Ich finde das sehr begeisternd. Ich wünsche mir nichts mehr, als dass sich auch bei den Grünen etwas mehr ökonomischer Sachverstand verbreitet.
Dass bei der Mehrwertsteuererhöhung - der Kollege Garg hat darauf hingewiesen - die soziale Komponente in besonderer Weise beachtet werden könnte, kann sich nur dem erschließen,
der seine wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnisse nicht in Sommerkursen gewinnt, sondern ein bisschen in die Lehrbücher hineinguckt.
Herr Minister, wie kompensieren beispielsweise Sozialhilfeempfänger eine Mehrwertsteuererhöhung? Wie kompensieren denn beispielsweise Rentnerinnen und Rentner, die keine Lohnleistungen in Anspruch nehmen oder erhalten, die Mehrwertsteuererhöhung? Wie kompensieren all diejenigen, die nicht in Arbeitsverhältnissen stehen, die Mehrwertsteuererhöhung? Das sind gerade die unteren Einkommensgruppen, von denen wir hier reden. Das ist übrigens der Grund, dass wir in anderen Bereichen - diese Frage müssen wir uns wenigstens stellen -, beispielsweise bei der Frage der Verteuerung der Energiekosten, gefragt haben: Wie gehen wir eigentlich mit den unteren Einkommensgruppen um, die nicht ausweichen können? Von der Mutter muss für die Kinder die Milch gekauft werden, die Pampers auch. Wenn ich die Mehrwertsteuer erhöhe, greife ich unmittelbar in deren Einkommen ein, in deren soziale Verhältnisse. Dass die Grünen das bisher nicht wahrgenommen haben, wundert mich. Die Frage ist also: Wie kompensieren Sie das?
Ich habe im letzten Jahr eine Reihe von Veranstaltungen gemacht, unter anderem mit der Ministerpräsidentin. Sie war bei den Gewerkschaften dabei, mit Herrn Zwickel. Ein Grüner war auch dabei. Ich glaube, es war Herr Hentschel, es kann auch jemand anderes gewesen sein. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern. Dort hat die Ministerpräsidentin gesagt: Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe - für uns undenkbar, mit uns nicht machbar. Das ist jetzt passiert.
- Selbstverständlich hat sie das damals gesagt: Mit uns nicht machbar und undenkbar. Es ist zwischenzeitlich passiert.
Lohnkürzungen - für Sozialdemokraten völlig undenkbar. Passiert gerade. Weihnachts- und Urlaubsgeld soll bei den Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes gekürzt werden. Kündigung von Tarifverträgen -
für Sozialdemokraten bisher undenkbar. Jetzt machen sie das an erster Front, in erster Linie. Das führt auch dazu, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sich mit besonderer Begeisterung der sozialdemokratischen Versprechen der sozialen Gerechtigkeit erinnern werden.
Nun kommen wir zu der Frage der sozialen Sicherungssysteme. Frau Heinold, selbstverständlich - da sind wir viel näher beieinander, als es nach der Debatte heute Morgen den Anschein hat - muss man zunächst darüber nachdenken, welche Leistungen das soziale Sicherungssystem jeweils erbringen kann. Ich habe gestern versucht, das zu erklären. Ich muss erst erfragen, wie viel vom Bruttoinlandsprodukt die Gesellschaft in diesen Bereich eigentlich abgeben will, weil sie diese Mittel für andere Verwendungen nicht mehr zur Verfügung hat. Die Finanzierungsfrage ist dann eine nachrangige. Aber auch sie muss geklärt werden.
Hätten wir heute keine 4 Millionen offen ausgewiesene und 6 Millionen tatsächliche Arbeitslose, wir hätten geringere Probleme in unseren sozialen Sicherungssystemen, einen geringeren Problemdruck zur Reformierung, als er gegenwärtig besteht.
Selbstverständlich muss man angesichts der demographischen Entwicklung darüber nachdenken, angesichts der Tatsache, dass wir immer weniger Arbeitnehmer haben, die beschäftigt sind, und immer mehr Leute, die nicht beschäftigt sind, die Finanzierungssysteme von den Beschäftigungssystemen zumindest teilweise abzukoppeln, aber auch nur teilweise. Wenn ich nämlich den Versicherungscharakter aufgebe, erlebe ich, dass die Menschen die Leistungen vollständig in Anspruch nehmen, weil sie keine Eigenverantwortungskomponente mehr berücksichtigen müssen, die sie darüber nachdenken lässt, ob sie mit einem Schnupfen zum Arzt gehen, und die sie nachdenken lässt, ob sie sich vielleicht parallel individuell anders versichern. Wenn wir also die Debatte führen, sollten wir ernsthaft darangehen.
Bei der Mehrwertsteuerfrage lasse ich Sie jetzt nicht aus der Verantwortung heraus. Ich habe Verständnis dafür, dass Sie das in irgendein großes System einbetten wollen. Ich frage, wann Sie es eingebettet haben. Geschieht das noch in dieser Legislaturperiode, Herr Minister, oder habe ich jetzt jedes Mal zu befürchten, dass Sie hier wie ein großer Weltmeister auftreten und erklären, wofür Sie sind, wofür Sie kämpfen, und sich das nur auf diesen Raum bezieht und, sobald Sie aus der Tür gehen, sagen, Sie seien Sozialdemokrat der ersten Stunde, der Bundeskanzler sei Ihr Parteivorsitzender und deshalb folgten Sie der großen Parteilinie? Wann kommt dieses Land, wann kommt diese Ministerpräsidentin mit ihrer Ankündigung in die Hufe? Wenn das so dringend ist, wie Sie sagen, versündigen Sie sich an der Gemeinschaft. Ja, dann versündigen Sie sich. Wenn Sie sagen, das Problem sei so dringend, es müsse gelöst werden - -
Frau Präsidentin, das wird ist mein letzter Satz. Wenn es denn so dringend ist, wie Sie das beschreiben, dann müssen Sie das schnell auf den Weg bringen oder aber Sie werden Ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht. Das glaube ich viel eher.
Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Wiegard.
(Wolfgang Kubicki [FDP]: Um das mal zu sagen: Bei dem nächsten Sozialdemokraten stoppen wir jetzt mit, Frau Präsidentin! - Zu- ruf von der SPD: Sie brauchen doch keine drei Minuten!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen kurzen Satz zu Stil und Art und Weise der Auseinandersetzung. Lieber Herr Stegner, die Wortgewalt Ihrer Redebeiträge steht im Augenblick noch im krassen Gegensatz zur Qualität Ihrer Leistungen, wenn ich das einmal dezent sagen darf.
Bisher sind Sie jedenfalls in die Geschichte des Kabinetts eingetreten als der Finanzminister, der in der sehr kurzen Amtszeit, die Sie bisher hinter sich haben, die meisten Schulden aufgenommen und die höchsten globalen Minderausgaben in den Haushalt eingestellt hat. Da übertreffen Sie ihren Vorgänger um Längen.
Es ist wie immer, dass wir im Grundsatz - darüber haben wir schon mehrfach gesprochen - in etwa die gleiche Ziellinie haben. Dass wir bestimmte Leistungen, die die Gesellschaft für die Mitglieder ihrer Gesellschaft erbringt, auf breite Schultern verteilen und nicht nur wenigen Beitragszahlern auferlegen wollen, da sind wir durchaus einer Auffassung. Das stelle ich im Übrigen bei allen Redebeiträgen hier fest. Wenn es dann konkret wird, laufen wir plötzlich in völlig unterschiedliche Richtungen.
Das Problem, das wir seit langem haben, ist, dass sich ein Durchschnittsverdiener die Dienstleistung eines anderen Durchschnittsverdieners nicht mehr leisten kann. Das treibt die Schwarzarbeit in die Höhe. Wir alle wissen, dass das Volumen der Schwarzarbeit inzwischen das Volumen des Bundeshaushalts überschritten hat. Deshalb müssen wir in der Tat daran arbeiten.
Wenn Sie aber nur darangehen wollen umzufinanzieren, darf ich Sie daran erinnern, dass Sie in den letzten Jahren schon die Rentenversicherungsbeiträge an der Tankstelle kassieren und nun dabei sind, die Krankenversicherungsbeiträge von Aldi einziehen lassen zu wollen. Für die Arbeitslosenversicherungsbeiträge haben Sie noch keine Vorschläge gemacht.
Das allein hilft uns nicht. Denn wir wissen, dass die Einführung der Ökosteuer, das Abkassieren an der Tankstelle, nicht dazu geführt hat, dass das Volumen der Rentenversicherungsbeiträge und der Ökosteuerersatzbeiträge die Gesamtaufwendungen reduziert hat. Im Gegenteil, es ist mehr geworden. Wir werden auch hier bei einer reinen Umfinanzierung dieser Maßnahmen nicht zu einer Senkung der Leistungen kommen, sondern zu einer Erhöhung der notwendigen Finanzierung.
Was hat eigentlich die Rentnerin oder der normal verdienende Mensch davon, dass er nun nicht eine Rechnung bekommt über eine Fachhandwerkerstunde von 40 € plus 16 % Mehrwertsteuer, sondern von 35 € plus 25 % Mehrwertsteuer? Sagen Sie mir den Unterschied. Sagen Sie mir, wo da eigentlich der Unterschied ist und wie die Auswirkungen dessen sein sollen, was Sie hier vorschlagen.
Ich bitte, dass wir uns bei diesem sehr ernsten Thema, das ich durchaus für ein Thema halte, das uns in diesem Landtag zu beschäftigen hat, sehr intensiv damit auseinander setzen, wie die Konzepte aussehen. Vielleicht kann Frau Moser ihre Geheimrezepte aus dem Tresor herausholen und dem Ausschuss vorlegen, wenn sie da ist. Wir sollten uns mit den Konsequenzen, für den Durchschnittsverdiener ausgerechnet in Euro und Cent, auseinander setzen und nicht nur an der Oberfläche kratzen und ein paar Schlagzeilen produzieren. Das ist mir zu wenig.
Ich bitte Sie herzlich darum, im Ausschuss mit großer Sorgfalt alle hier angesprochenen Modelle zu diskutieren, um möglicherweise an anderer Stelle zu einem einvernehmlichen Antrag zu kommen.
Auf der Tribüne begrüße ich Rechtsanwalts- und Notarfachangestelltenauszubildende der Berufsschule des Kreises Dithmarschen, Heide, und Besucherinnen und Besucher der Beruflichen Schulen des Kreises Bad Segeberg. Herzlich willkommen!
Zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat Frau Abgeordnete Spoorendonk das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon eine Weile her, dass ich mich zu Wort gemeldet habe. Eigentlich hatten wir gestern Geplänkel genug für drei Tage. Für den SSW will ich auf jeden Fall festhalten, dass es uns darum geht zu verdeutlichen, wie wir in einer festgefahrenen Situation hinsichtlich der Zukunft unserer Sozialkassen weiterkommen. Uns geht es nicht darum, eine Grundsatzdiskussion über alles Mögliche zu führen. Das können wir in anderen Gremien oder auch zu Hause machen. Wir sind uns natürlich bewusst, dass sich eine Mehrwertsteuerdiskussion auch immer mit der Frage auseinander setzen muss, ob eine Mehrwertsteuererhöhung unsozial ist oder nicht. Auch ich bin der Meinung, eine Mehrwertsteuererhöhung ist - isoliert betrachtet - problematisch. Aus unserem Antrag ging aber eindeutig hervor, dass eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließlich zur Entlastung der Sozialkassen eingesetzt werden soll. Das ist die Pointe unseres Antrags.
(Beifall beim SSW und der Abgeordneten Wolfgang Baasch [SPD] und Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Wenn man sich die Mehrwertsteuersätze europaweit ansieht, dann liegt die Bundesrepublik am unteren Ende. Das wissen wir alle. Sie wissen auch, dass die Instrumente ausgereizt sind. Unsere Sozialstrukturen und unsere Sozialsysteme sind am Ende. Wir können sie nicht verändern. Wir können versuchen, daran herumzudoktern. Wir können die Struktur nicht weiterentwickeln. Die Systeme sind am Ende. Darum müssen wir uns fragen: Wie können wir unsere Sozialsysteme der Wirklichkeit anpassen, sodass sie zukunftsfähig und weiterentwicklungsfähig sind? Das ist die große Aufgabe, das ist die große Frage. Wenn man sich ansieht, was in den letzen Jahren passiert ist, dann sieht man, dass wir nur Beitragssteigerungen gehabt haben. Wir haben gesehen, dass Leistungen, die im Grunde genommen von der Gesellschaft gewollt sind, über die Sozialkassen finanziert worden
sind. Die deutsche Einheit ist dabei das beste Beispiel. Das heißt, wir müssen diese von uns gesellschaftlich gewollten Leistungen zurück in den gesellschaftlichen Raum holen. Das heißt, sie müssen über Steuern finanziert werden.
- Lieber Kollege Kalinka, unser Antrag hat einen anderen Tenor. Unser Antrag will eine geänderte Struktur. Das, was Sie machen, ist ein weiteres Herumdoktern. Das ist der Unterschied zwischen dem Antrag der CDU und unserem.
Ich bleibe dabei: Wir können uns über alles unterhalten und eine Grundsatzdiskussion über die Zukunft unserer Sozialkassen führen. Hier und heute geht es uns darum, ein Signal zu setzen. Wir werden dem SPD-Antrag zustimmen, weil der SPD-Antrag eine Aufforderung an die Landesregierung enthält. Wir wollen genauso wenig wie Sie, dass sich die Landesregierung aus der Pflicht stiehlt. Wir wollen, dass die Landesregierung Farbe bekennt. Darum wollen wir heute in der Sache abstimmen.
Wir sind immer dafür, in den Ausschüssen weiter zu diskutieren. Heute wollen wir aber eine Abstimmung!