Protokoll der Sitzung vom 11.11.2005

Das haben wir auch unter der alten Landesregierung zumindest für uns selber in Bezug auf die Holzwirtschaft gemacht, und zwar bewusst. Es ist der richtige Weg, wenn wir selber die sozialen Standards vorgeben, nach denen wir einkaufen wollen. Nur so bekommen wir das Problem langfristig und in allen Bereichen, nicht nur beim Zucker, gelöst.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Kollege Harms. - Weitere Wortmeldungen liegen uns nicht vor. Ich schließe damit die Beratung.

Es ist beantragt worden, den mündlichen Bericht der Landesregierung in den Umwelt- und Agrarausschuss zur abschließenden Beratung zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

EU-Strukturförderung

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/318

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Mit dem Antrag wird ein Bericht in dieser Tagung erbeten. Ich darf Sie zunächst bitten, darüber abzustimmen ob dieser Bericht in dieser Tagung gehört werden soll. Ich bitte Sie um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit wird der Bericht in dieser Tagung erbeten.

Ich erteile damit das Wort für die Landesregierung dem Minister für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr, Herrn Dietrich Austermann, und bitte ihn um den Bericht.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion konzentriert sich auf ein für

(Minister Dietrich Austermann)

weite Teile des Landes wichtiges Thema, das Thema Strukturhilfen für strukturschwache Gebiete. Es ist richtig, dass wir über diese Frage diskutieren, weil sie von existenzieller Bedeutung für die Westküste ist, für den nördlichen Landesteil, aber auch für wesentliche Teile der Ostküste bis zur Stadt Lübeck herunter.

Die Situation ist allerdings nicht so, dass man heute feststellen könnte, es sei alles entschieden und wir könnten daraus unsere Konsequenzen ziehen. Das hängt damit zusammen, dass man heute noch nicht genau sagen kann, welche Entscheidung auf EUEbene getroffen wird. Die EU hat sich mehrfach mit dem Thema befasst, wie die Finanzausstattung der Strukturpolitik von 2007 bis 2013 in der finanziellen Vorausschau ablaufen soll. Die Kommission hat dazu den Vorschlag gemacht, 340 Millionen € im Rahmen des Europäischen Sozialfonds und im Rahmen des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung einzustellen. Aus beiden Fonds werden Programme des Landes gespeist. Der Kompromissvorschlag der Luxemburger Ratspräsidentschaft vom Juni ging davon aus, dass der ursprüngliche Betrag auf 306 Millionen € herabgesetzt wird.

Der Gipfel ist, wie sie alle wissen, gescheitert. Die Lage ist nun offen. Manch einer rechnet damit, dass die Ratspräsidentschaft von Großbritannien das Ganze zu einer Lösung führen wird. Möglicherweise passiert das Ganze aber auch erst in der übernächsten, der österreichischen Präsidentschaft, das heißt kurz vor Ablauf der laufenden Förderperiode Ende des Jahres 2006. Meistens - das ist von uns allen zu beklagen - entstehen die Entscheidungen der EU immer erst im letzten Moment in Nachtaktionen. Die Ergebnisse sind gelegentlich entsprechend. Es wäre für die Vorbereitung der zukünftigen EU-Strukturförderprogramme in den Mitgliedstaaten der Region, also auch in Schleswig-Holstein, sehr wichtig, wenn es gelänge, noch in diesem Jahr eine Entscheidung zu treffen. Dies ist sehr wichtig für planerische Entscheidungen, aber auch für die Abwicklung laufender Programme.

Allerdings scheiterte der Rat im Juni. Es gab keine Einigung über den Beitragsrabatt der Briten und die EU-Agrarförderung. Das bedeutet, dass das ganze Problem zunächst verschoben wird.

Die FDP hat gebeten, konkrete Zahlen zu nennen. Das wird im Detail nicht möglich sein, ich kann nur einige Rahmenzahlen nennen. Ich bin über das Interesse des Antragstellers natürlich erfreut. - Wir profitieren in der aktuellen Förderperiode in erheblichem Umfang von der Strukturförderung im Rahmen der bisherigen Ziele 2 und 3. Aus dem EFRE kommen

rund 230 Millionen, aus dem ESF rund 170 Millionen € für Schleswig-Holstein.

Bereits bekannt ist, dass die Kommission die bisherigen Ziele 2 und 3 neu definieren will. Das neue Ziel soll regionale Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung heißen und mehr auf die Wachstumsinitiativen der Lissabon-Strategie abstellen. Das dürfte zur Folge haben, dass 2007 grundsätzlich ganz SchleswigHolstein Fördergebiet wäre.

Das hätte sicher Nachteile, wenn der Kuchen nicht größer, sondern kleiner wird. Wenn aus einem begrenzten Fördergebiet ein größeres Fördergebiet würde, würde das neue Verteilungskämpfe bedeuten. Richtig ist, dass wir uns weiter auf die strukturschwachen Gebiete konzentrieren müssen. Allerdings wird die Förderung eine andere sein, weil wir bei der Förderung in Zukunft mehr auf innovative Projekte achten müssen.

(Beifall)

Die Zusammenlegung von Wissenschafts- und Wirtschaftsressort schafft auch in diesem Zusammenhang gute Möglichkeiten; wir sind für die neue Entwicklung, die die EU vorgibt, gut aufgestellt.

Ich erhoffe mir auch von der neuen Bundesregierung Rückenwind. Die bisherige Bundesregierung hat dafür plädiert, die EU-Strukturförderung auf die bedürftigsten Regionen der Ziel-1-Gebiete zu konzentrieren. Das lässt manche Merkwürdigkeit zu. Zum Beispiel könnte ein neues Fördergebiet der gesamte Raum des ehemaligen Regierungsbezirks Lüneburg werden, ein Gebiet, das von Cuxhaven bis Lüchow-Dannenberg und bis zum Raum Wolfsburg reicht.

Davon auszugehen, dass dieser Hamburger Nachbarbereich, das nördliche Niedersachsen insgesamt wie die neuen Bundesländer strukturschwaches Gebiet ist, halte ich für völlig abwegig. Ich gehe davon aus, dass wir uns gemeinsam dagegen wehren müssen, dass hier eine Förderlandschaft geschaffen wird, bei der Schleswig-Holstein und Hamburg praktisch eine Insel sind, die weitgehend auf sich selbst angewiesen sind, während bei einem Übermaß an Förderung in anderen Bereichen die Gefahr besteht, dass sich viele Betriebe aus Schleswig-Holstein abwenden könnten.

Beim Außenministerrat am 27. Oktober in Hampton Court gab es erste Anzeichen dafür, dass man zu neuen Ergebnissen kommen wird.

Wir haben als Landesregierung verschiedene Bemühungen unternommen. Es gab ein gemeinsames Schreiben mit dem Kollegen Döring, der als Europaminister zuständig ist. Es gab Aktivitäten des Ministerpräsidenten.

(Minister Dietrich Austermann)

Ich habe gestern ein Antwortschreiben der Bundesregierung bekommen, in dem es heißt, es seien bisher keine einzelnen Überlegungen bekannt. Das letzte von der britischen Ratspräsidentschaft vorgelegte Diskussionspapier vom 28. Oktober 2005 lasse keine Absicht erkennen, dass man einen Vorschlag zur Mittelübertragung vorlegen wolle. Sollte dies wider Erwarten doch geschehen, werde die Bundesregierung hierzu im Benehmen mit den Ländern eine Position entwickeln und dabei auch die von ihnen genannten Argumente berücksichtigen.

Wir befinden uns hier in einer Zwischenphase. Es ist notwendig, unsere Position weiter mit Nachdruck deutlich zu machen, wie wir das für die Regierung getan haben und der Landtag im Anschluss daran sicher auch.

(Beifall bei CDU und SPD)

Ich danke Herrn Minister Dietrich Austermann. - Ich eröffne die Aussprache und erteile für die antragstellende Fraktion Herrn Abgeordneten Dr. Heiner Garg das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wirtschaftsminister! Ich muss akzeptieren, dass Sie heute von dieser Stelle nicht sagen können, wie die Landesregierung denkt, Vorsorge zu treffen, weil eine der wichtigsten finanziellen Quellen ab 2007 aller Wahrscheinlichkeit nach deutlich geringer sprudeln wird. Ich erwarte dann allerdings, dass Sie den Wirtschaftsausschuss rechtzeitig darüber informieren, welche Vorsorge Sie zu treffen gedenken, wenn in Zukunft entsprechende Mittel auch für Projekte ausfallen, die Sie beispielsweise aus dem Schleswig-Holstein-Fonds finanzieren wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie geht es denn mit der EU-Strukturförderung weiter? Große Teile dieses Geldes werden in Zukunft stärker in Mitgliedstaaten fließen, in denen Wirtschaftskraft und Wohlstand weit unter dem Durchschnitt der EU liegen. Noch gehört Deutschland Gott sei Dank nicht zu dieser Gruppe. Noch nicht, denn offensichtlich ist die sich anbahnende große Koalition im Bund entschlossen, den Weg dorthin zügig fortzusetzen, wenn man sich die Programme zur Steuererhöhung und all das, was da offensichtlich beschlossen werden soll, anguckt.

Die EU-Strukturförderung soll helfen, in allen Mitgliedstaaten der Union ähnliche materielle Le

benschancen zu erreichen. Selbstverständlich soll dies geschehen, indem den ärmeren Regionen geholfen wird, zu den reicheren aufzuschließen. Europäischbürokratisch heißt das Konvergenz. Ich möchte Ihnen nur einen Hinweis darauf geben, vor welcher Herausforderung wir als Europäer stehen.

In den osteuropäischen Beitrittsstaaten betrug im Jahr 2000 der durchschnittliche Nettolohn einer Facharbeiterfamilie mit einem Verdiener und zwei Kindern ungefähr 320 € pro Monat. Allein die deutsche Sozialhilfe für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern betrug 1.508 €. Das deutsche materielle Existenzminimum - der faktische deutsche Mindestlohn - war also viermal so hoch wie der Durchschnittslohn in den osteuropäischen Beitrittsstaaten.

Würde diese Wohlstandslücke jährlich um 2 % kleiner, so dauerte es 35 Jahre, bis die Hälfte dieser Lücke geschlossen wäre. Leider zeigen mittel- und langfristige Untersuchungen allerdings, dass sich solche Lücken in der EU langsamer schließen, ungefähr mit 1 % pro Jahr. Dann dauert es rechnerisch unter den sonst gleichen Bedingungen ungefähr 70 Jahre, bis die Wohlstandslücke auch nur zur Hälfte geschlossen wäre. Vor diesem Hintergrund müssen sich verantwortungsvolle Politiker selbstverständlich fragen, ob und wie die Union Konvergenz optimal beeinflussen kann.

Was auch immer dabei herauskommt, eines ist jedenfalls aus unserer Sicht klar: Die reicheren EU-Staaten werden weniger bekommen, vermutlich auch die ärmeren Regionen in diesen reicheren Staaten, also beispielsweise Schleswig-Holstein. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorschlag der britischen EUPräsidentschaft zu sehen, 57 Milliarden € von einer Wachstumsinitiative - genannt Strukturförderung - in eine andere Wachstumsinitiative umzuschichten. Für Schleswig-Holstein würden dann nach öffentlichen Bekundungen des Europaministers ab 2007 bis zu 250 Millionen € EU-Fördermittel ausfallen.

Wie viel Geld Schleswig-Holstein wofür aus der neuen Initiative erhielte, wissen wir heute noch nicht. Tony Blair ist bereits bei sich zu Hause zur „lame duck“ geworden, in Europa wird er vermutlich noch weniger bewegen. Aber - und ein großes Aber - das alles ändert nichts daran, dass die Europäische Union spätestens ab 2007 weniger Strukturfördermittel für das alte, das so genannte reichen Europa ausgeben wird.

Es wäre verantwortungslos, wenn die Landesregierung genau davor die Augen verschlösse. Deshalb wollen wir wissen, wie Sie sich ganz konkret auf das

(Dr. Heiner Garg)

weniger werdende Geld aus Brüssel vorbereiten, Herr Minister Austermann.

(Beifall bei FDP und SSW)

Der Finanzminister schätzt, dass 8 % der Nettoausgaben im Landeshaushalt kurzfristig politisch beeinflussbar sind, wobei die komplett auf Pump finanziert werden. 20 % des Landeshaushaltes sind auf Pump finanziert. In der üblichen Übersicht im Haushaltsplan beziffert er die EU-Mittel für 2006 auf 129 Millionen €.

Herr Wirtschaftsminister, ich frage Sie noch einmal: Wie bereiten Sie sich darauf vor, dass dieser Quell in Zukunft deutlich weniger sprudeln wird? Sie haben hier und heute keine Antwort darauf gegeben. Ich muss hinnehmen, dass Sie das weder beziffern können noch dass Sie vorgetragen haben, welche konkreten Vorsorgemaßnahmen Sie zu treffen gedenken.

Ich erwarte von Ihnen, dass Sie den Wirtschaftsausschuss zügig unterrichten, wie Sie in Zukunft gedenken, Ihre Projekte zu finanzieren, von denen Sie zahlreiche in Ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben haben.

Ich freue mich auf eine intensive, vielleicht auch etwas strittige Diskussion darüber im Wirtschaftsausschuss.

(Beifall bei der FDP)

Für die CDU-Fraktion erteile ich dem Herrn Kollegen Manfred Ritzek das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist richtig, was der Minister sagt, und auch Sie, Herr Garg, haben das ausgedrückt: Alle konkreten Zahlenangaben zum jetzigen Zeitpunkt sind nicht belastbar, weil es noch keinen festgeschriebenen Haushalt für die Jahre 2007 bis 2013 gibt. Damit sind auch alle Auswirkungen für unser Land zurzeit nicht qualifiziert darzustellen.

Tatsache ist, dass der jetzige EU-Ratspräsident Tony Blair trotz königlicher Kulisse von Hampton Court Castle nichts über den Haushalt 2007 bis 2013 sagte.