Protokoll der Sitzung vom 19.06.2009

- Mein letzter Satz, Frau Kollegin Herdejürgen. Ich finde es sehr vernünftig, dass Sie erklären, man solle auf Steuergeschenke verzichten. Dann machen Sie das aber auch! In den Wahlprogrammen der Bundes-SPD wird erklärt, dass für Geringverdiener 300 € zusätzliche Leistungen erbracht werden sollen, es wird erklärt, dass Geringverdiener und mittlere Einkommen beim Eingangssteuersatz entlastet werden sollen. Wenn ich es richtig sehe, verspricht Ihr Landesvorsitzender gerade bundes- und landesweit, dass die Kindertagesstättenbeiträge für das zweite und dritte Kindergartenjahr - das sind übrigens Abgaben - erlassen werden sollen. Eine gewisse Ehrlichkeit in Ihren eigenen Reihen wäre besser.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Ich verwahre mich gegen Ihre Unterstellung, Herr Kubicki. Wir können im Ältestenrat gern darüber sprechen.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das machen wir gern, Frau Präsidentin!)

Das Wort für den SSW im Landtag hat jetzt deren Vorsitzende, Frau Abgeordnete Anke Spoorendonk.

(Wolfgang Kubicki)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Föderalismusreform II ging es bekanntlich insbesondere darum, den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern neu zu ordnen. Diese Zielsetzung ist jedoch kläglich gescheitert. Statt die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern klarer zu strukturieren, greift der Bund in die Haushaltsrechte der Länder ein und schreibt eine Null-Schuldenbremse vor. Im Endeffekt hat die Föderalismuskommission also nur eines erreicht: Sie schwächt die Länder und greift ihre Eigenstaatlichkeit an.

Mit der Entscheidung im Bundesrat dürfen die Länder ab 2020 keine neuen Schulden mehr machen, außerdem müssen sie bis dahin ihr strukturelles Defizit abgebaut haben. Mehrfach hat der SSW in den letzten Wochen hier im Landtag vor den Konsequenzen dieses Beschlusses gewarnt. Und ich möchte dies heute noch einmal tun. Nicht nur die finanzpolitischen Konsequenzen dieser rigorosen Schuldenbremse werden für Schleswig-Holstein katastrophal sein. Auch die strukturellen Konsequenzen, wenn wir uns durch eine Grundgesetzänderung quasi entmündigen lassen, werden uns zu schaffen machen.

Schleswig-Holstein darf ab 2020 keine neuen Schulden mehr aufnehmen und muss bis dahin ein jährliches strukturelles Defizit von 600 Millionen € abbauen. Zur Unterstützung dieses Vorhabens zahlen der Bund und die reicheren Bundesländer neun Jahre lang jeweils 80 Millionen € an das Land. Nun fordert unser Ministerpräsident zwar dazu auf - frei nach dem Motto „besser als gar nichts“ -, dankbar zu sein, für den SSW sage ich aber: So einfach geht das nicht!

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

80 Millionen € sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Bisher steht in den Sternen, wie die restlichen 520 Millionen € strukturelles Defizit eingespart werden sollen. Und vor allem ist völlig unklar, wie der momentane Schuldenberg des Landes von 23 Milliarden € kleiner werden soll.

In dieser Situation nicht gegen die vom Bund diktierte und von unserem Ministerpräsidenten geduldete Schuldenbremse anzugehen, kommt finanzpolitischem Selbstmord gleich. Wir können die Bereiche Kinderbetreuung, Bildung, Polizei und Justiz nicht so weit zurückfahren, dass wir bis 2020 fit für die Schuldenbremse sind. Auch ist es völlig illusorisch, davon auszugehen, dass wir bis dahin den

schleswig-holsteinischen Schuldenberg abgetragen haben und nur noch Gold aus dem Inneren des Berges scheffeln werden. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Wir sehen die Notwendigkeit einer Schuldenbremse, aber diese Schuldenbremse wird unser Land in den finanzpolitischen Ruin treiben und uns jeglichen finanziellen Gestaltungsspielraum entziehen.

Der Landesrechnungshof hat in der letzten Woche sehr deutlich gemacht, dass die aktuelle Haushaltslage katastrophal ist, und dass dringend gehandelt werden muss. Die Große Koalition ist mit dem Vorhaben, den Haushalt zu konsolidieren in diese Legislaturperiode gegangen. Ein knappes Jahr vor den nächsten Wahlen wissen wir aber, dass auch nächtliche Rendezvous keine Ergebnisse mehr bringen und dass auch dieses Vorhaben an der Handlungsschwäche der Landesregierung scheitert. Trotzdem müssen wir die Kritik des Landesrechnungshofs ernst nehmen. Das ist klar. Die Probleme haben sich summiert, aber diese Schuldenbremse suggeriert auf den ersten Blick, dass alles wieder gut wird. - Wird es aber nicht!

Nur weil die Landesregierung in der Föderalismuskommission so schlecht verhandelt hat, können wir noch lange nicht sagen: Na gut, dann kompensieren wir das halt selbst. Aus Sicht des SSW brauchten wir also dringend Nachverhandlungen. Ich gebrauche hier den Konjunktiv, ich weiß auch, dass es nicht realistisch ist, so etwas zu fordern. Wir brauchten Nachverhandlungen und nicht einen Ministerpräsidenten, der sich im Bundesrat der Stimme enthält und damit sein eigenes Armutszeugnis unterschreibt.

Der Landtag war sich darin einig, dass gegen die Einführung der Schuldenbremse vor dem Verfassungsgericht geklagt werden muss. Das Budgetrecht ist das Königsrecht des Landtags und darf nur vom Landtag beschnitten werden.

Vor diesem Hintergrund bedauere ich, dass die Fraktionen jetzt nicht mehr an einem Strang ziehen. Besonders die FDP schert mit ihrer Pressemitteilung aus, in der sie ankündigt, einer Klage nur zuzustimmen, wenn eine Schuldenbremse für jede Legislaturperiode in die Verfassung aufgenommen wird. Ich verstehe aber - das will ich deutlich sagen - nach dem Wortbeitrag des Kollegen Kubicki die Argumentation, die dahintersteckt, und ich habe auch begriffen, dass die FDP weiter zur Verfassungsklage steht. Ich finde, das ist gut und richtig.

Wir stehen jedenfalls dazu, dass eine Verfassungsklage eingereicht werden muss und verschließen

uns insgesamt nicht einer Diskussion über die Schuldenbremse. Aber für den SSW sage ich noch einmal, dass Schleswig-Holstein den Entschluss aus der Föderalismuskommission nicht akzeptieren kann, da wir sonst unseren politischen Gestaltungsspielraum aufgeben.

Wir werden eine Konsolidierung des Haushalts nicht durch eine reine Begrenzung der Verschuldung erreichen. Wir müssen für eine nachhaltige Finanzpolitik auch die aktive Zukunftsvorsorge in Form von öffentlichen Investitionen ermöglichen. Nur so können wir einen Konjunkturaufschwung gestalten und dann die höheren Steuereinnahmen nutzen, um die Landesfinanzen zu konsolidieren.

Wir setzen nicht auf eine passive Zukunftsvorsorge des Landes, indem es sich quasi gesundspart. Wir treten für eine Finanzpolitik ein, in der wir durch Mehreinnahmen und ein überlegtes Entschuldungskonzept zu einer Haushaltskonsolidierung kommen. Sinkende Arbeitslosenzahlen, Steuereinnahmen und Investitionen in Bildung und Infrastruktur sind die Schalthebel, die wir betätigen müssen.

Noch einmal, damit kein Missverständnis entsteht: Wir unterstützen grundsätzlich die Forderung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach einem Konzept für die Haushaltskonsolidierung unseres Landes.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Richtig ist auch, dass wir nicht bis 2020 warten können, ehe wir anfangen zu handeln. Das ist auch klar. Die finanziellen Probleme des Landes sind aber zu groß, um sie für politische Grabenkämpfe zu nutzen. Wir fordern daher, dass sich die Fraktionen mit an den Tisch setzen und dazu beitragen, dass finanzielle Konzepte entwickelt werden, die auch konsensfähig sind. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Wir brauchen Lösungen, die über die Fraktionen und über die Legislaturperiode hinausreichen.

(Beifall beim SSW)

In dieser Runde muss dann auch entschieden werden, ob die Landesverfassung überhaupt der richtige Ort für das Festschreiben einer Schuldenbremse ist oder ob wir nicht ganz einfach ein Gesetz brauchen.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Was ist das denn? - Weitere Zurufe)

Ein Grundsatzgesetz ist mehr als eine Festschreibung in der Landesverfassung.

(Zurufe)

- Das können wir gern diskutieren.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Die Verfas- sung ist das höchste Gesetz! - Weitere Zuru- fe)

- Ich bin ja auch offen, lieber Kollege Wadephul. Es ist doch Ausdruck davon, dass wir uns selbst nicht ernst nehmen, wenn wir sagen, nur wenn es in der Verfassung steht, dann handeln wir. Ich bitte Sie! Was ist das denn für ein Verständnis von Parlamentarismus?

(Zurufe)

- Lassen Sie uns diese Diskussion woanders führen. Ich will jetzt dieses Fass gar nicht aufmachen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Haben Sie aber!)

- Ja, ja. Ich sage nur noch einmal ganz grundsätzlich: Wir können darüber diskutieren, ob wir eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben müssen, ob das der richtige Weg ist. Wir können auch darüber diskutieren, ob wir nicht einfach ein Gesetz beschließen. Wir sind dafür, das gesetzlich festzuschreiben. Das ist unserer Meinung nach der richtigere Weg. Aus Sicht des SSW macht es wenig Sinn, eine Schuldenbremse in die Verfassung des Landes zu schreiben. Die Haushaltsdaten und die finanzielle Entwicklung sind zu unbeständig, als dass wir ständig und je nach Lage die Verfassung ändern könnten. Für uns ist wichtig, dass wir ein nachhaltiges Finanzkonzept erarbeiten, in dem eine Begrenzung der Schulden zu finden ist, in dem aber auch Tabuthemen aufgegriffen werden.

Ich sage aber noch einmal: Nach unserer Auffassung darf das Ergebnis der heutigen Debatte nicht sein, dass wir keine gemeinsame Verfassungsklage gegen die vom Bund diktierte Schuldenbremse einreichen. Dann hat dieses Parlament auch nicht mehr Willen, für eine gemeinsame Sache zu kämpfen, als unser Ministerpräsident in den Verhandlungen der Föderalismuskommission.

Ich sage noch etwas, was man nicht vergessen darf: Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Menschen um ihre Existenz bangen, und angesichts einer steigenden Arbeitslosigkeit wäre es ein schlechtes Signal für die Menschen in diesem Land, wenn heute inhaltlich etwas beschlossen wird, was ausschließlich darauf abzielt, dass sich die Parteien und die Fraktionen für den Landtagswahlkampf positionieren. Darum sage ich noch einmal: Angesagt sind konsensfähige Lösungen. Diese zu erarbeiten, geht uns alle an, nicht nur die Regierung.

(Anke Spoorendonk)

(Beifall beim SSW)

Ich danke der Frau Abgeordneten Anke Spoorendonk. - Für die Landesregierung hat nun Herr Finanzminister Rainer Wiegard das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Insbesondere der letzte Beitrag bot eine ganze Menge an Stoff für eine ganz neue Diskussion, wenn man sie denn führen wollte. Frau Kollegin Spoorendonk, ich möchte Ihnen zunächst zwei Dinge entgegnen: Die Bremse kommt nicht in die Verfassung, sondern die Grenze kommt in die Verfassung. Die Bremse führt zur Grenze, und diese Grenze steht ab 2020 für uns als Regel fest. Natürlich mag man darüber diskutieren, warum man sich überhaupt so eine Grenze geben muss und ob der gesunde Menschenverstand nicht ausreicht. In der Tat zeigen die letzten 40 Jahre, dass der gesunde Menschenverstand nicht ausgereicht hat und dass wir eine solche generelle Regel brauchen.

(Beifall bei CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wenn man in diesem Zusammenhang diese Sätze sagt, von denen ich in den letzten Wochen mehrere gehört habe, dann haben wir einen Nachholbedarf. Es hieß, die Schuldenbremse treibe uns in den Ruin. Ich glaube, das haben Sie gesagt. Es hieß auch, die Schuldenbremse sei eine Zukunftsbremse. Angesichts dieser Sätze haben wir in der Tat noch einen Diskussionsnachholbedarf zu diesem Sachverhalt.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Nicht die Schuldenbremse treibt uns in den Ruin, sondern die Schulden haben uns in den Ruin getrieben. Deshalb müssen wir auf die Bremse treten. Zukunftsbremse ist ein ähnlicher Begriff. Meine Damen und Herren, im vergangenen Jahr haben wir fast 1 Milliarde € an Zinsen aus unserem Haushalt bezahlt, und zwar aus den Einnahmen. Das waren Zinsen, die wir nur für die Vergangenheit gezahlt haben. Ich frage nun: Was ist eigentlich die Zukunftsbremse?

(Beifall bei CDU und FDP)

Ist es eine Zukunftsbremse, wenn wir die Schulden begrenzen? Auf welche Weise soll das geschehen?

Jeder mag die Zahlen selbst nachvollziehen, um sich dieses Problems noch einmal zu bemächtigen.

Wir haben seit 1970 für Zinsen mehr Geld ausgegeben, als wir an Schulden aufgenommen haben. Das heißt, jedes Mal, wenn wir zur Sparkasse gegangen sind und einen neuen Kredit aufgenommen haben, dann hat der Sparkassendirektor an der Eingangstür schon gelauert und gesagt: Lasst das man gleich hier, das ist für die Zinsen von gestern. Deshalb haben wir von diesen Schuldenaufnahmen gar nichts gehabt. Deshalb warne ich diejenigen, die schon wieder daran arbeiten zu sagen, wir müssen eine Grenze einführen, die es uns wieder erlaubt, begründungslos oder mit Begründung - das sei mir zunächst einmal egal - neue Schulden zuzulassen. Wir haben schon genug Schulden, wir brauchen keine neuen Schulden.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Birgit Herdejürgen [SPD] und Günter Neu- gebauer [SPD])