Protokoll der Sitzung vom 13.07.2000

(Martin Kayenburg [CDU]: Nach Amerika ist alles möglich!)

was ausgerechnet eine rot-grüne Bundesregierung veranlasst haben könnte, mit deutschen Steuermitteln Bürgschaftserklärungen für die Errichtung von Kernkraftwerken in China und an anderen Stätten dieses Globus abzugeben.

(Beifall bei der F.D.P.)

(Wolfgang Kubicki)

Man mag mir ja nicht trauen - dafür habe ich viel Verständnis -, aber im September 1999 haben 570 namhafte Wissenschaftler erklärt, dass die Risiken der Kernenergie denen entsprechen, die man bei einer massiven Ausweitung der Windenergieanlagen vor sich hätte. Das ist übrigens in der „Welt“ vom 30. September 1999 nachzulesen.

(Konrad Nabel [SPD]: Haben Sie noch eine andere Quelle?)

- Ich lese auch andere Zeitungen, aber die Aussagen bleiben ja identisch, auch wenn man verschiedene Zeitungen nimmt.

Man sollte sich vielleicht tatsächlich mit diesen Argumenten namhafter Wissenschaftler auseinander setzen.

Der Bundeskanzler hat der Verantwortungsethik zu ihrem Recht verholfen und uns vor dem energiepolitischen Irrsinn der Grünen bewahrt. Kommende Generationen werden es ihm danken - übrigens auch durch die Förderung der Forschung in der Kernfusion. Ich habe das bereits angesprochen.

Der Atomkompromiss, den wir als F.D.P. ausdrücklich begrüßen,

(Beifall bei der F.D.P.)

regelt augenscheinlich den Ausstieg aus der Kernkraft und den sicheren Betrieb der Kernkraftwerke bis zum geplanten Ausstieg. Die Restlaufzeiten der einzelnen Kernkraftwerke wurden offiziell auf 32 Jahre begrenzt. Wer etwas genauer nachrechnet, weil man ja Stillstandszeit und Reparaturzeiten noch mit einbeziehen muss, ist bei 35 Jahren. Zusätzlich werden Reststrommengen für jedes Kraftwerk festgelegt, die von einem Kraftwerk auf das andere übertragen werden können.

Die Wiederaufbereitung soll bis Mitte 2005 abgewikkelt werden. Ab dann soll der Atommüll in erst noch zu schaffenden kraftwerksnahen Zwischenlagern gesammelt und irgendwann direkt endgelagert werden.

Bei alledem soll das Sicherheitsniveau nicht absinken; es soll weiterhin intensiv geforscht werden - nur nicht am potentiellen Endlager Gorleben - und selbstverständlich soll die Beschäftigung nicht leiden.

Die Atomindustrie wird aber ein beschäftigungspolitischer Notfall werden. Die Zahl der Absolventen im Bereich der Kernphysik ist so enorm gesunken, dass der Bedarf an qualifiziertem Personal nicht mehr gedeckt werden kann. Das ist übrigens das gleiche Problem, das wir heute in der IT-Branche haben. Heute hat ja Niedersachsen schon erklärt, man wolle die Blue Card auch für Hochtechnologie-Berufe in anderen Zweigen als denen der IT-Technologie einführen.

Es fehlt uns das Humankapital, das für die Forschung und für die Aufrechterhaltung der Sicherheit unbedingt notwendig ist. Die Betreiber werden dieses Humankapital aus dem Ausland importieren. Wie gesagt, eine Blue Card für Kernphysiker!

Die Einwanderer werden unsere Kernkraftwerke steuern, geforscht wird im Ausland. Ein weiterer Bereich der Hochtechnologie wird aus den deutschen Universitäten vertrieben. Hoffen wir, dass der Atomkompromiss in der von den Grünen gewünschten Form nicht allzu lange Bestand hat. Der „brain drain“ verläuft schnell, der Wiederaufbau nur sehr langsam.

Aber unser Bundeskanzler Gerhard Schröder hat alle entscheidenden Termine so weit nach hinten geschoben, dass in dieser Legislaturperiode kein Kraftwerk mehr stillgelegt werden muss und auch nicht stillgelegt werden wird, wie wir ja von den Atomkonzernen bereits gehört haben.

Die Grünen haben es nicht geschafft, die Gültigkeit der Vereinbarung über diese Legislaturperiode hinaus festzuschreiben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, Ihren Freunden in Berlin ist ein Anfängerfehler unterlaufen. Jeder weiß, dass Verträge nur dann etwas wert sind, wenn man sie auch durchsetzen kann. Und das ist gerade beim Atomkompromiss nicht geschehen. Die Menschen erkennen das. Deswegen sind am Tage der Verkündung des Kompromisses die Aktienkurse der Energieversorger signifikant gestiegen.

Was sagt uns das? - Zugleich mit der Verkündung fand ein Referendum statt. Die Börse meldete sofort das Ergebnis: 35 Jahre Bestandsgarantie für die Kernkraftwerke. Das Volk ist zufrieden.

(Beifall bei der F.D.P.)

Die Vereinbarung kann jederzeit wieder aufgehoben werden und sie wird wieder aufgehoben, wenn die Grünen nicht mehr am Kabinettstisch sitzen, also spätestens nach der Bundestagswahl 2002. Denn dann sind die drei Regierungsphasen der Grünen im Bund zu Ende: die erste, die letzte und die einzige.

(Heiterkeit und Beifall bei F.D.P. und CDU)

Die F.D.P. begrüßt den Atomkompromiss; er ist der Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Kernenergie und erhält Deutschland die Chance auf Nutzung einer wichtigen, sicheren und umweltschonenden Energiequelle.

(Wolfgang Kubicki)

Wir werden die in den Anträgen geforderten Daten brauchen, um später den Erfolg der Kernenergie in Deutschland zu untersuchen. Deshalb unterstützt die F.D.P.-Fraktion alle Anträge.

(Beifall bei der F.D.P. und der Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU] und Klaus Schlie [CDU])

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann über die Sache, die Sie hier erzählt haben, nicht sehr lachen.

(Lachen bei CDU und F.D.P. - Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das müssen Sie auch gar nicht, Herr Hentschel! Die Bevölkerung lacht über Sie!)

- Nein, im Unterschied zu Ihnen, Herr Kubicki, habe ich nämlich unter anderem Atomphysik studiert.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Was haben Sie eigentlich nicht gemacht, Herr Hentschel?)

Ich habe dabei einiges gelernt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Aber nicht ge- nug!)

Trotz aller unterschiedlichen Auffassungen möchte ich zwei gemeinsame Punkte festhalten. Erstens. Wir alle gehen, wenn ich die Parteiprogramme richtig gelesen habe, davon aus, dass die Nutzung der Atomenergie nur eine vorübergehende Angelegenheit für einige Jahrzehnte ist. Es ist nur eine einzige Menschengeneration, die von dieser Technologie den zweifelhaften Nutzen haben wird.

Zweitens. Niemand von uns hat bis heute eine Lösung für die Endlagerung des radioaktiven Mülls. Insbesondere die Kernbrennstäbe mit Halbwertszeiten von über 20.000 Jahren machen uns allen - wie ich vermute - Sorgen. Denn bis heute weiß niemand, wie es gelingen kann, diese strahlenden Abfälle über Jahrtausende zu kühlen und sicher zu verwahren.

(Konrad Nabel [SPD]: So ist es!)

Wenn so um das Jahr 2020 das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet wird, dann werden wir bis dahin in Deutschland etwa 50 Jahre lang zirka 30 % unseres Stroms mit Atomkraftwerken erzeugt haben. Das entspricht im Durchschnitt etwa 10 % unseres Energieverbrauchs oder - anders ausgedrückt - dem

gesamten deutschen Energieverbrauch von etwa fünf Jahren. Wir werden also bei der Vermeidung des Klimaeffektes und beim Übergang auf regenerative Energien durch die Nutzung der Atomenergie etwa fünf Jahre Zeit gewonnen haben.

(Zuruf von der CDU: Das klingt nach Men- genlehre!)

Für diese fünf Jahre Zeitgewinn werden wir bis zum Jahre 2020 etwa 100 t Plutonium produziert haben. Bläst man von diesem Material die Menge einer Fingerkuppe aus einer Müllverbrennungsanlage heraus, dann reicht das, um eine Stadt wie Hamburg für Jahrtausende unbewohnbar zu machen.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Um einem Nichtphysiker eine Vorstellung zu geben, wie lange der Abbau dieses Materials dauert, noch ein paar Zahlen: Stellen Sie sich einmal vor, das Material wird in den Salzstock von Gorleben eingelagert. In 100 Jahren werden noch 99,7 % des Materials vorhanden sein.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Was wollen Sie uns damit sagen?)

In 500 Jahren, wenn also noch einmal die Zeit seit der Entdeckung Amerikas verstrichen sein wird, werden noch 98 % des Materials vorhanden sein.

(Martin Kayenburg [CDU]: Und so weiter!)

In 2000 Jahren - also noch einmal die Zeit seit der Geburt Christi - werden es noch 95 % sein und in 10.000 Jahren

(Zurufe von der CDU)

- das ist auch die Zeit, die seit der Eiszeit verstrichen ist

(Martin Kayenburg [CDU]: Seit der letzten!)