Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

Die Sachbearbeitung in einer Hand und die Kooperation der verschiedenen Dienste und Dienststellen bietet die Voraussetzung, dass problematische Jugendliche nicht aus dem Blickfeld geraten und mit den Folgen ihrer Tat unmittelbar und schnell konfrontiert werden. Es ist gut, dass seit der ersten Lesung auch im Bereich Lübeck das „vorrangige Jugendverfahren“ Anwendung findet. Denn wir wissen, dass die schnelle und konsequente Reaktion das A und O im Umgang mit straffälligen Jugendlichen ist. Das ist auch unser Ansatz und auch der wichtigste Ansatz für die Zukunft.

(Beifall des Abgeordneten Thomas Rother [SPD] - Werner Kalinka [CDU]: So ist es!)

Mit unserem Jugendstrafvollzugsgesetz haben wir den Rahmen für die Resozialisierung von jugendlichen Straftätern geschaffen, für einen Vollzug, in dem Ausbildung, Sport, der partnerschaftliche Umgang miteinander in der Gruppe und - falls nötig Therapieangebote im Mittelpunkt stehen. Der Haushalt 2009/2010 beweist, dass wir mit der Umsetzung dieses Gesetzes ernst machen, indem wir ganz erhebliche Mittel für die personellen und investiven Erfordernisse zur Verfügung stellen.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD], Olaf Schulze [SPD] und Thomas Ro- ther [SPD])

Wir haben also in der Tat weitreichende Möglichkeiten, der Jugendkriminalität zu begegnen, präventive und repressive. Jugendkriminalität bleibt dennoch eine tägliche Herausforderung für Jugendhilfe und Justiz, Polizei und Schule und für uns Politiker. Das will ich gern auch eingestehen.

Aber die Veränderungen der letzten Jahre zeigen, dass sich etwas bewegt, dass alle Beteiligten für mehr Kooperation und neue Entwicklungen offen sind. Ich denke - das ist nur ein Beispiel - an einen Vortrag des Vertreters eines Jugendhilfeträgers im Rahmen der Diskussion um das Jugendstrafvoll

(Peter Lehnert)

zugsgesetz, der im Ausschuss seine Vorstellungen über neue Formen der Jugendhilfe und auch des Jugendvollzugs für jugendliche Gewaltstraftäter eingebracht hat. Diese Diskussion würden wir gern in Ruhe und Sachlichkeit führen und nicht aufgeregt vor dem Hintergrund von aktuellen Gewalttaten, wie sie bedauerlicherweise wieder vor wenigen Tagen in Neumünster stattgefunden haben. Ich denke, dass das der Problematik auch nicht gerecht würde.

Wir diskutieren also gern über die Weiterentwicklung, aber was wir nicht brauchen und nicht wollen, ist eine Verschärfung des Jugendstrafrechts.

(Beifall der Abgeordneten Rolf Fischer [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch wenn Sie diese Formulierung im Antrag vermissen, wiederhole ich sie für die SPD-Fraktion gern. Ich habe das bereits in der ersten Lesung, im Ausschuss und in diversen Veranstaltungen gesagt, Herr Kubicki. Die Anhörung im Innen- und Rechtsausschuss, in der die Fachleute aus Justizvollzug, aus Richter- und Anwaltschaft, aus Jugendhilfe und Wissenschaft in wirklich beeindruckender Einigkeit einer Strafverschärfung eine Absage erteilt haben, unterstreicht diese Position.

Es wäre fatal, wenn über die Diskussion über unser Abstimmungsverhalten oder über die mangelnde Klarheit, was die Ablehnung angeht, der Eindruck oder schlimmer noch das Signal entstehen würde, im Schleswig-Holsteinischen Landtag gebe es eine Mehrheit für die Verschärfung des Jugendstrafrechts. Das ist nicht der Fall.

(Beifall bei der SPD - Wolfgang Kubicki [FDP]: Das haben Sie hingeschrieben!)

Da vorhin einige Unruhe zu verspüren war, will ich darauf hinweisen, dass beabsichtigt ist, nach diesem Tagesordnungspunkt nur noch den Tagsordnungspunkt 18 aufzurufen. Das heißt, der Tagesordnungspunkt 5, Landesbauordnung, wird auf morgen verschoben, weil ein Ende der Sitzung für 17:30/ 18.00 Uhr vereinbart war.

Nun hat der Oppositionsführer, der Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki, das Wort.

Sehr verehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geblieben ist nur die Überschrift „Ent

schließung zum Jugendstrafrecht“. Mehr ist vom Entschließungsantrag von FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW nicht mehr da. Kein Ja oder Nein zu unseren Forderungen gegen eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, stattdessen gibt es jede Menge Weichspüler, sodass nur große Seifenblasen entstanden sind. Selbstverständlichkeiten, die vielleicht keinem unmittelbar schaden, aber die allenfalls denen nutzen, die ein vermeintliches Sicherheitsgefühl durch steigende Strafmöglichkeiten bedienen wollen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Inhaltlich betrachtet ist damit die Beschlussempfehlung, genauer gesagt das, was CDU und SPD aus unserem Antrag gemacht haben, kaum noch das Papier wert, auf der sie geschrieben steht.

Unser Ziel war es, das geltende Jugendstrafrecht beizubehalten. Gerade nach den Vorkommnissen in Hessen wollten wir weiterem Wunderglauben, durch Verschärfungen lasse sich die Jugendkriminalität bekämpfen, sozusagen einen Riegel vorschieben. Hinter Schloss und Riegel sehen CDU und SPD in Schleswig-Holstein jedoch leider lieber straffällig gewordene Jugendliche und Heranwachsende.

Dabei ist es ein Irrglaube anzunehmen, Kollege Wadephul, Strafverschärfungen in Umfang oder Qualität oder eine frühere Anwendung des Erwachsenenstrafrechts würden zu mehr Gesetzestreue, zu weniger Kriminalität oder zu mehr Resozialisierung beitragen. Die Anhörung hat im Gegenteil auf vielfache Weise und nahezu einhellig deutlich gemacht, dass derartige Maßnahmen viel mehr zur Entstehung, Stabilisierung und Verlängerung krimineller Karrieren als zu ihrer Vermeidung beitragen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD, nun werden Sie darauf hinweisen, dass in Ihrer Formulierung nicht ein Wort von Strafverschärfung, Höchststrafe, Herabsetzung der Strafmündigkeit oder gar Erziehungscamps enthalten ist.

(Jürgen Weber [SPD]: So ist es!)

- Kollege Weber, formal ist das richtig. Aber was verstehen Sie dann unter - ich zitiere einmal - Notwendigkeit zur „frühzeitigen verbindlichen Intervention“ bei Intensiv- und Mehrfachtätern? Welches „differenzierte Angebot für eine intensive und umfassende Betreuung dieser Kinder und Jugendli

(Anna Schlosser-Keichel)

chen“ haben Sie im Kopf, das Sie „ausschöpfen und weiterentwickeln“ wollen? Sprache kann verräterisch sein. Hier ist sie es.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bislang findet das Jugendstrafrecht Anwendung für Jugendliche und Heranwachsende, also Personen, die zur Zeit der Tat wenigstens vierzehn sind. Ihre Intensivbetreuung wollen Sie aber bereits Kindern, also unter 14-Jährigen, angedeihen lassen. Dabei war auch in diesem Punkt die Anhörung eindeutig. Frau Kollegin Schlosser-Keichel, Sprache ist verräterisch. Eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahre ist weder mit dem Grundgesetz noch mit dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts vereinbar.

Und was verstehen Sie unter einer „frühzeitigen verbindlichen Intervention“? Was halten Sie für eine „intensive und umfassende Betreuung“? Wohl nicht zufällig fehlt hier jede Konkretisierung. Deshalb erlaubt das eine andere Interpretation durch den Kollegen Lehnert, als Sie das vielleicht im Kopf haben.

Erlauben Sie mir deshalb einen Rückschluss. Schließlich gehen Sie auch davon aus, dass die aktuellen ambulanten Familienhilfen, die Schulsozialarbeit oder auch die Förderung der Integration von Migranten bereits ausreichend seien und damit geeignete Maßnahmen zur Vorbeugung von Jugendkriminalität angeboten würden. Leider trifft das in dieser Form nicht zu, aber Ihre Annahme lässt befürchten, dass wenn dieser konstruktive Weg vermeintlich nicht greift, nur noch Härte oder Wegsperren helfen, um der Jugendkriminalität begegnen zu können.

Doch dieser Ansatz ist verfehlt. Sicherlich gibt es Fälle, in denen ein Einsperren unumgänglich ist. Der weit größeren Gruppe Jugendlicher und Heranwachsender wäre aber damit geholfen, wenn eine Schulsozialarbeit auch tatsächlich stattfinden würde oder wenn die ambulante Familienhilfe vor Ort auch besetzt wäre. Aus genau diesem Grund haben wir deshalb deren Ausbau gefordert, weil wir die Arbeit der Sozialarbeiter, des knappen Gefängnispersonals, der Ausbilder und Lehrer für straffällig gewordene Jugendliche anerkennen und eben auch erkennen, dass sie Unterstützung brauchen, um ihren Wirkungsmöglichkeiten zu einem Erfolg zu verhelfen.

Offenbar will das die Große Koalition nicht sehen. Bislang wurden alle unsere Anträge, und zwar egal, ob sie von uns, den Grünen oder vom SSW kamen,

beispielsweise für mehr Schulsozialarbeit oder zum Jugendstrafvollzugsgesetz, inhaltlich oder über den Haushalt abgelehnt, und der Schwarze Peter wurde allenfalls noch den Kommunen zugeschoben. Dabei liegt es geradezu auf der Hand, dass die gesellschaftlichen Kosten bei dieser Sichtweise deutlich höher ausfallen müssen,

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

nicht nur weil jeder Strafvollzug deutlich teurer wird als vorherige präventive Arbeit, sondern auch, weil in der Folge statt weniger neue Kriminalitätsopfer zu beklagen sind.

Ich darf Sie daher herzlich bitten, nicht der Beschlussempfehlung zu folgen, sondern unserem Antrag zuzustimmen. Kriminalität lässt sich nicht durch härtere Sanktionen reduzieren; sie wird dadurch allenfalls gefördert. Deshalb sollten wir uns erst gar keine hessischen Hintertürchen offenhalten. Jugendstrafrecht ist nur das letzte Mittel. Was wir brauchen, ist eine gute Kinder- und Jugendhilfe, eine gute Sozial- und Integrationspolitik.

Herr Minister für Landwirtschaft und Umwelt, Sie sind ja aus diesem Alter etwas entwachsen, aber ich kann Ihnen sagen, auch aus eigener beruflicher Erfahrung: Im Jugendstrafrecht hat der Erziehungsgedanke Vorrang, weil die Jugendlichen noch nicht entwickelt sind, nicht der Straf-, Vergeltungs- und Sanktionsgedanke. Daran sollten wir uns halten und nicht so tun, als dürften wir daran vorübergehen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich das Wort der Frau Abgeordneten Monika Heinold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor knapp zwei Wochen stürmten zwei Jungen im Alter von 17 und 15 Jahren eine Schulklasse in Neumünster und verprügelten einen 13-Jährigen. Der Jüngere von beiden war der Polizei als so genannter Intensivtäter bereits bekannt. Dieser Fall ist erschreckend und nicht zu rechtfertigen. Daraus aber nun abzuleiten, dass wir solche Taten zukünftig verhindern könnten, wenn wir das Jugendstrafrecht verschärfen würden, Herr Lehnert, das ist blanker Unsinn. Das deutsche Jugendstrafsystem leidet nicht unter mangelnder Härte. Die vorhande

(Wolfgang Kubicki)

nen Möglichkeiten reichen aus, beginnend mit der Ableistung von unentgeltlichen Arbeitsstunden, beispielsweise in gemeinnützigen Einrichtungen über die Verhängung von Arrest bis zur Jugendstrafe von bis zu zehn Jahren. Maßnahmen wie der kurzfristige Wochenendarrest in der Jugendarrestanstalt in Neumünster machen durchaus Eindruck auf unsere Jugendlichen. Bewährt hat sich insbesondere auch die Beschleunigung der Jugendstrafverfahren. Der direkte und zeitnahe Bezug zur Tat ist für Jugendliche absolut wichtig.

Wenn wir das Ziel haben, Gewalttaten Jugendlicher zukünftig zu vermeiden, gibt es aber nur eine richtige Antwort: Die präventiven Maßnahmen müssen gestärkt werden.

Herr Lehnert, Sie sagten, es ist vor allem der Täter selbst zuständig. Ich sage Ihnen, Herr Lehnert: Kein Kind wird als Täter geboren. Wir brauchen faire Chancen für alle jungen Menschen durch bessere Integration, durch Bildung und Chancengleichheit und durch Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. Jeder Tag, den ein Jugendlicher ohne Schule, ohne Ausbildung oder Arbeit, also ohne Perspektive auf der Straße verbringt, ist ein Tag zuviel.

Kriminelle Jugendliche sind auch immer ein Zeichen von staatlichem Versagen im Vorfeld. Dass Freiheitsentzug in der Regel nicht die versprochene abschreckende Wirkung erzielt, machen doch die hohen Rückfallquoten der zu Freiheitsstrafen verurteilten Jugendlichen von bis zu 80 % deutlich. In der Regel verstärkt sich der Frust bei Jugendlichen, wenn sie die erste Erfahrung von Freiheitsentzug machen. Sie empfinden dieses als weitere Ausgrenzung, als endgültiges Zeichen dafür, dass sie in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Die Folge ist, dass sie der Gesellschaft ihrerseits noch weiter den Rücken zukehren, also genau das Gegenteil dessen, was wir bewirken wollen.

Einsperren und abschieben sind keine Mittel zur Lösung gesellschaftlicher und sozialer Probleme.

(Beifall bei FDP und SSW)

Dies gilt insbesondere auch für die Behandlung straffällig gewordener jugendlicher Ausländer. Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen und hier straffällig werden, sind ein Problem unserer Gesellschaft, dieser Gesellschaft, das nicht einfach abgeschoben werden kann und darf. Der überproportional hohe Anteil ausländischer Jugendlicher in den Jugendstrafvollzugsanstalten ist auch ein Ergebnis gescheiterter Integration.

Wenn Sie sich hier hinstellen, Herr Lehnert, und immer wieder sagen, nun lasst uns doch endlich Statistiken erstellen, woraus wir den Migrationshintergrund von jugendlichen Straftätern erkennen, dann sage ich: Sie wollen die Integration überhaupt nicht!

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])