Protokoll der Sitzung vom 09.05.2003

Ich darf jetzt auf der Tribüne Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer der BrunoLorenzen-Realschule in Schleswig begrüßen. - Herzlich willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!

(Beifall)

Ich erteile für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wirklich erstaunlich, welche kriminalistischen Möglichkeiten der Fortschritt der Gentechnologie bietet. An nahezu jedem Tatort hinterlassen Täter genetische Fingerabdrücke, die ihnen immer häufiger zum Verhängnis werden. Jahrzehntealte Verbrechen, die als unlösbar galten, werden nun aufgeklärt. Es scheint fast, als wäre in der Strafverfolgung bald nichts mehr unmöglich, denn die heute schon vorhandenen Möglichkeiten werden bei weitem noch nicht ausgenutzt.

Ich kann auch sagen, dass die Feststellung, dass die in Schleswig-Holstein gewählte Freiwilligkeitslösung zur DNA-Probe eigentlich Erfolg gehabt hat, bereits mehr als genug ist.

Wenn es um die politische Bewertung von kriminalistischen DNA-Analysen geht, dann reden wir eben nicht nur davon, was alles möglich ist. Mit der Erhebung von Erbgut zur Identifikation von Personen - das ist nämlich der Unterschied zwischen Fingerabdrücken und der DNA - geht es auch um einen Ein

griff in die grundrechtlich geschützte Privatsphäre. Das gilt umso mehr, als es heute längst nicht mehr nur darum geht, bei einer bestimmten Tat Aufklärung zu leisten, sondern gerade um die präventive Speicherung der DNA.

Dem Antrag der CDU liegt die Analyse zugrunde, dass Menschen, die später schwerste Verbrechen begehen, meist vorher durch weniger gewichtige Straftaten aufgefallen sind. Indem man früh in einer solchen „Karriere“ ein DNA-Profil der Betreffenden speichert, sollen sie später leichter und schneller aufgefunden werden können.

Ich finde diese Argumentation gefährlich, denn es besteht kein zwingender kausaler Zusammenhang zwischen einem Vergehen und späteren Verbrechen. Es mag zwar so sein, dass Vergewaltiger und Sexualmörder vorher durch weniger schwere Delikte auffallen, das heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass jemand, der einen schweren Diebstahl oder eine schwere Körperverletzung begeht, deshalb später zum Serienvergewaltiger wird.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Aus eben diesem Grund ist es richtig, den genetischen Fingerabdruck nur dann abzunehmen, wenn eine Gefährlichkeitsprognose vorliegt. Die CDU möchte darauf aber verzichten. Sie möchte, dass alle, die einschlägig auffallen, als potenzielle Sexualverbrecher eingestuft werden und entsprechend zum Gentest gebeten werden. Dies lehnen wir entschieden ab.

Die Möglichkeiten, die sich für die Strafverfolgungsbehörden aus der Gentechnologie ergeben, sind verlockend. Es gibt wenige Straftaten, die sich nicht unter günstigen Umständen mit Hilfe eines genetischen Fingerabdrucks aufklären ließen. Gerade aber diese nahezu unendlichen Möglichkeiten sollten uns davor warnen, kriminalistischen Allmachtsphantasien zu verfallen. Das Strafrecht und insbesondere auch das Strafprozessrecht sind in Deutschland schon einmal zu einer bestimmten Zeit verändert worden. Heute ist Gott sei Dank die Strafverfolgung in Deutschland auf ein solides rechtsstaatliches Fundament gestellt worden, genau auch wegen dieser Erfahrung. Man hat der Strafverfolgung und der Justiz enge Grenzen gesetzt.

Das hat man aber nicht getan, weil die Aufklärungsmöglichkeiten begrenzt waren, sondern weil man erkannt hat, dass Beschuldigte und potenzielle Täter Anspruch auf die volle Achtung ihrer Persönlichkeitsrechte haben müssen. Im Übrigen möchte ich auch noch einmal auf die Unschuldsvermutung hinweisen,

(Silke Hinrichsen)

die ich in diesem Zusammenhang für absolut wichtig halte.

Diese grundlegenden Bewertungen unseres Rechtsstaates sehen wir durch eine pauschale Ausweitung von DNA-Datenbanken gefährdet. Deshalb dürfen wir nicht alles machen, was mit dem genetischen Fingerabdruck möglich ist.

(Beifall beim SSW sowie der Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir können dem Antrag so nicht zustimmen und folgen.

(Beifall beim SSW)

Das Wort für die Landesregierung erhält jetzt Frau Justizministerin Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung teilt die Auffassung, die hier gerade im Plenum mehrheitlich in der Diskussion geäußert worden ist. Die Landesregierung nimmt ihren Aufgabenbereich innere Sicherheit sehr ernst. Wir haben aus Untersuchungen Gott sei Dank feststellen können, dass die Bevölkerung dieses ernsthafte Bemühen der Landesregierung um eine sichere Gesellschaft anerkennt. Wir haben einen hohen Zufriedenheitsgrad mit diesem Teil der Arbeit der Landesregierung.

Sicher ist ein wesentlicher Aspekt dabei, dass der Innenminister und ich und die gesamte Justiz bei ihren Ermittlungsarbeiten die DNA-Analyse als ein selbstverständliches Instrument der Aufklärung, aber auch der Prävention anerkennen und benutzen. Aber der Einsatz dieses Instruments hat in seinem verfassungsrechtlichen Rahmen stattzufinden. Der gegenwärtig geltende § 81 g der Strafprozessordnung erfordert in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht eine Gefahrenprognose. Die CDU will dieses Tatbestandsmerkmal eliminieren und Sie haben eben darauf hingewiesen, Herr Geißler, dass Sie es als überflüssig erachten.

Ich halte es schon für bemerkenswert, in welcher - gestatten Sie mir diesen Ausdruck, Herr Präsident - saloppen Weise hier in der Diskussion über diese tiefgehenden verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesverfassungsgerichts hinweggegangen wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir nehmen die Sorgen der Bevölkerung ernst, aber das darf uns nicht veranlassen, die Verfassung zu brechen. Das Bundesverfassungsgericht ist soeben schon mit seiner wegweisenden Entscheidung angeführt worden. Die Entscheidungen, die über Jahre hinweg kontinuierlich die Verfassungsgerichtssprechung geprägt haben, sagen deutlich, eine Feststellung der Gefährlichkeit in der Prognose ist nicht überflüssig, sondern muss in jeder Einzelfallentscheidung durch einen Richter überprüft werden.

Gerade weil der Eingriff durch die DNA-Analyse ein so intensiver Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht eines jeden Einzelnen ist, dürfen wir nicht aufgeben. Wir haben, wohl wissend, dass der Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftaten eine sehr hohe Verpflichtung nicht nur der Landesregierung, sondern auch der Gesellschaft darstellt, viele Anstrengungen unternommen, um hier zum einen die Aufklärung gerade der Jugendlichen und den Selbstschutz der jungen Mädchen, aber auch der Jungen zu intensivieren, aber wir haben zum anderen auch - Sie wissen es, Herr Geißler - im Strafvollzug in Lübeck gerade die sexualtherapeutische Abteilung eröffnet,

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

weil wir davon ausgehen, dass jeder Straftäter, der wegen einer Sexualstraftat inhaftiert ist, einen Therapieanspruch, aber auch eine Therapieverpflichtung hat. Das ist ein ganz wesentlicher Bereich. Wir werden, gerade wenn man Therapie ernst nimmt, diese Gefahrenprognose zu stellen haben, wir werden sie zu verbessern haben. Wir werden - auch das möchte ich nicht verhehlen - die gutachterlichen Fragestellungen zu präzisieren haben. Aber wir dürfen nicht die Verfassung, das hohe Menschenrecht der Selbstbestimmung auch für Straftäter, brechen. Deshalb kann ich für die Landesregierung nicht erklären, dass wir Ihren Antrag begrüßen oder gar in die Tat umzusetzen beabsichtigen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und FDP)

Zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich jetzt dem Abgeordneten Thorsten Geißler das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin selbstverständlich mit Ausschussüber

(Thorsten Geißler)

weisung einverstanden, weil auch mir an einer Versachlichung dieser Thematik gelegen ist.

(Holger Astrup [SPD]: Sehr gut!)

Frau Ministerin, Ihr Generalstaatsanwalt verweist darauf, dass man in Schleswig-Holstein eine Freiwilligkeitslösung gefunden habe. Stolz berichtet er, 70 % aller rechtskräftig Verurteilten gäben eine Freiwilligkeitserklärung ab und willigten in die Entnahme einer Speichelprobe ein. Er sagt, damit brauchten schleswig-holsteinische Gerichte nicht mit umfangreichen DNA-Verfahren überzogen zu werden. 20.000 gerichtliche Verfahren gespart, alle ohne Richtervorbehalt, alle ohne Gefährlichkeitsprognose. Frau Ministerin, wären es 80 % gewesen, wären Sie noch stolzer. 90 % wäre fast schon die Krönung Ihrer Ministerlaufbahn gewesen.

Sie gehen in der Praxis doch ganz anders damit um, weil Sie ganz genau wissen, dass die gegenwärtigen Vorschriften äußerst kompliziert und schwer handhabbar sind.

Mir sind natürlich die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch bekannt. Ich habe sie sehr intensiv gelesen. Nur, das Bundesverfassungsgericht macht die gegenwärtige Rechtslage zum Maßstab, die eine Gefährlichkeitsprognose verlangt. Wenn der Gesetzgeber sagt, es müsse eine Gefährlichkeitsprognose erstellt werden, dann wird das selbstverständlich in vollem Umfange gerichtlich überprüft. Aber es wäre nicht erforderlich, weil es keinen Unterschied zwischen dem daktyloskopischen Fingerabdruck und dem DNA-Fingerprinting gibt. Sie brauchen für den daktyloskopischen Fingerabdruck keine Gefährlichkeitsprognose. Es ist also insofern falsch zu sagen, beim DNA-Fingerprinting in der Weise, wie ich es beschrieben habe und wie es ja auch Ausdruck der Bestimmungen der Strafprozessordnung ist, wäre eine solche Gefährlichkeitsprognose aus verfassungsrechtlichen Gründen zwingend erforderlich. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Daher muss die Debatte weitergeführt werden. Wir werden Sie im zuständigen Fachausschuss davon überzeugen - dazu können wir Fachexperten hinzuladen -, dass eine Untersuchung des nicht kodierenden Teils des Genoms keinen Aufschluss über persönlichkeitsrelevante Informationen gibt. Es geht allein um den Identitätsnachweis.

Der Eingriff ist auch geringer als andere erkennungsdienstliche Maßnahmen. Wenn Sie in einer Lichtbildkartei landen, weil Sie einmal verdächtig waren, eine Sexualstraftat begangen zu haben, und diese Lichtbilder werden später Zeugen vorgelegt, so liegt darin ein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Aber Sie müssen

mir schon sagen, inwieweit bei einem DNAIdentitätsmuster, das abgespeichert wird und nur für den Fall eines Verdachts einer Straftat irgendwann einmal zum Abgleich herbeigezogen wird, der große Eingriff in das Recht der informationellen Selbstbestimmung vorhanden ist. - Er ist natürlich vorhanden. Jede erkennungsdienstliche Maßnahme stellt einen solchen Eingriff dar. Aber die Verfassungsordnung billigt so etwas, wenn es verhältnismäßig ist. Ich behaupte, er ist verhältnismäßig. Wir können auch dazu gern weitere Gutachten und Experten im Fachausschuss heranziehen.

Ich erhoffe mir jedenfalls, dass wir die Diskussion sachlich führen, dass wir in der Bevölkerung vorhandene Ängste - von denen weiß ich auch - ernst nehmen, dass wir aber dieses hervorragende Mittel zur Aufklärung von Straftaten in dem Umfang nutzen, wie es sachlich geboten ist. Daran sollten Sie hier im Hause alle mitwirken, nicht nur wir.

(Beifall bei der CDU)

Zur Ausschöpfung der Restredezeit der Landesregierung von zwei Minuten erteile ich der Frau Justizministerin Lütkes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine Richtigstellung. Mein Generalstaatsanwalt in allen Ehren, aber die Regelung der Identitätsfeststellung zur Sicherung künftiger Strafverfahren bewegt sich in Schleswig-Holstein natürlich auf der Basis des geltenden Rechts. Wir nehmen dann die Analysen ab, wenn der Betroffene einverstanden ist, aber wir fragen ihn natürlich nur dann, wenn die Rechtslage im Sinne des § 81 g StPO das gebietet, Herr Abgeordneter.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP - Thorsten Geißler [CDU]: 20.000 Verfahren eingespart!)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten in die Abstimmung ein. Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der CDU in Drucksache 15/2645 zur Beratung in den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen. Wer dem seine Zustimmung geben will, darf ich um sein Handzeichen bitten. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.

(Vizepräsident Thomas Stritzl)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:

Aufnahme des Gottesbezuges in die europäische Verfassung

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/2646

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU hat der Herr Abgeordnete Manfred Ritzek das Wort.