Protokoll der Sitzung vom 03.04.2003

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte zunächst auf der Tribüne unseren ehemaligen Kollegen Herrn Arnold Wilken begrüßen.

(Beifall)

Das Wort hat jetzt der Herr Oppositionsführer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die wirtschaftliche Lage und damit auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist momentan mehr als bedrohlich. Der Wirtschaftsminister hat uns das eben auch bestätigt.

Zur Behebung des Reformstaus, der wie Mehltau über dem Land liegt, einen Aufschwung in den vergangenen Jahren verhindert hat und auch jetzt noch verhindert, ist eine gemeinsame Kraftanstrengung von Politik und Wirtschaft, vor allem aber aller Bürgerinnen und Bürger erforderlich. Wir haben in der Vergangenheit häufig in der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Debatte altbekannte Thesen ausgetauscht und sind dabei auch gewissen Ritualen gefolgt. Auch heute erleben wir, dass diese Landesregierung die wirtschaftliche Lage nach wie vor nicht zutreffend darstellt. Ich bin mir aber ebenso sicher, dass wir als Opposition natürlich wieder gescholten werden, wir wollten das Land nur schlecht machen und die Lage kritischer darstellen, als sie tatsächlich sei. Aber die Lage ist leider so schlecht, wie sie ist.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

So sehen das auch das Institut für Weltwirtschaft und das Münchener ifo-Institut. Wenn Sie den Geschäftsklimaindex anschauen, können Sie für Westdeutschland im März einen Rückgang von 88,9 auf 88,1 Punkte feststellen. Die Zuversicht der Unternehmen lässt weiter deutlich nach. Das ist insbesondere des

halb ein Rückschlag, weil viele Experten noch im letzten Jahr davon ausgegangen waren, dass wir eine stabile Entwicklung des Frühindikators in diesem Jahr haben würden. Besonders betroffen sind Industrie und Großhandel, aber auch der Einzelhandel.

Und ich denke, auch die Wirtschaft hier im Norden steckt nach wie vor in einem Stimmungstief. Die Unternehmensverbände Hamburg und SchleswigHolstein erwarten für das ganze Jahr 2003 konjunkturelle Schwierigkeiten. Ein wirtschaftlicher Aufschwung ist in Schleswig-Holstein nicht in Sicht. Die Verbände machen dafür vor allem die Vertrauenskrise gegenüber der Bundesregierung verantwortlich, aber auch die kraftlose Wirtschaftspolitik dieses Landes.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Und ich will gern zitieren: „Diesem Bundeskanzler traut man einfach nichts mehr zu“ - Zitat Prof. Dr. Driftmann. Ich glaube, dem ist nichts mehr hinzufügen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Herr Minister Rohwer, Projekte sind wichtig - unbestritten -, Sie haben das eben erwähnt. Sie sagen aber überhaupt nichts aus über die gesamtwirtschaftliche Lage hier im Land. Fernab jeglicher politischen Rhetorik sollte auch die Landesregierung endlich erkennen, dass die Firmen ihre Lage deutlich ungünstiger einschätzen als beispielsweise noch vor einem Jahr. Natürlich leiden in einem solchen gesamtwirtschaftlichen Klima die Investitionsbereitschaft und die Bereitschaft, Mitarbeiter einzustellen. Weiterer Personalabbau, da sind sich die Experten leider einig, steht uns unmittelbar bevor.

Diese wirtschaftliche Gesamtlage steht leider im deutlichen Gegensatz zu dem, was die Landesregierung uns mit ihrem Wirtschaftsbericht verkaufen will. Nun ist es durchaus verständlich und richtig, dass die Landesregierung sich auch als Werber für das Land versteht. Das ist auch ihre Aufgabe. Aber eines, Herr Minister, sollten Sie auch nicht vergessen: Unglaubwürdige Werbung macht misstrauisch.

(Beifall bei CDU und FDP)

Der Unterschied zwischen dem, was Sie im Bericht anpreisen, und dem, was die Unternehmer, Arbeitnehmer, Konsumenten und nicht zuletzt die viel zu vielen Arbeitslosen empfinden, ist einfach viel zu groß. Man muss schon ein unglaublicher Optimist sein, um den Überschriften, die Sie wählen, noch zu trauen - Zitat -: „Attraktives Gründerland SchleswigHolstein“, „Schleswig-Holstein: Wachstumsstark in schwieriger Zeit“, „Schleswig-Holstein besser als

(Martin Kayenburg)

Westdeutschland“, „Kapitalversorgung sichergestellt“, „Schleswig-Holstein unterstützt die Werften“

(Beifall bei der SPD)

und zu guter Letzt: „Die A 20 kommt voran“. Nichts von alledem ist wahr. Meine Damen und Herren, da kann ich doch nur lachen. Ich verstehe Ihren Applaus an dieser Stelle überhaupt nicht.

(Beifall bei CDU und FDP)

Schön wär's! Die eigene Wirtschaftspolitik wird als direkt, schnell, zuverlässig und diskret gelobt. Da erübrigt sich wohl ein Kommentar. Ich glaube, die Eingeweihten wissen es besser.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sehr diskret! - Zu- ruf von der CDU: Luftblasen!)

Mit Statistiken kann man viel aussagen, aber auch - so meine ich - viel verschleiern. Eine Statistik fehlt im Wirtschaftsbericht, nämlich die Zahl der Insolvenzen in Schleswig-Holstein. Hier scheint die Landesregierung schamvoll zu verschweigen, was das Ausmaß der wirtschaftlichen Katastrophe eindrucksvoll deutlich macht. Die Zahlen des statistischen Landesamtes sprechen nämlich eine deutliche Sprache. Im vergangenen Jahr wurden über 3.700 Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Fast 1.400 Unternehmen sind im vergangenen Jahr in die Insolvenz gegangen. Das ist eine glatte Verdoppelung. Das ist Kennzeichen der wirtschaftlichen Situation.

(Zuruf von der CDU: Hört, hört!)

Die Insolvenzgerichte gehen von einer geschätzten Summe von mehr als 700 Millionen € an Forderungen bei den Unternehmensinsolvenzen aus. Dies macht meiner Ansicht nach deutlich, wie die Situation ist. Die Landesregierung kann sich auch nicht dahinter verstecken, dass das Insolvenzrecht geändert worden ist. Beschränkt man nämlich die Insolvenzen auf die Personen- und Kapitalgesellschaften - es ist leicht möglich, dies zu differenzieren -, dann zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Anstieg.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wenn wir über die wirtschaftliche Lage sprechen, gehört es zur Ehrlichkeit in diesem Hause, dass die Lage ungeschminkt dargestellt wird; denn das ist der erste Schritt für eine sachgerechte und wirklich wirksame Politik, die wir gern mitgestalten wollen.

Es ist einfach nicht ehrlich, Herr Minister Rohwer, wenn Sie nach der gerade zu Ende gegangenen INTERNORGA in Hamburg erklären, im Gastgewerbe ginge es wieder bergauf. Bei Umsatzeinbußen von

7 % im vergangenen Jahr und einer weiterhin dramatischen Lage im Hotel- und Gaststättengewerbe nimmt Ihnen das einfach niemand mehr ab.

(Beifall bei der CDU)

Sprechen Sie doch einmal mit den Kreditinstituten. Es wird Ihnen schlecht werden, wenn Sie sehen, was da noch in der Schuldenliste steht und auf uns zu kommt. Gesundbeten hilft da nämlich überhaupt nicht weiter.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Christel Aschmoneit-Lücke [FDP])

Wir dürfen bei all den Statistiken vor allem nicht vergessen, dass sich dahinter Menschen verbergen. Von den Unternehmensinsolvenzen - vielleicht rüttelt das ja die Sozialdemokraten wach - sind beispielsweise mindestens 6.350 Arbeitnehmer im Lande betroffen.

Damit komme ich zur Arbeitslosenstatistik. Den vorläufigen Tiefpunkt - das ist unstreitig - haben wir zwar im Februar erreicht. Aber die Zahlen von Ende März sind doch auch nicht besser. Aufgrund der heute von der Bundesanstalt für Arbeit veröffentlichten Zahlen ist festzustellen, dass im Vergleich zum Vorjahr 14,5 % oder 18.000 Menschen in diesem Lande weniger beschäftigt waren. Das sind die wahren Zahlen. Dass wir einen Anstieg der Arbeitslosigkeit haben und dass wir saisonbereinigt überhaupt keinen Erfolg haben, ist die Wahrheit und nicht das, was diese Landesregierung an Zahlen vorgelegt hat.

(Beifall bei CDU und FDP)

Da gibt es auch nichts zu beschönigen, Herr Minister. Es ist einfach nicht richtig, dass wir so gut dastehen. Lediglich Bremen und das viel zu lange rot-grün regierte Niedersachsen

(Unruhe bei der SPD)

stehen von den alten Bundsländern nach neuesten Zahlen schlechter da als Schleswig-Holstein. Deshalb ist es meines Erachtens fehl am Platze, dass sich die Landesregierung im Wirtschaftsbericht mit der Überschrift feiern lässt: „Schleswig-Holstein: Geringste Arbeitslosigkeit in Norddeutschland!“ - Das stimmt, wenn bei Ihnen Norddeutschland diesseits von Hamburg anfängt. Fakt ist also, dass die Kluft zwischen dem Norden und den unionsgeführten Bundesländern im Süden der Bundesrepublik größer geworden ist und dass es überhaupt keinen Hinweis darauf gibt, wie die Landesregierung das in der Zukunft verändern will.

Dabei müssen wir feststellen, dass der Anstieg der Arbeitslosenzahlen in Schleswig-Holstein nicht nur in den witterungs- und saisonabhängigen Bereichen der

(Martin Kayenburg)

Wirtschaft stattfindet; vielmehr haben wir vor allem in den Verwaltungs- und Büroberufen - so auch der Bericht vom März - erneut einen Anstieg an Arbeitslosigkeit. Ich gehe davon aus, dass die Einsicht, dass der Arbeitsmarkt dringend reformiert werden muss - sonst wären alle Ankündigungen von Kanzler Schröder wirklich nur Schall und Rauch -, auch von vielen Sozialdemokraten geteilt wird. Deshalb haben wir einen konkreten Antrag eingebracht, dessen Forderungen ich nochmals unterstreichen will.

Wir brauchen dringend eine Prüfung der Effektivität der Arbeitsmarktpolitik in Schleswig-Holstein. Die Summe der aufgewandten Mittel ist nicht gerade gering, Herr Minister. Die Erfolge der damit verbundenen Arbeitsmarktpolitik waren aber in der Vergangenheit ausgesprochen mäßig. Insbesondere bei den Langzeitarbeitslosen ist überhaupt keine Verbesserung der Situation festzustellen.

Damit verbunden ist auch unsere Forderung, die Beauftragung der Beratungsgesellschaft für Beschäftigung in Schleswig-Holstein einzustellen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir wissen da wohl zu unterscheiden. Formal haben Sie ja Recht; es ist eine Privatgesellschaft, die die Regierung nicht stilllegen kann. Aber die Beauftragung hinterfragen, das wird sie ja wohl noch können. Die Dramatik der Situation erfordert es, dass wir ohne Reibungsverluste und ohne unnötigen Verwaltungsaufwand die begrenzten Mittel effektiv einsetzen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Deswegen müssen wir die immerhin 35 Programme von ASH deutlich straffen und es müssen erkennbare Schwerpunkte gesetzt werden. Die Überprüfung, Herr Minister, ist seit drei Jahren überfällig. Schön, dass Sie sie heute wieder einmal ankündigen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir brauchen vor allem eine Umsteuerung bei der kostenintensiven Arbeitsmarktpolitik der Vergangenheit und den Einsatz frei werdender Mittel für Infrastrukturprojekte und Wirtschaftsförderung. Herr Minister, wenn Sie sich die Investitionsquote angucken, dann wissen Sie, warum die Situation im Lande so schlecht ist.