Protokoll der Sitzung vom 20.02.2003

(Beifall bei der CDU)

Wir haben auf Bundesebene entsprechende Anträge eingebracht und sind offenbar von denselben Grundüberlegungen ausgegangen wie auch Wirtschaftsminister Clement, wie die Wissenschaft, wie Frau Simonis und in Teilen auch Bundeskanzler Schröder. Ich will Sie gern daran erinnern: Anfang Februar hatte Herr Schröder im ZDF gesagt, es könne über Änderungen beim Kündigungsschutz gesprochen werden. Dann tun Sie es doch bitte schön!

Das ist die Konsequenz daraus. Herr Clement will - Herr Garg hatte darauf hingewiesen - die Schwellenwerte absenken, ab denen der Kündigungsschutz greift, und mit einem gleitenden Übergang gestalten. Das ist noch zu wenig, aber der Weg in die richtige Richtung. So jedenfalls sind die Barrieren nicht abgebaut.

Der Sachverständigenrat hat eine Lockerung des Kündigungsschutzes für Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten vorgeschlagen, und Professor Siebert sieht mehr Jobs durch die Lockerung des Kündigungsschutzes gewährleistet. Schließlich - und daran will ich Sie vor allem erinnern -: Frau Simonis stellt fest, dass die Gewerkschaften „manchmal zu unflexibel“ sind, fordert, den Kündigungsschutz auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften zu lockern, und will zur Belebung des Arbeitsmarktes die Lohnzusatzkosten senken, und auf Befragen sagt sie sogar, auf unter 40 %. Ich kann nur sagen: Herzlich willkommen!

(Beifall bei CDU und FDP)

Aber trotz all dieser Ankündigungen will Rot-Grün ein umfassendes Vorschlagspaket für Reformen am Arbeitsmarkt erst im Sommer vorlegen. Warum denn eigentlich nicht jetzt? Wir jedenfalls haben unser Konzept längst vorgelegt, und danach sollen unter anderem einzustellende vor allem ältere Arbeitnehmer zwischen Kündigungsschutz auf der einen Seite und Abfindungsvereinbarung auf der anderen Seite wählen können.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, da es um zusätzliche Arbeitsplätze geht, haben Sie heute die Möglichkeit, deutlich zu machen, ob Sie es ernst meinen mit dem Abbau der Regelungsdichte, ob Sie der Wirtschaft Luft für künftiges Wachstum verschaffen wollen und ob Sie vor allem älteren Arbeitslosen eine neue Chance geben wollen. Und vergessen Sie nicht: Jüngeren und älteren Arbeitslosen ist es lieber, mit einem innovativen Kündigungsschutzrecht Arbeit zu haben als mit einem reformbedürftigen Kündigungsschutz arbeitslos zu sein.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht zustimmen, dann steht Frau Simonis, wie auch bei der Werftenhilfe, wieder einmal allein da. Dann hat sie offenbar wieder als Blamierte dahergeplappert, vollmundig Maßnahmen angekündigt und wird bald von niemandem mehr ernst genommen.

(Beifall bei CDU und FDP - Glocke der Prä- sidentin)

Herr Abgeordneter, bitte kommen Sie zum Schluss.

Jawohl, Frau Präsidentin.

Wenn die SPD nicht zustimmt, dann gilt auch für die SPD: Es kreißte der Berg, gebar nicht einmal das sprichwörtliche Mäuslein, sondern allenfalls Sprechblasen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Birk das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Lockerung des Kündigungsschutz wird uns hier von der FDP und, wenn ich zuhöre, auch von der CDU als

(Angelika Birk)

Allheilmittel für den Wirtschaftsaufschwung verkündet.

(Martin Kayenburg [CDU]: Nicht Allheilmit- tel!)

Nicht nur von Ihnen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP]: Von Ihrer Bundestagsfraktion!)

Blicken wir einmal zurück: 1998 hat die abgewählte CDU/FDP-Bundesregierung die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes eingeschränkt auf Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern, also eine Verschiebung von der früheren Geltungsgrenze von fünf auf zehn Mitarbeiter. Ich zitiere jetzt unseren abwesenden Fraktionsvorsitzenden Hentschel, der dies aufgeschrieben hat:

„Ich kann mich sehr gut an Aussagen der Handwerksverbände erinnern, die davon sprachen, dass nun 500.000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen könnten.“

Daraus ist ja wohl nichts geworden. Von vielen neuen Arbeitsplätzen ist leider nicht die Rede. Die Arbeitslosenzahlen steigen bis heute an, und sie stiegen auch damals um 130.000. Offensichtlich hat dieses Instrument nicht gewirkt. Man kann sich jetzt darüber unterhalten, warum es nicht gewirkt hat.

Wir sollten uns schon vor Augen halten - darauf hat der Kollege Baasch hingewiesen -, dass der Kündigungsschutz ja nicht einfach nur eine Gefälligkeit gegenüber den Gewerkschaften ist, sondern er hat dazu beigetragen, dass wir langfristige Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, auch zwischen Arbeitgeberinnen und Arbeitnehmerinnen, haben. Das heißt, die Qualifikation der Leute ist besser. Wir haben verlässliche Arbeitsverhältnisse, die auch den Produktionsstandort Deutschland im Ausland als qualifizierten Standort ausweisen. Nicht nur Bildung gehört dazu, es gehören auch verlässliche Verhältnisse dazu.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Wenn wir nun vor dem Hintergrund der Debatte, die auch in meiner Fraktion geführt wird, an die Psychologie denken, die Psychologie, die offensichtlich von Arbeitgeberseite daran festhält, dass im Abbau des Kündigungsschutzes das Allheilmittel zu sehen ist, müssen wir uns schon genau angucken, wo die Hemmnisse sind. Es geht ja auch um die Frage, wer zuerst gekündigt wird, wenn denn gekündigt wird: der junge Leistungsträger in der Firma, der aber zuletzt eingestellt wurde, oder die ältere Arbeitnehmerin, die

kurz vor der Rente steht. Zum Thema ältere Arbeitnehmerinnen nach dem Hartz-Konzept hat Herr Baasch einiges ausgeführt.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU]: Offenbar verstehen Sie vom Kündi- gungsschutzrecht überhaupt nichts!)

Wir müssen uns schon klarmachen, an welcher Stelle wir tatsächlich nachgeben müssen und an welcher Stelle es nur eine Verschlechterung der Rechte ist, ohne dass man daraus wirklich eine wie immer geartete Konjunkturspritze machen kann.

Ich finde es deshalb richtig, dass wir den Antrag der FDP im Wirtschaftsausschuss ernsthaft diskutieren. Ich halte es schon angesichts der zugespitzten Situation für richtig, sich mit dem Kündigungsschutz ernsthaft auseinander zu setzen. Aber alle bisher vorliegenden Entwürfe müssen dann einmal im Hinblick auf die Historie und im Hinblick auf die neuen Instrumente, die wir durch Hartz haben und noch bekommen werden, geprüft werden.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Denn das Ganze muss ja System haben. Da komme ich gern auf das Beispiel Dänemark zurück. In Dänemark ist zwar der Kündigungsschutz sehr viel lockerer als hier.

(Zuruf von der CDU: Und die Arbeitslosig- keit ist dort geringer!)

Aber - und das ist der springende Punkt - es gibt dort ganz andere Sicherheiten: ein hohes Arbeitslosengeld, anschließende Weiterbildung und eine ganz andere Flexibilität tatsächlich auch durch verschiedenste Instrumente, in einen neuen Job zu kommen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Vor dem Hintergrund kann man auch den Kündigungsschutz lockern und mehr Bewegung in die Sache bringen.

Eine Reihe der jetzt schon beschlossenen HartzMaßnahmen bedeutet insbesondere für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen bis zu 800 € im Monat eine deutliche Verschlechterung, sowohl was die Sozialversicherung als auch was die völlige Herausnahme aus der Arbeitslosenversicherung angeht. Das müssen wir uns in den Wirkungen klarmachen. Wenn wir nun gleichzeitig gerade dieser Klientel - und das sind viele in den kleinen und Mittelstandsbetrieben; insbesondere in den Kleinstbetrieben, wenn wir zum Beispiel an Tou

(Angelika Birk)

rismusunternehmen denken - außerdem auch vom psychologischen Signal her den Kündigungsschutz nehmen, könnte ich mir vorstellen, dass das auch die Wirkung haben könnte, dass diese Leute noch weniger einkaufen, noch mehr ihr Geld zusammenhalten. Wir sagen immer: Die Konjunktur muss angekurbelt werden, es muss mehr konsumiert werden. Jetzt klagen auch die Banken, dass alle ihr Geld auf den Sparbüchern hielten.

Wenn wir das in Bezug auf die kleinen Unternehmen und die Arbeitgeberseite denken, müssen wir es auch in Bezug auf diejenigen denken, die davon betroffen sind, diejenigen, die gerade auf der Kippe stehen, genau in dem Segment, das jetzt in Bewegung ist: Werden sie arbeitslos oder bekommen sie wieder einen Job oder sind sie noch in Arbeit? Deshalb sollten wir an dieser Stelle sehr genau sein und müssen die Maßnahmen in einem Gesamtzusammenhang sehen.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich kann gerade auch dem Wirtschaftsausschuss nur raten, die sehr ausführlichen Stellungnahmen, die uns zum Hartz-Konzept im Rahmen des Sozialausschusses zugegangen sind, bei dieser Gelegenheit zurate zu ziehen und vielleicht auch einmal quer zu denken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Hinrichsen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie so oft geht es bei der bundesweit sehr emotional geführten Diskussion über eine Lockerung des Kündigungsschutzes eigentlich um eine Geisterdebatte, also um eine Debatte, die von den wahren Problemen der Wirtschaft ablenkt.

Ich habe großes Verständnis dafür, dass gerade der Mittelstand, der vor einer der schwersten Krisen in der Geschichte der Bundesrepublik steht, in der aktuellen Situation nach jedem Strohhalm greift. Dennoch ist es aus Sicht des SSW viel wichtiger, endlich Reformen in unseren Sozialsystemen anzusetzen. Diese sollen dafür sorgen, dass die Lohnnebenkosten der Betriebe massiv gesenkt werden; denn in den hohen Arbeitskosten liegt das wahre Problem.

Hinzu kommt auch die durch Basel II verursachte restriktive Kreditvergabe an die mittleren und kleinen Unternehmen. Hier muss staatlicherseits gegenge

steuert werden, um ein positives Klima für den Mittelstand zu erzeugen.

Wenig Verständnis habe ich deshalb für die Äußerungen des Wirtschaftsministers Clement, jetzt auch von den Grünen und von der Ministerpräsidentin. Durch diese Kündigungsschutzdiskussion stellen Sie den möglichen Erfolg des Hartz-Konzepts von vornherein infrage. Ein wichtiger Bereich des HartzKonzepts war und ist es doch gerade, verstärkt auf einen Ausbau der Leiharbeit zu setzen. Dadurch sollen die Unternehmen flexibler und schneller auf Produkt- und Auftragsschwankungen reagieren können, ohne gleich neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig einzustellen. Die Umsetzung dieses Konzepts würde auch dem Mittelstand entgegenkommen.

In diesem Zusammenhang haben die Gewerkschaften die Kröte Leiharbeit geschluckt, aber nur um den Preis, dass der Kündigungsschutz nicht angetastet wird. Da ist es natürlich fatal, wenn der Bundeswirtschaftsminister mit seiner Forderung nach einer Lockerung des Kündigungsschutzes den Kompromiss mit den Gewerkschaften aufkündigt.