Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Mitglieder des Sozialausschusses haben bereits während der Debatte über das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen im Herbst 2002 um eine Optimierung der Regelungen zur Steigerung der Barrierefreiheit gerungen. Letztendlich mussten wir über Fraktionsgrenzen hinweg feststellen - ich glaube, am Ende war es eine einhellige Feststellung -, dass das Konnexitätsprinzip einer weiterführenden Regelung zur Barrierefreiheit entgegensteht.
Die FDP-Landtagsfraktion will mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf erreichen, dass auch in allen - ich sage es einmal so lapidar - alten Gebäuden der öffentlichen Verwaltung sowohl auf Landes- als auch auf kommunaler Ebene die Barrierefreiheit hergestellt wird. Dazu gibt es eine Zusatzformulierung über Zielvereinbarungen und Fristen, das heißt, es gibt dort eine leichte Aufweichung, über die wir diskutieren müssen.
Der Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderung hat in seinem letzten Tätigkeitsbericht nochmals auf diese Problematik hingewiesen. So berechtigt diese Forderung sein mag, sie ist in der Umsetzung im Jahr 2005 nicht leichter zu erreichen als im Jahre 2002, als wir letztmalig darüber debattiert haben. Die Haushaltslage der Kommunen und des Landes hat sich weiter verschlechtert.
Und obwohl wir erst in der ersten Lesung sind, kann ich dem Antragsteller nicht in Aussicht stellen, dass wir seinem Gesetzentwurf - wie er heute vorgelegt worden ist - am Ende zustimmen werden.
Aber es ist für uns auch selbstverständlich, dass wir es uns während der Beratung im Ausschuss - genau wie im Jahr 2002 - nicht leicht machen werden. Aus diesem Grunde bin ich auch dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung dankbar, dass er uns gestern eine Stellungnahme zur Verfügung gestellt hat, in der er zunächst einmal sagt: Kümmert euch erst um die Landesaufgaben, bevor ihr Aufgaben auf die Kommunen schiebt. - Ich finde, diese Grundlage sollten wir nutzen, um im zuständigen Ausschuss weiter über das Thema zu debattieren.
Die Einbringung dieser Landtagsinitiative durch die FDP ist aber eine gute Gelegenheit, über das bisher Erreichte durch das zum 1. Januar 2003 in Kraft getretene Landesgleichstellungsgesetz zu reden. Und da reden wir eher über Erfolge als über Misserfolge.
Die Position des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung hat durch dieses Gesetz eine Aufwertung erfahren. Die Situation hörgeschädigter und gehörloser Menschen hat sich im Hinblick auf die
Finanzierung des Gebärdensprachdolmetschers deutlich verbessert. Und Herr Dr. Hase stellt in seinem Bericht auch fest, dass das Landesgleichstellungsgesetz zu einer deutlichen Sensibilisierung im Hinblick auf die Erfordernisse von Barrierefreiheit beitrage.
Der Begriff Barrierefreiheit wurde auch durch dieses Gesetz immer bekannter. Sowohl beim Landesbeauftragten als auch bei anderen Stellen - wie zum Beispiel bei der Architektenkammer - wird eine sprunghafte Zunahme an Anfragen zur Schaffung von Barrierefreiheit sowohl von öffentlichen Trägern als auch von Privaten deutlich.
Und gerade dieser Punkt, Herr Dr. Garg, macht deutlich, dass wir bei der Steigerung der Barrierefreiheit in Schleswig-Holstein bereits durch das bestehende Gesetze vorankommen. Ich gebe offen zu: Wir kommen langsam voran, aber wir kommen voran und erreichen Fortschritte für die Menschen mit Behinderung. Und dies gilt, obwohl wir die Altbauten und insbesondere denkmalgeschützte Gebäude mit diesem Landesgesetz nicht automatisch erfassen.
Die im Zusammenhang mit dem Landesgleichstellungsgesetz erfolgte Änderung der Landeswahlordnung ist ebenfalls als äußerst positiv zu bewerten. Erstmals ist es gelungen, blinden Menschen landesweit Wahlschablonen zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise ein selbstbestimmtes Wählen zu ermöglichen. Über 400 Blinde in Schleswig-Holstein konnten dieses Angebot nutzen - allerdings noch nicht bei allen Wahlgängen. Darauf muss verstärkt geachtet werden.
Wir müssen weiter gemeinsam daran arbeiten, das Landesgleichstellungsgesetz bei Behörden und öffentlichen Trägern bekannter zu machen. Dieses Gesetz kann allerdings nicht allen Problemlagen gerecht werden; das wussten wir von Anfang an.
Das Konnexitätsprinzip wird die CDU-Landtagsfraktion bei der Beratung des FDP-Antrages nicht außer Acht lassen. Wir werden aber auch über die Stellungnahme des Landesbeauftragten diskutieren. Auf die weitere Beratung im Fachausschuss freue ich mich.
Ich danke dem Herrn Abgeordneten Torsten Geerdts und erteile nunmehr für die Fraktion der SPD deren sozialpolitischem Sprecher, Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Landesbehindertengleichstellungsgesetz verpflichtet die Träger öffentlicher Verwaltungen erstmals zur Barrierefreiheit in den Bereichen Bau, Verkehr, Informationstechnik und Verwaltung und der damals vom Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung, Ulli Hase, geprägte Satz: „Wenn Barrieren fallen, ist das ein Gewinn für alle - Mitbürger mit und ohne Behinderung!“ hat auch heute nichts von seiner Richtigkeit verloren.
Barrierefreiheit bedeutet aber nicht nur, dass Menschen mit Bewegungseinschränkungen keine Hindernisse überwinden müssen, sondern auch diejenigen, die mit Sinnes- oder Sprachbehinderung leben müssen, sollen erleichtert kommunizieren können.
Dieses Landesbehindertengleichstellungsgesetz haben wir am 13. Dezember 2002 beschlossen und es ist am 1. Januar 2003 in Kraft getreten. Es ist gut, heute auf Grundlage der Initiative der FDP darüber nachzudenken, wie es in seiner Realität wirkt.
Gleichstellung von Menschen mit Behinderung, das Beseitigen von Barrieren für Menschen mit Behinderung, Teilhabe und Selbstbestimmung einfordern sind die politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, denen wir uns immer und immer wieder stellen müssen.
Den Ansatz für den Gesetzentwurf der Fraktion der FDP haben wir bereits bei der Beschlussfassung über das Landesbehindertengleichstellungsgesetz beraten. Auch damals schien es einfach zu sein, mit einer Frist bis zum Jahr 2020 - heute sind es genau 15 Jahre, was im Ergebnis aufs selbe hinausläuft - die Barrierefreiheit für alle öffentlichen Gebäude und Verwaltungen einzufordern.
Selbst damals haben wir uns gefragt, ob dies bedeutet, dass das Land beziehungsweise die finanziellen Mittel des Landeshaushaltes dafür eingesetzt werden müssten, die Aufgaben auf kommunaler Ebene mit zu erfüllen. Wir haben damals im Dezember 2002 den Wissenschaftlichen Dienst des Landtages befragt und dieser hat in seiner Antwort vom 6. Dezember 2002 festgestellt:
„Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände, so ist dafür ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.“
Mithin wäre es richtig, wenn die FDP-Fraktion nicht nur einen Gesetzentwurf vorlegen, sondern auch einen Finanzierungsvorschlag unterbreiten würde.
Da dies zugegebenermaßen sehr schwierig ist und auch der FDP-Fraktion schwer fallen dürfte, halte ich
es lieber mit der Stellungnahme des Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung des Landes Schleswig-Holstein, nämlich der Stellungnahme, die uns Ulrich Hase gestern zugeleitet hat. In dieser empfiehlt er, dass sich das Land erst einmal selbst Beispiel gebend in seinen Bereichen für Barrierefreiheit in baulichen Anlagen und Einrichtungen beziehungsweise öffentlich zugänglichen Verkehrsanlagen einsetzen sollte.
Ein erster Schritt wäre eine Bestandsaufnahme der Gebäude und baulichen Anlagen. Es würde ermöglichen, eine schrittweise Umsetzung der Barrierefreiheit gerade in diesem Bereich anzustreben. Ich glaube, dieser Ansatz des Landesbeauftragten ist vernünftig und wird unsere Diskussion um den Gesetzentwurf bereichern.
Aber nicht Diskutieren ist angesagt, sondern auch Handeln ist notwendig und gehandelt wird - wie zum Beispiel beim Landesblindengeld. Hier wird nicht über die Höhe des individuellen Landesblindengeldes entschieden, sondern gemeinsam mit den Interessensvertretungen der Betroffenen ein Fonds geschaffen, der strukturelle Veränderungen voranbringen soll. Hier werden gemeinsam und gezielt mit Sehbehinderten und blinden Menschen Projekte, die Barrierefreiheit beinhaltet, gefördert; das ist ein sehr überzeugendes Vorhaben zum Abbau von Barrieren der Sozialministerin Gitta Trauernicht.
Über all dieses sollten wir im Ausschuss weiterhin beraten und ich glaube, dass wir dann den richtigen Weg finden, um nicht einfach nur Barrierefreiheit als Proklamation an die Wand zu malen, sondern um gezielte Schritte in Richtung Barrierefreiheit zu gehen.
Ich danke dem Kollegen Baasch und erteile für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Frau Abgeordneten Monika Heinold das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Rechtzeitig zum Europäischen Jahr für Menschen mit Behinderung trat das Landesbehindertengleichstellungsgesetz für Menschen mit Behinderung am 1. Januar 2003 in Kraft. Der Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten, den wir in diesem Haus kürzlich diskutiert
haben, ist ein erster Bericht über die Umsetzung des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes und zu dessen Auswirkungen auf die Situation von Menschen mit Behinderung in Schleswig-Holstein.
Der Bericht nimmt explizit Stellung zur Herstellung der Barrierefreiheit im Bau- und Verkehrsbereich. Ich zitiere auszugsweise. Er stellt fest, dass:
„die jetzt schon bestehenden Maßgaben der verpflichtenden barrierefreien Gestaltung von Gebäuden und Anlagen, insbesondere die des § 59 LBO ‚Barrierefreies Bauen’ bei öffentlichen Neubauten nicht oder nur unzureichend eingehalten werden. Hier ist zu überlegen, ob bauaufsichtliche Prüfungen verschärft werden sollten, um öffentliche Neubauten sinnvoll barrierefrei zu erstellen.“
„Im Bereich des öffentlichen Personannahverkehrs sollten bei der Erstellung und Umsetzung der zweiten Generation der regionalen Nahverkehrspläne (RNVP) die rechtlichen Voraussetzungen zur Schaffung von Barrierefreiheit strenger eingehalten werden.“
Diese Passage macht deutlich, dass wir bei der Umsetzung der Barrierefreiheit im öffentlichen Leben noch erheblichen Nachholbedarf haben. Dies gilt für die Überprüfung bereits bestehender rechtlicher Vorgaben und für die Frage, ob eine Sanktionierung bei Nichteinhaltung dieser Vorgaben notwendig ist. Dies gilt aber auch für die Frage, wie wir dazu beitragen können, dass nicht nur bei Neubauten, sondern auch in der Substanz Barrierefreiheit hergestellt wird, wie es die FDP beantragt. Ich finde diesen Antrag ausgesprochen gut. Ich gehe davon aus, dass der Landesbeauftragte dies unterstützt.
Sein Schreiben kann nicht anders interpretiert werden. Wer, wenn nicht der Beauftragte für Menschen mit Behinderung, muss diesen FDP-Antrag für richtig halten; denn das ist der richtige Weg.
- Das wurde hier ein bisschen anders interpretiert. Deshalb war es mir wichtig, das hier klarzustellen.
Bereits im ersten Gesetzgebungsverfahren hat sich die FDP dafür eingesetzt, dass die Barrierefreiheit auch für schon bestehende Gebäude beziehungsweise für
schon in Betrieb genommene öffentliche Verkehrsmittel gilt, und zwar mit einer Zielsetzung, bis wann die Barrierefreiheit erreicht werden muss. Obwohl uns diese Forderung schon damals sympathisch war, haben wir im Gesetz letztendlich auf eine Fristbindung verzichtet. Zum einen hatte die Sozialministerin die Bedenken in Bezug auf die Konnexität erwähnt; das ist heute thematisiert worden. Zum anderen hatten wir aber auch gehofft, dass dieses Gesetz in einer Übergangszeit Impulse aussendet, sodass sich im Bereich Barrierefreiheit real etwas tut.
Der Bericht - das müssen wir zur Kenntnis nehmen - macht deutlich, dass es danach im Moment überhaupt nicht aussieht. Das Ziel ist nicht erreicht. Daher müssen wir miteinander über Verschärfungen diskutieren. Lyrik hilft da nicht mehr weiter.
Nimmt man das Grundgesetz mit seinem Diskriminierungsverbot ernst, dann darf der Staat Menschen mit Behinderung nicht benachteiligen und in ihrer Teilhabe am öffentlichen Leben dadurch beschneiden, das öffentliche Gebäude und Anlagen für sie nicht nutzbar sind. Es ist Aufgabe des Staates, auf allen Verwaltungsebenen eine gleichberechtigte Nutzung der behördlichen Infrastruktur und der Verkehrsinfrastruktur für Menschen mit Behinderung zu ermöglichen. In der Konsequenz leitet sich das Prinzip der Barrierefreiheit bereits vom Grundgesetz ab.
Deshalb kann und muss aus unserer Sicht die Landesregierung gegenüber den Kommunen sehr viel deutlicher argumentieren und klar machen, dass mit der Verankerung dieses grundgesetzlich vorgesehenen Gleichheitsgebotes im Landesbehindertengleichstellungsgesetz kein neuer Leistungs- oder Rechtsanspruch geschaffen wird, sondern dass bestehendes Recht konkretisiert wird, damit es umgesetzt werden kann.