Protokoll der Sitzung vom 27.08.2003

Der SSW begrüßt daher auch, dass die Landesregierung für eine Senkung der Sozialabgaben und damit der Arbeitskosten durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer eintritt.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn wir - das wird Sie nicht überraschen - orientieren uns weiterhin an dem skandinavischen Modell des Sozialstaats, der sich trotz der großen Veränderungen der letzten Jahre immer noch durch relativ hohe Sozialleistungen, niedrige Lohnnebenkosten, eine geringe Arbeitslosenquote und durch eine größere Chancengleichheit im Bildungssystem auszeichnet.

Obwohl die skandinavischen Länder die höchsten Steuerquoten in Europa haben, entwickelten sie in den vergangenen Jahren eine deutlich stärkere wirtschaftliche Dynamik als Deutschland. Umgekehrt ist

auch Japan durch eine geringe Staatsquote von nur 38,8 % nicht von der Deflation und den damit verbundenen ökonomischen Problemen verschont geblieben.

Also: Wirtschaftliche Dynamik hat nicht unbedingt nur mit der Höhe der Steuer- und Abgabenquote oder der Staatsquote zu tun, sondern hängt vielmehr von Flexibilität und Veränderungsbereitschaft einer Volkswirtschaft und ihrer Bürgerinnen und Bürger wie auch von der geschmeidigen Ausgestaltung der Sozialsysteme für Wirtschaft und Verwaltung ab.

Aber im Grunde - liebe Kolleginnen und Kollegen, das wissen wir - fängt vieles in den Köpfen an. Nur wenn Politik, Verwaltung, Wirtschaft und die Bevölkerung endlich gemeinsam einsehen, dass wir grundlegende Veränderungen brauchen, wird es wieder aufwärts gehen können. Die alte Methode des Aussitzens funktioniert nicht mehr, auch weil die Bürgerinnen und Bürger dieses Verhalten nicht mehr tolerieren und womöglich bei den nächsten Wahlen abstrafen könnten. Aber dies hat in Deutschland eine lange Tradition.

Das Problem bleibt, einen Grundkonsens zu finden, wohin die Reise gehen soll. In diesem Sinne ist unsere Gesellschaft noch in der Findungsphase. Immerhin wird 2003 in die Geschichte als das Jahr eingehen, wo endlich eine breite Diskussion über die Zukunft unserer Gesellschaft in Gang gesetzt wurde. Wie diese Diskussion ausgehen wird und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist immer noch eine offene Frage. Aber der Wettbewerb um die besten Zukunftsmodelle ist gestartet. Davon lebt allen Unkenrufen zum Trotz die Demokratie.

Die Landesregierung leistet mit ihren Vorschlägen zum Umbau des Sozialstaats aus der Sicht des SSW einen positiven Beitrag. Wir fordern aber auch, dass sie diese Vorschläge auf Bundesebene einbringt und nicht nur verbal in Diskussionen verwendet.

Als Fazit bleibt: Der Haushaltsentwurf 2004/2005 hat noch einen langen Weg vor sich, bevor ihn der Landtag in trockenen Tüchern hat.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erteile ich der Frau Ministerpräsidentin Heide Simonis.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Oppositionsführer hat es heute

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Morgen für richtig erachtet, darauf hinzuweisen, dass meine Zukunft in der Vergangenheit liege. Lieber Herr Kayenburg, ohne Vergangenheit keine Zukunft! Mancher Frühstart hat sich schon als Fehlstart erwiesen. Wir wollen einmal abwarten, wie es im Jahr 2005 aussehen wird.

(Beifall bei der SPD)

Noch unterhalten wir uns ganz normal über den Haushalt und nicht über den Wahlkampf.

(Zurufe von CDU und FDP)

- Zumindest ich mache das so.

Heute Morgen ist in düsteren Annahmen gesagt worden, wir machten einen Doppelhaushalt, um im Wahlkampf nächstes Jahr zu verschleiern, wie schlimm es finanziell mit uns sei. Da frage ich mich natürlich, was der Finanzsenator Wolfgang Peiner in Hamburg nun macht, der ebenfalls einen Doppelhaushalt aufstellen will und damit offensichtlich auch ganz Schlimmes verbergen möchte.

Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt, glaube ich, nur noch zwei Bundesländer, die keine Doppelhaushalte fahren, während alle anderen festgestellt haben: Die Flexibilität solcher Doppelhaushalte ist über zwei Jahre leichter zu gestalten. Das gibt auch größere Planungssicherheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben bereits gehört, dass sich der Doppelhaushalt auf einem sehr schmalen Grat zwischen Sparen und Anspornen bewegt. Wir können nicht sagen, wie schnell sich Erfolge der Reformpolitik, sollten denn die Reformen die parlamentarischen Hürden nehmen, durchsetzen werden. Es gibt erste kleine positive Konjunkturerwartungen, unter anderem in der heute Morgen als Quatsch bezeichneten Veröffentlichung im „Handelsblatt“, wo es heißt: Der Aufschwung kommt, beginnt aber schwach. Das steht in der Zeitung, kein Quatsch. Das ist ganz real, nicht virtuell. Man sollte sich vielleicht mit den Fakten auseinander setzen.

Wir merken, dass sich einzelne Firmen, die sich selber neben der Problematik von Globalisierung und schlechter Konjunktur durch Missmanagement an den Rand des Ruins gebracht haben - angefangen von Mobilcom über Allianz bis zur Deutschen Bank und und und -, langsam wieder erholen. Mobilcom gibt mir nun ein gutes Stichwort. Hätten wir damals auf Sie gehört, als es darum ging, Mobilcom zu retten, dann säßen wir jetzt ganz schön in der Tinte.

(Beifall bei der SPD)

Es ist immer besser, dass wir uns auf unsere eigene Stärke besinnen.

(Zurufe von CDU und FDP)

- Sie waren doch damals der Meinung, dass der Wirtschaftsminister lieber hier bleiben sollte, statt nach Berlin zu gehen, wo er den Grundstein für die Sanierung gelegt hat. Worüber Sie sich jetzt aufregen, verstehe ich überhaupt nicht.

Heute Morgen ist uns für die mangelnde Flexibilität in der Politik der Bundesrepublik nun ausgerechnet - ich finde, das ist wirklich der Klopper des Jahrhunderts - das Ladenschlussgesetz um die Ohren gehauen worden. Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, wer war denn ebenfalls gegen das Ladenschlussgesetz? Wer hat denn hier in SchleswigHolstein das Wort überhaupt in den Mund zu nehmen gewagt? Wer hat sich denn überhaupt bewegt? Das war die im Moment leider nicht anwesende Sozialministerin. Christlicher Glaube auf Ihrer Seite hat es verbeten, dass man abends zu lange und am Sonntag und an diesem und an jenem Tag die Öffnung zulässt. Hand in Hand mit den Gewerkschaften ist man durch die Lande gelaufen und hat den Ladenschluss verteidigt.

Frau Ministerpräsidentin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Strauß?

Möchten Sie von mir gern wissen, ob ich gegen Ladenschlusszeiten gewesen bin? Nein, ich war immer dafür, dass sie verlängert werden.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das muss geheim geblieben sein!)

- Nein, das kann nicht geheim geblieben sein. Ich suche Ihnen die Zeitungsmeldung gern aus dem Archiv heraus.

Könnte Ihnen möglicherweise entgangen sein, dass die CDU mehrere Anträge zur Öffnung des Ladenschlusses und seiner Flexibilisierung gestellt hat und dass wir eineinhalb Jahre gebraucht haben, bis sich Rot-Grün zu einer Modifizierung - -

- Das ist aber eine sehr lange Frage. Ich hoffe, das wird nicht auf meine Redezeit angerechnet.

Die Frage ist, ob Ihnen das entgangen ist. Es ist keine zwei

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

Monate her, dass wir hier gemeinsam im Einvernehmen - -

- Dennoch hat die CDU an anderer Stelle ganz schön daran gerackert, dass der Ladenschluss nicht verlängert wurde.

Sie sollten aber in diesem Parlament nicht so tun, als ob das - -

- Die schleswig-holsteinische CDU ist an der Stelle so gut wie die schleswig-holsteinische SPD. Vielleicht können wir uns darauf einigen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir muten den Menschen mehr Reformen des Arbeitsmarkts, des Steuersystems und der sozialen Sicherungssysteme zu. Da kommt einiges auf sie zu. Ich stelle fest: Nicht alle sind begeistert. In der Zwischenzeit wehren sich zum Beispiel die Beamten mit Einzelklagen dagegen, dass ihre Pension von 75 auf 71 % gesenkt wird. Da würde ich gern jeden Beamten bitten zu bedenken, was ein angestellter Kollege in der Zwischenzeit hat, wenn er in Rente geht. Es kann sich nicht jedes Mal eine einzige Gruppe herauswinden und sagen: „Wir nicht, alle anderen sollen das gern machen!“

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben heute Morgen auf die Gesundheitspolitik hingewiesen und an anderer Stelle gesagt, wir bewegten uns nicht. Ja, wer hat denn, um Himmels willen, bei diesem Gemeinschaftswerk mitgemacht, das wir nun wirklich nicht begeisternd finden und von dem wir sagen, viel zu einseitig an den Versicherten, viel zu wenig an den anderen Trägern beziehungsweise Akteuren auf dem Gesundheitsmarkt ausgerichtet. Wer hat denn aus dem Kompromiss die Positivlisten mit dem Wahnsinn von 45.000 Medikamenten in der Bundesrepublik Deutschland - gemessen an 6.000 in anderen Ländern; wie in jedem anderen demokratischen, hoch entwickelten, mit gutem Gesundheitssystem ausgestatteten Land - herausgestrichen?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Dann sind Sie Ex- pertin?)

Das verdanken wir der CDU, die dabei gewesen ist. Ich finde es immer so witzig, dass man andere angreift, wenn man selber daran mitgearbeitet hat.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn ich das, was Sie heute Morgen gesagt haben, richtig verstanden habe, sind die Einzigen, die etwas von Steuern verstehen, Sie

(Werner Kalinka [CDU]: Wer bringt denn die Gesetze ein? -Zuruf von der SPD: Zuhö- ren!)

und die Einzigen, die nichts davon verstehen, sind wir.

(Beifall des Abgeordneten Rainer Wiegard [CDU])

Ist Herr Koch eigentlich in der CDU? Ist Herr Merz eigentlich in der CDU? Ist Herr Stoiber in der CSU? Oder sind die bei uns? Der eine will die Mehrwertsteuer erhöhen. Die andere möchte die Gewerbesteuer abschaffen, aber dafür den Kommunen noch ein bisschen mehr zukommen lassen, nämlich 6 Milliarden. Der Nächste möchte die Gewerbesteuer überhaupt nicht haben.