Protokoll der Sitzung vom 03.04.2003

Zu den strukturellen Problemen stelle ich fest: Wir haben in Deutschland eine ausgesprochen schlechte Konsumstimmung. Wir haben keine Situation, in der unsere Wirtschaft nicht konkurrenzfähig ist.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist kein struktu- relles Problem! Welchen Unsinn erzählen Sie hier eigentlich?)

- Herr Garg, wir haben im letzten Jahr in SchleswigHolstein ein Außenhandelswachstum von 15 % gehabt. Im letzten Jahr ist der Anteil des Außenhandels der schleswig-holsteinischen Wirtschaft, des produzierenden Sektors auf über 30 %, um 4 Prozentpunkte, gestiegen. Das ist der größte Zuwachs, den wir seit Jahren gehabt haben.

(Zuruf des Abgeordneten Rainer Wiegard [CDU])

(Karl-Martin Hentschel)

Das bedeutet: Die Wirtschaft ist international durchaus konkurrenzfähig.

Wir haben ein Problem mit der Binnenkonjunktur. Das ist allgemein bekannt. Das ist ein bundesweites Problem, das wir anpacken müssen - da haben Sie völlig Recht - und bei dem wir uns gemeinsam auf Konzepte einigen müssen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Das Erstaunliche an Ihrer Analyse, Herr Kayenburg - ich habe sehr genau zugehört -, ist Folgendes. Sie haben - das ist natürlich auch Ihre Aufgabe als Oppositionsführer - die augenblickliche Lage und die Politik kritisiert. Als es darum ging, die Wirtschaftspolitik des Landes zu charakterisieren, mussten Sie zugeben - das fand ich ausgesprochen bemerkenswert -, es sei durchaus anerkennenswert, was der Wirtschaftsminister in diesem Lande mache.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Martin Kayenburg [CDU]: Sagt!)

Wir haben nämlich in der Strukturpolitik SchleswigHolsteins mit unseren Schwerpunkten, nämlich auf Technologie, auf neue Technologien, auf Technologiezentren und so weiter zu setzen, Erfolge gehabt. Der Strukturwandel in Schleswig-Holstein wird ganz deutlich beschrieben. Das ist überhaupt nicht bezweifelbar. Ganz viele neue kleine Betriebe - sonst sähe es in Schleswig-Holstein sehr viel schlechter aus - sind in Schleswig-Holstein entstanden, gerade im Softwaresektor, im Bereich der neuen Technologien, im Bereich der Nanotechnologie, bei den Umwelttechnologien und - was ich gerade aus grüner Sicht erwähnen möchte - im Bereich der Windenergie, wo in den letzten Jahren regelmäßig Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen wurden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Daneben haben wir die Existenzgründungsinitiative, die ich damals, 1996, mitgefordert habe, die wir eingeleitet haben und die der Minister gerade mit dem Programm vom letzten Jahr hervorragend fortsetzt. Diese Existenzgründungsinitiative war ausgesprochen erfolgreich. Das heißt, der Strukturwandel ist richtig begleitet worden.

Wir haben ein zweites strukturelles Problem in Deutschland, das wir alle vor uns haben und das bisher von keiner Regierung, weder einer Schwarzen noch einer Rot-Grünen in Berlin, so konsequent angepackt worden ist, wie es notwendig gewesen wäre. Das ist das Problem der Lohnnebenkosten.

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Das ist der eigentliche Grund, aus dem selbst dann, wenn wir Wirtschaftswachstum haben, die Arbeitslosenzahlen nicht gesunken sind. Wir haben zu hohe Lohnnebenkosten.

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Was machen Sie? Was passiert?)

Mit über 40 % Sozialabgaben haben wir eine Situation, in der gerade die Arbeit in den unteren Einkommensbereichen systematisch bestraft wird, weil die 40 % zusätzlich zur Lohnsteuer wie eine Zusatzsteuer wirken.

Ich bin froh, dass der Bundeskanzler in seiner Rede gesagt hat, dass das die zentrale Aufgabe sei, die jetzt angepackt werden müsse. Wir müssen sie alle gemeinsam anpacken. Die Reform der Rentenversicherungssysteme, die Reform der Krankenkassensysteme, der Pflegeversicherung und der Arbeitslosenversicherung ist eine Mammutaufgabe, die wir alle nur gemeinsam bewältigen können. Das wissen wir. Ich fordere dazu auf, an diesem Prozess konstruktiv mitzuwirken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der CDU)

Wenn wir diese Aufgaben anpacken, dann - davon bin ich überzeugt - werden wir die Wirtschaft herumreißen. Wir sind in einem reichen Land. Wir haben ausgezeichnete technologische Grundbedingungen. Wir haben eine ausgezeichnete, gut ausgebildete Bevölkerung. Wir haben hervorragende Voraussetzungen, um im internationalen Maßstab konkurrenzfähig zu arbeiten.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, das heißt die Arbeit entlasten, damit es sich wieder lohnt, Leute einzustellen und zu arbeiten. Dann kriegen wir auch dieses Problem gelöst. Davon bin ich überzeugt. Lassen Sie uns gemeinsam an diesem Thema arbeiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Harms.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auch im Namen des SSW für den sehr übersichtlichen und informativen Wirt

(Lars Harms)

schaftsbericht 2003 der Landesregierung bedanken. Auch wenn wir sicherlich nicht mit allen politischen Bewertungen - das gilt für uns alle - des Berichtes einverstanden sind, so gibt er doch einen guten Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung und die Wirtschaftspolitik in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr.

Schon seit Sommer 2002 hat sich der Abwärtstrend der schleswig-holsteinischen Wirtschaft angekündigt. Obwohl Schleswig-Holsein im Jahresdurchschnitt 2002 mit 0,7 % Wirtschaftswachstum etwas besser als der Bundesdurchschnitt mit 0,2 % abgeschnitten hat, zeigte die rekordverdächtig hohe Anzahl der Insolvenzen in unserem Land, dass sich eine negative wirtschaftliche Entwicklung anbahnt. Auch die Arbeitslosenzahlen stiegen seit dem Herbst sowohl in Schleswig-Holstein als auch bundesweit dramatisch an.

Allerdings war der Export im vergangenen Jahr - hier insbesondere das verarbeitende Gewerbe - weiterhin ein Motor der Entwicklung in Schleswig-Holstein. In Schleswig-Holstein erreichten wir mit circa 34 % Export den höchsten Anteil in unserer Geschichte. Dabei müssen wir immer bedenken: Früher war Schleswig-Holstein kein Exportland. Wir suchen uns neue Märkte. Das ist ein absolut sicheres Zeichen, dass wir den richtigen Weg gehen. Aber die sehr laue Binnenkonjunktur und hier insbesondere der sinkende Privatkonsum unserer Wirtschaft machen uns schwer zu schaffen.

Von dieser negativen Entwicklung waren der Einzelhandel und das Handwerk betroffen, die im vergangenen Jahr stagnierende oder fallende Umsätze und einen Arbeitsplatzabbau zu verzeichnen hatten. Auch die wichtige Tourismusbranche stagnierte in Schleswig-Holstein in 2002 oder hatte sogar einen leichten Rückgang der Zahl der Übernachtungen zu verzeichnen.

Dramatisch ist und war die Lage in der Bauwirtschaft, wo 2002 über 10 % aller Arbeitsplätze verloren gingen. Gerade deshalb war es für diese Branche so wichtig, dass der Landtag im Februar endlich ein Tariftreuegesetz auf den Weg gebracht hat, was von der Branche immer gefordert wurde. Dieses Gesetz sichert fairen Wettbewerb bei öffentlichen Aufträgen und verbessert somit die Wettbewerbssituationen unserer heimischen Unternehmen. Damit haben wir als Landtag eben auch etwas getan.

(Zuruf von der CDU)

Seit Jahresanfang haben wir weitere Hiobsbotschaften auf dem schleswig-holsteinischen Arbeitsmarkt zu verzeichnen. Ich möchte hier nur beispielhaft auf die

Probleme beim Druckmaschinenhersteller Heidelberg, bei der HDW oder auf die jetzt angedrohte Schließung der Nordzucker in Schleswig hinweisen. Diese Beispiele sind nur die Spitze des Eisbergs bei den Arbeitsplatzverlusten, die wir jetzt verzeichnen müssen.

Mit der Schließung der Zuckerfabrik in Schleswig wird im Landesteil Schleswig fast keine Veredelung von landwirtschaftlichen Produkten mehr stattfinden. Das ist für eine landländliche Region wie die unsere besonders bitter. Grotesk ist, dass man diese landwirtschaftlichen Produkte, sprich den Zucker, bis nach Mecklenburg-Vorpommern karren muss, um ihn zu verarbeiten. Das ist wirklich etwas, mit dem wir als Schleswig-Holsteiner so nicht zufrieden sein können.

Aus einer Blitzumfrage der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein bei 270 Firmen ergab sich, dass die Stimmung der norddeutschen Wirtschaft so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr ist. Der Wirtschaftsminister macht hauptsächlich die schlechtere internationale Konjunktur für diese Entwicklung verantwortlich. Das ist zum Teil auch sicherlich richtig. Natürlich wird der anhaltende Irak-Krieg, je nachdem, wie lange er dauert, weitere Konjunkturprobleme mit sich bringen. Auch aus wirtschaftlicher Sicht kann man deshalb nur hoffen, dass dieser unsägliche Krieg so schnell wie möglich und mit minimalen menschlichen und materiellen Verlusten beendet wird. Aber die internationale Konjunktur ist eben nur ein Teil der Erklärung für die angespannte wirtschaftliche Situation.

Wenn gerade die Binnenkonjunktur das Hauptproblem ist, dann liegt es auf der Hand, dass es sich um hausgemachte Probleme handelt. Ich meine nicht hausgemachte schleswig-holsteinische, sondern deutsche Probleme. Wenn sich die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger bei Investitionen und Konsum so zurückhalten, liegt dies insbesondere an der Unsicherheit, wie es mit den Reformen in der Bundesrepublik weitergehen soll.

Daher ist es im Prinzip richtig, dass die Bundesregierung noch in diesem Jahr endlich wegweisende Reformen unseres Sozialsystems auf den Weg bringen will. Wir brauchen eine Zukunftssicherung des Sozialstaates und eine Senkung der Lohnnebenkosten als Signal an die Menschen und an die Wirtschaft, dass die Probleme angepackt werden. Bundeskanzler Schröder hat vor Jahren einmal gesagt, es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur eine richtige Wirtschaftspolitik. Leider ist er diesem Anspruch bis heute nicht gerecht geworden.

(Lachen bei der FDP)

(Lars Harms)

Noch schlimmer ist aus Sicht des SSW, dass viele der vorgeschlagenen Reformschritte der Bundesregierung im Grunde nichts weiter als ein Kahlschlag auf Kosten der sozial Schwachen sind. Das gilt insbesondere für die vorgeschlagenen Kürzungen beim Arbeitslosengeld und die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf niedrigstem Niveau. Ich verstehe nicht, wie durch solche Kürzungen in diesem Bereich neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen. Im Gegenteil wäre dies volkswirtschaftlich kontraproduktiv, da gerade diese Bevölkerungsgruppen eine hohe Konsumquote aufweisen und wir ja nun einmal Probleme mit der Binnenkonjunktur haben.

Der SSW lehnt es also angesichts von 4,7 Millionen Arbeitslosen und nur wenigen hunderttausend offenen Stellen ab, die Bezugsdauer und Höhe des Arbeitslosengeldes oder der Arbeitslosenhilfe massiv zu verringern. Das kommt einer Bestrafung der Arbeitslosen gleich und ist somit inakzeptabel.

Gerade die dahin gehenden Vorschläge des CDUAntrages können wir somit überhaupt nicht unterstützen. Besonders empört hat uns die Forderung im CDU-Antrag, dass Kommunen verstärkt von der Möglichkeit Gebrauch machen sollten, bei Verweigerung von zumutbaren Arbeiten die Sozialhilfebezüge empfindlich zu kürzen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist doch schon Gesetz! - Anke Spoorendonk [SSW]: Warum schreiben Sie es dann in den Antrag, wenn es schon Gesetz ist?)

Damit unterstellt man, dass die Sozialhilfeempfänger zu faul sind und auch zu viel Geld bekommen.

Natürlich müssen auch Forderungen an die Arbeitslosen gestellt werden. Aber Hauptziel muss es bleiben, diesen Menschen entweder vernünftige Arbeitsplatzangebote zu vermitteln oder ihre Aus-, Fort- und Weiterbildung gezielt zu unterstützen.

(Beifall beim SSW)

Wir sollten nicht bei den Arbeitslosen bestrafend ansetzen, sondern versuchen, diese Menschen zu fördern, damit sie überhaupt Arbeit annehmen können. Das ist der Weg. Bestrafen ist kein Weg.

(Beifall der Abgeordneten Anke Spooren- donk [SSW])

Gerade deshalb bleiben wir bei unserer Haltung, dass das Hartz-Konzept erst einmal vernünftig umgesetzt werden muss, bevor man weitere Schritte zum Beispiel beim Kündigungsschutz anpeilt.