Protokoll der Sitzung vom 17.09.2009

weil sie deutlich machen, was Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von ihm zu erwarten haben. Ich finde es ziemlich stark, dass sich der Kandidat, der Ministerpräsident werden will, hier hinstellt und erklärt, es sei sinnvoll, dass bestimmte Unternehmen pleitegehen, damit die Löhne in anderen Branchen gesichert werden, mit anderen Worten Wettbewerb vernichtet wird. Das finde ich in Ordnung, dass es so ist. Ist es denn so, dass, wenn Opel jetzt pleitegehen würde, die Arbeitsplätze bei anderen Unternehmen gesichert werden? Wollen Sie sich hinstellen und das dann sagen?

(Jutta Schümann [SPD]: Quatsch! - Zuruf des Abgeordneten Konrad Nabel [SPD] - Weite- re Zurufe von der SPD)

- Herr Kollege Dr. Stegner, ich verstehe ja Ihre Aufregung als Mitglied einer Partei, die Hartz IV geschaffen hat, die die Ein-Euro-Jobs geschaffen hat.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich kann sicher sagen, dass Herr Hartz niemals Mitglied der FDP war, sondern immer Mitglied der SPD,

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ralf Stegner [SPD])

die Ich-AGs eingeführt hat. Sie sind Mitglied einer Partei, dessen Bundesvorsitzender sich rühmt, die Rente auf 67 heraufgesetzt zu haben, statt sie mit 65 auszuzahlen. Ich will nicht wiederholen, was die Linke Ihnen vorwirft, aber das wirft sie Ihnen zu Recht vor, dass Sie sich als sozialpolitisch Verantwortlicher hinstellen, aber das genaue Gegenteil praktizieren, wenn Sie politische Verantwortung tragen.

(Beifall bei FDP und CDU - Konrad Nabel [SPD]: Heuchler! - Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Das sage ich Ihnen jetzt auch einmal in Ihrem eigenen Beritt. Ich kann mich noch erinnern, mit welcher Lebensfreude Sie die öffentlich Bediensteten behandelt haben, als die sich darüber beschwert haben, dass ihnen das Weihnachts- und das Urlaubsgeld weggenommen wird. Was ist denn der Mindestlohn für einen Polizeibeamten im Einsatz? Was ist denn der Mindestlohn für einen Justizvollzugsbeamten da, wo Sie Verantwortung tragen? Was ist denn der Mindestlohn für Pflegekräfte beim UK SH, das Sie fusioniert haben?

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Da kommen Sie und sagen: Na ja, der Haushalt ist irgendwie ziemlich eng, da müssen wir drüber nachdenken, Personalbudgets streichen. Da stehlen Sie sich aus der Verantwortung.

(Zuruf des Abgeordneten Holger Astrup [SPD])

Aber dort, wo es nicht mehr Sie selbst betrifft, sondern andere, da machen Sie dicke Backen und zeigen mit dem Finger auf andere.

Noch einmal: Für die sozialpolitischen Kahlschläge der letzten Jahre ist die Sozialdemokratie verantwortlich,

(Beifall bei FDP und CDU)

und bei Teilbereichen sind es die Grünen. Ich kann mich erinnern, wie Herr Hartz im Französischen Dom gefeiert wurde. Es wurde die Bibel des Arbeitsmarktes überreicht. Und alle sagen Ihnen: Daraus ist soziales Elend geworden. Das sagen Sie heute doch selbst. Erklären Sie, ob das das soziale Elend beflügelt hat oder ob es dagegen angekämpft hat. Erklären Sie schlicht und ergreifend, ob Sie wollen, dass wir die Hartz-IV-Gesetzentwürfe positiv begleiten - auch bei dieser Abstimmung am 27. September 2009 -, oder ob Sie sagen: Das war Teufelszeug, das muss reformiert werden. Herr Dr. Stegner, beides gleichzeitig geht nicht, das lassen Ihnen die Menschen auch nicht durchgehen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Für einen weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Kollege Wolfgang Baasch das Wort.

(Dr. Ralf Stegner)

(Wolfgang Kubicki [FDP]:Wenn man ihn hört, muss man die Linke wählen!)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manchmal ist Absurdistan ja ganz nah. Und wenn ich mir jetzt vorstelle, dass der Kollege Kubicki mit dem Kollegen Lafontaine aus dem Bundestag dafür streitet, dass Hartz IV wieder zurückgedreht wird,

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Machen wir: Schonvermögen!)

dann finde ich das sehr, sehr lustig. Ich glaube, Sie würden auch mit jedem anderen Politik betreiben. Hauptsache, Sie können Ihr Spielchen dabei spielen. Nur dabei helfen Sie den Menschen überhaupt nicht.

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für Sie scheint Politik nur eine Art von Spiel zu sein, und das entlarvt Sie eigentlich sehr.

Ich glaube, bei den Mindestlöhnen geht es - wenn man versucht, das noch einmal ernsthaft anzuführen - darum, tatsächlich auch das Selbstwertgefühl von Menschen zu stärken,

(Beifall bei SPD und SSW)

das Selbstwertgefühl von Menschen, die in der Lage sind, von dem Geld, das sie nach einer Woche Arbeit verdient haben, tatsächlich auch ihre Familie zu ernähren und sich nicht zusätzlich Transferleistungen holen zu müssen und sich dabei der Maßgabe auszusetzen, alles an Einkommen und Lebenssituation darzulegen, was da ist. Das ist oft sehr demütigend.

(Beifall bei SPD und SSW)

Und genau von dieser Demütigung wollen wir die Menschen befreien, indem wir sagen: Mindestlöhne schaffen Grundrechte, schaffen einen Grundsatz, der notwendig ist, um davon leben zu können.

Dann will ich auch noch einmal die Scheinheiligkeit der Kolleginnen und Kollegen von der CDU ansprechen. Ich habe an einigen Podiumsdiskussionen des Deutschen Gewerkschaftsbundes teilgenommen, unter anderem auch in Lübeck. Die Kandidatinnen und Kandidaten der CDU hatten alle keine Zeit, weil sie mit dem Ministerpräsidenten zum Labskaus-Schmaus mussten. Da hat man den stellvertretenden Landesvorsitzenden der CDA geschickt. Er stand vor den DGB-Leuten und hat ge

nau das gesagt, was, wie ich finde, vielleicht auf Ihrer Seite Beachtung finden sollte: Mindestlöhne wären richtig und notwendig. Und er hat gesagt, nicht nur Mindestlöhne seien richtig und notwendig, sondern auch Flächentarifverträge seien notwendig. Wir haben alle mit offenem Mund gestanden und nachgefragt, und er hat gesagt: Aber das ist in meiner Partei nicht durchsetzbar.

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Lars Harms [SSW] und Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Und jetzt tun Sie nicht so, als wenn es bei Ihnen nicht auch Leute gibt, die ganz vernünftig und richtig die Situation von Menschen betrachten.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das machen Sie doch bei Veranstaltungen auch so!)

Der Kollege von der CDA hat das, wie ich finde, sehr richtig dargestellt. Hören Sie doch lieber öfter auf Ihren Arbeitnehmerflügel, dann kommen Sie mit Ihrer Politik auch besser mit der Realität zurecht.

Ein letzter Punkt: Auch wenn man davon ausgeht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist - und ich habe versucht, deutlich zu machen, wo ich glaube, dass Würde von Menschen, von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einsetzt -, will ich Ihnen auch ganz offen sagen: Man muss nicht immer hinter seinem Recht herbetteln, auch wenn man es einklagen kann. Ich finde, Würde und dass der Mensch unantastbar ist, gilt auch für Arbeitgeber.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Für einen Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Karl-Martin Hentschel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es stimmt, Rot-Grün hat ALG II eingeführt und Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammengelegt. Seit das im Januar 2005 gemacht wurde, ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse in Deutschland um über 1,5 Millionen gestiegen. Vorher ist sie 40 Jahre lang bei jeder Krise gesunken, bei allen möglichen Regierungen. Erst nach 2005 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse zum ersten

(Präsident Martin Kayenburg)

Mal wieder gestiegen und sind die Arbeitslosenzahlen von über 5 Millionen auf 3 Millionen heruntergegangen. Das war ein Erfolg, und zu diesem Erfolg stehe ich auch trotz der sozialpolitischen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das zum Ersten.

Zum Zweiten: Es war aber ein Fehler, dass wir nicht gleichzeitig einen Mindestlohn eingeführt haben. Denn die Einführung von ALG II hat den Arbeitgebern ermöglicht, Mini-Löhne zu zahlen, die anschließend vom Staat mit Steuergeldern aufgestockt worden sind. Das war der Fehler. Deswegen muss dieser Fehler korrigiert werden. Deswegen ist es auch richtig, wenn wir für Mindestlöhne eintreten, und es ist auch systemkonform. Das ist auch der Grund, warum in den meisten europäischen Ländern das Gleiche getan wird.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Jetzt noch einmal zu der Frage, ob Arbeitsplätze verloren gehen. Das ist ein klassisches Argument. Opel ist eben genannt worden. Es ist nicht die hochtechnisierte Industrie, die Niedriglöhne zahlt, sondern die Niedriglöhne werden überwiegend im Dienstleistungsbereich und überwiegend bei weiblichen Arbeitnehmerinnen bezahlt. Das sind alles Arbeitskräfte wie Friseurinnen, Verkäuferinnen oder Reinigungskräfte, die ihre Arbeit hier machen müssen. Diese Arbeiten laufen nicht ins Ausland davon. Keine dieser Arbeiten kann im Ausland erledigt werden. Man kann weder vom Ausland aus die Wohnung reinigen, noch kann man die Haare im Ausland schneiden, noch kann man in Supermärkten im Ausland bedienen. Das sind alles Arbeiten, die hier gemacht werden müssen und auch hier gemacht würden und nicht verloren gingen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Deswegen ist es ein falsches Argument, das vorgetragen worden ist.

Das letzte Argument: Deutschland hat im Vergleich zu den meisten OECD-Ländern ein Problem: Wir sind ein reiches Land, wir haben aber immer noch einen schlechten Stand bei der Binnenkonjunktur.

In Deutschland ist die Situation so, dass wir, obwohl wir Exportüberschüsse noch und nöcher haben, es nicht schaffen, das Geld, das Deutschland durch die Exportüberschüsse einnimmt, die riesigen