgen und der EURATOM-Kreditvergabe wird das Parlament von jeglicher Mitbestimmung ausgeschlossen: Meine Damen und Herren; der EURATOM-Vertrag muss abgeschafft und durch ein Energiekapitel in der europäischen Verfassung ersetzt werden.
Ein Gemeinschaftskonzept für die nukleare Sicherheit in der EU will die Kommission mit Richtlinien schaffen, die Sicherheitsstandards für aktive und stillgelegte Atomkraftwerke und für die Lagerung von Atommüll festlegen sollen. Innerhalb dieses Konzeptes wird auch vorgeschlagen, den EURATOMKreditrahmen von 4 auf 6 Milliarden € zu erhöhen. Ich frage Sie, Herr Kerssenbrock: Ist das das von
Ihnen propagierte marktwirtschaftliche Instrument in der gesamten Energiepolitik und insbesondere bei der Windenergie? Wird hier nicht die Nuklearindustrie massiv gefördert? Oder sind Sie mit mir einer Meinung, dass diese massive Förderung in direktem Widerspruch zur geplanten Liberalisierung der Energiemärkte in der Zukunft steht beziehungsweise die wachsende Präferenz der Gesellschaft für eine Energiewende behindert?
Die Energieversorgung der Bundesrepublik und der EU kann langfristig durch den effizienten Einsatz erneuerbarer Energien aus Wind, Wasser, Sonne, Biomasse und Erdwärme vollständig gesichert werden.
Mit der auf große Kraftwerkseinheiten ausgerichteten Investitions- und Geschäftspolitik lassen sich kommunale und industrielle Nah-, Fern- sowie Abwärme, regenerative Energien und insbesondere Energiesparen nicht hinreichend mobilisieren.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die Koalitionsfraktionen wollen mit ihrem Antrag zweierlei, einerseits die Nuklearforschung beschränken und zweitens einen europäischen Vertrag kündigen. Beides ist ebenso unangemessen wie unsinnig.
Zunächst zur Kürzung bei der Forschung! Ich darf daran erinnern, dass die Kernenergie immer noch 35 % des Energiebedarfs in der Europäischen Union deckt. Die Kernkraft ist selbstverständlich kein problemloser Energieträger; das ist allerdings kein Energieträger. Im Wesentlichen gibt es bei der europäischen Kernkraft drei Probleme.
Erstens ist die Frage der Endlagerung noch nicht beantwortet und sie wird auch nicht beantwortet, indem man Kraftwerke abschaltet, ganz im Gegenteil.
Der von Rot-Grün gewollte Ausstieg macht die Beantwortung dieser Frage umso dringlicher. Deshalb besteht hier nicht nur unverminderter, sondern erhöhter Forschungsbedarf, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün.
Es besteht kein Grund, für diese Forschung weniger Geld auszugeben, sondern mehr Geld ist angebracht.
Zweitens ist die Verbesserung der Sicherheit von Kernkraftwerken und des sicheren Rückbaus abgeschalteter Kraftwerke nicht ausgeschlossen. Das ist ein ständiger Prozess, dessen Beschleunigung durch zusätzliche Forschungsmittel niemand stören kann, vor allen Dingen nicht diejenigen, die ständig nur die Gefahren, nicht aber den Nutzen der Kernkraft betonen.
Drittens steht die Erweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004 bevor. Graf Kerssenbrock hat darauf hingewiesen. Zehn mittel- und osteuropäische Staaten treten in den reichsten Wirtschaftsclub der Welt ein und bringen ihre Kernkraftwerke mit. Diese Kraftwerke erfüllen höchstwahrscheinlich nicht die möglichen und höchst wünschenswerten Anforderungen, die wir aus guten Gründen an alle unsere Kraftwerke stellen. Auch hier gibt es verstärkten Forschungsbedarf, denn die neuen Mitgliedstaaten brauchen die Kernkraft auf absehbare Zeit.
Aus diesen drei Gründen begrüßen wir, dass die Europäische Kommission erhöhte Forschungsmittel vorschlägt. Die Kernkraft ist in den nächsten Jahrzehnten ein unverzichtbarer Teil der Energieversorgung in der Europäischen Union. Im Rahmen einer wachsenden und zusammenwachsenden Europäischen Union ist die rechtlich kodifizierte Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich unverzichtbar.
Die Antragsteller begründen ihre Forderung nach Kündigung des EURATOM-Vertrages unter anderem mit zwei Argumenten. Erstens gibt es noch keine europäische Sicherheitsnorm und zweitens importiert die EU fast den gesamten benötigten Kernbrennstoff.
und dem Europäischen Parlament eine endgültige Mitteilung zur nuklearen Sicherheit in der Europäischen Union zugeleitet. Ein Richtlinien-Entwuf befindet sich im Gesetzgebungsverfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, damit ist Ihre Kritik sowieso hinfällig. Dass es so lange gedauert hat, liegt an den Mitgliedstaaten. Deren legitimes Interesse, bestimmte Kompetenzen nicht nach Brüssel abzugeben, ist der entscheidende Grund für viele langwierige Verfahren in der EU. Im Übrigen wäre es nach Ihrer Logik konsequent, wenn die Antragsteller fordern würden, alle EU-Verträge zu kündigen. Das ist selbstverständlich ebenso unsinnig wie auch beim EURATOM-Vertrag.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr zweiter Kritikpunkt weist auf fehlendes Verständnis außenwirtschaftlicher Zusammenhänge hin.