Protokoll der Sitzung vom 08.05.2003

Herr Abgeordneter Weber, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute zum wiederholten Mal Vorstöße der FDP in Bezug auf Gebühren für Langzeitstudierende. Auch heute muss ich Ihnen, lieber Kollege Klug, sagen: Über die Ziele, die Sie formuliert haben, lässt sich sehr wohl diskutieren, aber wir bleiben bei der Auffassung, dass mit dem, was Sie vorschlagen, die Ziele, die Sie erreichen wollen, nicht erreicht werden können. Das ist unsere Hauptkritik an Ihrem Gesetzentwurf. Ich will das mit einigen Sätzen kurz noch einmal begründen.

Sie peilen zwei Ziele an. Das eine ist die Verkürzung der Studiendauer, das Zweite ist das Generieren einer zusätzlichen Finanzquelle für die Hochschulen. Sie negieren prinzipiell und ausdauernd die Tatsache, dass wir an den Hochschulen faktisch Teilzeitstudierende und Studienbedingungen haben, die es immer noch unmöglich machen, ein Studium in der Regelstudienzeit zu beenden. Deswegen glauben wir, dass diese Fragen geklärt und gelöst werden müssen, bevor man an die Gebührensituation denkt.

(Beifall bei SPD)

Daher bleiben wir dabei, dass wir in dieser Legislaturperiode an das Thema Studiengebühren nicht herangehen wollen.

Sie nennen als Beispiel aus anderen Bundesländern, dass es bei Studiengebühren natürlich hohe Exmatrikulationszahlen gibt, dass aber natürlich auch ein großer Restbestand bleibt. Selbstverständlich gibt es diesen hohen Restbestand, weil es aufgrund sehr vie

(Jürgen Weber)

ler individueller Situationen viele Studierende gibt, die - zum Beispiel aufgrund von Teilzeitsituationen - diese Zeit brauchen, um ihr Studium zu beenden. Es exmatrikuliert sich aber keiner, der den Willen hat, ein Studium zu beenden.

Meine Damen und Herren, ein Punkt kommt hinzu. Wir haben uns natürlich der Mühe unterzogen, alle Argumente noch einmal ernsthaft abzuwägen. Der Bildungsausschuss hat eine schriftliche Anhörung aller Beteiligten im Hochschulbereich durchgeführt. Sie können nicht einfach die Augen davor verschließen, dass sich die an der Hochschule Beteiligten, nicht nur die Studierenden, sondern auch die Rektorate der Hochschulen und die Verbände, fast ausnahmslos eindeutig gegen Ihren Gesetzentwurf ausgesprochen haben. Das heißt: Auch die Hochschulen sehen nicht die Perspektive, hier eine Finanzquelle zu generieren, sondern sie sehen eher das Problem, dass damit eher vom Studium abgeschreckt wird und dass bürokratische Hemmnisse aufgebaut werden.

Deswegen will ich gerne die Gelegenheit nutzen, einen kleinen gedanklichen Schlenker zu machen, und auf die allgemeine Diskussion über Studiengebühren eingehen. Wenn wir uns die aktuellen Zahlen, die uns immer wieder auf den Tisch kommen, vor Augen führen - erst vor kurzem wurde ein Gutachten zweier Wissenschaftler für die Max-Traeger-Stiftung vorgelegt -, dann sehen wir in den Staaten, die in letzter Zeit kurzfristig Studiengebühren eingeführt haben, so zum Beispiel in Österreich, einen Rückgang der Studienanfänger um 15 %.

(Veronika Kolb [FDP]: Das muss aber nicht schädlich sein!)

Meine Damen und Herren, das können wir uns momentan in Deutschland nicht leisten.

(Beifall bei der SPD)

Den Rückgang von Studienanfängern muss man, denke ich, im Zusammenhang damit sehen. Wir werden deswegen Ihrem Gesetzentwurf unsere Zustimmung leider verweigern müssen. Ich will gerne hinzufügen: Nach dem gestrigen Tag mit sehr viel großer Koalition hätte ich persönlich heute gerne auch ein politisches Signal in Richtung FDP ausgesandt. Das Thema Studiengebühr gibt dazu leider überhaupt keinen Anlass, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir wollen einmal sehen, wie lange Sie Ihre Position noch halten können, Herr Kollege Weber! Wahrscheinlich verkaufen Sie das in vier Monaten als sozialdemokrati- sches Reformvorhaben!)

Das Wort hat der Herr Abgeordnete de Jager.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch wir werden - das ist in der Rede des Kollegen Klug schon deutlich geworden -, zusammen übrigens mit der SPD und den Grünen, den Gesetzentwurf der FDP ablehnen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Mich wundert gar nichts mehr!)

Aber Sie werden gleich im Zuge meiner Ausführungen hören, dass das nichts mit einer neuen Farbenlehre zu tun hat, sondern dass wir dies haargenau aus den gegenteiligen Gründen wie die SPD tun.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Immerhin!)

Ich darf nun auch erläutern, weswegen wir gegen den Gesetzentwurf der FDP sind.

Der Begriff „Studiengebührengesetz“ ist irreführend. Denn das von der FDP eingebrachte „Gesetz über die Studiengebühren an staatlichen Hochschulen des Landes Schleswig-Holstein“ sieht vor, im Regelfall keine Studiengebühren zu erheben und dies nur für Studierende zu tun, die eine gewisse Semesterzahl überschritten haben beziehungsweise ein Zweitstudium oder weitere Angebote annehmen. Der Kollege Klug hat sehr deutlich gemacht, dass es das explizite Ziel dieses Gesetzentwurfs ist, weite Teile auch weiterhin studiengebührenfrei zu halten. Im Wesentlichen ist dies also eine Initiative, mit der vor allem Langzeitstudiengebühren einführt werden sollen.

Nun sind wir als CDU-Fraktion keineswegs gegen Maßnahmen, die zu einer Studienzeitverkürzung führen oder mit denen Gebühren an staatlichen Hochschulen eingeführt werden. Im Gegenteil. Aber wir glauben nicht, dass der vorgelegte Gesetzentwurf der FDP dieses Ziel besonders wirksam erreichen würde.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sie sollten einmal an eine Hochschule gehen und mit Langzeit- studenten arbeiten!)

Das Ziel der CDU-Fraktion ist es nicht, Studiengebühren für Langzeitstudierende einzuführen, sondern Studiengebühren an staatlichen Hochschulen generell zu ermöglichen. Wir glauben, dass damit eine qualitative Veränderung des Studiums einhergehen würde, die ein Studienzeitkontenmodell oder Strafgebühren alleine nicht leisten können.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist Ihr Gesetzentwurf?)

(Jost de Jager)

- Der kommt schon noch, Frau Heinold. Das sollten Sie in Ruhe abwarten. Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten initiativ werden.

Es ist richtig, Kollege Klug, dass wir damit als CDUFraktion in Schleswig-Holstein eine andere Position einnehmen als viele andere CDU-Fraktionen in anderen Bundesländern oder auch Regierungen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Auch nicht mehr lange, Herr de Jager!)

Außerdem möchte ich auch darauf hinweisen, meine Damen und Herren, dass bis auf die einzeilige Stellungnahme des Unternehmensverbandes in der schriftlichen Anhörung von niemandem der Gesetzentwurf der FDP befürwortet wurde. Ich möchte auf die Stellungnahme der Fachhochschule Kiel verweisen, die deutlich gemacht hat, dass aufgrund der in der Regel kurzen Studiendauer an den Fachhochschulen der Kostenaufwand für die Durchführung eines Studienkontenmodells an der Fachhochschule Kiel die Einnahmen bei weitem übertreffen würde. In diesem Fall würde Ihr Modell, Herr Kollege Klug, den Fachhochschulen kein zusätzliches Geld zuführen, sondern ihnen Geld entziehen. Das kann keine vernünftige Politik sein.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das steht bei uns nicht drin!)

Herr Kollege Kubicki, darüber hinaus darf ich die Stellungnahme des Deutschen Hochschulverbandes zitieren, der sich wie folgt äußert: Inhaltlich lasse sich der mit diesem Kontenmodell betriebene gesetzliche und verwaltungstechnische Aufwand nur dann rechtfertigen, wenn damit auch ein Instrumentarium und eine Infrastruktur für eine zukünftige Erhebung von Studiengebühren für das Erststudium installiert werden solle.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Wir haben keine Konten!)

Eben darauf möchte ich hinaus. Denn neben den organisatorischen Gründen, die gegen ein Studienkontenmodell sprechen, gibt es auch inhaltliche. Der Nachteil all dieser Modelle, die Langzeitstudierende belasten sollen, besteht darin, dass die Sanktion, nämlich die Strafgebühr, zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem das Kind eigentlich schon in den Brunnen gefallen ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Herr de Jager, Studienkonten will Frau Erdsiek-Rave, nicht wir!)

Auch aus diesem Grunde möchten wir dies nicht machen.

Meine Damen und Herren, wir werden - das ist auch eine Antwort an Sie, Frau Heinold - die Einführung genereller Studiengebühren im Zuge der Beratungen des Erichsen-Gutachtens hier in diesem hohen Hause beantragen, denn wir glauben, dass Studiengebühren für das Erststudium oder das Regelstudium ein ganz wesentlicher und qualitativer Bestandteil eines neuen Hochschulfinanzierungssystems sind.

Sie verändern in erster Linie das Verhältnis der Studierenden zu ihrem Studium, weil der Studierende auf einmal ein materielles Interesse daran hat, zügig fertig zu werden. Die Gebühren können ein zusätzlicher Ansporn sein, auch inhaltlich möglichst viel aus einem Studium herauszuholen. Im Unterschied zu den Strafgebühren und den Studienkontenmodellen führen echte Studiengebühren ab dem ersten Semester zu einem Anreiz zu Studienzeitverkürzungen. Das halten wir für einen sinnvollen Weg.

Studiengebühren verändern allerdings auch die Stellung der Studierenden zu ihrer Hochschule. Der Studierende ist nicht mehr Empfänger einer öffentlichen Leistung, sondern zahlender Kunde. Damit hat er gegenüber seiner Hochschule Ansprüche, die er gegenwärtig nicht hat. Studiengebühren müssen mit einem Darlehenswesen einhergehen und sozial verträglich eingeführt werden. Studiengebühren dürfen niemals nur das Notopfer der einen Generation von Studierenden für die nächste sein. Studiengebühren müssen vielmehr die Studienbedingungen zeitgleich mit ihrer Erhebung merklich verbessern.

(Beifall bei der CDU)

Dazu gehört der Umstand, dass die Mittel, die den Hochschulen durch die Studiengebühren zugeführt werden, auch tatsächlich dort verbleiben. Anders machen sie in der Tat keinen Sinn.

Sie sehen, dass wir den Gesetzentwurf der FDP zwar zusammen mit der SPD ablehnen, jedoch aus komplett anderen Gründen. Herr Kollege Klug, ich bin sicher, dass wir bei der Beratung der generellen Studiengebühren, die wir beantragen werden, einen gemeinsamen Weg gehen können und werden. Ich glaube, dass nicht zuletzt durch die Bemerkungen von Herrn Erichsen in dem Kommissionsbericht zum Thema Studiengebühren die Zeit ein wenig über die Modelle der Studienkonten hinausgegangen ist. Das Thema lautet jetzt echte Studiengebühren. Dem wollen wir uns stellen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Abgeordnete Birk hat das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Studiengebühren fördern nicht Forschung und Lehre, sondern Forschung und Leere der Seminare und Hörsäle. Schleswig-Holstein hat aber nicht zu viele Studierende, sondern zu wenige. Die PISA-Ergebnisse bescheinigen der Bundesrepublik insgesamt im Fach Chancengleichheit eine mangelhafte Bewertung. Statt diese durch Studiengebühren in eine ungenügende Bewertung zu verwandeln, wollen wir, dass die Schulen und Hochschulen sich noch mehr der Gesellschaft öffnen und ihr Angebot attraktiver und verantwortungsvoller gestalten. Die Beispiele zeigen, dass es dort, wo dies geschieht, keine nennenswerte Anzahl von jungen Leuten gibt, die zu lange studieren.

Zum Stichwort Evaluation der Lehre sage ich: Damit die Hörsäle und Seminare nicht leer bleiben, bedarf es auch der Einbeziehung der Studierenden, wenn es darum geht, die Lehre zu bewerten. Es ist doch merkwürdig: In jedem Fortbildungsseminar der Industrie wurde längst eine Feedback-Kultur eingeführt. Dort, wo sie eigentlich am notwendigsten und nahe liegendsten wäre, nämlich in den Schulen und Hochschulen, haben wir so etwas nicht.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Wir haben weder Fragebogen noch andere Formen der kommunikativen Feedback-Kultur, im Rahmen derer sich diejenigen, die etwas weitergeben wollen, vergewissern, dass es dort, wo es hingehört, überhaupt ankommt. Das Einzige, was wir kennen, sind Tests und Klassenarbeiten - also Prüfungen. Eine etwas weniger hierarchische Form der Überprüfung gibt es in Deutschland nicht als Feedback-Kultur. Dort, wo diese eingeführt wird, wird sehr viel schneller klar, woran es hakt. Es wird deutlich, ob ein Studium zum Beispiel so angeboten wird, dass diejenigen, die es wahrnehmen wollen, es gar nicht in der Regelstudienzeit schaffen können, weil beispielsweise das Programm nicht so gestaltet ist, dass man es in einer Woche oder in einem Semester ableisten kann. Es könnte auch denjenigen, die die Lehre anbieten, sehr deutlich werden, dass beispielsweise ein gewisser Prozentsatz - oder sogar die überwiegende Mehrheit - der Studierenden praktisch vollzeit berufstätig ist. Wenn das so ist, dann kann man prüfen, warum das so ist. Reicht das BAföG nicht? Gibt es übertriebene Lebensansprüche oder handelt es sich sogar um Studierende, die aus dem Berufsleben heraus zum Studieren gekommen sind? Auch in solchen Fällen muss man das Studium umstellen. Erst dann wird deutlich, ob es vielleicht einen geringen Prozentsatz an Menschen gibt, die aus versicherungstechnischen

Gründen auf dem Studententicket segeln. Das ist jedoch ein Problem, das man landtagstechnisch gezielt lösen kann.

Bei der Mehrheit der Studierenden bewegen wir uns aber nicht in solchen Situationen. Ein Konglomerat aus verschiedenen Gründen sorgt dafür, dass das Studium an der einen Hochschule oder in dem einen Fach über Gebühr lange dauert, während es in anderen Bereichen zügig vorangeht. Insbesondere dort, wo die internationale Anpassung durch Bachelor- und Masters-Abschlüsse - die scheut die FDP wie der Teufel das Weihwasser -, wo internationaler Austausch und so weiter vorankommen, zeigt sich, dass das Studium interessant ist und zügig absolviert wird.