Ich nenne ausdrücklich den Modellversuch PLAISIR im Kreis Segeberg und die Entscheidung der Sozialministerin, ein auf die deutschen Verhältnisse hin abgewandeltes PLAISIR-Verfahren, das Kieler Modell, landesweit schrittweise einzuführen und die bundesweite Einführung nachhaltig zu fördern. Denn die Grundmisere im Pflegebereich ist mit drei Worten zu kennzeichnen: Zu wenig Pflegekräfte! Hier bietet PLAISIR einen wirkungsvollen und den wohl bedeutsamsten Ansatz in der Pflegepolitik seit der Einführung der Pflegeversicherung. Zu diesem Punkt werde ich gewiss zu einer anderen Zeit noch einmal Gelegenheit haben, hier im Plenum zu sprechen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon etwas länger her, dass sich dieses Parlament intensiv mit dem Thema Pflege in direkter oder indirekter Weise beschäftigt hat. Es scheint Ruhe eingekehrt zu sein in dieser Angelegenheit. Oder etwa nicht? Vielleicht ist die Öffentlichkeit ja auch nur durch die Berichterstattung in der Presse auf andere Problematiken - Stichwort Regierungsumbildung - aufmerksam gemacht worden, sodass die Pflegesituation in unserem Land an Interesse verloren hat.
Vereinzelt lese ich immer wieder einmal etwas über einzelne Vorfälle, aber nicht mehr in dem Umfang wie noch im Jahr 2001. Hat das vielleicht damit zu tun, dass am 1. Januar 2002 das novellierte Heimgesetz und das neue Qualitätssicherungsgesetz in Kraft getreten sind?
Ich weiß, dass in vielen stationären Einrichtungen in diesem Land die Einrichtungsträger gemeinsam mit ihren Pflegekräften die Pflegesituation verbessert haben und es auch weiterhin tun werden. Dennoch wird es noch viel zu tun geben, bis wir einen befriedigenden Stand erreicht haben. So bin ich froh darüber, durch die vorliegende Antwort der Landesregierung erneut mit Ihnen über das Thema Pflege diskutieren zu können.
An dieser Stelle möchte ich mich in Namen meiner Fraktion bei den mitwirkenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die zu der Beantwortung beigetragen haben, und der Ministerin recht herzlich bedanken. Bietet uns diese Antwort doch umfangreiche Zahlen und ist damit eine gute Grundlage für unsere weitere politische Arbeit.
Ausgangspunkt für die Antwort der Landesregierung war der Versuch der CDU-Fraktion, durch eine Große Anfrage der Sozialministerin Versäumnisse in ihrer Fachaufsicht nachzuweisen. Die CDU-Fraktion hat dies in der Vergangenheit wiederholt versucht und der Sozialministerin vorgeworfen, dass sie ihre Pflicht zur Fachaufsicht nicht korrekt durchführt. Gelungen ist dies der CDU nie, sodass der damals erhobene Vorwurf, die Sozialministerin trage eine Mitverantwortung an den vom MDK im Jahr 2001 festgestellten Pflegemängeln, einfach nicht zutrifft.
Mithilfe dieser Großen Anfrage soll wohlmöglich erneut versucht werden, Versäumnisse des Ministeriums bei der Wahrnehmung seiner Fachaufsicht nach
nachzuweisen. Dies, meine Damen und Herren - so viel kann ich vorweg nehmen -, ist nicht gelungen. Das Ministerium hat seine Fachkompetenz wieder einmal unter Beweis gestellt und die erforderliche Hilfestellung für die Kreise und kreisfreien Städte, die die Verantwortung für die Heimaufsicht haben, geleistet.
Gefragt wurde in der Großen Anfrage vor allem nach Zahlen, also quantitativen Angaben. Diese Zahlen bringen uns jedoch kaum Erkenntnisse darüber, inwieweit sich die Qualität der Pflege und damit die Situation der Menschen verbessert hat. Anhand der Antworten kann ich jedoch unter anderem erkennen, dass im ersten Halbjahr 2002 37 % aller stationären Pflegeeinrichtungen in unserem Land von einer der Heimaufsichten geprüft worden sind. Der Prozentsatz ist von Heimaufsicht zu Heimaufsicht unterschiedlich. So liegt er zum Beispiel in Kiel bei circa 61 % aller Einrichtungen und im Kreis SchleswigFlensburg bei nur 7,5 %.
Da das Heimgesetz jedoch grundsätzlich eine Überprüfung stationärer Einrichtungen im Abstand von einem Jahr vorschreibt - wohl gemerkt: grundsätzlich! -, hätte ich gern gewusst, ob dieses Ziel erreicht wurde, und vor allem, welche Erkenntnisse diese Prüfungen gebracht haben. Um es auf einen klaren Nenner zu bringen: Hat die seit dem 1. Januar 2002 gültige neue Prüfqualität auch zu einer Verbesserung der Situation pflegebedürftiger Menschen geführt?
Die Antwort der Landesregierung zeigt uns auch, dass die Kreise und kreisfreien Städte begonnen hatten, ihre Heimaufsichten personell zu verstärken. Es ist gut, dass die Kommunen durch diese personelle Verstärkung zum Ausdruck bringen, dass ihnen diese Aufgabe wichtig ist.
Bis zum 30. Juni 2002 verfügten drei Viertel aller Heimaufsichten auch über pflegerischen Fachverstand, sodass sie bei den Prüfungen auf Pflegefachkräfte zurückgreifen konnten. Ich bin guter Zuversicht, dass sich diese Quote noch verbessern wird. Vielleicht ist es möglich, in der Beratung im Sozialausschuss ergänzende Angaben darüber zu erhalten.
Beunruhigt bin ich ein wenig über die wenigen Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung. Bei den enormen Kraftanstrengungen im vorhergehenden Jahr, in dem es umfangreiche Prüfungen der stationären Einrichtungen gab, kann man im ersten halben Jahr 2002 nur von stichprobenweisen Prüfungen reden. Knapp 7 % aller stationären
„Die Prüfungen der Heimaufsichtsbehörden in den Heimen fanden überwiegend ohne Beteiligung des MDK statt. Umgekehrt haben die Heimaufsichtsbehörden an fast allen Prüfungen des MDK im ersten Halbjahr 2002 teilgenommen.“
An dieser Stelle sollte ich noch erwähnen, dass die Antwort der Landesregierung belegt, dass die Heimaufsicht die Fachkliniken, für die das Sozialministerium zuständig ist, zu 100 % geprüft hat und auch ansonsten alle Kriterien erfüllt hat, nach denen in der Großen Anfrage der CDU gefragt wurde.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Große Anfrage und die hierauf gegebene Antwort der Landesregierung kommen zu früh. Ein halbes Jahr nach In-KraftTreten des novellierten Heimgesetzes ist zu kurz, um zu abschließenden Bewertungen zu kommen. Die gemachten Aussagen lassen aber auch keine Rückschlüsse auf die pflegerische Situation der Menschen zu. Gern würde ich wissen: Wie hat sich die persönliche pflegerische Situation der stationär untergebrachten Mitmenschen in diesem Land nach 2001 verändert? Was haben die umfassenden Prüfungen des MDK bewirkt? Zu welchen Verbesserungen haben die eingeleiteten strukturellen Veränderungen in den Einrichtungen geführt? Inwieweit haben das neue Qualitätssicherungsgesetz und das novellierte Heimgesetz etwas an der Situation der betroffenen Mitmenschen verändert? Zum Guten?
Den Ansatz der Landesregierung, dass bei aller Notwendigkeit funktionsfähiger Kontrollinstanzen gilt, dass Pflege- und Betreuungsqualität nicht von außen in die Pflegeheime „hineinkontrolliert“ werden kann, sondern von innen heraus gemeinsam von allen Beteiligten entwickelt und bewahrt werden muss, finde ich daher richtig.
Der Grundsatz „Prävention vor Kontrolle und Intervention“ dient von daher auch eher der Motivation der in der Pflege Beschäftigten, als sich allein auf Kontrolle zu verlassen.
Lassen Sie mich bitte die Gelegenheit nutzen, in diesem Zusammenhang auf das neue Projekt für Qualitätsentwicklung im ambulanten Pflegedienst, ProQua genannt, einzugehen. Die Chance, Ihre Qualitätsstandards professionell weiterzuentwickeln, sollen nun
auch ambulante Pflegedienste erhalten. Hier gibt es genau den von mir eben geschilderten Ansatz. Die Pflegekräfte sind die Mitgestalter von Qualitätsmaßstäben, indem sie in Entwicklungsprozesse einbezogen werden, um so den Zustand der Pflegequalität mit zu erheben und zu bewerten. Dies werden sie mithilfe eines vorgegebenen Themenkatalogs tun.
Es ist zu erwarten, dass durch dieses Verfahren die Arbeitszufriedenheit steigt, der Umgang mit den Pflegebedürftigen als befriedigender wahrgenommen wird und die Arbeitsabläufe an Effizienz gewinnen.
Bei der Entwicklung von Qualitätsmaßstäben spielt die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine wesentliche Rolle. Sie sind die Fachleute, die am besten beurteilen können, welche Qualitätsmerkmale ihre Arbeit kennzeichnen. Das bedeutet auch, dass sie sich durch ihre Beteiligung mit den Qualitätsmerkmalen identifizieren können und sie dadurch konsequent anwenden werden. Unterstützung erhalten sie bei ProQua durch eine professionelle Beratung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist für mich der vorrangige Weg, zu einer Verbesserung der Situation pflegebedürftiger Mitmenschen zu gelangen. Kontrolle soll sein, aber ein aktives Mitwirken aller von der Pflege Betroffenen führt eher zur Verbesserung und damit zur Zufriedenheit.
Ein weiterer Meilenstein in der Verbesserung der Pflegesituation ist das im Kreis Segeberg angesiedelte Modellprojekt PLAISIR. Es ist eine Möglichkeit für eine sachgerechte Personalbemessung und damit eine wesentliche Voraussetzung für qualitätsgesicherte Leistungen in der Pflege. Absicht ist, dieses Verfahren flächendeckend einzusetzen. Damit wird die Voraussetzung geschaffen, allen Beteiligten eine geeignete Grundlage für ein nachvollziehbares und transparentes Personalbemessungssystem in stationären Einrichtungen, die sich am tatsächlichen Pflege- und Betreuungsaufwand für die Bewohnerinnen und Bewohnern orientieren, zu geben.
Ich stelle fest: Das Land Schleswig-Holstein ist im Bereich der Verbesserung der Pflegesituation auf einem guten und erfolgreichen Weg, ja, ich behaupte, auf einem führenden Weg in der Bundesrepublik Deutschland.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier über einen Bericht der Landesregierung, der lediglich Antworten auf eine rein quantitative Abfrage von Kennzahlen und Handlungsvorgängen gibt. Leider ist in den Fragestellungen eine Zielrichtung des Antragstellers nicht so recht erkennbar, geschweige denn ein einheitliches Konzept.
Gerade zur Durchführung der Heimaufsicht hätte ich mir vom Antragsteller mehr Fragen, wie nach der künftigen Arbeit der Heimaufsicht, wie nach den Zielen, die eine Heimaufsicht konkret verfolgen soll, gewünscht.
(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP] - Zuruf von der SPD: Wir auch!)
Die zentralen Fragen, die sich aufgrund des vorgelegten Berichtes stellen, sind, wie die in § 2 des Heimgesetzes festgelegten Ziele konkret erreicht werden sollen. Wie kann ein Konzept aussehen, mit dem mehr Bewusstsein zur Qualitätsverbesserung der Pflegesituation bei den Heimträgern, dem dort beschäftigten Personal sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Heimaufsichtsbehörden, Medizinischem Dienst, Pflegekasse und Sozialhilfeträgern vermittelt werden soll?
Wenn eine dauerhafte Pflegequalität erreicht werden soll, darf man sich nicht auf Einzelbeschwerden vor Ort beschränken, sondern muss sich darauf konzentrieren, wie ein Gesamtkonzept der Pflege und die qualitative Umsetzung der Pflege geschaffen werden kann.
Frau Ministerin Moser, ich gebe Ihnen völlig Recht, dass in die Pflege- und Betreuungsqualität nicht von außen dauerhaft hineinkontrolliert werden kann. Um eine dauerhafte Pflegequalität erreichen zu können, ist ein entsprechendes Konzept gemeinsam mit den Beteiligten zu entwickeln. Das sind wir schon den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den jeweiligen Einrichtungen, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit gute Arbeit leisten, schuldig.
Wenn diese Mitarbeiter neben ihrer hohen Arbeitsbelastung zusätzlich dem durch einzelne Pflegeskandale in der Öffentlichkeit geschürten Misstrauen ausge
(Beifall der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP], Andreas Beran [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb kann der Grundsatz der Prävention und Beratung vor Kontrolle und Intervention ein guter Ansatz sein.
Dieser Grundsatz ist schön und gut, doch wie soll dieses Bewusstsein konkret erreicht werden, sodass es zu einem Qualitätsbewusstsein vor Ort kommen kann? Kann die Heimaufsicht dies tatsächlich leisten oder bedarf es hier nicht notwendigerweise auch der Hilfestellung und Überprüfung durch Dritte?
Abgesehen davon, dass der Personalmangel in vielen Einrichtungen durch die Qualitätsoffensive natürlich nicht bewältigt wird, möglicherweise auch nicht bewältigt werden kann, fehlen mir bislang auch konkrete Schritte zur Etablierung eines wirksamen und unabhängig arbeitenden Kontrollmechanismus. Gerade das ist eine entscheidende Voraussetzung für eine kontinuierliche Qualitätssicherung.