Protokoll der Sitzung vom 26.02.2009

Ich rufe nunmehr den Punkt 23 der Tagesordnung auf:

Mehr Frauen in Führung

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2485

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Frau Abgeordnete Angelika Birk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind Frauen, insbesondere in der Wirtschaft, keineswegs auf einem dynamischen Vormarsch in Führungspositionen. Der Anteil nimmt nur äußerst schleppend zu, stagniert in einzelnen Bereichen oder verzeichnet sogar Rückfälle. Besonders dort, wo in Unternehmen Entscheidungen mit Breitenwirkung getroffen und hohe Einkommen erzielt werden, sind Frauen noch kaum zu finden. In deutschen Großunternehmen ist der Frauenanteil in Führungspositionen mit 5 % in den letzten Jahren nahezu unverändert gering. In den 100 größten deutschen Unternehmen ließen sich 2004 nur vier Frauen in Vorstandspositionen finden, und von den 192 Vorstandspositionen in den 30 Dax-Unternehmen wird keines von einer Frau besetzt. Nur 7,5 % der Mitglieder von Aufsichtsräten in deutschen Unternehmen sind Frauen. So der Sachstand vom Deutschen Institut der Wirtschaft von 2005. Seither hat sich leider wenig geändert.

Diese genannten 7,5 % haben ihr Mandat in den wenigsten Fällen der Unternehmensseite, sondern zu über 80 % den Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmervertretungen zu verdanken. In 68 der 100 umsatzstärksten Unternehmen wurde mindestens eine Aufsichtsrätin von Gewerkschaften berufen. Hingegen ist in 32 dieser 100 Unternehmen der Aufsichtsrat allein in den Händen von Männern. Daher wird zu Recht vom DGB das Fazit gezogen, dass bei der Besetzung von Aufsichtsratposten durch Frauen eher die Minderheitenquote des Betriebsverfassungsgesetzes und die Gleichstellungsverpflichtung der Gewerkschaften Früchte getragen hätten, als die freiwillige Vereinbarung der Bundesregierung mit den Spitzenverbänden der Privatwirtschaft.

Angesichts der erheblichen gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen ist es zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unerlässlich, das Potenzial an hochqualifizierten Frauen besser zu nutzen.

(Beifall von der Abgeordneten Monika Hei- nold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Beispiel Norwegen zeigt: Wenn ein Staat seinen Verfassungsauftrag zur Gleichstellung ernst nimmt, kann er viel tun. Im weltweiten Vergleich der Geschlechtergleichstellung belegt Norwegen jeweils Spitzenplätze. Erreicht wurde dies in den vergangenen 30 Jahren mit einem umfassenden System aus Quoten und aktiver Förderung. Die jüngste Maßnahme beinhaltet eine gesetzliche Quote für Spitzenpositionen in der Privatwirtschaft. Seit Anfang 2006 muss eine neu gegründete norwegische Aktiengesellschaft mindestens 40 % Frauen im Aufsichtsrat vorweisen. Bestehende Unternehmen hatten noch bis Ende 2007 Zeit, die Vorgabe zu erfüllen. Mann und Frau dürfen staunen: Sie haben es geschafft. Die an der Börse gehandelten norwegischen Unternehmen hatten in einer Vorlaufphase zunächst Zeit, ihre Aufsichtsräte freiwillig zu quotieren. Begleitet wurde dies durch den Aufbau einer Datenbank mit über 4.000 qualifizierten Frauen, die bereit waren, diese Verantwortung zu übernehmen, damit das gängige Argument, es gebe nicht genügend qualifizierte Frauen, gleich ausgeschaltet war.

Derzeit sind Unternehmen weltweit, so auch in Deutschland, in einer Umbruchphase, um es vorsichtig auszudrücken. Es werden viele Führungspositionen neu besetzt. Der Staat übernimmt in einer Reihe von Fällen mit der Bereitstellung von Krediten auch direkte operative Verantwortung. Die Chance für Frauen ist da.

(Minister Dr. Christian von Boetticher)

Als Feministin weiß ich, dass es nicht untypischerweise Krisenzeiten sind, in denen Frauen am ehesten die Chance eingeräumt bekommen. Sie dürfen die Karre aus dem Dreck ziehen, während ihnen in den guten Zeiten kein Platz an der Spitze zugetraut wurde. Nicht zuletzt der parteipolitische Werdegang unserer Bundeskanzlerin ist hierfür ein Beispiel.

Frauen sind in der Lage und bereit, diese wirtschaftspolitische Verantwortung zu übernehmen. Deshalb fordern wir hierfür die gesetzliche Grundlage,

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

denn nicht alle Unternehmen sind so weit wie die CDU, die immerhin in der Lage war, die Führungsqualitäten der Kanzlerin und ihrer Ministerinnen anzuerkennen. Ich hätte mir das allerdings auch für die jüngste Besetzung des Wirtschaftsministeriums gewünscht.

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ziel unseres Antrags ist, dass sich die Landesregierung auf Bundesebene für eine sanktionsfähige Quotierungsregel im Aktiengesetz einsetzt mit dem Ziel, Aufsichtsräte deutscher Aktiengesellschaften bis 2010 verbindlich zu 40 % mit Frauen zu besetzen. Außerdem fordern wir endlich ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.

Unser Antrag hat aber noch einen zweiten Teil, der sich auf die Landesebene bezieht, wo wir direkten Einfluss haben. Weder Vorstand noch Aufsichtsrat der HSH Nordbank sind mit Frauen besetzt. Aus dem Aufsichtsrat des Universitätsklinikums ist das unabhängige weibliche Mitglied der Arbeitgeberseite unter Protest von der Aufgabe zurückgetreten. Wenn wir überhaupt Mitglieder in öffentlichen Unternehmen und Stiftungen des Landes haben, sind sie meistens auf der Arbeitnehmerseite und aus den Reihen des Landtages. Hier besteht Handlungsbedarf. Das gilt auch für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes.

Ich komme zu meinem letzten Satz: Das Landesgleichstellungsgesetz sieht vor, dass die Landesregierung alle vier Jahre über Fortschritte zu mehr Geschlechtergerechtigkeit berichtet. Der Bericht war 2008 fällig. Wir mahnen ihn hiermit nachdrücklich an.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich der Frau Abgeordneten Jutta Scheicht das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Mehr Frauen in Führung, diese Forderung besteht nun schon seit vielen Jahren. Tatsächlich ist Deutschland, was die Quote von Frauen in Führungspositionen betrifft, noch immer ein Entwicklungsland. Während es in den USA inzwischen selbstverständlich ist, dass Konzerne, wie zum Beispiel Pepsi, von Frauen gelenkt werden, muss man hierzulande nach derart hochplazierten Topmanagerinnen lange suchen. Gerade einmal eine Frau - das hat sich seit dem 22. Januar geändert - hat es in die Vorstandsriegen der Dax30-Unternehmen geschafft. Das ist bei Siemens, Frau Barbara Kux, eine 54-jährige Dame, die dort den Einkauf leitet. Auch die 200 größten Firmen sind fest in männlicher Hand. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung wurde nur 1 % aller Vorstandsposten mit Frauen besetzt. Mehr als die Hälfte der top ausgebildeten jungen Menschen sind Frauen, meine Damen und Herren. Doch kaum eine kommt oben an. Woran liegt das also?

(Beifall bei der CDU)

Liebe Frau Birk, Karrieren kann man nicht per Erlass vorschreiben, Frauen in Chefetagen, das wissen die Männer, können das auch nicht.

Damit komme ich zu Ihrem Antrag. In Ihrer Begründung führen Sie die aktuelle Bundestagsanhörung zur Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen an. Laut dem Bundestagsabgeordneten und frauenpolitischen Sprecher der CDU will die CDU die Entgeltgleichheit umsetzen. Die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit ist aber bereits Inhalt des von der Berliner Koalition eingebrachten Antrages „Chancen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt“. Der Antrag umfasst 21 Forderungen zur Realisierung der Chancengleichheit für Frauen. Leider können wir jetzt in diesen fünf Minuten nicht all diese Forderungen diskutieren. Aber ich würde mich freuen, wenn wir das im Ausschuss täten.

(Beifall bei der CDU)

Das Thema Teilzeitarbeitsplätze, Frau Birk, nimmt in der Begründung Ihres Antrages, den ich vorliegen habe, einen großen Raum ein. Der Unterschied zu Ihren Forderungen, Frau Birk: Wir setzen

(Angelika Birk)

bei den Maßnahmen auf Freiwilligkeit und nicht auf Sanktionen.

(Beifall bei der CDU)

Rechtsvorschriften haben wir bereits genug. Jedes Land hat ein Gleichstellungs- oder Frauenfördergesetz. Es gibt flächendeckend Gleichstellungsbeauftragte. Wir haben ein Antidiskriminierungsgesetz und ein Bundesgleichstellungsgesetz. All diese Rechtsvorschriften regeln oder sollten bereits die Sachen regeln, die Sie in Ihren Punkten angesprochen haben.

In Punkt 4 Ihres Antrages fordern Sie einen Gleichstellungsbericht, der noch aussteht. Dazu kann vielleicht die Ministerin noch etwas sagen, warum der noch nicht gekommen ist.

In Punkt 7 fordern Sie den Landtag auf - das ist wichtig, und deshalb möchte ich, dass mal alle zuhören -, sich auf Bundesebene durch eine Bundesratsinitiative für gesetzliche Regelungen einzusetzen, die auch die Privatwirtschaft zu verbindlichen Gleichstellungsmaßnahmen in ihrer Personalentwicklung verpflichten. Das lehnen wir ab.

(Beifall bei der CDU)

Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft fand selbst im Jahr 1998 während der rot-grünen Koalition auf Bundesebene keine Mehrheit. Der ständige Ruf nach Sanktionen und Quoten, die die Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dieses Mal für die Gremien des Landes und des Bundes fordern, werden der Situation mit all ihren Facetten nicht gerecht.

Ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft belegt hat, dass die Mehrheit der Befragten gegen eine Quotenregelung in der Privatwirtschaft ist. Interessant daran ist, dass eine Quotenregelung weder unter den Frauen noch unter den grünen Wählern eine Mehrheit findet, Frau Birk. So viel dazu.

(Beifall bei der CDU)

Es wird also Zeit, dass ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft und besonders in der Wirtschaft einsetzt, damit die Unternehmen hochqualifizierte Frauen auch endlich einstellen. Deshalb sollten diese Firmen endlich wach werden und handeln.

Meine Damen und Herren, viele Frauen warten darauf. Deshalb nehmen wir Ihren Antrag sehr ernst und möchten in aller Breite diskutieren, was man machen kann.

Ich möchte die Herren daran erinnern, dass in zehn Tagen, am 8. März, Frauentag ist. Lassen Sie uns deshalb gemeinsam daran arbeiten, dass jeder Tag ein bisschen mehr Frauentag wird. Wir wünschen unseren Männern, dass ihnen im Jahr 2010 gelingt, was unsere Frauen schon längst geschafft haben, dass sie endlich Fußballweltmeister werden.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD hat die Frau Abgeordnete Sandra Redmann das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die eigenständige Existenzsicherung ist und bleibt für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ein zentraler Schlüssel zur Gleichstellung. Es beginnt mit der Berufswahl von Mädchen, es setzt sich beim Angebot an qualifizierter Kinderbetreuung und bei der Schaffung familiengerechter Arbeitszeiten ebenso fort wie bei der gleichberechtigten Berücksichtigung der Kompetenzen von Frauen bei Beförderungen in Leitungspositionen, auch in der Landesverwaltung.

Das hat mein Fraktionsvorsitzender vor einem Jahr im Landtag gesagt, und das ist eine der zentralen Stellschrauben, wenn es um Geschlechtergerechtigkeit geht. Ohne wirtschaftliche Gleichstellung, ohne Entgeltgleichheit in allen Bereichen wird das nichts werden.

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Herr Kubicki, auch Ihnen kann es manchmal nicht schaden, etwas zuzuhören.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt!)

Wenn, wie gerade zum wiederholten Mal festgestellt, die Einkommen von Frauen in Deutschland nach wie vor weit unter denen von Männern liegen, hat das starke Konsequenzen für ihre Unabhängigkeit, für ihre Partizipation an der wirtschaftlichen Entwicklung und für ihre spätere Absicherung im Alter. Diese Ungleichbehandlung von Frauen ist auch rechtlich völlig unhaltbar; denn das Grundgesetz macht dem Staat die Durchsetzung von Gleichstellung zur Aufgabe.

Ende Januar hat im Bundestag eine öffentliche Anhörung zur Entgeltgleichheit stattgefunden. Sie hat eindrucksvoll sozialdemokratische Forderungen zur Herstellung von Entgeltgleichheit bestärkt, unter

(Jutta Scheicht)

anderem die Einführung flächendeckender Mindestlöhne, ein verbindliches Gesetz zur Gleichstellung in der Privatwirtschaft, eine quotierte Besetzung von Aufsichtsratsposten und ein diskriminierungsfreies Steuerrecht.