Protokoll der Sitzung vom 02.04.2003

(Beifall bei FDP, SPD und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich kann - noch einmal! - von meinen amerikanischen Freunden, mit denen ich darüber rede, nicht erwarten, dass ich deren Akzeptanz vor Recht einfordere, wenn ich selbst gleichzeitig signalisiere, dass meine eigene Akzeptanz vor Recht variabel ist. Und das wäre sie in dieser Frage.

Jeder von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss das für sich selbst entscheiden. Aber wir sind als Parlamentarier zur Entscheidung aufgerufen. Wenn wir uns entschieden haben - und die Menschen erwarten das von uns -, dann erwartet man auch, dass wir diese Entscheidung kundtun. Deshalb erwarte ich, Kollege Fischer, dass Sie Ihrer ursprünglichen Intention folgen und mit uns gemeinsam feststellen, dass dieser Krieg völkerrechtswidrig ist, oder alle Ihre Resolutionen sind nicht mehr als Schall und Rauch.

(Beifall bei der FDP)

Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Meine Damen und Herren, ich glaube, die Regierung in Berlin und auch meine Partei sind absolut klar in ihrer Haltung, dass wir diesen Krieg ablehnen. Wir haben alles getan, auf internationaler Ebene und auf nationaler Ebene, um diesen Krieg zu verhindern. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel.

Worauf es in der jetzt folgenden Politik ankommt, ist aus meiner Sicht, dass wir Europa zusammenführen, dass wir diese Schwierigkeit, dass Europa an dieser Stelle auseinander gefallen ist, nicht noch weiter führen, sondern dass wir Europa zusammenführen. Das muss an allererster Stelle stehen. Deswegen sind für uns jetzt nicht vordergründig juristische Diskussionen zu führen, sondern für uns ist internationale Diplomatie entscheidend, damit Europa zusammengeführt wird, damit die UNO gestärkt wird und damit der Unilateralismus der USA zurückgedrängt wird und

(Karl-Martin Hentschel)

wir es schaffen, möglichst viele Menschen in dieser Welt für eine neue Weltwirtschaftsordnung, für eine neue Weltordnung wieder zusammenzuführen. Das steht für mich im Vordergrund.

Deswegen führe ich keine Debatte über die Überflugrechte. Wir wissen, dass in den USA 80 % der Menschen hinter Bush stehen. Das ist in Kriegszeiten normal; das wissen wir. Diesen psychologischen Effekt hat es in anderen Ländern auch schon gegeben. Diese Situation ist aber hochgradig problematisch.

Wir laufen in die Gefahr hinein, dass diese psychologischen Auseinandersetzungen zwischen den Völkern noch weiter eskalieren und Konsequenzen haben, die gar nicht mehr kontrollierbar sind. Ich habe große Befürchtung für das, was wir vorhaben, nämlich die Völker wieder zusammenzuführen. Deswegen glaube ich, dass es jetzt das Allerwichtigste ist, nicht neue Maßnahmen zu ergreifen, um sozusagen das Ganze noch einmal anzuheizen, sondern dass wir jetzt alles dafür tun - -

Herr Abgeordneter Hentschel, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

Ja, ich erlaube eine Zwischenfrage - ausnahmsweise.

Herr Kollege Hentschel, würden Sie mir und dem hohen Haus vielleicht erklären, warum Sie gegen diesen Krieg sind, nachdem die Grünen nicht immer gegen jeden Krieg waren? Denn gegen den Krieg in Serbien, im Kosovo waren Sie nicht.

- Herr Kubicki, das tue ich gern. Jeder, der mich und meine persönliche Geschichte kennt, weiß, dass ich nie ein Pazifist gewesen bin, dass ich immer der Meinung gewesen bin, dass das Recht durchgesetzt werden muss, und dass ich immer der Auffassung war, dass Unterdrückte das Recht haben, sich zu wehren. Ich glaube aber - deswegen habe ich vorhin ausführlich begründet, warum ich gegen diesen Krieg bin -, dass dieser Krieg nicht dem Kampf gegen den Terrorismus dient. Dieser Krieg stärkt den Terrorismus, weil er bei Millionen Menschen in aller Welt den Eindruck erweckt: Das hier ist ein Krieg der reichen Länder gegen die arabische Welt.

Wir haben die Situation, dass die Menschen in großen Teilen der Welt - in Asien, in Afrika, in den arabischen Ländern und in Südamerika - das nicht verste

hen. Für die sind die USA unglaubwürdig und die akzeptieren diesen Krieg nicht.

(Glocke des Präsidenten)

Die akzeptieren nicht, dass die USA einen Krieg ohne Genehmigung durch die UNO führen. Weil das so ist, wird dieser Krieg dazu führen - das ist meine Befürchtung; darin bin ich mir fast sicher -, dass der Terrorismus in der Welt nicht geschwächt wird.

Herr Abgeordneter Hentschel, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Zurufe)

Dieser Krieg wird den Terrorismus in der Welt stärken und nicht schwächen. Das ist furchtbar. Er wird über Jahre schwerwiegende Auswirkungen haben und deswegen lehnen wir ihn ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich die Diskussion fortsetzen lasse, rufe ich einen Geschäftsordnungsantrag auf. Herr Abgeordneter Hay, Sie haben das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Namens der SPD-Fraktion beantrage ich eine Sitzungsunterbrechung von 15 Minuten, um erneut den Versuch zu machen, dem hohen Haus eine gemeinsame Resolution vorzulegen.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich stelle allseits Zustimmung fest. Ich unterbreche die Sitzung für 15 Minuten.

(Unterbrechung: 11:25 bis 11:45 Uhr)

Meine Damen und Herren, Sie haben alle wieder Platz genommen.

Ich will Ihnen jetzt einen Vorschlag machen. Die Fraktionen versuchen, sich auf einen gemeinsamen Antrag zu einigen. Wir sind noch nicht ganz auf der

(Präsident Heinz-Werner Arens)

Zielgeraden angelangt. Ich mache Ihnen jetzt den Vorschlag, wir fahren in der Tagesordnung fort und werden diesen Punkt abstimmungsmäßig gegen 13 Uhr noch einmal aufrufen. Wenn Sie einverstanden sind, dann werden wir so verfahren.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf:

Abfallwirtschaft in Schleswig-Holstein

Große Anfrage der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/2200

Antwort der Landesregierung Drucksache 15/2538

Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht. Zur Beantwortung der Großen Anfrage erteile ich dem Minister für Umwelt, Naturschutz und Landwirtschaft, Herrn Minister Müller, das Wort.

Gleichzeitig bitte ich darum, dass wir wieder zur Arbeitsruhe zurückkehren.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, Ihnen heute die Antwort auf die Große Anfrage des SSW zur Abfallwirtschaft in Schleswig-Holstein vorlegen zu können. Sie enthält eine Fülle von Daten und Fakten, die von verschiedenen Stellen abgefragt wurden, insbesondere von den Kreisen und kreisfreien Städten, und dafür hatten wir uns, lieber Lars Harms, ja auch auf eine lange Zeit geeinigt. Sie bietet dem Landtag die Gelegenheit, sich erstmals seit der Großen Anfrage von 1997, damals der FDP-Fraktion, wieder mit der gesamten Situation der Abfallwirtschaft in SchleswigHolstein zu befassen.

Wie ich Ihrer Pressemitteilung vom 24. März entnehmen konnte, lieber Lars Harms, haben Sie eine erste Bewertung vorgenommen: Schleswig-Holstein könne seinen Müll nicht entsorgen und die Landesregierung sei in der Versenkung entschwunden. Das ist unzutreffend, lieber Lars Harms.

Wie sieht die Situation tatsächlich aus? Zunächst zu den Abfallmengen. Aus den vorgelegten Daten - nicht zum ersten Mal, wir haben das im Umweltausschuss schon einmal diskutiert – ist zu entnehmen, dass die Menge der in Schleswig-Holstein zur Entsorgung anstehenden Abfälle stagniert. Dabei steigt der Anteil der Abfälle zur Verwertung weiterhin, wenn auch nicht mehr so dynamisch, die Menge an Abfällen zur Beseitigung nimmt demzufolge noch etwas ab, wird aber nach unseren Erkenntnissen jedenfalls mittelfristig konstant bleiben.

Im Bereich der Siedlungsabfälle ist, wie Sie wissen, 2005 ein wichtiges Jahr, ab dem diese Abfälle vor ihrer Ablagerung einer Behandlung zu unterziehen sind. Nach Einschätzung des Landes werden dann noch etwa 990.000 t Restabfälle pro Jahr entweder in den Müllverbrennungsanlagen oder aber – das will ich besonders hervorheben – in mechanisch-biologischen Abfallbehandlungsanlagen – MBA – zu behandeln sein.

Wie steht es mit den Behandlungskapazitäten? Um die erforderlichen Behandlungen zu gewährleisten, haben die Kreise und kreisfreien Städte die Planungen entsprechender Anlagen eingeleitet und teilweise Kooperationsverträge mit Nachbarkreisen geschlossen. Zurzeit sind mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlagen in Lübeck-Niemark und Neumünster-Wittorferfeld geplant. Als Kraftwerksstandort soll in Neumünster die so genannte TEV zur thermischen Verwertung der heizwertreichen Grobfraktion aus MBA und heizwertreichen Gewerbeabfällen errichtet werden. In Tornesch-Ahrenlohe wird voraussichtlich die MVA um eine Vorbehandlungsanlage ergänzt. Dort sollen heizwertreiche Abfälle aus dem Restabfall abgetrennt werden, um dann an anderer Stelle verwertet zu werden.

Für die MBA Lübeck wurde am 4. März dieses Jahres die Genehmigung erteilt, für die TEV Neumünster wurde am 26. März dieses Jahres der immissionsschutzrechtliche Vorbescheid erteilt und für die MBA Neumünster ist am 28. März dieses Jahres der Antrag auf Genehmigungserteilung im LANU eingegangen.

Ob diese Planungen ausreichen werden, um 2005 eine Autarkie auf dem Gebiet der Beseitigung der Siedlungsabfälle in Schleswig-Holstein feststellen zu können, hängt unter anderem von der tatsächlichen und nicht letztendlich prognostizierbaren Entwicklung der Abfallmengen ab. Aber wie auch in anderen Bereichen können wir hier auf eine solide Zusammenarbeit mit Hamburg bauen. Das Umweltministerium als oberste Abfallentsorgungsbehörde wird weiterhin wie schon in der Vergangenheit gemeinsam mit den Planungsträgern kontinuierlich einen Abgleich der Abfallmengen mit den verfügbaren und geplanten Behandlungskapazitäten vornehmen. Deutschland hat einen hohen Standard auf dem Gebiet der Umwelttechnik, und dieses seit Jahren. Die gesetzlichen Grenzwerte genügen vorsorgenden Aspekten des Umwelt- und Gesundheitsschutzes. Europa zieht teilweise hier erst nach.

Meine umweltpolitische Zielsetzung ist es, hier in Schleswig-Holstein und in Kooperation mit Hamburg hochwertige Entsorgungsanlagen mit ausreichenden Kapazitäten zu realisieren und damit Abfahrtranspor

(Minister Klaus Müller)

te über lange Wegstrecken zu Anlagen mit niedrigerem Standard - wie das leider woanders teilweise der Fall ist - zu vermeiden. Deshalb haben die bereits erwähnten Anlagenplanungen meine volle Zustimmung. Und den immer mal wieder aufkeimenden Anhängern des Sankt-Floriansprinzips erteile ich eine deutliche Absage.

Das Umweltministerium hat die Sorgen von Teilen der Neumünsteraner Bevölkerung zum Anlass genommen, gemeinsam mit dem Antragsteller strengere Emissionsgrenzwerte für die TEV Neumünster zu erörtern, als sie in der 17. Immissionsschutzverordnung vorgesehen sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Erörterung dieser Werte sind in die immissonsschutzrechtlichen Vorbescheide eingeflossen. Die Planungen der MBA in Neumünster und Lübeck waren bisher nicht Gegenstand von Bürgerprotesten.