Protokoll der Sitzung vom 27.03.2009

Dieser Kompromissvorschlag scheint, zumindest derzeit, an der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag zu scheitern.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: An der Bundes- kanzlerin!)

Tatsächlich würde mit der Neuregelung im Grundgesetz aus dem zweigliedrigen Bundesstaat ein dreigliedriger werden: Bund, Länder und Arbeitsverwaltung. „Kooperative Jobcenter“, wie ursprünglich vom Bundesarbeitsminister, oder „Zentren für Arbeit“, wie vom Städte- und Gemeindebund vorgeschlagen, hätten zumindest den Charme, dass sich beide Behörden unter einem Dach durch entsprechende Kooperationsverträge aneinander binden, ohne dass dafür zwingend das Grundgesetz geändert werden müsste.

Lieber Herr Arbeitsminister, ich habe viel Sympathie für Ihre Formulierung. Deshalb will ich sie noch einmal aufgreifen und gern zitieren. Ob es sich dann bei dieser Lösung, wie von Ihnen befürchtet, um eine „Ämter-WG“ handelt, „bei der man nicht weiß, wer später den Abwasch macht“ dieses Problem wäre bei dieser Lösung zumindest nicht abwegig. Die Alternative kann also nur funk

(Dr. Heiner Garg)

tionieren, wenn sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch die Kommunen als gleichberechtigte Partner eingebunden sind. Andernfalls würde die eigenständige Rolle der Kommunen als einer der Träger der Hilfen für Langzeitarbeitslose auf die eines Zahlmeisters ohne eigene Mitgestaltungsrechte reduziert werden.

(Beifall bei FDP, SSW und der Abgeordne- ten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die FDP-Fraktion sind es vor allem die Kommunen, die aufgrund ihrer Nähe zum Arbeitsmarkt, insbesondere für Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte, die Kompetenz haben, Arbeitsuchende zu beraten und vermitteln.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Dabei sollen die sogenannten Optionskommunen auf die Kompetenzen der Bundesagentur bei länderübergreifender Vermittlung und der Arbeitsmarktberichterstattung zurückgreifen können. Das war eben auch die Frage zu Ihrem Antrag, ob man nicht sinnvollerweise noch einmal nacharbeitet.

Was wir genauso wenig wollen - so habe ich Sie verstanden, Kollege Geerdts -, ist jetzt eine Festschreibung auf 69 Optionskommunen. Es mag ja sein, dass in Zeiten der Wirtschaftskrise derzeit keine weitere Kommune bundesweit erklärt, Optionskommune werden zu wollen. Wir wollen aber diesen Weg mit dem Kompromiss, so wie er jetzt vorgeschlagen ist, für die Zukunft nicht weiter versperren.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Eines will ich an der Stelle ganz deutlich sagen: Unabhängig davon, für welches Modell man sich am Ende entscheiden wird: Für Arbeitslose, ob Arbeitslosengeld-I- oder Arbeitslosengeld-II-Empfänger, kommt es nur darauf an, dass sie vernünftig betreut werden - egal welches Amt für sie zuständig ist. Deshalb brauchen wir klare Zuständigkeiten, und wir brauchen klare Verantwortlichkeiten.

Die Betreuung aus einer Hand lässt sich am besten mit einer zentralen Anlaufstelle umsetzen, die vom ersten Tag der Arbeitslosigkeit an zuständig ist und es auch bleibt, wenn ein Arbeitslosengeld-IEmpfänger zum Arbeitslosengeld-II-Empfänger wird.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die Betreuung aus einer Hand erfordert einen Umbau des Systems. Parteitaktische Streitereien der Koalitionsfraktionen in Berlin sind kein Ausweis für tatkräftige Krisenbewältigung.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Stattdessen werden Arbeitssuchende und Jobvermittler mit dem Problem allein gelassen. Wir brauchen einen Kompromiss: schnell. Wir brauchen ihn jetzt, da ich mir nicht vorstellen will, dass tatsächlich am Ende des Jahres oder Anfang des nächsten Jahres, wenn viele Millionen Menschen Hilfe, Unterstützung und Beratung bei der Jobsuche oder bei der Weiterqualifikation brauchen, die Behörden mit sich selbst beschäftigt sind. Ich appelliere wirklich noch einmal an die regierungstragenden Fraktionen hier, nehmen Sie den Antrag der Grünen - dem mögen Sie nicht besonders nahestehen, aber da wir nur einen mündlichen Bericht haben, der nicht an den Ausschuss überwiesen werden kann -, zum Anlass, dass wir über die Möglichkeiten zu einem Kompromiss und darüber, wie wir schnell zu einem tragfähigen Kompromiss kommen können, beraten können. Überweisen Sie ihn an den Ausschuss, damit wir dort schnell und in der Sache für die Arbeitsuchenden beraten können.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Dr. Garg und erteile für den SSW Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das politische Berlin befindet sich mitten im Wahlkampf. Aus diesem Grund gibt es wohl kein einziges wichtiges gesetzgeberisches Verfahren mehr, dass bis zur Sommerpause abgeschlossen werden wird. Kein Koalitionspartner gönnt derzeit dem anderen auch nur einen winzigen Erfolg. Dieser verqueren Logik fiel bereits das Naturschutzgesetzbuch zum Opfer; und ein anderes aktuelles Beispiel ist der Krach um die Neuorganisation der ARGEn. Obwohl die Verhandlungsführer der Union in den Ländern dem Kompromiss schon zugestimmt hatten, wurden diese von ihrer Fraktion im

(Dr. Heiner Garg)

Bund zurückgepfiffen. Die Reorganisation der ARGEn ist derzeit also vom Tisch.

Dennoch besteht kein Grund zur Panik. Kein Hilfeempfänger wird wegen des Berliner Hickhacks Angst um seine Bezüge, seine Beratung oder die Vermittlung haben müssen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bis Ende 2010 Zeit gegeben, den Verfassungsbruch zu beheben. Die Kollegin Birk hat vorhin schon darauf hingewiesen. Erst dann könnte es brenzlig werden.

Allerdings wissen wir aus der Vergangenheit, wie lange es dauert, bis eine neue Struktur wirklich in Gang gekommen ist. Die Optionskommunen benötigten bis zu zehn Monate, bis sie flächendeckend eine Beratungsstruktur hier bei uns aufgebaut und alle Jobcenter am Start hatten. Auf den Ausbildungsstart 2005 beispielsweise hatten sie kaum Einfluss, weil sie einfach noch in der Startphase waren. Darum warne ich davor, eine neue Institution zu installieren, wie immer sie auch heißen mag. Wir würden damit kostbare Zeit auf dem Arbeitsmarkt verschenken. Jeder Vermittler kann ein Lied davon singen, dass die Vermittlungschancen mit jedem Monat Hartz-IV-Bezug sinken.

Darum lehnt der SSW den Plan, neue Zentren für Arbeit unter der Regie der Arbeitsagenturen einzurichten, auch ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es kommt allerdings auch nicht in Frage, dass wir wieder zu den alten unseligen Zeiten der getrennten Leistungsverwaltung zurückkehren, so wie es gerade auch der Kollege Garg beschrieben hat. Genau diese Trennung war einmal der Auslöser für den Umbau der Arbeitsverwaltungen. Die Sozialhilfeempfänger, die vor der Hartz-Reform kein Recht auf Beratung und Vermittlung durch das Arbeitsamt hatten, sollten in die Arbeitsverwaltung integriert werden. Es droht eine getrennte Verwaltung von Sozialhilfe und Arbeitsvermittlung, wenn es zu überhaupt keiner Einigung kommt. Dann sperren die Sozialämter wieder ihre Türen auf, und Leistungen gibt es dann wieder von mehreren Stellen, die nicht miteinander kooperieren.

Im Norden kennen wir ARGEn und auch Optionskommunen, denn sowohl der Kreis SchleswigFlensburg als auch Nordfriesland haben sich für diese Option entschieden, die erst in letzter Sekunde überhaupt Eingang in die Hartz-IV-Gesetze fand. Viele Hilfeempfänger erleben die Beratung in den Optionskommunen als unbürokratisch und direkt, während in den ARGEn mancher Vorgang von einem Schreibtisch zum anderen geschoben

wird. Was die ganzen Klage-Geschichten angeht, haben wir auch gehört, dass die ARGEn hier nicht unbedingt den besten Ruf haben.

Die zwei Verwaltungskulturen von Arbeitsagentur und Kommune haben sich auch nach vier Jahren noch nicht völlig angeglichen. Der SSW sieht das Prinzip der Hilfe aus einer Hand als das wesentliche Strukturmerkmal einer nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik an und hat sich daher für die Kommunalisierung der Arbeitsmarktpolitik ausgesprochen, die durchaus auch ein skandinavisches Vorbild hat.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Bundesverfassungsgerichtsurteil beurteile ich nicht als Störung der Routine, sondern als zweite Chance, noch einmal in Ruhe über die optimale Struktur der Arbeitsverwaltung nachzudenken. Denn die Hartz-Reform ist damals mit heißer Nadel genäht worden. Viele Fehler könnten wir jetzt grundsätzlich beheben. Wir sollten nicht vergessen, dass es mehr Möglichkeiten als lediglich die Bewahrung des Status quo durch eine Grundgesetzänderung gibt. Dazu gehört die Entflechtung entweder zugunsten der Arbeitsagenturen oder zugunsten der Kommunen.

Für die erste Alternative lässt sich derzeit überhaupt keine Mehrheit erkennen. Das sagt auch schon einiges über die Qualität der Arbeit der Bundesagentur für Arbeit.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die andere Alternative besteht in der vollständigen Kommunalisierung der Arbeitsverwaltung für alle Langzeitarbeitslosen. In diesem Fall muss allerdings eine überregionale Koordinierung gewährleistet werden, ansonsten blieben Langzeitarbeitslose auf den regionalen Arbeitsmarkt beschränkt. Das wollen wir alle nicht.

Wir sollten schleunigst tragfähige Konzepte entwickeln. Auch hier kann man möglicherweise wieder etwas von unseren nördlichen Nachbarn lernen, die dieses schon sehr, sehr lange machen. Ich bezweifele allerdings, dass diese Vorschläge überhaupt Gehör finden. Wir sind in Schleswig-Holstein nur Zaungäste des Berliner Machtpokers. Spätestens Ende nächsten Jahres werden wir irgendeine Lösung präsentiert bekommen, und wir müssen dann mit dieser Lösung zurechtkommen. Aber das kennen wir ja schon. Was Gutes wird dabei bestimmt nicht herauskommen. Deshalb ist es unsere

(Lars Harms)

Aufgabe zu versuchen, diesen Prozess zu beeinflussen.

Auch ich glaube, dass es Sinn macht, den grünen Antrag, für den wir sehr große Sympathie hegen, in den Ausschuss zu überweisen, dann als Landtag eine Stellungnahme zu erarbeiten, um dann zumindest mittelbar unseren Einfluss ausüben zu können. Wir müssen auch immer daran denken: Wir wollen alle deregulieren, und wir wollen alle Verwaltungen vereinfachen, wenn man dann nicht zu einer einheitlichen Arbeits- und Sozialverwaltung kommt, machen wir genau das Gegenteil dessen, was wir jetzt eigentlich brauchen. Es macht deshalb Sinn, den grünen Antrag an den Ausschuss zu überweisen. Sollten wir dieses nicht tun, werden wir selbstverständlich dem Antrag der Grünen zustimmen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Lars Harms. Ich erteile das Wort für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der SPD-Fraktion, Dr. Ralf Stegner.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe damals am Vermittlungsausschussverfahren zu Hartz IV teilgenommen und weiß, wie schwierig das gewesen ist, da kurz vor Weihnachten nach wochenlangen Beratungen zu einer Einigung zu kommen, von eigentlich unzuvereinbarenden Standpunkten aus. Daraus resultierten einige Schwierigkeiten, die natürlich an dem Interessenkonflikt liegen. Einerseits gibt der Bund sehr, sehr viel Geld. Deswegen sagen natürlich auch die Parlamentarier im Deutschen Bundestag: Ich kann nicht Geld geben, habe aber gar keine Verantwortung. Andererseits wollen wir natürlich, dass die Kompetenz vor Ort mit eingeht und die regionalen Gegebenheiten mit einfließen. Daraus folgt die Notwendigkeit, dass man ein gutes Modell der Zusammenarbeit organisieren muss, was verfassungsrechtlich relativ schwierig ist.

Ich habe mich deshalb zu Wort gemeldet, um zu sagen: Wenn man einen Kompromiss will, der so viele Menschen betrifft, so viele verschiedene Länder betrifft und so kompliziert ist, dann bedarf es der Führung. Diese Führung hat Uwe Döring mit seinem Vorschlag bewiesen. Er war nämlich am Anfang ganz allein, alle waren gegen die Grundge

setzänderung. Er hat viele davon überzeugt und am Ende hat er seine Arbeits- und Sozialministerkonferenz dazu gebracht, dass einstimmig dem gefolgt worden ist. Der Bund wollte das nicht wirklich. Ich weiß das, weil darüber beraten worden ist. Das hat er geschafft.

Dann stellen sich alle dahinter, auch der Bundesarbeitsminister hat sich deutlich bewegen müssen. Dann einigt war man sich, und die Bundkanzlerin beauftragt ihren Arbeitsminister, das zusammen mit zwei Ministerpräsidenten auszuhandeln. Die legen etwas vor, was sicher nicht optimal ist, aber diesen Anforderungen genügt. Und dann geht die Frau Bundeskanzlerin in ihre eigene CDU-Fraktion und stimmt gegen das, was sie selbst vorgeschlagen hat. Das ist nicht Führung, sondern das ist wie beim Umweltgesetzbuch, das taugt nicht. Führung heißt nicht, sich danach zu richten, woher der Wind gerade weht. Erst kommt das Land, dann die Partei. Es liegt im Interesse unserer Arbeitsuchenden, dass das anders gelöst wird.

Frau Kollegin Birk, ich melde mich selten, wenn Sie gesprochen haben. Wenn man Ihren Antrag liest, stellt man fest, dass es ein Widerspruch in sich ist zu behaupten, man wolle etwas einführen, um die Trennung verhindern, dann aber die Trennung genau mit dem zu bewirken, was man vorschlägt. Das ist verantwortungslos. So einen Antrag kann man nicht beraten, da hat Uwe Döring völlig recht, den muss man ablehnen, er ist in der Sache nämlich wirklich fatal. Egal, wie man dazu steht, wie das organisiert werden soll - er ist das Gegenteil des Kompromisses.

Nun kann man immer darüber reden, weniger Bürokratie zu schaffen und es noch besser zu machen, aber - ich sage das noch einmal - Sie müssen 16 Länder unter einen Hut bringen, Sie müssen im Deutschen Bundestag eine Zweidrittelmehrheit bekommen - das geht nur mit einem Kompromiss.

In der Angelegenheit ist Führung erforderlich. Das muss man so machen wie Uwe Döring und darf das jetzt nicht auch noch in den Wahlkampf ziehen, sondern das Problem muss jetzt gelöst werden.

Ich glaube, dieser Kompromiss ist das Beste, das wir haben. Lieber Herr Kollege Geerdts, auch wenn man sagt, die sollten das jetzt ganz schnell tun, sie müssen das jetzt leisten können. Was soll denn anderes herauskommen, wenn sich schon zwei Ministerpräsidenten geeinigt haben, der eine von der CDU, der andere von der SPD, und der Bundesarbeitsminister und auch die Bundeskanzlerin dafür

(Lars Harms)