Protokoll der Sitzung vom 24.09.2003

Ich frage: War es falsch, Motorola nach SchleswigHolstein zu holen? War es falsch, dass Heide Simonis nach Chicago gejettet ist, um das Werk zu retten?

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Darum geht es doch gar nicht!)

Hätte Herr Kayenburg bei einem Glas Whisky mehr erreicht? Hätte Herr Garg in seiner Zukunftsweisheit von vornherein verhindert, dass 3.000 Arbeitsplätze angekündigt, jedoch nur 1.000 geschaffen werden? Ich denke, all diese Fragen können mit Nein beantwortet werden. Ich glaube, darin sind wir uns auch einig.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW - Zurufe von der FDP: Nein!)

Wir wissen, dass es in den internationalen Konzernen ein knochenhartes Management gibt. Dort wird jeder Standort jährlich überprüft. Wenn heute China billiger ist, dann wird die Produktion nach China verlagert. Darüber können wir noch soviel jammern; wir werden diese Dinge nicht ändern. Was wir ändern können, sind die Rahmenbedingungen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

70 % unserer Arbeitsplätze in Schleswig-Holstein entstammen lokalen Dienstleistungen der Bereiche Gastronomie, Einzelhandel, Krankenhäuser, Handwerk oder öffentlicher Dienst. Die laufen nicht weg. Bei den Arbeitsplätzen aber, mit denen wir in unserem Land auf den internationalen Märkten Geld verdienen, damit wir uns all das leisten können, was im Ausland produziert wird, unterliegen wir in der Produktion dem Standortwettbewerb. Da müssen wir einfach Spitze sein, da hilft überhaupt nichts!

Von Motorola bleiben Teile. Es bleiben das Design, die Reparatur, der Vertrieb für Europa und die Entwicklung und Produktion von UMTS-Handys in Flensburg. Begründet wird dies damit, dass es in diesen Bereichen in Flensburg ein spezielles Know-how gibt. Design und Vertrieb müssen auf die lokalen Märkte und Vorlieben abgestimmt werden, und zwar von Sizilien bis ins rumänische Burgenland. Das geht in China nicht so gut. Bei der Entwicklung kommt es in hohem Maße auf den Forschungs- und Technologietransfer und auf die Zusammenarbeit mit den Hochschulen des Landes an. Herr Kayenburg, wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann haben Sie gestern gefordert, wir sollten uns wieder auf den Mittelstand und auf die Werften besinnen; jedenfalls habe ich die gestrigen Zeitungsmeldungen so interpretiert. Ich sage Ihnen: Ich glaube, dass die heutige Diskussion ausgesprochen wichtig ist. Ich bin da anderer Auffassung als Sie. Wir stehen vor einer grundlegenden Debatte über die Förderpolitik des

(Karl-Martin Hentschel)

Landes. Herr Garg hat sie begonnen. Diese Debatte müssen wir offen führen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Überzeugung ist: Nur, wenn es gelingt, modernste technologische Forschung in unseren Hochschulen und den Forschungseinrichtungen mit den Betrieben im Land eng zu verzahnen und ein lebendiges Netzwerk von Technologiebetrieben, Zulieferern und Dienstleistern zu schaffen, können wir erfolgreich Betriebe im Land halten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

In den vergangenen Jahren sind in SchleswigHolstein zigtausende von neuen Arbeitsplätzen durch die Entwicklung von neuen Technologien entstanden, und zwar von der Informationstechnologie über die Umwelt- und Energietechnik bis hin zu Bio- und Medizintechniken. Deswegen ist es grundfalsch, wenn jetzt von einigen Apologeten gesagt wird, der Weg zur Modernisierung sei gescheitert. Das Gegenteil ist der Fall: Wir investieren noch viel zu viel in die Erhaltung traditioneller Zweige. Die Zukunft braucht aber Hochschulen, Forschungsinstitute und Technologietransferexperten. Dennoch wird es schwer sein, Massenproduktion in Schleswig-Holstein zu halten. Das wissen wir alle. In der Entwicklung von intelligenten Produkten mit der Verbindung von Teilen der Produktion können wir aber ein guter Standort sein, wenn wir unsere Stärken richtig ausspielen und alle Anstrengungen unternehmen, um solche attraktiven Unternehmen zu halten.

Wir haben eine Chance! In den letzten Jahren haben wir in vielen Bereichen gezeigt, dass wir eine Chance haben. Wir kennen das Problem mit dem halben Glas. Auch Motorola zeigt, dass es gelungen ist, zumindest wesentliche Teile zu halten. Es ist ausgesprochen wichtig, dies festzuhalten, und nicht so zu tun, als seien alle Bereiche abgewandert. Daran müssen wir arbeiten. Wir müssen gerade die Vernetzung der Hochschulen mit dem Land stärken, denn nur ein Betrieb, der mit dem Land, mit den Institutionen des Landes, mit den Einrichtungen und Dienstleistern und so weiter vernetzt ist, hat eine hohe Motivation, hier zu bleiben.

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, kommen Sie bitte zum Schluss.

Wenn ich eine Werkhalle habe, die isoliert in der Landschaft steht, dann kann diese natürlich jederzeit an einen anderen Ort auf der Welt transferiert werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein Schlusssatz: Es muss jetzt alles getan werden, um den betroffenen Menschen zu helfen. Wir unterstützen alle Akteure. Ich weiß, der Herr Wirtschaftsminister ist an dem Thema dran. Ich bin sicher, dass alle Fraktionen des Landtags in dieser Frage hinter ihm stehen werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile Frau Abgeordneter Hinrichsen das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Botschaft, dass Motorola in Flensburg ein Drittel der Arbeitsplätze abbaut, ist aus der Sicht des SSW nicht weniger als eine Katastrophe für Flensburg und für die gesamte Region. Der Kollege Hay hat dies bereits gesagt.

(Martin Kayenburg [CDU]: Der Kollege Garg auch!)

Ende August hatte die Stadt Flensburg zirka 5.700 Arbeitslose. Durch den Abbau der Arbeitsplätze würde die Zahl der Arbeitslosen um über 10 % steigen. Dies ist besonders bitter, weil die Stadt Flensburg, das Land und der Bund die Ansiedlung von Motorola mit öffentlichen Zuschüssen von vielen Millionen Euro gefördert haben. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Beschäftigten von Motorola selber durch flexible Arbeitszeitmodelle, durch Weiterentwicklung der Handymodelle und durch viele andere Initiativen alles, was in ihrer Macht stand, getan haben, um die Firma wettbewerbsfähig zu halten.

Der SSW konnte sich bei einem Besuch im Mai mit eigenen Augen über das große Engagement, um nicht zu sagen: über die Aufopferung der MotorolaBeschäftigten für ihre Firma überzeugen. Zu Recht fragen sich diese Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, was sie noch alles hätten tun sollen, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Der Produktionsablauf war so optimiert worden, dass nach Angaben eines Motorola Mitarbeiters „nicht einmal mehr die Zeit dafür blieb, aufs Klo zu gehen“. Auch die Lohnstückkosten waren

(Silke Hinrichsen)

durch optimale Ausnutzung von Arbeitszeit- und Schichtmodellen nicht mehr weiter zu reduzieren.

Es fällt mir deshalb sehr schwer zu akzeptieren, dass es einfach der gewöhnliche Gang der Globalisierung sein soll, dass Konzernzentralen anhand weniger Zahlen das Schicksal von so vielen Menschen bestimmen. Es ist nicht hinnehmbar, dass ausschließlich einige Cent Produktionskosten mehr oder weniger darüber entscheiden, wie viele Arbeitsplätze in Flensburg übrig bleiben. Man findet leider immer noch einen Flecken Erde, wo man die Arbeitskräfte noch schlechter bezahlen kann, um die Produktionskosten zu drücken. Das ist das ungeschminkte Gesicht der Globalisierung.

Es nützt uns nichts, auf die offensichtlichen Fehler des Motorola-Managements in den USA hinzuweisen, das sich überhaupt nicht um die Weiterentwicklung der Mobiltelefone für den europäischen Markt gekümmert hat. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, dass der Fortbestand der übrigen 1.200 MotorolaArbeitsplätze weiterhin mit einiger Unsicherheit behaftet ist. Wir können es uns allerdings auch nicht leisten, einfach zu resignieren. Wir schulden den 600 Betroffenen und ihren Familien, dass wir schnell handeln und ihnen mit konkreten Maßnahmen helfen. Daher unterstützt der SSW die Forderung, eine Beschäftigungsgesellschaft zu errichten, die die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer Übergangsphase qualifiziert und weiterbildet und sie wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen kann. Diese Beschäftigungsgesellschaft sollte aber eine Abfindung der Betroffenen nicht ausschließen. Im Gegenteil. Aus unserer Sicht steht Motorola in der Pflicht, den Beschäftigten mit Ansprüchen auf Abfindung diese auch zu zahlen.

Natürlich sollen die GA-Mittel, die die Firma jetzt zurückzahlen muss, so weit wie möglich direkt für die Betroffenen verwendet werden. Leider wissen wir, dass dies vor dem Hintergrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht einfach sein wird. Wir erwarten, dass die Landesregierung flexibel und kreativ reagiert, damit diese Gelder den Motorola-Mitarbeitern zugute kommen. Allerdings ist auch zu fragen, wie sich in dieser Sache die vom Bund angekündigte Streichung der GA-Förderung für die westdeutschen Bundesländer auswirken wird. Der SSW wird die Landesregierung auf jeden Fall bei all ihren Initiativen in Sachen Motorola unterstützen.

Als Fazit bleibt: In der Wirtschaftspolitik muss es vor allem auch darum gehen, den Mittelstand zu fördern. Die kleinen und mittleren Unternehmen sind es, die die meisten Arbeitsplätze schaffen und dauerhaft erhalten. Für diese Mittelständler brauchen wir noch

eine stärkere einzelbetriebliche Förderung und weitere Förderprogramme für Existenzgründungen und Betriebsübernahmen. Dieses Geld ist allemal besser ausgegeben.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile der Frau Ministerpräsidentin das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dort oben sitzen Mitarbeiter von Motorola, die sich darüber Gedanken machen, was ihnen, ihren Kollegen, die bleiben dürfen, und den Familien passiert. Sie müssen über die Beiträge von Herrn Garg und von Frau Schmitz-Hübsch genauso verblüfft gewesen sein wie ich. Herr Garg, hätten wir uns damals, als sich Motorola hier ansiedeln wollte, erst einmal die Produktionspalette zeigen lassen sollen? Und hätten wir, als diese nur aus einem Produkt bestand, sagen sollen: Auf Wiedersehen; wir wollen Sie nicht? Wir hätten drei solcher Sitzungen gehabt, wie wir sie gerade haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Und was, Frau Schmitz-Hübsch, hätten Sie gesagt, wenn ich damals bei der Eröffnung - es war immerhin eine Investition von mehreren Millionen DM - angefangen hätte, die Amerikaner zu beschimpfen? Das wäre eine feine Schlagzeile geworden!

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das machen Sie lieber hinterher!)

- Ganz ruhig, Herr Garg! Nicht wie ein Maikäfer pusten! - Wenn ich mir die von Ihnen genannten Betriebe anschaue - HDW, Caterpillar, Heidelberger, Sony und Motorola -, ringe ich allerdings in der Tat nach Luft, wenn mir klar wird: Es handelt sich um eine 100-prozentige Eignerschaft irgendwo in fernen Landen. Persönliche Kontakte sind nicht möglich. Man kann nicht einfach zum Telefonhörer greifen, wie man das bei unseren Unternehmern hier machen kann. Es herrscht eine vollkommen andere Unternehmensmentalität des Dichtmachens, Wegschiebens, Aussiedelns, Umstrukturierens, Wegmachens, Plattmachens. Diese Kultur wird in Amerika bejubelt und bei uns Gott sei Dank als schmerzlich empfunden und nicht bejubelt. Deswegen sage ich Ihnen: Ich möchte gerne Mischformen haben. Heute ist aber

(Ministerpräsidentin Heide Simonis)

nicht der Zeitpunkt, über solche Philosophien zu reden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Dies war nur ein Hinweis darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort diese einsame Entscheidung der Konzernspitze auszubaden haben. Dennoch war es damals richtig, Motorola nach Schleswig-Holstein zu holen; denn das hat in dieser Region einen beachtlichen Wachstumsschub ausgelöst. Ende des Jahres 2000 waren 2.755 Menschen bei Motorola beschäftigt. Vorher waren es knapp 580. Nach einem früheren Arbeitsplätzeabbau kommt nun leider die Hiobsbotschaft für die ganze Region und für die Beschäftigten, dass nochmals 600 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Gott sei Dank bleiben noch 1.200 übrig. Anstatt uns gegenseitig Sachen um die Ohren zu hauen, die wenig hilfreich sind und die nicht meine Zunkunftsüberlegungen in wirtschaftlicher Hinsicht sind, sollten wir versuchen, unsere Unternehmen international stark zu machen, auf den internationalen Wettbewerb zuzugehen. Da können Sie wirklich etwas von den Amerikanern lernen. Jetzt kommt es darauf an, bei Motorola das Kompetenzzentrum für UMTS zu erhalten, damit hier noch eine Produktion auf ganz hohem technologischen Niveau stattfindet. Dies führt unter Umständen, wenn es besser werden sollte, dazu, dass man sich in Detroit überlegt, wieder neue Arbeitsplätze anzubieten.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wenn es sein muss, werde ich, obgleich ich Bedenken habe, wieder dorthin fahren und dafür kämpfen, dass dieser Standort, der sich schon einmal gegenüber Schottland durchgesetzt hat, auch in Zukunft seine Chancen behält. -Dabei geht es nicht um den Standort an sich, meine sehr verehrten Damen und Herren, sondern um die Menschen, die in diesem Standort arbeiten und für ihre Familie sorgen wollen.

Es war richtig, dass wir dort 20 Millionen € aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe investiert haben. Was hätten Sie denn gesagt, wenn wir es nicht getan hätten?

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mein Gott, was hätten Sie uns hier durch den Kakao gezogen! Das, was Sie hier vortragen, ist doch beliebig. Wenn gemeinsame Aktivitäten zur Hilfe einer bedrohten Firma für Sie darin bestehen, dass Sie erzählen, wir hätten vor ein paar Jahren diesen und

jenen kein Geld geben dürfen, dann gehen Sie doch in den Betrieb und sagen es den Leuten dort. Für diese Leute ist das spannend. Ich habe mich schon daran gewöhnt, dass Sie manchmal komisch argumentieren. Aber sie müssen begreifen, dass die gemeinsame parlamentarische, überparteiliche Hilfe darin besteht, sich erst einmal die Klamotten um die Ohren zu hauen. Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)