Protokoll der Sitzung vom 29.09.2005

Ich danke dem Fraktionsvorsitzenden der CDU. - Das Wort für die SPD-Fraktion erhält der Herr Abgeordnete Klaus-Peter Puls.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es geht ja gerade nicht - so hat Frau Kollegin Lütkes gesagt - um den konkreten Haushalt und um die Schaffung einer aktuellen Klagebefugnis. Also muss man wohl so sagen, zwei kleinere Fraktionen dieses Landtages wollen mit einer Verfassungsänderung erreichen, dass letztlich jede Mehrheitsentscheidung des Parlaments, die Ihnen nicht passt, vom Bundesverfassungsgericht überprüft werden kann. Vier grüne Abgeordnete oder gar nur zwei Abgeordnete des SSW sollen genügen, um mit einem zeitaufwendigen Bundesverfassungsgerichtsverfahren Parlamentsentscheidungen und Regierungshandeln zu blockieren.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Kollege Dr. Wadephul hat auf den geltenden Text der Landesverfassung hingewiesen. Danach ist eben für Fälle von Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Verfassung erst auf Antrag der Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Landtages das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Wir haben zurzeit 69 Mitglieder, ein Drittel davon sind eben nicht vier oder gar nur zwei, sondern 23 Abgeordnete. Wir halten dieses Quorum für zweckmäßig, sachgerecht und angemessen. Deshalb muss es bei diesem Quorum nach unserer Auffassung auch bleiben, wenn wir demnächst in Schleswig-Holstein ein Landesverfassungsgericht einrichten werden. Wir lehnen die vom SSW und den Grünen beantragte Verfassungsände

(Klaus-Peter Puls)

rung ab, weil sie die in demokratischer Wahl zustande gekommenen politischen Mehrheitsverhältnisse in diesem hohen Haus zugunsten parlamentarischer Kleinstgruppen verfälschen würde.

(Zuruf: Das haben wir schon anders gehört!)

Wir lehnen die von SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte Verfassungsänderung ab, weil wir für einen möglicherweise inflationären Ersatz von Politik durch Juristerei nicht Tor und Tür öffnen wollen,

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

und wir lehnen die von SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte Verfassungsänderung ab, weil wir für qualitativ gewichtige Entscheidungen wie den Gang zum Bundesverfassungsgericht die derzeit in der Landesverfassung verankerte qualifizierte Minderheit von mindestens einem Drittel der gewählten Landtagsabgeordneten für erforderlich halten.

(Beifall bei SPD und CDU)

Wir danken dem Abgeordneten Klaus-Peter Puls. - Das Wort für die FDP-Fraktion erteile ich dem Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber Kollege Puls, ich habe selten eine so unangenehme, peinliche Rede von Ihnen hier vorn gehört wie gerade eben.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Da sprechen Sie von parlamentarischen Kleinstgruppen und zwei Abgeordneten, die möglicherweise nach Karlsruhe ziehen können. Genau diese zwei Abgeordneten hätten eine ganze Regierung tolerieren sollen, die Sie mit diesen zwei Abgeordneten bilden wollten.

(Zurufe)

Ihr Gedächtnis muss wahrlich kurz sein.

Meine Damen und Herren, die FDP begrüßt den Vorschlag von SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Änderung der Landesverfassung. Beide Antragsteller möchten in der Verfassung das Antragsrecht für einen Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht modifizieren. Künftig sollen nicht nur die Landesregierung oder mindestens ein Drittel der Mitglieder des Landtages entsprechende Anträge an das

Bundesverfassungsgericht richten können, sondern auch eine Fraktion oder die Gruppe des SSW.

Auslöser dieses Gesetzentwurfes wird die Ankündigung der CDU/SPD-Regierung gewesen sein, einen verfassungswidrigen Haushalt aufzustellen. Auch die neu beschworene Offenheit und Ehrlichkeit täuscht nicht darüber hinweg, dass der Haushalt verfassungswidrig ist. Dabei hat die Regierung überhaupt keine Anstalten für einen Versuch gemacht, die Überschreitung der Kreditobergrenze irgendwie zu rechtfertigen. Dies hätte sie durch die Feststellung tun können, dass dies zur Abwehr der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zur Überwindung einer schwerwiegenden Störung der Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung nötig ist.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wa- dephul [CDU])

Das brauchen Sie alles nicht mehr. Sie können jetzt tun und lassen, was Sie wollen, Herr Kollege Wadephul.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Nur unter diesen engen Voraussetzungen ist nämlich die Überschreitung der Kreditobergrenze nach Artikel 53 der Landesverfassung zulässig.

Das schert aber weder die Landesregierung noch die Abgeordneten der Regierungsfraktionen. Es wird einfach achselzuckend hingenommen, dass hier die Landesverfassung, auf deren Wahrung die Mitglieder der Landesregierung einen Eid geleistet haben, gebrochen werden soll, und zwar mindestens bis zum Jahr 2010. Die aktuelle Verfassungslage gibt es nicht her, dass die jetzigen Oppositionsfraktionen ein Mittel haben, diesen angekündigten Rechtsbruch zu verhindern. Und - ich sage das noch einmal - es bleibt ein Rechtsbruch, auch wenn er angekündigt ist. Dafür stellen wir, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW, schlicht und ergreifend nicht genügend Abgeordnete.

Da die Opposition nicht über ein Drittel der Mandate im Landtag verfügt, ist ein Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht bei Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Landesverfassung - beispielsweise beim Haushalt - nach jetziger Rechtslage unzulässig. Frau Kollegin Lütkes, dies muss korrigiert werden. Die Opposition muss alle Mittel, die ihr von den Verfassungsvätern ursprünglich zur Verfügung gestellt werden sollten, auch tatsächlich nutzen können.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

(Dr. Heiner Garg)

Darüber hinaus hat sich die Parlamentswirklichkeit im Gegensatz zur Verfassung geändert. Wir haben in Schleswig-Holstein wie auch im Bund festzustellen, dass wir künftig mit regelmäßig fünf Parteien im Parlament rechnen müssen. Die Antragsmöglichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht ist eines der schärfsten Schwerter, das die Opposition gegenüber der Regierung zücken kann. Es ist quasi die einzig wirkliche Möglichkeit, Entscheidungen der Landesregierung zu stoppen, ohne die ansonsten notwendige Mehrheit im Parlament herzustellen. Natürlich stellt dies daher grundsätzlich eine Durchbrechung des Demokratieprinzips dar. Diese Durchbrechung ist aber geboten, wenn die Gefahr besteht, dass Gesetze der Mehrheit die Verfassung missachten. Herr Kollege Wadephul, genau das tut Ihr Haushalt, er missachtet die Verfassung, auch wenn er die Verfassung angekündigt missachtet.

Die große Koalition hatte ursprünglich einen Vertrauensvorsprung verdient, damit sie beweisen konnte, dass sie die im Koalitionsvertrag vereinbarten Minderheitsrechte wirklich wahren wird.

Herr Kollege Garg, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wadephul?

Nein, das gestatte ich nicht. - Die Ankündigung eines verfassungswidrigen Haushalts hat das Stimmungsbild jedoch deutlich geändert. Darüber hinaus schweigt sich der Koalitionsvertrag über die Wahrung der Minderheitsrechte hinsichtlich des Antragsrechts vor dem Bundesverfassungsgericht aus.

Wir haben kein Vertrauen darin, dass sich irgendeine Abgeordnete oder irgendein Abgeordneter der Regierungsfraktionen einer Klage gegen irgendeinen Haushalt oder ein sonstiges Gesetz anschließen würde, das sie oder er mit eigener Stimme gerade selbst gefasst hat. Das wäre absurd und gilt besonders für den Fall, dass das entsprechende Gesetz in Kenntnis seiner Verfassungswidrigkeit beschlossen wurde. Dann hätten sie es nämlich gar nicht beschließen dürfen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Zur Klarheit hilft nur eines: Es ist eine Verfassungsänderung geboten, um die Opposition in die Lage zu versetzen, aus eigener Stärke entsprechende Anträge beim Bundesverfassungsgericht einreichen zu können. Wir sollten bei der Diskussion im Ausschuss darüber hinaus andere und bereits im Innen- und

Rechtsausschuss besprochene Änderungen der Landesverfassung gleich mit vollziehen.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich danke dem Kollegen Dr. Heiner Garg und erteile das Wort für die Abgeordneten des SSW der Vorsitzenden, der Kollegin Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Puls, es ist interessant, über die Frage zu diskutieren, was Demokratie ist und was parlamentarische Demokratie ist. So gern ich eine solche Diskussion jetzt führen würde, will ich das jetzt sein lassen und nur noch einmal darauf hinweisen, dass es wirklich nicht zum Politikverständnis des SSW gehört, die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts als Ersatz für Politik zu betreiben. Meines Wissens haben wir das noch nie gemacht.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Doch jetzt zum vorliegenden Antrag! Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung der Landesverfassung sieht vor - das ist von der Kollegin Lütkes schon gesagt worden -, dass jede Fraktion des Landtages das Bundesverfassungsgericht anrufen kann, sofern Zweifel an der förmlichen oder sachlichen Vereinbarkeit von Landesrecht mit der Verfassung bestehen. Wir beabsichtigen hiermit, die parlamentarischen Rechte der Opposition zu sichern. Ich weiß, dass auch das eine Wiederholung ist, aber das kann man anscheinend nicht oft genug sagen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist beim Bestehen einer großen Koalition schwierig, weil die Regierungsmehrheit sehr groß ist und die gesamte Opposition sehr klein ist und leicht ausgebremst werden kann. Das muss nicht zwangläufig so kommen, aber wenn, dann kann mittels des Anrufrechts auch eine kleine Fraktion oder eine kleine Partei die Einhaltung der Verfassung einklagen. Darum geht es.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir sind uns sehr wohl darüber im Klaren, dass das Anrufungsrecht missbraucht werden kann. In der Geschichte der politischen Kultur der Bundesrepublik gibt es nicht wenige Beispiele hierfür. In der Regel - das scheint man vergessen zu haben - sind es aber

(Anke Spoorendonk)

gerade die großen Parteien, die großen Fraktionen, die versuchen, das Bundesverfassungsgericht für sich zu instrumentalisieren. Das kann man anhand vieler Belege aus deutschen Bundesländern und aus dem Deutschen Bundestag nachweisen. Es sind eben nicht die kleinen Parteien, zu denen alle Oppositionsparteien im Schleswig-Holsteinischen Landtag gehören.

Aus grundsätzlichen Überlegungen zur Wirkungsweise und Kontrollfähigkeit des Parlaments gegenüber der Landesregierung hat der SSW gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und auch gemeinsam mit der FDP die Initiative ergriffen.

(Zuruf)

- Ich hebe das hervor. Ich weiß, dass die FDP den Gesetzentwurf so nicht mitträgt, aber sie will ihn unterstützen, ist mir gesagt worden.

Wir wollen erreichen, dass die Oppositionsfraktionen auch für den Fall einer großen Koalition das Bundesverfassungsgericht anrufen können.