Protokoll der Sitzung vom 26.03.2009

Im Grundsatz bedeutet das nämlich, dass Exekutivorgane beurteilen, ob der Informationsbedarf des Parlaments berechtigt ist oder nicht berechtigt ist. Das dürfen sich Parlamente - selbst in Zeiten der Dämmerung Großer Koalitionen - keinesfalls gefallen lassen.

Zurück zum Gegenstand der Großen Anfrage! Finanzminister Wiegard hat in der Debatte zum ersten Verwaltungsmodernisierungsgesetz vor über zwei Jahren ausgeführt:

„Wir machen auf Amtsebene Verwaltung. Da werden wir keine Selbstverwaltungseinrichtungen unterhalten und betreiben.“

Ob dieses nun nach den durchgeführten Amtsfusionen tatsächlich der Fall ist, scheint nach Ansicht der Landesregierung kein Gegenstand der parlamentarischen Kontrolle zu sein. So äußerte der Kollege Wiegard damals aus dieser Sicht folgerichtig:

„Man muss einmal darüber diskutieren, ob ein Parlament das richtige Organ ist, um über Zusammenschlüsse von Verwaltungseinheiten zu beschließen.“

Der SSW hat hierzu eine klare Haltung. Wir treten vehement dafür ein, dass diese Fragen im Parlament und somit im Licht der Öffentlichkeit diskutiert und beschlossen werden.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Daher ist es kein Geheimnis, dass der SSW sowohl mit der lediglich indirekt erfolgten Legitimation der

(Günther Hildebrand)

Amtsausschüsse als auch mit dem schleichenden, ausufernden System der Aufgabenübertragung samt den für die Bürger unübersichtlichen Zweckverbandslösungen erhebliche demokratischen Bedenken hat.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aus unserer Sicht hat sich auf der kommunalen Ebene ein System der Intransparenz etabliert, mit dem man im Einzelfall zwar mehr oder weniger zurecht kommt, das sich aber der politischen Steuerung der vom Bürger gewählten Gremien weitgehend entzieht. Das ist keine Demokratie, sondern eine Form von Bürokratie.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Bürger sollte sich in den Fragen der örtlichen Gemeinschaft an sein Gemeinderatsmitglied wenden können, das Rede und Antwort stehen kann, weil diese Fragen in der Kompetenz der Gemeinderäte liegen und auch dort entschieden werden. Stattdessen werden die meisten Angelegenheiten im Amtsauschuss, in den Zweckverbandsversammlungen und in anderen Gremien stellvertretend entschieden, und zwar ohne Rückkopplung an die Wahlentscheidung der Bürger. Nicht zu vergessen ist der Effekt auf das politische Ehrenamt in den Gemeinderäten, das dadurch langsam, aber sicher ausgehöhlt wird.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Während sich das großkoalitionäre Verwaltungsreförmchen bewusst und ausschließlich auf die äußeren Strukturen von Verwaltung beschränkt, hat der SSW stets auch die Fragen der inneren Strukturen, nämlich der Entscheidungsstrukturen und der demokratischen Legitimation, mitgedacht und problematisiert. Bürgernähe ist für uns nicht allein in Kilometern und persönlichen Netzwerken zu messen, sondern auch eine Frage der Transparenz von Entscheidungsprozessen und demokratischer Steuerungsfähigkeit. Daher war es für den SSW eine logische Folge, dass nach der Bildung der neuen größeren Ämter der Aspekt der demokratischen Legitimation auf die Tagesordnung des Landtags gehört.

Die Große Anfrage soll den Landtag in die Lage versetzen, sich ein aktuelles Bild über die Entwicklung unter den geraden genannten Aspekten, aber vor allem bezüglich der schleichenden Veränderung des Amtes von der Schreibstube zum Gemeindeverband zu verschaffen. Die vorliegende Antwort der

Landesregierung vermittelt trotz der großen Lücken eine klare Tendenz bezüglich der Selbstverwaltungswirklichkeit in den Ämtern.

Wir können sicher davon ausgehen, dass sämtlichen Ämtern mindestens eine zusätzliche Selbstverwaltungsaufgabe übertragen worden ist. Die durchschnittliche Zahl von Selbstverwaltungsaufgaben liegt 2009 bei 9,7, im Jahr 1979 lag diese Zahl noch bei 2,8 Aufgaben je Amt. Herr Kollege Hentschel hat auch darauf verwiesen. Das bereits im Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1979 festgestellte kritische Ausmaß an der Wahrnehmung von Selbstverwaltungsaufgaben bei den Ämtern ist also weiter gestiegen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Besonders bemerkenswert ist, dass in mehr als jedem zweiten Amt, das sich überhaupt an der Beantwortung beteiligt hat, überhaupt keine einzige Selbstverwaltungsaufgabe mehr durch die Gemeinden durchgeführt wird. Oft haben sämtliche Gemeinden eines Amtes die entsprechende Aufgabe an das Amt übertragen. Es deutet also alles darauf hin, dass unsere Ämter inzwischen de facto Gemeindeverbände sind.

(Beifall beim SSW)

Das erwähnte Gutachten des Gemeindetags, das eine Neuerhebung im Rahmen der Großen Anfrage angeblich überflüssig macht, kam bereits im Jahr 2002 zu dem Ergebnis, dass sich sowohl die Quantität als auch die Qualität der auf die Ämter übertragenen gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben seit 1979 erheblich erhöht hat.

Der Autor der Studie, Utz Schliesky, stellt fest:

„Das Amt befindet sich aufgrund der legitimatorischen Strukturen in einer ‚Entwicklungsfalle’. Weil das Amt nur bestimmte im Verhältnis zur Gemeinde nachrangige Aufgaben wahrnehmen darf, soll es keiner unmittelbaren demokratischen Legitimation bedürfen. Weil das Amt aber andererseits eine so geringe demokratische Legitimation besitzt, soll eine weitergehende Aufgabenzuweisung unzulässig sein. Die Aufgabenverteilung zwischen Amt und Gemeinde entspricht nicht mehr dem gesetzlichen Regelmodell, das Ausdruck der verfassungsrechtlichen Legitimationsanforderungen ist ….“

Das war ein langes Zitat, das man aber auch nachlesen kann. Damit wird deutlich, was mit „Entwicklungsfalle“ gemeint ist.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Ämter nehmen mittlerweile gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben in beachtlichem Maße wahr und das mit steigender Tendenz. Durch die Reformmaßnahmen hat sich das verfassungsrechtliche Legitimationsproblem noch weiter verschärft. Der Kollege Hentschel hat dies anschaulich unter anderem an der wichtigen Frage der Repräsentativität der politischen Gremien dargelegt.

Ich warne die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen davor, nach dem Motto zu verfahren: Wenn niemand aus der kommunalen Familie darüber klagt, schauen wir einfach weg und tun so, als ob es ein rein theoretisches Problem der Opposition sei. Wir sind als Landesgesetzgeber in der Pflicht, die klaren Anzeichen eines verfassungswidrigen Demokratiedefizits aufzugreifen und das Defizit umgehend zu beseitigen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der SSW hat klare Vorstellungen, wie kommunale Gestaltungskraft, kommunale Demokratie und kommunale Verwaltung wieder in Einklang gebracht werden könnten. Eine weitere Ebene von Gemeindeverbänden schwebt uns dabei nicht als Lösung vor,

(Beifall beim SSW)

sondern gestärkte Kommunen nach dem Prinzip der Einheit und Einräumigkeit der Verwaltung. Über diese Frage sollten wir uns - gern kontrovers auseinandersetzen, es sollte aber Konsens darüber herrschen, dass Legitimationsdefizite, die letztlich zulasten der Bürger und der politischen Kultur gehen, nicht stillschweigend akzeptiert werden können.

(Beifall beim SSW)

Ich hoffe, dass wir im Ausschuss noch einige dieser Fragen aufgreifen können, und freue mich auf die Ausschussberatungen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Landesregierung hat erneut der Herr Innenminister.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Debatte veranlasst mich, noch ein paar Bemerkungen zu machen. Frau Kollegin Spoorendonk, ich vermag in der jetzigen Struktur der kommunalen Selbstverwaltung in Schleswig-Holstein nirgendwo ein Demokratiedefizit zu erkennen. Wenn eine Gemeinde in einem demokratischen Prozess durch Abstimmung entscheidet, eine Selbstverwaltungsaufgabe auf das Amt zu übertragen, dann ist das eine demokratische Entscheidung, die wir zu akzeptieren, nicht zu kritisieren haben.

(Beifall bei SPD und CDU)

Der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag hat den Landtag in seinem Schreiben, das auch den Fraktionen zugegangen ist, darauf hingewiesen, dass das von Ihnen mehrfach zitierte Gutachten mit Schlussfolgerungen im Jahr 2004 dem Landtag zugeleitet worden ist. Vielleicht sollten wir dieses bei den Beratungen noch einmal zurate ziehen.

Hinsichtlich der Art und des Umfangs der Befragung hat der Schleswig-Holsteinische Gemeindetag das Innenministerium bei der Formulierung der Fragebögen und Listen durch diverse sachliche Hinweise unterstützt, damit die komplizierte und in sich nicht konsistente Struktur der Großen Anfrage überhaupt bearbeitet werden konnte. Das Innenministerium hat diese Fragebögen und Listen im Wege der Kommunalaufsicht an die Gemeinden, Ämter et cetera versandt.

Zu der Forderung, dass wir Maßnahmen hätten ergreifen sollen, damit alle Ämter diese Fragebögen beantworten, ist Folgendes zu sagen: Es entspricht nicht meinem Verständnis von kommunaler Selbstverwaltung, in einer solchen Angelegenheit mit Zwangsmaßnahmen vorzugehen. Das widerspricht dem, was ich als Kommunalpolitiker selbst immer für richtig gehalten habe.

Herr Kollege Hentschel, wenn man schon aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes zitiert, sollte man nicht den letzten Fall vergessen. Sie haben in Ihrer Zusammenfassung nur den ersten Fall vorgetragen. Ich hole es für Sie und alle anderen gern nach, den letzten Punkt vorzutragen:

„Die Art und Weise der gegebenen Antwort ist zwar unüblich, sollte jedoch in diesem konkreten Einzelfall keinen Verstoß gegen Ihre Antwortpflicht gemäß Artikel 23 Abs. 1 der Landesverfassung darstellen.“

(Beifall bei SPD und CDU)

(Anke Spoorendonk)

Zu einem Kurzbeitrag erteile ich dem Herrn Abgeordneten Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe schon im Ältestenrat darauf hingewiesen, dass die Große Anfrage, wenn man ihren Wortlaut zugrunde legt, mit den von Ihnen gelieferten Daten beantwortet ist. Bei der Beantwortung Großer Anfragen war es in der Vergangenheit aber immer üblich, dass die Regierung die gelieferten Daten auswertet und eine entsprechende Bewertng vornimmt. Ich kann mich an sehr umfangreiche Antworten auf Große Anfragen aus früherer Zeit zum Beispiel an das Sozialministerium - erinnern, bei deren Erstellung zum Teil sogar externe Aufträge erteilt werden mussten und die sehr umfangreiche statistische Auswertungen enthielten, die anschließend auch bewertet wurden. Ihr Verständnis der Großen Anfrage, dass wir nur einen Datenfriedhof ohne anschließende Auswertung der Daten wollten, kann man so hinnehmen, wenn man die Große Anfrage wörtlich nimmt. Aus meiner Sicht ist das aber eine Art von Eulenspiegelei.

(Beifall beim SSW)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Überweisung der Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage, Drucksache 16/2324, an den Innen- und Rechtsausschuss zur abschließenden Beratung beantragt worden. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Dann ist das so beschlossen.