b) Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Verankerung der Schuldenregelung in Artikel 109 Abs. 3 S. 1, 5 GG
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Grundsatzberatung und erteile dem Antragsteller, Herrn Abgeordneten Martin Kayenburg, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich persönlich habe einen Antrag und einen Gesetzentwurf eingebracht, die zur gemeinsamen Beratung verbunden worden
sind. Das ist auch berechtigt, weil beide in einem inneren Zusammenhang stehen. Beiden liegt meine Überzeugung zugrunde: Schleswig-Holstein ist ein eigener Staat im föderalen Bundesstaat der Bundesrepublik Deutschland. Konstitutiver Teil der Eigenstaatlichkeit unseres Landes sind eine eigene Haushaltswirtschaft mit Substanz und ein Budgetrecht unseres Landtags mit Entscheidungen von Gewicht. Weiter: Es verträgt sich nicht mit der Eigenständigkeit unseres Landes und widerspricht auch meinem parlamentarischen, durch Verfassungsrecht geprägten Verständnis als Abgeordneter, wenn wir in der Haushaltswirtschaft nahezu völlig vom Bund abhängig werden.
Unabdingbar ist, dass wir selbst bestimmen, was für uns richtig ist, und nicht der Bund. Das gilt auch für die Schuldenbremse im Grundsatz und in den Einzelheiten. Kurz zusammengefasst: Auch für die Haushaltswirtschaft und die Budgethoheit des Landtages gilt: Eigenständigkeit vor Fremdbestimmung, Verantwortung statt Vollzugsbeauftragung.
Meine Anträge spiegeln die beiden Seiten meiner Überzeugung wider: Mein Gesetzesantrag hat das Ziel, die Landesverfassung zu ändern und eine neue Schuldenregelung mit allen Bestandteilen in der Landesverfassung zu verankern. Und um allen anderslautenden Gerüchten entgegenzutreten: In der Sache bin ich der Meinung, dass auch für uns eine Schuldenbremse ohne die Möglichkeit zu einer strukturellen Neuverschuldung richtig ist. Allerdings brauchen wir - und das ist genauso richtig die Möglichkeit zu einer antizyklischen Finanzpolitik und die Möglichkeit, in Notfällen Geld aufzunehmen beziehungsweise Schulden zu machen.
Deshalb lehnt sich mein Gesetzesantrag so weit wie möglich an die Regelung des Bundes im Grundgesetz an und entspricht damit auch dem Ziel der Vereinbarung der Parteien von CDU und SPD im Koalitionsausschuss. Entscheiden muss und kann aber nur das Parlament. Der Unterschied zu einer vom Bund aufoktroyierten Schuldenbremse ist nämlich ein grundsätzlicher. Wir haben zum einen die Möglichkeit, hier im Hohen Hause und in den Ausschüssen darüber zu diskutieren und zu entscheiden, ob meine Auffassung die richtige ist. Auf Unterstützung hinsichtlich dieses Bereichs aus der Wissenschaft komme ich später noch einmal zurück.
Wir haben zum anderen die Möglichkeit, unsere Landesverfassung wieder zu ändern, falls wir - und nur wir - das für erforderlich halten. Ich wiederhole: Eigenständigkeit statt Fremdbestimmung durch den Bund.
Ziel meines Antrags ist es, der Landtag möge gegen den Artikel 109 Abs. 3 Sätze 1 bis 5 Grundgesetz dort ist die Schuldenregelung festgeschrieben Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben und damit wieder die notwendige Voraussetzung für ein eigenständiges legislatives Handeln des Landtages schaffen.
Wenn die von Bundestag und Bundesrat beschlossenen Gesetzesänderungen der Föderalismusreform II vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesgesetzblatt verkündet sind, binden sie das Land Schleswig-Holstein. Wir als Abgeordnete des Schleswig-Holsteinischen Landtags könnten keine Änderung der Landesverfassung beschließen, die dem Grundgesetz widerspräche. Das heißt, wir wären in manchen haushaltsrelevanten, von uns für das Wohl des Landes für erforderlich gehaltenen Entscheidungen handlungsunfähig. Und, Herr Ministerpräsident, es ist eben genau deswegen nicht egal, wie Sie eben formuliert haben, ob die Schuldenbremse im Grundgesetz oder in der Landesverfassung vereinbart ist - ganz im Gegenteil!
Um die Freiheit zu einer eigenständigen Entscheidung zu haben beziehungsweise zu behalten, muss zunächst die Grundgesetzänderung angefochten und vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden. Nach meiner Überzeugung wird das Bundesverfassungsgericht die unser Land bindende Schuldenbremse im Grundsatz als verfassungswidrig verwerfen. Sie verstößt nämlich gegen die Eigenstaatlichkeit unseres Landes, die vom verfassungsfesten Gewährleistungsbereich des Artikels 79 Abs. 3 Grundgesetz umfasst wird. Die Selbstständigkeit und die Unabhängigkeit der Haushaltswirtschaft des Landes, zu der auch die Kreditautonomie mit einer substanziellen Entscheidungsbefugnis über Höchstbeträge, Bedingungen und Laufzeiten der Kreditaufnahme zählt, gehört zum Kernbereich der Staatlichkeit unseres Landes. Dieser Kernbereich der Staatlichkeit und damit die Gliederung des Bundes in eigenständige Bundesländer wird durch die Schuldenbremse berührt. Damit handelt es sich bei der Schuldenbremse im Grundsatz um verfassungswidriges Verfassungs
Ich stehe mit meiner Auffassung im Übrigen nicht allein. In der inzwischen recht umfangreichen juristischen Literatur wird von allen - von allen! - Verfassern betont, die neue Schuldenregelung im Grundgesetz sei wegen des Eingriffs in die Haushaltsautonomie der Länder von besonderer Brisanz. Während einige Professoren meinen, die Länder würden zwar durch das neue Regime an die Kette gelegt, die erweise sich jedoch als ausreichend lang, um eine Strangulation zu vermeiden man möge sich nur einmal dieses Bild vorstellen! -, sind andere meiner Auffassung, nämlich, die neue Schuldenbremse im Grundgesetz für die Länder sei verfassungswidrig. Da können Sie bei Schneider, bei Hanke, bei Koriot und anderen schauen oder auch bei Veröffentlichungen von Heribert Prantl Festschrift zum 80. Geburtstag von Jürgen Habermas. Da übertitelt er seinen Beitrag mit „Die Bremse bremst“ und nimmt das schöne Bild: Wir sollten es doch nicht dazu kommen lassen, dass wir Ostern ist zwar vorbei - als schöne, bunt bemalte, auch schön anzusehende, aber leere und ausgeblasene Eier an einem Osterstrauch hingen; das wären die Länder nämlich nach Einführung dieser Schuldenbremse.
Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich an unserer zunächst einhelligen Ansicht und Absicht festhalten, vor dem Bundesverfassungsgericht Klage zu erheben. Für mich jedenfalls hat sich an unseren Grundpositionen nichts geändert.
Ich betone noch einmal: Ich sehe beide Anträge in einem Zusammenhang, die beantragte Verfassungsänderung und den Antrag, Klage zu erheben.
Einzelheiten sollen aus meiner Sicht im Innen- und Rechtsausschuss und im Finanzausschuss erörtert werden. Ich beantrage die Überweisung meiner beiden Anträge - also des Antrags und des Gesetzentwurfs - federführend in den Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend in den Finanzausschuss.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon in der vorangegangenen Debatte habe ich für die CDU-Fraktion deutlich gemacht, dass wir es ja begrüßen, dass nach über zweijährigen Verhandlungen Bund und Länder eine wirksame Schuldenbremse in der Verfassung verankert haben. Vor einem Jahr gab es nur eine Kritik an dem Vorhaben: Zu wenig ehrgeizig sei die Reform, Schwarz-Rot sei einmal mehr zu kurz gesprungen.
Heute und unter dem Eindruck der Finanzkrise und der damit verbundenen enormen Kosten sagt dies keiner mehr. Dies zeigt, dass der Sinn für Realitäten überall gewachsen ist.
Auch die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land erkennen, dass der Staat zur Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ganz erhebliche Kraftanstrengungen unternimmt. Sie erkennen auch, dass die Staatsschulden von Bund, Ländern und Gemeinden in den Himmel wachsen, und sie meinen, dass wir die nachrückenden Generationen nicht noch stärker belasten dürfen, ohne gegenzusteuern. Ein Blick über die Grenzen zeigt nämlich, wohin schrankenlose Politik führt: In Italien ist der Staat stärker verschuldet, als das Land in einem Jahr zu erwirtschaften vermag.
Ich bin davon überzeugt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass die Schuldenbremse wie keine andere Reform zuvor die nächste Legislaturperiode im Schleswig-Holsteinischen Landtag prägen wird. Sie wird uns Politiker zwingen, nicht mehr ausschließlich in Wahlperioden, sondern auch in Konjunkturzyklen und vor allen Dingen langfristiger zu denken. Während alle Welt erst beginnt, nach Ausgängen aus dem Schuldentunnel zu suchen, haben wir bereits ein gutes Instrument, das exakt zum EU-Stabilitätspakt passt. So weit zur Schuldenbremse in der Sache. Wir haben, wie gesagt, schon mehrfach darüber diskutiert.
Was die rechtliche Umsetzung der Schuldenbremse anbelangt, so hatten wir fraktionsübergreifend im März eine Resolution verabschiedet. In dieser wurde jedoch keineswegs schon eine Klage gegen eine Grundgesetzänderung beschlossen. Vielmehr war es eine Absichtsbekundung, die Vorbereitungshandlungen beinhaltete. Dies galt aus Sicht der CDU-Fraktion aber auch nur vor dem Hintergrund der Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - ei
Wir mussten im Koalitionsausschuss feststellen, dass es nicht möglich ist, mit den Sozialdemokraten in dieser Koalition eine Schuldengrenze in der Landesverfassung zu verankern. In Anbetracht dessen, dass wir einerseits die Schuldenbremse in der Bundesverfassung, dem deutschen Grundgesetz, rechtlich angreifen, uns aber nicht in der Lage sehen, ein gleiches Instrument in unserer Landesverfassung zu verankern, hat die CDU-Fraktion klar gesagt: In der Situation stellen wir eine Klage zurück, verhandeln über eine Landesverfassung.
Es darf auf keinen Fall eine Lösung geben, bei der es überhaupt keine rechtliche Begrenzung für das Schuldenbegrenzen gibt.
Wir wollen keine Aufweichung. Wir wollen eine wirkliche Schuldenbremse, die ihren Namen verdient. Alles andere würde - wie in der Vergangenheit - weiterem Schuldenmachen nur Tür und Tor öffnen.
Diese Selbstfesselung kann klug sein. Odysseus, der listige Held der Antike, hat es uns allen vorgemacht: Er ließ sich von seinen Mannen an den Mast binden, um den Gesang der Sirenen hören zu können, dem er wohl lauschen, dem er aber nicht folgen wollte. Er wollte der Versuchung widerstehen, das Schiff gegen die tödlichen Klippen zu steuern. Deswegen auch eine Selbstfesselung des Parlaments an dieser Stelle, denn das Parlament erliegt auch immer wieder dem Sirenengesang zahlreicher Gruppierungen aus der Wählerschaft, die Geld einfordern und die nur allzu gern von uns bedient werden. Deswegen ist ein Stück Selbstfesselung an dieser Stelle richtig und notwendig.
Ich bin in der Tat mit dem Landtagspräsidenten der Auffassung, dass die Schuldengrenze, die jetzt im Grundgesetz verankert ist, außerordentlich fragwürdig ist und man rechtlich zu prüfen hat, ob unzulässig in die Rechte der Länder eingegriffen wird. Ich kann mich da den Ausführungen des Herrn Landtagspräsidenten inhaltlich ganz anschließen.
Herr Kayenburg, indessen müssen wir natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass es in der Anhörung des Bundestages und des Bundesrates zur Föderalismusreform hierzu auch andere Stimmen - etwa von den Professoren Häde und Huber - gegeben
„Zur vor Verfassungsänderungen geschützten Bundesstaatlichkeit gehören insbesondere die Staatlichkeit der Länder, ihre Verfassungsautonomie und ein gewisses Maß an finanzieller Eigenständigkeit. Insoweit mag auch die grundsätzliche Haushaltsautonomie zum Kernbereich der Staatlichkeit der Länder zu rechnen sein. Das bedeutet allerdings nicht, dass alle derzeitigen Ausprägungen der Haushaltsautonomie änderungsfest wären. Mit dem Verschuldungsverbot verlören die Länder zwar eine wichtige Einnahmequelle, nicht aber die grundsätzliche Befugnis, selbstständig über ihre Haushaltswirtschaft zu entscheiden.
Hinsichtlich der Einnahmen garantiert Artikel 79 Abs. 3 GG nicht, dass die Länder eigenständig über deren Art und Höhe bestimmen können. Die Staatlichkeit der Länder entscheidet sich nicht an dem alleinigen Verfügenkönnen über bestimmte Einnahmequellen. Vielmehr ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn ihnen Finanzmittel zustehen, die nicht vom Belieben der anderen Glieder des Bundesstaates abhängen.“