Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Eine freie Gesellschaft setzt aber das Vertrauen der Bürger in eine vertrauliche Kommunikation voraus, bei der er weiß oder selbst bestimmen kann, wer von ihr Kenntnis erlangt. Dieses Recht wird nicht im Interesse eigenbrötlerischer Individualisten gefordert. Eine Einschränkung ist nur dann gerechtfertigt, wenn ein konkreter Anlass vorliegt, der einen Eingriff durch die Ermittlungsbehörden begründen kann. Dies wird bei der Vorratsdatenspeicherung gerade nicht verlangt. Die Vorratsdatenspeicherung ermöglicht nicht nur eine Ermittlung ins Blaue hinein, sondern ist die Errichtung einer ganzen Infrastruktur für solche Ermittlungen. Das gehört nach meiner Auffassung nicht in ein Bundesgesetz, vor allem aber nicht in das Polizeirecht des Landes Schleswig-Holstein.

(Beifall bei FDP und SSW)

Herr Innenminister, ich sage bereits jetzt, dass ich selbst und meine Fraktion prüfen werden, wie wir uns verfassungsrechtlich gegen die Vorschrift wehren können, die jetzt von der Mehrheit dieses Hauses beschlossen werden soll.

(Beifall bei der FDP)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN dem Herrn Fraktionsvorsitzenden Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Vorratsdatenspeicherung stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Vertraulichkeit der Kommunikation dar. Ohne

(Wolfgang Kubicki)

konkreten Tatverdacht oder Anlass werden die Kommunikationsdaten aller Personen gespeichert. Dies ist auch aus Sicht meiner Fraktion nicht zu rechtfertigen.

Das Bundesverfassungsgericht hat deutlich gemacht, dass eine übermäßige und unverhältnismäßige Sammlung von Daten auf Vorrat verfassungswidrig ist. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt den Einzelnen gegen informationsbezogene Maßnahmen, die für ihn weder überschaubar noch beherrschbar sind.

Meine Damen und Herren, die Vorratsdatenspeicherung bedeutet einen Paradigmenwechsel im Datenschutz. 1983 wurde mit dem Volkszählungsurteil das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geschaffen. Dieses Grundrecht soll gerade vor unbegrenzter Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe höchstpersönlicher Daten schützen.

Die Vorratsdatenspeicherung sieht dagegen vor, dass Telekommunikationsverbindungsdaten verdachts- und anlassunabhängig gespeichert werden das ist der entscheidende Punkt -, ohne konkreten Zweck und ohne Einschränkung des Personenkreises.

Eine schlichte Umsetzung der EU-Richtlinie hätte den Zugriff auf die gespeicherten Daten nur für Strafverfolgungszwecke gewährt. Eine Ausweitung der Nutzung für präventive Zwecke ist in der Richtlinie nicht vorgesehen. Die Bundesregierung hat sich aber entschieden, zur Gefahrenabwehr auch Geheimdiensten und Polizeibehörden den Zugriff auf die Vorratsdaten zu ermöglichen. Damit verschieben sich erneut die Grenzen des Rechtsstaats.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll nun schleswig-holsteinischen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten der Zugriff auf unsere Daten für präventive Zwecke ermöglicht werden. Das finde ich völlig unverständlich. Zurzeit gibt es 34.000 Verfassungsbeschwerden gegen die Paragraphen 113 a und 113 b TKG beim Bundesverfassungsgericht. Das Gericht hat bereits in mehreren vorläufigen Entscheidungen deutlich gemacht hat, dass die Weitergabe der Daten für repressive Zwecke nur bei schweren Straftaten zulässig und für präventive Zwecke unzulässig ist.

Das ist zwar erst eine vorläufige Entscheidung, aber da in mehreren Fällen so entschieden worden ist, halte ich dies bereits für ein deutliches Signal des Bundesverfassungsgerichts. Damit ist aus meiner Sicht praktisch klar, dass dieses Gesetz keinen Bestand haben wird. Mir ist unbegreiflich, wieso CDU

und SPD in Schleswig-Holstein ein Gesetz verabschieden wollen, das so de facto für andere Länder bereits für verfassungswidrig erklärt wurde.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Meine Damen und Herren, ich stelle fest: Die Vorratsdatenspeicherung erfüllt nicht die Anforderungen, die die Kernelemente des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung vorgeben. Sie gefährdet die Vertraulichkeit der Kommunikation und stellt pauschal alle Bürgerinnen und Bürger unter Verdacht. Dennoch verabschiedet diese Große Koalition sehenden Auges dieses verfassungswidrige Gesetz. Die Koalition kommt mir vor wie im Blindflug. Deshalb wird meine Fraktion dieses Gesetz ablehnen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke Herrn Abgeordneten Hentschel und erteile für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dieser Änderung des Landesverwaltungsgesetzes soll die Speicherung von Telekommunikationsdaten auch nach schleswig-holsteinischem Landesrecht ermöglicht werden.

(Klaus-Peter Puls [SPD]: Das steht schon drin!)

Was sich im ersten Moment ganz harmlos anhört, bedeutet im Klartext, dass sich damit auch der Kreis derjenigen erweitert, die gegebenenfalls Zugriff auf solche vorrätig gespeicherten Daten haben.

Für den SSW ist dies fast noch schlimmer als die Vorratsdatenspeicherung an sich. Denn diese Gesetzesänderung kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die europarechtliche und verfassungsrechtliche Zulässigkeit oder Nichtzulässigkeit der Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes weiterhin aussteht. Sie kommt also vorauseilendem Gehorsam gleich. Das ist schwer zu ertragen.

Vor gut einem Jahr verfügte das Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung, dass die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung erheblich eingeschränkt wurden, zum Beispiel wenn es um

(Karl-Martin Hentschel)

Gefahrenabwehr oder um die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste geht. Dass die Vorratsdatenspeicherung dennoch ein erhebliches Ausmaß hat, belegt der aktuelle Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten. Dort nachzulesen ist auch, warum diese Speicherung von Kommunikationsverkehrsdaten nach Meinung der Datenschutzbeauftragten der Bundesländer das grundgesetzlich geschützte Fernmeldegeheimnis verletzt:

Zum einen haben wir es mit Eingriffen zu tun, die die Grundrechte vieler Menschen betreffen, da jeder Telekommunikationsteilnehmer erfasst wird. Zum anderen geschieht all dies ohne konkreten Anlass. Herr Dr. Weichert spricht davon, dass die Schwellen für die Nutzung der Daten viel zu niedrig sind, weil es laut Gesetz möglich sein soll, die gespeicherten Daten für die Verfolgung sämtlicher Straftaten zu nutzen, die mittels Telekommunikation begangen werden. Als Beispiel führt er an, dass es sich dabei auch um eine Bagatellstraftat wie eine Beleidigung handeln könnte. Damit gehen die deutschen Bestimmungen über die Vorgaben der EU hinaus, als sei die Richtlinie der EU-Kommission nicht sowieso schon eine Zumutung.

Grund genug, sich daran zu erinnern, dass das Landesverwaltungsgesetz in seiner jetzigen Fassung schon Regelungen zur Datenerhebung enthält. Soll heißen: Das Landesverwaltungsgesetz nennt in seiner aktuellen Fassung die Bedingungen, nach denen die Polizei personenbezogene Daten erheben kann. Es geht um die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person. Die angeführten personenbezogenen Daten werden nur erhoben, wenn dieses zur Aufklärung des Sachverhalts unerlässlich ist.

Diese Bedingungen sind nachvollziehbar und schränken staatliche Eingriffe ein. Auch vor dem Hintergrund dessen, was der Kollege Lehnert angeführt hat, sage ich für den SSW: Wenn es um die Behebung eines konkreten Fehlers geht, dann hätte man das auch anders machen können.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: So ist das!)

Wir sollten jetzt nicht einer Praxis Tür und Tor öffnen, die dazu führt, dass potenziell alle persönlichen Daten gesammelt werden, ohne Anlass und ohne konkreten Grund.

Daten werden bereits in vielen Betrieben und Behörden so gehandhabt, als ob es gar kein Grundrecht auf das Fernmeldegeheimnis gäbe. Das ULD listet im aktuellen 31. Bericht einen konkreten Verstoß und drei übliche Verfahren auf, die zur Verletzung des Fernmeldegeheimnisses führen. Dass eini

ge Ermittler gar nicht mehr das Telekommunikationsgesetz bemühen, sondern eine einfache Beschlagnahme des Rechners verfügen, um an EMails zu gelangen, macht umso deutlicher, wohin wir uns bewegen.

Daher sage ich noch einmal ganz grundsätzlich: Die Vorratsdatenspeicherung greift unverhältnismäßig in die persönliche Privatsphäre ein. Sie ist teuer und belastet Wirtschaft und Verbraucher. Hinzu kommt, dass es bisher keine Belege dafür gibt, dass Vorratsdatenspeicherung Terrorismus und Kriminalität verhindert. Sie ist also unnötig und kann von Kriminellen ganz leicht umgangen werden.

Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtigt berufliche Aktivitäten ebenso wie politische und unternehmerische Aktivitäten, die Vertraulichkeit voraussetzen. Dadurch - das ist das Wichtigste und Schlimmste - schadet sie letztlich unserer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt.

(Beifall bei SSW, FDP und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ich danke Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk und erteile für die Landesregierung Herrn Innenminister Lothar Hay das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehrfach ist auf die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen worden. Ich bin der Meinung, dass sich der vorgelegte Gesetzentwurf, die Ergänzung beziehungsweise Veränderung des Landesverwaltungsgesetzes, im Rahmen der durch das Bundesverfassungsgericht getroffenen einstweiligen Anordnung zum Telekommunikationsgesetz bewegt. Wenn eine endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorliegt, werden wir selbstverständlich sofort prüfen müssen, in welcher Form unser Landesverwaltungsgesetz eventuell verändert werden muss.

Entscheidend ist aus meiner Sicht das, was vom Oberlandesgericht Schleswig in seiner Urteilsbegründung gesagt worden ist. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Oktober 2008 dürfen nach § 113 a TKG gespeicherte Daten zum Zweck der Gefahrenabwehr übermittelt werden, wenn die Voraussetzungen der die Behörde zum Abruf der Verkehrsdaten ermächtigenden Rechtsnorm vorliegen und ihr Abruf zur Abwehr einer dringenden Gefahr für Leib, Leben oder Frei

(Anke Spoorendonk)

heit einer Person erforderlich ist. Im Weiteren kommt das Oberlandesgericht zu dem Schluss, dass das Landesverwaltungsgesetz diesen Bezug nicht herstellt. Deshalb erfolgt diese Ergänzung. Die §§ 113 a und 113 b des Telekommunikationsgesetzes müssen ausdrücklich genannt werden.

Ich bin mir der Problematik der Vorratsdatenspeicherung und des grundsätzlichen Streites darüber durchaus bewusst. Das Ganze ist unstrittig bei der Abwehr von Gefahren für Leib und Leben. Hier geht es darum, kurzfristig gegenwärtige Daten abzugreifen. Auch bei dem, was die Polizei dann zu tun hat, ist darauf zu achten. Es geht um den Schutz von Leib und Leben oder der Freiheit gefährdeter Menschen. Dann schauen wir einmal, wie die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausfällt.

(Beifall bei SPD und CDU)

Ich danke dem Herrn Innenminister. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Der Ausschuss empfiehlt die Annahme des Gesetzentwurfs Drucksache 16/2637 in unveränderter Fassung. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und SPD gegen die Stimmen der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 15 auf:

Schaffung eines „Parlamentsforums Nordsee“

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/2640 (neu)

Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/2729

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die CDUFraktion hat Herr Abgeordneter Hartmut Hamerich.