Zum Formalen! Mit dem fraktionsübergreifenden Antrag Drucksache 16/2827 (neu) von SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW hat sich unser Antrag Drucksache 16/1565 erledigt. Er steht also nicht mehr zur Abstimmung. Ich ziehe ihn hiermit zurück.
Meine Damen und Herren, die letzten eineinhalb Minuten habe ich mir aufgehoben - es ist die letzte Sitzung -, um mich bei den Mitgliedern meiner Fraktion zu bedanken. Sie wissen, dass bei zweien klar ist, dass sie nicht wieder in den Landtag kommen; beim Dritten hoffen wir ganz stark, wir kämpfen ja für viele Stimmen.
Ich möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen - erlauben Sie mir, dies von dieser Stelle aus zu tun - ganz herzlich für ihr Engagement bedanken, für die Solidarität, für die Kampfbereitschaft. Das sind Kolleginnen und Kollegen, die man sich wirklich wünschen kann, die immer mit Herz, mit Verstand, mit Engagement bei der Sache sind. Ich denke, sie haben auch die Debatten hier trotz aller Unterschiedlichkeit bereichert. Ich gehe davon aus, dass Sie den einen oder die andere mit Sicherheit vermissen und - ich hoffe - in guter Erinnerung behalten.
Ich danke der Frau Abgeordneten Monika Heinold. - Das Wort für den SSW im Landtag hat nun der Herr Abgeordnete Lars Harms.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unserer Gesellschaft droht seit Langem eine Spaltung. Die Einkommensunterschiede zwischen den gering qualifizierten Schichten und den gut ausgebildeten Bevölkerungsgruppen werden immer größer. Die Diskussionen in den letzten Jahren um die Einführung von Mindestlöhnen haben eins immer wieder deutlich gemacht: Wir haben in Deutschland Billigjobs und Niedriglöhne, von denen selbst voll erwerbstätige Menschen nicht leben können. Jeder fünfte Arbeitnehmer in Deutschland bekommt nur einen Niedriglohn. 1,3 Millionen Menschen verdienen sogar so wenig, dass sie ergänzendes Arbeitslosengeld II beziehen müssen, um die Existenz für sich und ihre Familie zu sichern. Das sind unhaltbare und menschenunwürdige Zustände, die schon lange nicht mehr tragbar
sind. Es macht aber deutlich, dass die Angst vor Arbeitslosigkeit und dem sozialen Abstieg mittlerweile so groß ist, dass man lieber für einen Hungerlohn arbeitet als gar nicht.
Diese Probleme sind die Ausläufer der Hartz-Reform, die Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Langzeitarbeitslose und die damit verbundene Tatsache, dass in Zukunft Arbeitslose Arbeit annehmen müssen, die unter Tarif bezahlt wird. Dies hat der SSW immer kritisiert, denn Niedriglöhne und Billigjobs sind kein Ausweg aus der Krise. Sie wirken sich volkswirtschaftlich negativ auf die Binnennachfrage aus und sind somit kontraproduktiv. Dumpinglöhne sind auch kein Ausgangspunkt für Aufstieg in der Arbeitswelt. Was vor 20 Jahren noch für rund 20 % der Niedriglöhner möglich war, ist heute nur in wenigen Fällen gegeben, geht aus einer Studie der Uni Duisburg hervor.
Niedriglöhne erhöhen das Risiko der Altersarmut. Die Grundsicherung im Alter, die Bedürftige über 65 Jahre bekommen, beträgt derzeit 676 €. Um auf eine Nettorente auf diesem Niveau zu kommen, müsste ein Vollzeitbeschäftigter 45 Jahre lang mindestens 9,47 € brutto pro Stunde verdienen. Tatsächlich erhielten westdeutsche Niedriglohnbeschäftigte in 2006 laut Institut für Arbeit und Qualifikation im Durchschnitt 6,89 € pro Stunde, und im Osten waren es sogar nur 4,86 €. Damit kann man für das Alter nicht vorsorgen. Die Folge ist: Selbst bei einem vollen Erwerbsleben, ohne längere Arbeitslosigkeit, werden Geringverdiener im Ruhestand auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. Sollte sich hier nichts ändern, werden wir in Zukunft auch Diskussionen um Mindestrenten führen müssen.
Gewerkschaften und wohlmeinende Politiker setzen sich bereits seit Längerem vergebens für die Einführung von Mindestlöhnen ein. Aber die Widerstände aufseiten der Wirtschaft sowie bei CDU und FDP sind immer noch groß. Mittlerweile wurde aber auch auf deren Seite - zumindest in der Wirtschaft - erkannt, dass Mindestlöhne nicht den Untergang des Abendlandes bedeuten. Der politische Widerstand hat abgenommen, und es wurde, wie bekannt, auf Bundesebene die Hürde genommen mit der Etablierung der Mindestlohn-Kommission.
Die Angst vor Mindestlöhnen ist mehr als unberechtigt. Die Arbeitslosigkeit wird im Zuge der Mindestlohneinführung nicht steigen. Das belegen Zahlen aus den Ländern, in denen es Mindestlohnregelungen seit Längerem gibt. Das Gegenteil ist der Fall. In der Krise leisten Mindestlöhne einen wichtigen Beitrag zur Stabilität von Lohneinkom
Darüber hinaus ist belegt, dass Unternehmen produktiver sind, wenn Mindestlöhne existieren. Denn es gibt neue Anreize zum Investieren: etwa in die Weiterbildung ihrer Beschäftigten oder in neue Maschinen und Abläufe, um die höheren Kosten durch Mindestlöhne, aber auch andere höhere Kosten, wettzumachen.
Dabei geht es um die Einführung von Mindestlöhnen in Branchen mit geringer Tarifbindung. Die Einführung gesetzlich geregelter Mindestlöhne ist in der EU kein Einzelfall. Es gibt dort eine ganze Reihe von Ländern mit staatlich festgelegten Mindestlöhnen, die aber extrem variieren. Aber es gibt auch eine ganze Reihe von tariflichen Mindestlöhnen. In Dänemark gibt es Mindestlöhne, die von den Tarifpartnern verabredet wurden. Der SSW ist ein Anhänger der Tarifautonomie, und deshalb befürworten wir einen tariflichen Mindestlohn, der von den Tarifpartnern in einer spezifischen Branche verabredet wird. Das ist gut, weil gerade die Tarifpartner die Branche am besten kennen und eine angemessene Höhe für einen Mindestlohn am besten festsetzen können, der weder die Arbeitnehmer noch die Unternehmen über Gebühr belastet. Tarifliche Mindestlöhne müssen in den Branchen eingeführt werden, in denen es notwendig ist. Sie müssen dann für alle EU-Bürgerinnen und EU-Bürger gelten, die bei uns arbeiten wollen. Das wäre aus unserer Sicht die beste Lösung.
Der SSW hat die Einführung von staatlich eingeführten Mindestlöhnen immer kritisch gesehen, und das tun wir auch heute noch; denn sie untergräbt und schwächt die Tarifautonomie; das ist klar. Darüber hinaus halten wir es für schwierig, dass der Staat für jede Branche eine vernünftige Höhe für einen Mindestlohn festsetzt.
In Deutschland ist dies derzeit aber so nicht hinzubekommen. Auch das haben wir als SSW zu akzeptieren. Daher haben wir bereits vor zwei Jahren die Einsetzung einer Kommission gefordert, die die Mindestlöhne festlegt. Eine solche Kommission muss mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein, damit sie nicht zum Papiertiger wird. Dabei ist wichtig, dass alle Tarifpartner in der Kommission vertreten sind. Dass sich die Kommission eingangs überhaupt mit der Prüfung über die Einführung von Mindestlöhnen befasst, klingt schon ein bisschen wie Hohn, denn Mindestlöhne sind notwendig; das
ist allgemein anerkannt. Angesichts der tatsächlichen Situation mag man kaum glauben, dass man das erst noch feststellen muss. Das ist wirklich ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen.
Aufgabe des sogenannten Hauptausschusses ist es nun zu prüfen, ob in einem Wirtschaftszweig soziale Verwerfungen vorliegen und Mindestlöhne festgesetzt werden müssen. Über die konkrete Höhe dieser Mindestlöhne verhandelt dann ein Fachausschuss, der sich aus Vertretern des Wirtschaftszweiges zusammensetzt. Wichtig ist, dass die Ergebnisse der jeweiligen Fachausschüsse für die jeweilige Branche dann auch als Rechtsverordnung erlassen werden.
Auch wenn man sich anscheinend schnell über eine Untergrenze von 7,50 € einigen könnte, ist aus Sicht des SSW ist eine solche Untergrenze nicht tragbar. 7,50 € pro Stunde als gesetzlicher Mindestlohn sind nicht zeitgemäß. Das hat auch der DGB inzwischen erkannt und ist von seiner alten Forderung abgewichen.
Die Schere zwischen niedrigen und hohen Löhnen klafft in Deutschland immer weiter auseinander. Eine Studie der Uni Duisburg belegt, dass der Reallohn gerade bei dem am wenigsten verdienenden Bevölkerungsteil zwischen 1995 und 2006 um fast 14 % gesunken ist. Im gleichen Zeitraum ist ein reales Plus von 3,5 % bei den Besserverdienenden zu verzeichnen. Zu den Verlierern auf dem Arbeitsmarkt gehören demnach nicht nur Minijobber und Teilzeitkräfte, sondern auch Geringverdiener mit Vollzeitstelle. Am härtesten betroffen sind aber die untersten Lohngruppen. Solche Aspekte müssen auch von der Mindestlohn-Kommission gesehen werden, wenn man wirklich etwas erreichen will. Alles andere ist nur weiße Salbe.
Die Kommission muss nun entsprechende Lösungen erarbeiten, die den betroffenen Menschen wieder ihre Würde zurückgeben, indem ihre Arbeit wieder wertgeschätzt und entsprechend entlohnt wird. Deswegen, meine Damen und Herren, ist ein Mindestlohn dringend notwendig.
Ich möchte nun am Ende meiner Rede noch eine Äußerung machen, die mir am Herzen liegt. Ich genieße es, dass wir uns heute mit wechselnden Mehrheiten richtig schön streiten. Ich finde es auch in Ordnung, dass wir anderen Parteien Vorhaltungen machen; überhaupt kein Problem, können wir gern machen. Ich bin ja auch ein großer Verfechter davon. Allerdings müssen wir aufpassen, dass wir uns nicht vergaloppieren. Lieber Kollege Garg, Sie ha
ben vorhin einigen Abgeordneten dieses Hohen Hauses den Vorwurf gemacht, sich über Arbeitslose lustig zu machen. Das ist ein wortwörtliches Zitat. Lieber Kollege Garg, diese Äußerung ist es wirklich wert, zurückgenommen zu werden; denn das ist dieses Hauses wirklich nicht würdig!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil es die Beiträge der beiden Kollegen Dr. Wadephul und Dr. Garg absolut verdient gehabt hätten, dass sie eine größere Öffentlichkeit gehört hätte als die, die hier auf der Tribüne sitzt, weil sie wirklich bemerkenswert waren. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass wir natürlich für Tarifautonomie und für tarifliche Vereinbarungen sind. Das stand noch nie in Frage. Es geht um Mindestlöhne überall dort, wo die Gewerkschaften zu schwach sind, wo wir keine vernünftigen Löhne haben, und mitnichten darum, Löhne zu senken. Das weiß doch jeder. Der Versuch, einen anderen Eindruck hier zu erwecken, ist intellektuel unredlich, und jeder weiß, dass das nicht stimmt. Das will ich hier auch formal zurückweisen.
Das Zweite, Herr Kollege Dr. Wadephul: Sie haben die PIN AG angesprochen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ein Unternehmen, das seinen Geschäftserfolg darauf gründet, dass es Lohndrückerei veranstaltet, um anderswo die Löhne zu senken, sollte keinen Erfolg haben,
erst recht übrigens nicht, wenn, wie wir wissen, Mitarbeiter von PIN gezwungen werden, an sogenannten Demonstrationen gegen Mindestlöhne teilzunehmen, weil sie sonst nämlich Einträge in die Personalakte bekommen. So ist das bei diesem Verein. Da kann ich nur sagen: Wenn die pleitegehen, ist es gut; das sichert nämlich, dass in anderen Postdienstleistungen vernünftige Löhne bezahlt werden.
Sie haben ein flammendes Plädoyer zur Tarifautonomie abgegeben, Herr Dr. Wadephul. Ich empfehle Ihnen einen Blick in Ihr Grundsatzprogramm, das Leipziger Programm, das ja immer noch gilt, und in das Wahlprogramm der FDP, mit der Sie zusammen regieren wollen. Dann können Sie sehen, an welchen Stellen Sie überall die Tarifautonomie aufweichen wollen - im Gegensatz zu uns übrigens.
Was ich am schwierigsten finde: Sie haben auf den Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt Bezug genommen. Nun muss man das ja auch verstehen; sonst hätten Sie vielleicht Helmut Kohl nennen müssen. Aber das Zitat taugte jedenfalls nichts. Helmut Schmidt hat sich gegen zu hohe oder zu niedrige Mindestlöhne ausgesprochen. Dem ist ja gar nicht zu widersprechen. Es sind vernünftige Mindestlöhne anzusetzen.
Sie müssen die Zitate schon ganz lesen. Helmut Schmidt hat offenkundig mehr Verständnis für solche Zusammenhänge als Sie. Deswegen lag das daneben.
einer Partei, die sich für liberal hält, den Sozialdemokraten sagt, wir würden uns über Arbeitslose lustig machen, wo sein Hauptbeitrag war, zu behaupten, es schade den Arbeitnehmern, wenn man für Mindestlöhne sei. Überall sonst sagen Sie doch immer, man soll den Menschen geben, was sie selbst wollen. Da aber, wo sie es wollen, sagen Sie plötzlich, es sei viel besser, wenn sie das nicht kriegen, weil es ihnen schadet. Dies ist eine Form, mit Menschen umzugehen,
die im Grunde nur eines sehr deutlich macht und worauf wir ja heute großen Wert legen: Hier in diesem Hohen Haus wird in namentlicher Abstimmung deutlich werden, wer für Löhne eintritt, von denen Menschen leben und ihre Familie ernäheren können, und wer dafür eintritt, dass der Staat Dumpinglöhne subventioniert. Das ist die Entscheidung in diesem Haus. Darüber wird jeder abstimmen. Das wird die ganze Öffentlichkeit sehen. Das gefällt Ihnen nicht, und das regt Sie auch auf. Aber das werden alle merken, und deswegen ist es ein guter Tag für dieses Parlament, dass wir das heute mit Mehrheit beschließen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man muss tatsächlich die Beiträge des Kollegen Dr. Stegner weltweit versenden,
weil sie deutlich machen, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihm zu erwarten haben. Ich finde es ziemlich stark, dass sich der Kandidat, der Ministerpräsident werden will, hier hinstellt und erklärt, es sei sinnvoll, dass bestimmte Unternehmen pleitegehen, damit die Löhne in anderen Branchen gesichert werden, mit anderen Worten Wettbewerb vernichtet wird. Das finde ich in Ordnung, dass es so ist. Ist es denn so, dass, wenn Opel jetzt pleitegehen würde, die Arbeitsplätze bei anderen Unternehmen gesichert werden? Wollen Sie sich hinstellen und das dann sagen?