Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Deshalb kann und muss aus unserer Sicht die Landesregierung gegenüber den Kommunen sehr viel deutlicher argumentieren und klar machen, dass mit der Verankerung dieses grundgesetzlich vorgesehenen Gleichheitsgebotes im Landesbehindertengleichstellungsgesetz kein neuer Leistungs- oder Rechtsanspruch geschaffen wird, sondern dass bestehendes Recht konkretisiert wird, damit es umgesetzt werden kann.

Von daher sollten wir die Debatte um Konnexität neu und offensiv führen. Dabei hoffen wir auf die Unterstützung des Landesbeauftragten. Wir sind sehr dafür, den Vorschlag der FDP umzusetzen, zumal er eine Fristsetzung enthält, die sehr weitgehend ist. Zudem beinhaltet er eine Ausnahmeregelung, so dass man sich vor Ort einigen kann. Ich glaube, dass es sehr hilfreich ist, die Zügel etwas anzuziehen, denn wir haben gesehen, dass sich sonst viel zu wenig bewegt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Ich danke der Kollegin Heinold und erteile für die Abgeordneten des SSW dem Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schon mehrfach sind wir als Landespolitiker von den Behindertenverbänden, dem Landesbeauftragten für Menschen mit Behinderung und auch dem Altenparlament darauf aufmerksam gemacht worden, dass § 11 im Landesbehindertengleichstellungsgesetz zwar bei Neubauten greift, aber bei Altbauten im Regelfall kaum jemand an die Belange der behinderten Menschen denkt. Auch hier gilt: Was nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, wird auch nicht konkret umgesetzt. All unsere Aufforderungen, doch auch bei Altbauten die Belange der behinderten Menschen zu berücksichtigen, sind bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen; das müssen wir so feststellen.

Deshalb greift die FDP jetzt dieses Thema auf; das ist sehr zu begrüßen. Es wird vorgeschlagen, dass auch bestehende bauliche Anlagen der Träger der öffentlichen Verwaltung barrierefrei zur Verfügung zu stellen sind. Die FDP schlägt hierfür eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 vor, damit niemand überfordert wird. Diese Vorgehensweise ist vorausschauend und trägt dazu bei, dass eigentlich niemand gegen einen solchen Vorschlag sein kann.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Das haben wir auch gedacht!)

Auch die Tatsache, dass verbindliche Zielvereinbarungen abgeschlossen werden sollen, wird dazu führen, dass man mehr auf Kommunikation als auf Zwang setzt. Auch das ist gut so.

Eine Frage, die wir im Ausschuss klären müssen, ist allerdings, ob wir nicht die Ausnahmeregelung für Um- und Erweiterungsbauten, die eigentlich Neubauten sind, in diesem Gesetzgebungsverfahren streichen können. Nach diesen Regelungen kann man bei unverhältnismäßig hohem Mehraufwand - was auch immer das bedeutet - auf behindertengerechte Einbauten verzichten. Dies lässt meines Erachtens zu viel Spielraum. Entweder meinen wir es ernst, dann müssen überall die gleichen Kriterien gelten, oder wir weichen das Ganze immer weiter auf. Dann werden wir uns immer wieder mit vollendeten Tatsachen abfinden müssen, die wir eigentlich nicht gutheißen können, und wir werden immer wieder den Damen und Herren der Behindertenverbände, des Altenparlaments und vieler anderer Organisationen sagen

müssen: Eigentlich würden wir gern etwas machen, aber irgendwie können wir doch nicht.

(Beifall bei SSW und FDP)

Ähnlich ist im Übrigen die Lage in Bezug auf den Denkmalschutz. Hier gibt es immer wieder Konflikte, die oft nicht auszuräumen sind. Ich bin der Überzeugung, dass es überall Möglichkeiten gibt, Barrierefreiheit herzustellen. Deshalb hat für mich die Barrierefreiheit allerhöchste Priorität. Die Bürgerinnen und Bürger müssen ihre öffentliche Einrichtung erreichen können, ohne dass sie ihre Behinderung daran hindert. Die Frage, die sich deshalb im Gesetzgebungsverfahren stellt, ist, ob die derzeitige Regelung unter Einbeziehung der Vorschläge der FDP ausreichend sind oder ob nicht doch in Bezug auf den Konflikt zwischen Barrierefreiheit und Denkmalschutz eine genauere Regelung in das Landesbehindertengleichstellungsgesetz aufgenommen werden muss.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit noch auf ein weiteres Problem lenken und dies an einem Beispiel verdeutlichen. Nach § 13 des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes haben die öffentlichen Verwaltungen bei der Gestaltung von Briefbögen und beim Schriftverkehr die Behinderung von Menschen zu berücksichtigen. Das heißt, es sollen große, gut lesbare Schrifttypen gewählt werden. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus; Heiner Garg weiß, was ich vor Augen habe. Die Buchstaben sind winzig dünn, blass gedruckt und somit schlecht lesbar. Sie sind sogar oft für Menschen, die nicht als sehbehindert gelten, schlecht lesbar. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe das Beispiel gesehen.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Sozialministerium!)

- Das ist ein Beispiel.

Im Normalfall sind die Briefbögen zu tausenden gedruckt. Sollte sich jemand beschweren, so wird darauf hingewiesen, dass man bei der nächsten Auflage über die Gestaltung noch einmal nachdenken könne. Das Ganze verläuft dann oft im Sande. Viel schöner wäre es gewesen, wenn man sich vielleicht vorher Gedanken über die Gestaltung gemacht hätte,

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

zumal es genügend Informationsmöglichkeiten gibt. Aber warum wird sich nicht informiert? In erster Linie ist es sicherlich Unwissenheit. Ein zweiter Punkt ist vielleicht Desinteresse. In jedem Fall liegt es auch an der Tatsache, dass die Nichtbeachtung des Gesetzes keinerlei Konsequenzen hat.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Richtig!)

(Lars Harms)

Zwar haben Behindertenverbände und Einzelpersonen natürlich ein Klagerecht. Aber niemand wird wegen einer verhältnismäßig geringfügigen Sache wie ein paar tausend Blätter Papier klagen wollen. Was also in unserem Gesetz fehlt, ist ein Passus, der automatische Konsequenzen festschreibt, wenn die Bestimmungen des Gesetzes nicht eingehalten werden. Ohne Sanktionen wird sich manch einer weiterhin nicht intensiv genug um die Belange seiner behinderten Mitbürger kümmern wollen. Deshalb sollten wir in den Ausschussberatungen auch diskutieren, ob und in welcher Weise Sanktionsmöglichkeiten in das Gesetz eingebaut werden können. Im beschriebenen Fall wäre schon das Einstampfen der Auflage und der Neudruck der Briefbögen Strafe genug gewesen, die mit Sicherheit dazu geführt hätte, dass man sich vorher Gedanken gemacht hätte.

Zusammenfassend kann ich also sagen: Der Vorschlag ist gut. Lasst uns außerdem überlegen, ob wir Barrierefreiheit Priorität gegenüber der Ökonomie und dem Denkmalschutz einräumen und ob wir Sanktionsmöglichkeiten aufnehmen wollen.

Noch ein Wort zum Schluss, dann bin ich auch fertig. Wenn das Konnexitätsprinzip in der Formulierung, wie sie jetzt in der Landesverfassung steht, dazu führt, dass wir solche Gesetze, über die wir uns eigentlich einig sind, nicht ändern können, um das Ziel der Barrierefreiheit zu erreichen, müssen wir uns ehrlicherweise Gedanken machen, ob die bisherige Formulierung richtig ist. Das bedeutet nicht, das Prinzip abzuschaffen, aber möglicherweise an den Bedarf anzupassen.

(Beifall bei SSW und FDP)

Für die Landesregierung erteile ich Ministerin Dr. Trauernicht-Jordan das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, wir sind uns einig, dass das Gleichstellungsgesetz im Jahr 2002 ein Meilenstein in der Politik für Menschen mit Behinderung in SchleswigHolstein war. Das ist nicht nur unsere Bewertung, sondern auch die Bewertung des Beauftragten für Menschen mit Behinderung. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung seit Inkrafttreten dieses Gesetzes vorangekommen ist.

Heute haben wir nun - Herr Abgeordneter Garg, Sie haben es gesagt - im zweiten Anlauf einen FDP

Antrag, wie er nahezu wortgleich am 13. September 2002 in den Sozialausschuss gegangen war. Damals wie heute macht es sich niemand leicht. Gerade die Konnexitätsdebatte wird mit großem Ernst geführt, weil alle das gleiche Ziel verfolgen. Ich sehe keinen Grund, warum wir diese Debatte nach einigen Jahren nicht noch einmal in der gleichen gebotenen Ernsthaftigkeit führen sollen, um zu prüfen, ob sich an den Argumenten seit jener Zeit gegen die in Rede stehenden Änderungen des Gleichstellungsgesetzes etwas geändert hat. Dafür sehe ich Hinweise in den Debattenbeiträgen meiner Vorredner.

Vereinbart wurde vor einigen Jahren aber auch, dass man sich nach fünf Jahren einen Bericht geben lässt und eine Bilanz zieht, eine Bilanz, um dann wiederum ein Stück weiterzukommen und gegebenenfalls ein Stück Druck aufzubauen, damit es mit der Barrierefreiheit vorangeht. Wir sollten uns einen solchen Bericht vornehmen. Wir sollten Licht und Schatten benennen und keine Angst und keine Scheu haben, Ross und Reiter zu nennen, wenn es darum geht, dass gegen dieses Gesetz verstoßen worden ist.

(Beifall bei der SPD)

In den Debattenbeiträgen gibt es Hinweise auf Weiterentwicklungen des Gesetzes - das Stichwort „Sanktionen“ ist gefallen -, die ernst zu nehmen sind. Von daher begrüße ich die Debatte im Ausschuss und sehe der zweiten Lesung mit Spannung entgegen.

Wir sollten aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich etwas getan hat. Das ist für diejenigen wichtig, die sich angestrengt haben. Ich möchte einige Beispiele benennen. Ich glaube schon, dass das Land seine Vorreiterfunktion tatsächlich annimmt. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Garg haben wir die Entwicklungen seit Inkrafttreten des Gleichstellungsgesetzes benannt. Es ist festzustellen, dass in Trägerschaft des Landes in dieser Zeit in zwei Dutzend öffentlichen Gebäuden - im Übrigen nicht nur an neuen Gebäuden, sondern im Bestand - Barrierefreiheiten vorgenommen worden sind - vom Landesamt für soziale Dienste über die Polizei, die Amtsgerichte, die Finanzämter. Beispiele sind genannt worden.

Ein zweites, wie ich finde, sehr positives Beispiel kommt von einem anderem Verantwortungsträger, der Bahn. Die Bahn hat seit Inkrafttreten dieses Gesetzes weitere 24 Bahnhöfe in unserem Land barrierefrei gemacht. Sie hat sehr konkrete Planungen für die Zukunft. Sie hat einen runden Tisch „mobilitätsbehinderte Reisende“ eingerichtet. Auch dies macht deutlich, dass es hier um mehr geht, um ein Klima, um eine Haltung. Das sollten wir ausdrücklich begrüßen.

(Ministerin Dr. Gitta Trauernicht)

Ein drittes Beispiel ist auf das besondere Engagement unseres Beauftragten für Menschen mit Behinderung zurückzuführen. Das ist das Thema Internetauftritt, ein schwieriges Thema, aber ein Thema, an dem er dran ist. Ich freue mich, feststellen zu können, dass wir in dieser Debatte eine Debatte nicht mehr haben, die es vor einigen Jahren noch gab, nämlich die Frage, ob wir überhaupt einen Beauftragten für Menschen mit Behinderung brauchen. Diese Frage ist geklärt. Das freut mich besonders.

(Beifall bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch jenseits des Themas der gesetzlichen weiteren Verbesserung sind wir gut beraten, nach intelligenten Lösungen unterhalb und innerhalb dieser generellen Linie der Behindertenpolitik zu suchen. Das Landesblindengeld, der Fonds, ist ein Beispiel dafür. Die Anregung, eine Bestandsaufnahme zu machen und auf dieser Basis weiterzukommen, eine andere. Das Thema der Zielvereinbarungen ist sicherlich eines, das wir einmal mit Blick auf seine Durchschlagskraft bewerten sollten. Ich war von diesen Zielvereinbarungen bisher sehr überzeugt.

Ich glaube, dass wir ein gutes, ein wichtiges Thema aufgegriffen haben. Wir sollten uns für die Ausschussberatungen Zeit nehmen, damit wir in der zweiten Lesung - ich hoffe gemeinschaftlich - tatsächlich feststellen können, dass wir Wege gefunden haben, um in der Behindertenpolitik in Schleswig-Holstein einen Schritt nach vorn zu kommen.

Wir alle haben die Absicht, Menschen mit Behinderung in unserem Land in Würde leben zu lassen. Das ist sehr schön formuliert damit, dass wir sagen: Wir wollen, dass Menschen mit Behinderung überall hinkommen, und wir wollen, dass sie nicht über eine Rampe am Lieferanteneingang, sondern über den Vordereingang des Rathauses dort hinkommen, wohin sie kommen sollen.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke der Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt, den Gesetzentwurf Drucksache 16/317 dem Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen, meine Damen und Herren.

Es gibt eine geschäftsleitende Bemerkung. Die Fraktionen haben sich darauf geeinigt, Tagesordnungs

punkt 13 ohne Aussprache zu behandeln. Damit wir das nachher nicht vergessen, werden wir - wenn Sie einverstanden sind - die Überweisung jetzt vornehmen. Ich rufe also Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ingenieurgesetzes

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/337

Das Wort zur Begründung und zur Aussprache ist nicht gewünscht. Ich schlage vor, den Gesetzentwurf Drucksache 16/337 dem Wirtschaftsausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Das ist einstimmig so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zum Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land SchleswigHolstein über die Wahrnehmung bestimmter Aufgaben nach dem Energiewirtschaftsgesetz durch die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen

Gesetzentwurf der Landesregierung Drucksache 16/334

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Grundsatzberatung.