Wir reden über Jugendliche. Bei Jugendlichen gebe ich bis zum Schluss, bis sie 27 Jahre alt sind, vielleicht sogar noch länger, die Hoffnung nicht auf, dass sie lernfähig sind. Jedenfalls lernfähiger als Erwachsene es leider Gottes manchmal noch sein können. Für Erwachsene ist es sehr viel schwieriger, eine Verhaltensumkehr zu erreichen. Das geht nur über langjährige Entwicklungsprozesse hinweg. Ich meine nicht Strafprozesse. Bei Jugendlichen steht jedoch die Hoffnung im Vordergrund, dass es ein Veränderungspotenzial gibt. Deshalb muss man umgekehrt an das Thema herangehen und fragen: Was hat diese Gesellschaft zu verantworten, dass diese Kinder so werden mussten, wie sie geworden sind? Jugendliche halten der Gesellschaft immer den Spiegel vor. Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Kollege Wagner, zunächst einmal bin ich dankbar dafür, dass Sie uns gezeigt haben, dass bei Ihnen in der Fraktion intensive Debatten über ein solches Thema offensichtlich nicht geführt werden. Das ist anders als bei uns. Sie haben - wie ich meine zu Recht - angemahnt, dass aus Ihrer Fraktion heraus die Frage des Schutzes der Gesellschaft vor Tätern gar nicht angesprochen worden ist.
- Frau Kollegin, ich versuche, das gleich zu übersetzen. Lassen Sie mir einfach die Zeit. Wir haben über nichts anderes geredet als über Spezial- und Generalprävention. Ich übersetze das jetzt.
Spezial- und Generalprävention bedeuten den Schutz der Gesellschaft vor dem Täter durch Einwirkung auf den Täter. Die Generalprävention ist Schutz der Gesellschaft vor möglichen anderen Tätern durch die Beeindruckung der Strafandrohung. Nichts an
deres ist es. Die spannende Frage, die wir klären müssen, lautet, ob - wie Kollege Geißler es vorgeschlagen hat - härtere Strafen eine Generalprävention und oder eine Spezialprävention bewirken könnten. Das verneinen wir. Herr Kollege Wagner, es ist kriminologisch erwiesen, dass der Schutz der Gesellschaft vor Straftaten nicht dadurch verbessert werden kann, dass wir die Strafandrohung dauernd nach oben verschieben. Ein Beispiel: Es gibt in den Vereinigten Staaten die Todesstrafe. Auch die Androhung der Todesstrafe führt nicht dazu, dass Straftaten nicht mehr begangen werden, für die die Todesstrafe verhängt wird. Wir reden darüber. Die spannende Frage ist, ob wir - und da kommen wir uns näher - auf Jugendliche dadurch viel intensiver einwirken, dass wir die Reaktionsgeschwindigkeit, sozusagen Strafverfolgung auf dem Fuße, verändern. Das ist eine wesentlich sinnvollere Maßnahme als die dauernde Anhebung der Strafandrohung.
Der Kollege Kerssenbrock hat es beschrieben. Wenn ich in unsere Reihen gucke, dann frage ich: Wer von uns hat das in seiner Jugend nicht erlebt? Ich kann mich noch daran erinnern, wie wir früher bei unseren Nachbarn Äpfel und Erdbeeren geklaut haben. Das war im ländlichen Bereich einfach so üblich, wenn die Erdbeeren frisch waren.
Das war in der Zeit, als ich aufwuchs, einfach üblich. Das ist 40 Jahre her, Herr Kollege Jensen-Nissen. Selbstverständlich gibt es Deliktstypen, die heute verfolgt werden, jedoch früher nicht verfolgt wurden. Selbstverständlich war es bei mir in der Grundschule üblich, dass man sich, etwa im Rahmen einer belanglosen, aber etwas intensiveren Rangelei, wechselseitig etwas auf die Ohren haute. Das wird heute strafrechtlich verfolgt und bedingt eine Anzeige durch Körperverletzung. Selbstverständlich gab es Sachbeschädigungen, die wir heute verfolgen, damals in gleicher Weise. Es gab nur keine Fahrstühle, die man beschmieren konnte. Das wurde auf andere Weise gemacht, an Bäumen oder sonst wo.
Es ist eine Frage des Erziehungsgedankens bei Heranwachsenden und Jugendlichen. Es ist die Frage nach der sinnvollen Einwirkung, um ihnen ein künftiges straffreies akzeptables Leben zu ermöglichen. Alle kriminologischen Erfahrungen weisen - bis auf sehr wenige Ausnahmen - darauf hin, dass es gerade nicht die Strafe ist, sondern vielmehr der Erziehungsgedanke, die Reaktionsgeschwindigkeit der Gesellschaft mit Einwirkung und pädagogischer
Betreuung, mit Überzeugung statt mit Wegsperren. Das haben wir hier gesagt. Deshalb haben wir über den Begriff des Schutzes der Gesellschaft vor möglichen Tätern und weiteren Taten sehr intensiv geredet, Herr Kollege Wagner.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schlage vor, dass wir den Bericht über den Stand der Debatte der Reform des Jugendstrafrechts zur abschließenden Beratung federführend an den zuständigen Innen- und Rechtsauschuss und zur Mitberatung an den Sozialausschuss überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Ich bin dahingehend unterrichtet, dass der Tagesordnungspunkt ohne Aussprache an den zuständigen Wirtschaftsausschuss überwiesen werden soll. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Von den Geschäftsführungen ist mir jeweils signalisiert worden, dass dieser Tagesordnungspunkt auf eine der kommenden Landtagssitzungen vertagt werden soll. Wer dem Vertagungsantrag zustimmen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Das ist einstimmig so beschlossen.
Da die Mitglieder des Landtages und der Landesregierung gleich im Anschluss noch viele Veranstaltungen haben, beende ich die heutige Sitzung und wünsche Ihnen noch einen ergebnisreichen Abend. Wir sehen uns morgen früh um 10 Uhr wieder.