Protokoll der Sitzung vom 13.12.2002

(Beifall)

Ich erteile jetzt nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung dem Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir ist es ganz wichtig, noch einmal deutlich zu machen, wo der Unterschied hier in der Debatte liegt, dass es nämlich auf der einen Seite Parteien gibt, die Vorschläge machen, und dass es auf der anderen Seite Parteien gibt, die eben keine Vorschläge machen. Das ist eigentlich das Bittere an der Debatte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Welche denn?)

Wir haben als SSW ganz deutlich gesagt - aber das haben auch andere gesagt -, die Körperschaftsteuerermäßigung muss rückgängig gemacht werden. Wir haben das gesagt, weil wir der Meinung sind, diese Ermäßigung ist unsozial. Ein normaler Arbeiter zahlt mehr Steuern als Daimler-Benz. Das kann nicht richtig sein. Das kann nicht richtig funktionieren.

(Beifall bei SSW und SPD - Zurufe von CDU und FDP)

Liebe Kollegen von der rechten Seite, aber es gibt noch ein anderes Argument: Diese Steuerermäßigung wurde eingeführt, weil man gesagt hatte, das schaffe mehr Arbeitsplätze. Das ist mitnichten passiert. Wenn Sie die Unterlagen lesen, wie sich die Lohnsteuer, wie

sich die Einkommensteuer entwickelt hat, dann sehen Sie, dass die nämlich nach unten gegangen sind - trotz dieser steuerlichen Maßnahme.

Also kann man daraus schließen, dass die Ermäßigung der Körperschaftsteuer eben nichts gebracht hat. Ebenso gut können wir diese dann erhöhen und gute Sachen für unser Land tun.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Das Zweite ist die Vermögensteuer! Sie muss wieder eingeführt werden, damit wir eine Chance haben, unsere Haushalte auch zu sanieren.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ein Quatsch!)

Und das trifft nicht die Ärmsten in unserer Republik und insofern ist es auch okay, wenn sie sich daran beteiligen, dass wir unser Bildungssystem verbessern können, das die Grundlage unseres Wirtschaftssystems ist.

Der letzte Punkt ist: Kredite müssen aufgenommen werden. Wir müssen Kredite erhöht aufnehmen, um Investitionen tätigen zu können.

Das sind drei Punkte, zu denen wir als SSW stehen. Wir sagen, okay, das sind unpopuläre Maßnahmen, aber sie müssen durchgeführt werden, damit es uns langfristig wieder besser geht.

(Roswitha Strauß [CDU]: Wann denn?)

Ich finde, von einer großen Volkspartei und von einer Spaßpartei können wir dies auch verlangen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Herr Abgeordneter Jensen-Nissen, Sie halten Ihre Wortmeldung jetzt doch aufrecht? - Gut. Dann haben Sie nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch Fachgespräche sind ja mitunter erhellend. Frau Heinold, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Ihre Schnittblumen sollten in Zukunft auch 16 % Mehrwertsteuer kosten, dann müssen Sie in der Argumentation einmal aufpassen. Wenn Ihr Parteifreund Trittin im Fernsehen sagt, wir müssten aus ökologischen und ökonomischen Gründen durchsetzen, dass auf Pflanzenschutz- und Düngemittel auch in Zukunft 16 % Mehrwertsteuer erhoben werden, dann ist das absoluter Populismus. Dieser Mann weiß höchstwahrscheinlich überhaupt nicht, was die Bundesregierung alles schon längst

(Peter Jensen-Nissen)

beschlossen hat. Wir haben schon seit 20 Jahren 16 % Mehrwertsteuer auf Düngemittel, auf Pflanzenschutzmittel und auf all diese anderen Dinge. Insofern ist das schierer Populismus. Weil Sie den Bauern nichts Gutes wollen, machen Sie das.

Wenn Sie dann auf der anderen Seite sagen, Sie wollten Steuern abbauen, dann frage ich Sie: Was machen Sie denn? - Sie erhöhen doch, indem Sie 9 % Mehrwertsteuer auf Schnittblumen setzen. Was ist das denn anderes? Darum können Sie doch so lange herumreden, wie Sie wollen!

Darüber hinaus war die Pauschalierung ein unbürokratisches Instrument. Sie reden doch von Entbürokratisierung. Sie wissen doch genau, dass Sie jetzt in Schleswig-Holstein 24.0000, 25.000 Steuererklärungen zur Umsatzsteuer monatlich mehr bekommen, die Sie abarbeiten müssen. Welche Politik ist das denn überhaupt, den Leuten zu verkaufen, man wolle Steuern abbauen, vergünstigen und man wolle Entbürokratisierung, aber genau das Gegenteil zu tun!

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Möller, den Fachleuten in Ihrem Haus müssen die Haare zu Berge stehen. Durch den Beschluss der Bundesregierung, die Pauschalierung von 9 % auf 7 % abzusenken, werden alle Landwirte und alle landwirtschaftlichen Betriebe in die Regelbesteuerung kommen. Deshalb werden sie mehr Bürokratie haben. Aber in landwirtschaftlichen Betrieben werden Nettogewinne versteuert. Also fallen in Zukunft die 16 % oder die 9 %, die wir früher als Pauschalierung auf den Gewinn gelegt haben, weg. Sie werden also in den nächsten zwei Jahren aus dem Bereich Landwirtschaft weniger Steuern bekommen. Auch das werden Sie damit erreichen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Fachleute haben Ihnen dezidiert dargelegt, dass diese Dinge kontraproduktiv zu Ihrer Politik wirken. Ich weiß nicht, woher Sie die Chuzpe nehmen zu sagen, Sie wollten entbürokratisieren und Steuervergünstigungen abbauen. Nein, im Bereich der Landwirtschaft haben Sie genau das Gegenteil gemacht.

Wenn Sie auch in Berlin die Gesetzeslage ernst genommen hätten, dann hätten Sie wissen müssen, dass die Vorsteuerpauschale in der Landwirtschaft heute bei 10,3 % hätte liegen müssen. Sie senken sie bewusst ab, weil Sie der Landwirtschaft bestimmte Dinge vorenthalten wollen. Das ist Ihre Politik. Der Bundeskanzler hat sie angekündigt. Das ist zutiefst gegen die Verfassung in unserem Lande.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu einem letzten Wortbeitrag nach § 58 Abs. 2 erteile ich Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das einzig Beruhigende an unserer Debatte ist die Feststellung, dass die Beschlusslage an den wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten nichts auszurichten vermag. Sie sind einfach so, wie sie sind. Auch wenn man beschließen sollte, die Sonne solle nicht mehr aufgehen oder sie solle 24 Stunden am Tag scheinen, wird das am Lauf der Geschichte nichts ändern.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das tut sie!)

Das ist natürlich gemein und es ist auch gegen das Gemeinwohl gerichtet, Frau Heinold, weil nur Sie das Gemeinwohl beschreiben. Aber das, was uns von Ihnen unterscheidet, ist ein gewisses Mindestmaß an Konsistenz in der Politik, die übrigens auch zur Glaubwürdigkeit beiträgt.

(Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf Ihre Konsistenz warten wir schon lange!)

- Herr Kollege Hentschel, was uns von Ihnen unterscheidet, ist die Tatsache, dass wir beide Seiten der Medaille im Auge haben, nicht nur eine. Die Union und wir wollten - zwar mit unterschiedlichen Ansätzen - die Tarifsätze bei der Steuer senken und, um die Tarifsenkung zu finanzieren, die Ausnahmetatbestände weitestgehend streichen. Sie kommen jetzt und sagen, Sie wollten die Ausnahmetatbestände streichen, damit der Staat mehr Einnahmen hat. Das wollten wir gerade nicht. Wir wollten, dass die Bürgerinnen und Bürger mehr Geld in der Tasche haben und das Steuerrecht transparenter wird und damit gerechter und auch einfacher.

(Beifall bei FDP und CDU)

Wie weit wir gekommen sind, Herr Finanzminister, das müsste Ihnen eigentlich den Schweiß in den Nacken treiben. „Deutschlands Topbonität wackelt“ schreibt die „Financial Times Deutschland“ heute. Der Finanzpolitik der Bundesregierung droht ein neuer Rückschlag. Die drei führenden internationalen Ratingagenturen erwägen, Deutschland die höchste Bonitätseinstufung zu entziehen.

Sie können sagen: Das interessiert uns einen Dreck. Ich kann Ihnen sagen, was bereits jetzt passiert. Im Markt für Kreditderivate, wo sich Investoren gegen sinkende Ratings absichern können, ist eine Versicherung gegen eine Herabstufung Deutschlands in den

(Wolfgang Kubicki)

letzten Wochen bereits deutlich teurer geworden. Eine Absicherung für Deutschland kostet nun mehr als für Frankreich oder Spanien. Das bedeutet auch, dass es finanzielle Auswirkungen auf deutsche Investoren hat, dass es finanzielle Auswirkungen auf ihre Möglichkeiten hat, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Es hat Auswirkungen auf die Schulden, die Schleswig-Holstein aufgenommen hat. Sie werden erleben: Das wird teurer werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Also muss die Politik darauf ausgerichtet sein, die Ratings nicht nach unten fahren zu lassen, sondern nach oben. Begründung S & P: Sollte die sprunghafte Politik fortgesetzt werden, könne das zu einem Problem für die Einstufung werden, sagt der S & PAnalyst Moritz Krämer. Deutschland falle bei fiskalischen und volkswirtschaftlichen Indikatoren hinter vergleichbare Länder zurück. Sprunghafte Politik: Das ist genau das, was wir Ihnen vorwerfen müssen.

Um bei dem beliebten Thema Hartz zu bleiben: Experten kritisieren Arbeitsmarktreform. Das ist heute überall zu lesen. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium, 30 von der Bundesregierung ausgesuchte Experten aus diesem Bereich, erklärt: Mehr noch, die finanziellen Risiken für die staatlichen Haushalte seien durch das Konzept, das jetzt eingesetzt werden soll, nicht kalkulierbar. Das sei ein „vernichtendes Urteil“ - so der „Tagesspiegel“ - für ein Vorzeigereformprojekt der Bundesregierung.

Das Schärfste ist heute die Kommentierung im „Handelsblatt“: Die Wende. Das muss man Sozialdemokraten ins Stammbuch schreiben. Das Wunder ist normalerweise keine Kategorie der Politik. Doch was gerade in Deutschlands Sozialdemokratie geschieht, sprengt alle Alltagserfahrungen des Berliner Politikbetriebes. Plötzlich geht all das mit der SPD, was seit Jahren als kapitalistisches Teufelszeug gegolten hatte. Ein Niedriglohnsektor, bisher vehement bekämpft, wird über Nacht auch für Sozialdemokraten zum Mittel der Wahl, um niedrig qualifizierten Menschen den Weg in die Arbeit zu öffnen. Das haben wir immer gesagt. Sie haben es abgelehnt.

Ein Arbeitsnehmerschutzgesetz, wie das gegen die Scheinselbstständigkeit, wird wie im Vorbeigehen auf den Müll deutscher Sozialgeschichte gekippt. Wir haben Ihnen gesagt, dass das passieren wird. Trotzdem haben Sie darauf beharrt. Warum? Weil nach der Definition dieses Gesetzes die Hartzsche Ich-AG verboten gehört. Sie korrigieren Fehler Ihrer Politik, die Tausende von Existenzen gekostet hat, und stellen

sich heute hin und sagen, Sie wollen noch mehr von diesem Unsinn bereinigen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, über den Antrag in der Sache abzustimmen. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist mit den Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP bei Enthaltung des SSW abgelehnt.

Jetzt bin ich gern bereit, die Tagesordnungspunkte 7 und 11 noch aufzurufen. Wir kommen zwar weit in die Mittagspause hinein, aber ich denke, es besteht Einvernehmen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Jetzt eine Stunde Debatte?)