Protokoll der Sitzung vom 19.06.2003

Meine Damen und Herren, ich fordere Sie also alle auf, dem Antrag, den wir morgen mit Sicherheit gemeinsam vorlegen werden, dann auch zuzustimmen. Ich glaube, es ist - zumindest inhaltlich gesehen - eine

Sternstunde des Parlamentes, wenn das so funktioniert.

(Beifall im ganzen Haus)

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Karl-Martin Hentschel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vom Wirtschaftsminister Clement angestoßene Änderung der Handwerksordnung hat für viel Wirbel gesorgt und wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Während fast alle Wirtschaftsforschungsinstitute diese Reform begrüßen - das muss man einfach zur Kenntnis nehmen, auch wenn man das nicht richtig findet -, auch das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, laufen die Handwerker dagegen Sturm. Auch das muss man zur Kenntnis nehmen. Offensichtlich gibt es hierzu ganz unterschiedliche Einschätzungen.

Ich glaube, dass es richtig ist, dass man über Lockerungen und Veränderungen der Handwerksordnung redet. Darüber sind wir uns auch alle einig. Die Frage ist nicht ob, sondern die Frage ist wie. Darüber gibt es in der Tat im Detail eine Menge Konkretisierungsbedarf. Und hierzu möchte ich ein paar Punkte beitragen, die sich für mich aus den Diskussionen mit dem Handwerk, mit den beiden Handwerkskammern und auch vor Ort mit der Kreishandwerkerschaft ergeben haben.

Ein Punkt ist die Frage: Welche Rolle wird in Zukunft der Meisterbrief spielen? Der Vorschlag des Bundeswirtschaftsministers sieht vor, dass der Meisterbrief in Zukunft nur noch in etwa einem Drittel der Handwerksberufe notwendige Voraussetzung für die Existenzgründung sein soll, und zwar in denen, in denen aus Gefahrengründen vorausgesetzt wird, dass es sich um einen Meisterbetrieb handeln muss. Das gilt also für alle Betriebe, die mit Gas, Elektrik und ähnlichen Dingen zu tun haben.

Mir sagte dazu ein Schlachtermeister neulich in Plön: „Ich bin auch in der Lage, den ganzen Stadtteil zu vergiften, mein Beruf ist auch gefährlich.“ - Okay, die Abgrenzung ist schwierig, darüber muss geredet werden.

Ich glaube aber - und da gebe ich Frau AschmoneitLücke Recht -, auch für die Berufe, für die es dann keinen Meisterzwang mehr geben wird, gibt es in Zukunft die Möglichkeit, dass der Meisterbrief als

(Karl-Martin Hentschel)

Qualitätssiegel seine Bedeutung behalten kann. Er wird in vielen Bereichen auch in Zukunft Voraussetzung für die Auftragsvergabe, für die Einstellung von Leuten und so weiter sein. Es wird dann gesagt werden, wir brauchen in unserem Betrieb einen Meister, weil das die Voraussetzung dafür ist, die Qualität zu halten und wir können damit auch werben. Ich glaube, dass das funktionieren wird und mit einer Veränderung der Meisterbrief nicht automatisch vom Tisch ist. Das zum einen.

Zum Zweiten geht es natürlich um die Frage der einfachen handwerklichen Tätigkeiten, nämlich die Möglichkeit, die jetzt geschaffen werden soll, dass Handwerker, die keinerlei Berufsausbildung haben, sich jedoch Fertigkeiten selbst angeeignet haben - zum Beispiel, wie man eine Mauer verputzt -, sich selbstständig machen und in diesem Detailbereich ihre Arbeit anbieten können. Auch diese Möglichkeit ist sehr umstritten.

Die Handwerkskammern haben Folgendes zu mir gesagt: Wenn man so etwas macht - was durchaus Sinn machen kann -, muss man bitte schön zwei Dinge beachten. Erstens möchten wir unbedingt, dass die Einschreibung von solchen Betrieben - wie bei einem normalen Handwerksbetrieb auch - bei den Handwerkskammern stattfindet und nicht bei den Industrie- und Handelskammern, damit wir als Handwerkskammern auch entscheiden können, ob das den Kriterien entspricht und damit die Industrie- und Handelskammern dem Handwerk nicht von unten das Handwerk abgraben. Das ist die eine Forderung. Die zweite Forderung ist, dass eine Zerstückelung von Handwerksbetrieben - indem man zum Beispiel sagt, das Maurerhandwerk wird in fünf Teiltätigkeiten zergliedert, die dann einzeln mit unqualifizierten Kräften angeboten werden und anschließend macht einer die ganze Arbeit -, verhindert wird.

Das kann nur verhindert werden, indem man eine andere Definition findet, als sie bisher formuliert worden ist. Die Handwerkskammern waren so konstruktiv, dass sie einen Vorschlag unterbreitet haben, der mit einer Positivliste verbunden ist, die beispielhaft wirken und klar machen soll, in welche Richtung das geht. Sie soll verhindern, dass auf diese Art und Weise Betriebe, die keine qualifizierten Kräfte haben, sozusagen ein Komplettangebot anbieten können. Auch das möchte die Handwerkskammer kontrollieren können und im Griff haben. Wenn Betriebe Dinge anbieten, die sie nicht dürfen, muss es Möglichkeiten geben, dagegen mit Sanktionen vorzugehen. Das fehlt zurzeit noch, auch hier muss nachgebessert werden.

Das Dritte, was mir sehr am Herzen liegt, ist die Frage der Ausbildung. Es muss gewährleistet werden,

dass sowohl in den Gewerben, die in der Anlage A und B zur Handwerksordnung aufgeführt sind, als auch in den neuen, also die Betriebe der einfachen handwerklichen Tätigkeiten, Fortbildung und Ausbildung stattfindet. Das kann dadurch sichergestellt werden, dass für die Gewerbe der Anlage B Ausbildungsberufe definiert werden. Das kann aber auch dadurch geschehen, dass wir für die einfachen handwerklichen Tätigkeiten Ausbildungsmodule definieren, die wiederum im Rahmen der handwerklichen Ausbildung und bei den Organisationen der Innungen und Handwerkskammern stattfinden. Damit könnten dann auch unqualifizierte Leute, die sich einfache Tätigkeiten angeeignet haben und damit auf den Markt gehen, über das Lernen von Modulen sozusagen ihre Qualifikation steigern, bis sie dann irgendwann volle Gesellen oder sogar Meister werden.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Detlef Mat- thiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Lars Harms [SSW] und Anke Spoorendonk [SSW])

Damit hätten wir eine Durchlässigkeit im Handwerkssystem. Das ist der dritte Punkt, den die Handwerkskammern mir ans Herz gelegt haben. Denn sie haben gesagt, es muss gewährleistet sein, dass bei einer solchen Reform nicht das Ausbildungswesen, für das das Handwerk eine hohe Qualität anbietet, unterlaufen wird und wir nachher überhaupt keine Ausbildungsplätze mehr für unsere Jugendlichen haben.

Ich plädieren dafür, das Ganze nicht zurückzustellen, wie Hermann Benker das gefordert hat, weil ich das nicht für konstruktiv halte und glaube, dass das in Berlin keine Wirkung haben wird.

(Zurufe)

Ich bin mit einem Verfahren einverstanden, dass wir uns morgen noch einmal zusammensetzen und zu einem Ergebnis kommen. Meine Intention wäre dabei, ganz konkrete Änderungen zu dem Gesetz zu formulieren, das in Berlin auf der Tagesordnung steht.

(Roswitha Strauß [CDU]: Das sind zwei Ge- setze!)

- Ich weiß, zu beiden Gesetzen!

Indem wir hier konkrete Änderungen formulieren und mit diesen in die Debatte gehen, erreichen wir mehr, als wenn wir sagen, sie sollen das alles wieder zurückziehen. Damit werden wir wahrscheinlich wenig erreichen. Auf dieser Grundlage können wir uns gern einigen. Ich bin den anderen Fraktionen gegenüber

(Karl-Martin Hentschel)

durchaus gesprächsbereit, wenn wir das Ziel haben, einen gemeinsamen Antrag zu formulieren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Beifall der Abge- ordneten Anke Spoorendonk [SSW])

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Lars Harms.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin froh und glücklich: Ich habe mich eben schon einmal mit meiner Kollegin Spoorendonk darüber unterhalten, ob ich denn hier wohl gleich der Einzige sein werde, der sich ein bisschen kritisch äußert. - Nein, der Kollege Hentschel hat ähnliche Ideen gebracht, wie ich sie jetzt auch gleich vortragen werde.

(Zurufe)

Selbstverständlich sind wir mit der Vorgehensweise einverstanden, dass wir unter Leitung von Herrn Benker versuchen, zu einer einheitlichen Haltung zu kommen. Vor dem Hintergrund möchte ich dann natürlich in bestimmten Bereichen auch unsere dezidierte Haltung vortragen, damit sie möglicherweise auch in den Formulierungen berücksichtigt werden kann. Denn wir haben eine grundsätzlich andere Haltung - glaube ich - als manch ein anderer hier im Haus.

Der SSW tritt nämlich für eine grundlegende Reform des dualen Ausbildungssystems in Deutschland ein, um für die globalen Herausforderungen, vor denen unser Wirtschaftsstandort steht, gerüstet zu sein. Von daher halten wir auch die Reform der Handwerksordnung, wie sie die Bundesregierung beschlossen hat, für einen ersten kleinen Schritt in die richtige Richtung. Uns geht er lange nicht weit genug.

Im Prinzip treten wir dafür ein, dass die Meisterpflicht in allen Handwerksberufen aufgehoben wird. Denn gerade vor dem Hintergrund des innereuropäischen Wirtschaftsraumes macht es häufig keinen Sinn mehr, den freien Wettbewerb im Handwerk durch die Meisterpflicht einzuschränken. Viele unserer Nachbarländer - zum Beispiel Dänemark seit 1972 - sind schon lange vom Meistersystem in der Handwerksausbildung abgewichen und das mit Erfolg. Denn diesen Ländern geht es im Gegensatz zu uns gut.

So hat die Bertelsmann-Stiftung 1999 das dänische Ausbildungssystem mit seinen Modulen - die Herr Hentschel schon angesprochen hat - und flexiblem Arbeitsangebot als bestes und zukunftsfähigstes System in Europa prämiert. Insbesondere die kürzeren modulaufgebauten Ausbildungsverläufe sorgen dafür, dass das Ausbildungssystem sehr flexibel auf neue Entwicklungen reagieren kann. Der Kollege Hentschel hat gerade eben formuliert, wie das vonstatten geht.

Das Handwerk in Dänemark hat durch diese Entwicklung keinen Schaden genommen, im Gegenteil. So gibt es bei unseren nördlichen Nachbarn eine sehr wettbewerbsfähige Handwerksbranche, die allerdings auch durch die niedrigen Lohnnebenkosten begünstigt wird. Auch das Ausbildungsangebot hat durch die Abschaffung der Meisterpflicht vor 30 Jahren nicht gelitten. Das ist eine ganz wichtige Feststellung. Die waren vor 30 Jahren schon weiter, als wir es heute anscheinend sind.

Wir unterstützen die Zielrichtung der Clement-Pläne und können uns langfristig vorstellen, dass man die Unterscheidung in A- und B-Berufe irgendwann aufhebt. Natürlich muss man in einigen Bereichen weiterhin Anforderungen an die fachliche Ausbildung und Qualität der Handwerker stellen - das ist selbstverständlich -, zum Beispiel im Installations- und Elektrobereich. Aber deshalb braucht man nicht unbedingt einen Meisterzwang.

Natürlich wissen wir, dass große Teile des Handwerks die Befürchtung haben, dass sich die geplante Änderung negativ auf die Wettbewerbs- und Ausbildungssituation ihrer Betriebe auswirken kann. Aber ich glaube, die Ursache dieser Befürchtungen ist eher im vorherrschenden Pessimismus wegen der schlechten Konjunkturaussichten als in der wirklichen Bedrohung durch diese Pläne zu suchen.

Wir sehen nicht die Gefahr, dass durch die Abschaffung der Meisterpflicht langfristig negative Auswirkungen auf die Ausbildungs- und Arbeitsplätze entstehen. Das Beispiel Dänemark ist der beste Beweis dafür. Die Ausbildung wird auch in Zukunft das A und O sein, um einen Arbeitsplatz zu bekommen und um als Unternehmen wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch wenn die Meisterpflicht abgeschafft wird, kann eine Meisterausbildung weiterhin im Wettbewerb als Qualitätsmerkmal des Unternehmens offensiv eingesetzt werden. Das tun dänische Handwerker im Übrigen auch.

Wir jedenfalls hoffen, dass hier endlich ein konkreter Beitrag zur Deregulierung und Vereinfachung geleistet wird, der unsere Betriebe wettbewerbsfähiger

(Lars Harms)

macht und die Chancen, sich selbstständig zu machen, erhöht. Denn das ist die Grundlage für mehr Ausbildungsplätze und für mehr Arbeitsplätze.

Ich möchte am Ende ein kleines praktisches Beispiel bringen, wie sich der Meisterzwang auswirkt. Wenn Sie einen Fotoladen haben und schöne Fotos von Menschen machen wollen, Portraitfotos, Familienfotos, müssen Sie Meister sein. Sie müssen in eine Ausbildung seinerzeit 30.000 DM, jetzt 15.000 € stecken, damit Sie die Fotos überhaupt schießen dürfen. Wenn Sie Foto Porst sind und 60 % Ihres Umsatzes dadurch machen, dass Sie Fotoapparate verkaufen, sind Sie ein Gewerbetreibender, brauchen nicht Ihren Meister zu machen und können genau die gleichen Fotos schießen - das sind dann die anderen 40 %. Da macht der Meister die lange Nase und geht irgendwann Kapeister. Ich habe in meinem persönlichen Freundeskreis jemanden, dem dieses Schicksal gerade droht, weil er einfach nicht mehr in der Lage ist, all die Schulden, die er hat aufnehmen müssen, um Meister zu werden, abzuzahlen. Solche Sachen sind typisch deutsch, weil wir uns in unserer eigenen Entwicklung selbst behindern. Warum geben wir nicht solche mittelalterlichen Zöpfe auf und versuchen, moderner daran zu gehen, wie es uns alle anderen europäischen Staaten vormachen?

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abgeordneten Hermann Benker.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Weil es ausgesprochen kompliziert ist, will ich für Herrn Karl-Martin Hentschel eine Erklärung abgeben. Meine Intervention von vorhin richtet sich nicht gegen den Gesetzentwurf insgesamt, der 44 Seiten umfasst, Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerklicher Vorschriften. Neben diesen Änderungen, die ich hier nicht im Detail darlegen möchte, die noch eine Reihe anderer Gesetze betreffen und die der SSW als kleine Reform bezeichnet - 44 Seiten! -, gibt es den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen, der nur eine Seite umfasst und nur einen einzigen Paragraphen berührt. Der ist schon im ersten Satz gravierend, indem er dazu, was wesentliche Tätigkeiten im Handwerksbereich sind, sagt: Keine wesentlichen Tätigkeiten sind insbesondere solche, die in einem

Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können.

Jede Einzeltätigkeit im Handwerk kann selbstverständlich innerhalb von drei Monaten erlernt und herausgebrochen werden. Sie können das Handwerk mit dieser Formulierung, mit diesem Satz atomisieren und nicht mehr funktionsfähig machen. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deshalb richtet sich unser Widerstand ausschließlich gegen diesen zweiten, isolierten Gesetzentwurf, nicht gegen die Gesamtreform. Die Gesamtreform ist notwendig.

Ich bitte, das differenziert zu betrachten. Deshalb habe ich mich noch einmal zu Wort gemeldet. Wir beraten hier über zwei Gesetze: Das eine ist die Veränderung, die wir generell wollen, das andere ist etwas, was en passant zu gehen scheint, aber mehr Schlechtes bewirkt, als es Gutes bewirken könnte.

(Beifall)