Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Harms. Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratungen.

Es ist beantragt worden, den Gesetzentwurf Drucksache 16/435 (neu) federführend dem Innen- und Rechtsausschuss und mitberatend dem Wirtschaftsausschuss, dem Umwelt- und Agrarausschuss und dem Europaausschuss zu überweisen. Wer dem folgen will, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist das so beschlossen.

(Lars Harms)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf:

Mehrwertsteuererhöhung ausschließlich für Senkung der Lohnnebenkosten verwenden

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 16/373

Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und SPD Drucksache 16/444

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für den Antragsteller hat der Herr Abgeordnete Klaus Müller.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Die Frage, ob und wie stark die Mehrwertsteuer angehoben werden soll, hat in den letzten Wochen skurrile Züge angenommen und ich will die Geschichte dieser Debatte anhand der Aussagen des ehemaligen Finanzministers und heutigen Innenministers Ralf Stegner, der jetzt bedauerlicherweise nicht hier ist, nachvollziehen, weil er sich gern laut und deutlich in dieser Frage positioniert hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der vergangenen Legislaturperiode haben Herr Stegner wie die grüne Landtagsfraktion und die SPD-Fraktion und viele kluge Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft und selbst den Gewerkschaften sich für eine stärkere Steuerfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme eingesetzt. Die CDU war damals noch dagegen. In seinem Konzept „Anders steuern, Gemeinwesen stärken“ aus dem März 2004 schrieb er zutreffend: „Die Erhöhung sollte gesetzlich an die Zuführung der Mehreinnahmen an die sozialen Sicherungssysteme gekoppelt werden.“

Im Bundestagswahlkampf entschied sich dann die CDU genau für diesen Weg, die SPD im Bund aber dagegen. Prompt konnten wir im August 2005 in einem Interview von Herrn Stegner lesen: „Was Frau Merkel plant, ist völlig unsinnig. Sie will eine pauschale Mehrwertsteuererhöhung mitten in einer Konjunkturkrise.“

Dann noch die klare Aussage, dass er, Herr Stegner, „mit dem Aufkommen ausschließlich die Lohnnebenkosten“ senken wolle.

Nach der Wahl zeichnete sich die bemerkenswerte Einigung der großen Koalition ab, dass man sich zwischen der CDU-Forderung „plus 2 Prozentpunk

te“ und der SPD-Forderung „Keine Merkelsteuer“ auf plus 3 Prozentpunkte einigte, wobei - und das ist jetzt das Problem - gerade mal 0,6 Prozentpunkte aus dieser Erhöhung zur Absenkung der Lohnnebenkosten verwendet werden sollen.

Bei Herrn Stegner hörte sich das im Oktober dieses Jahres in den „Lübecker Nachrichten“ plötzlich wie folgt an: „Angesichts der dramatischen Haushaltslage in Schleswig-Holstein hätte ich nichts dagegen, wenn eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auch dem Landesetat nutzt.“

Normalerweise kennt man Herrn Stegner als geradlinigen Politiker mit Rückgrat. Ich hätte jetzt wahrscheinlich auch eine Reihe von Zitaten von Herrn Wiegard, Herrn Carstensen oder Herrn Sauter suchen können. Es gibt eine Ausnahme in der Landesregierung, das ist Herr Austermann, der war immer dagegen. Trotzdem ist diese Entwicklung, die wir hier gesehen haben, enttäuschend.

Ich will in diesem Zusammenhang an zwei interessante Studien erinnern. Das DIW hat im März diesen Jahres berechnet, wenn man die Sozialversicherungsbeiträge durch eine höhere Mehrwertssteuer eins zu eins senkt, dass wir zu einem ungefähr 1,4 % höheren Wirtschaftswachstum und einer 1,9 % höheren Beschäftigung kommen könnten. Das DIW prognostiziert sogar 700.000 neue Jobs.

Das Institut der deutschen Wirtschaft, der CDU tendenziell nahestehend, Herr Geerdts, hat im Juni 2005 das Szenario ähnlich der großen Koalition berechnet und kommt zu dramatischen Ergebnissen: Das IW hat einen Anstieg der Mehrwertsteuer auf 20 % unterstellt, hat also 1 Punkt mehr unterstellt und kommt dann auf 1,5 Prozentpunkte weniger BIP und 490.000 mehr Arbeitslose. Dieser Effekt dürfte bei den schwarz-roten Planungen ähnlich sein.

Verehrte Damen und Herren, wenn man die Aussagen im Wahlkampf mit der Koalitionsvereinbarung abgleicht, dann wurde die Bevölkerung selten so heftig getäuscht und hinter das Licht geführt wie in der Frage der Mehrwertsteuererhöhung.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Das, was Sie in Berlin vorhaben, ist ökonomisch fatal. Das, was hier geplant ist, ist kein Glanzstück. Vielmehr werden die steigenden Arbeitslosenzahlen an Ihnen und an der großen Koalition wie Pech und Schwefel kleben, wenn wir 2007 tatsächlich zu diesem Schritt kommen. Herrn Austermann ist ausdrücklich zuzustimmen, wenn er am 13. November

(Vizepräsidentin Ingrid Franzen)

in den „Lübecker Nachrichten“ kritisierte: Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD ist kein Durchbruch für Deutschland. Weiter sagte er: Unter dem Strich schwächt das die Kaufkraft, führt zu mehr Schwarzarbeit und ist eine besondere Belastung für sozial Schwächere. Selten hatte Herr Austermann so Recht wie mit dieser Aussage.

(Beifall beim SSW)

Mit dem Antrag der Grünen wollen wir Ihnen heute die Möglichkeit geben, den Rücken geradezumachen und der Landesregierung einen glasklaren Auftrag zu geben: Die Bundesratsstimmen aus Schleswig-Holstein gibt es nur, wenn 100 % der Mehrwertsteuereinnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Finanzminister, Sie haben im Bundesrat eine starke Stellung. Ohne Schleswig-Holstein verfügen CDU und SPD nur über 32 Stimmen, wenn FDP und PDS konsequent bleiben. Herr Carstensen und Herr Wiegard, Sie können die Fehlentscheidungen des Koalitionsvertrages korrigieren. Ich hoffe, Sie haben den Mut, die Unabhängigkeit und die Stärke dazu. Herr Stegner hat damit schon angefangen. Am 17. November konnte man in der „Chemnitzer Freien Presse“ lesen, dass er mit diesem Koalitionsvertrag ebenfalls unzufrieden sei. Auf der Wirtschaftsministerkonferenz soll dies gestern - womöglich sogar einvernehmlich - so diskutiert worden sein.

Der Antrag von CDU und SPD ist dagegen windelweich. Was ist eine spürbare Senkung? Das ist politischer Wackelpudding. Dann sollten Sie so ehrlich sein und heute nicht beschließen. Deshalb bitte ich angesichts der Debatte im Finanzausschuss vor zwei Wochen heute um sofortige Sachentscheidung und um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich danke dem Herrn Abgeordneten Müller. - Für die CDU-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Frank Sauter das Wort.

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Antragsteller macht zum wiederholten Male die durch die Bundesregierung geplante Erhöhung des Regelsteuersatzes der Mehrwertsteuer von

16 auf 19 % hier im Schleswig-Holsteinischen Landtag zum Thema. Bereits während der letzten Sitzung dieses hohen Hauses im vergangenen Monat führten wir eine Debatte zum Thema Mehrwertsteuererhöhung, als ihre Fraktion, Kollege Müller, einen Umsatzsteuerantrag der FDP nutzte, um einen eigenen Änderungsantrag einzubringen.

Entgegen der im FDP-Antrag behandelten Thematik forderten die Grünen die Landesregierung bereits schon in ihrem Änderungsantrag auf, einer Mehrwertsteuererhöhung nur unter der Bedingung zuzustimmen, dass das zusätzliche Steueraufkommen vollständig zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet wird.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Ich sage Ihnen gleich noch etwas zu meiner Meinung, lieber Kollege Müller, aber Sie müssen auch zwischen den Zeilen lesen. Beide Anträge wurden zur weiteren Beratung an den Finanzausschuss überwiesen. Der Finanzausschuss hat den Änderungsantrag der Grünen in geänderter Fassung mit Mehrheit beschlossen. Wir haben in Ihrem Antrag durchaus sinnvolle Komponenten erkannt, verehrter Kollege. Nach dieser Änderung soll die Landesregierung dieser Erhöhung nur unter der Bedingung zustimmen, dass das zusätzliche Aufkommen spürbar zur Senkung der Lohnnebenkosten verwendet wird.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Was heißt das jetzt?)

- Kollege Kubicki, das heißt, dass es zu einer spürbaren Senkung kommen wird. Das ist eine Form, die man wahrnimmt.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Das setzt natürlich überhaupt eine Wahrnehmungsfähigkeit voraus. Ich freue mich, dass der Antragsteller selber etwas gespürt hat, denn er hat in seiner Antragsbegründung, die wesentlich umfangreicher ist als der Antrag selber, nicht in Abrede gestellt, dass die Bundesregierung diese spürbare Senkung der Lohnnebenkosten auch tatsächlich vornehmen wird.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist zu wenig!)

Deshalb stellen CDU und SPD auch heute einen Änderungsantrag, der nahezu deckungsgleich mit dem noch nicht einmal drei Wochen alten Votum des Finanzausschusses ist.

(Klaus Müller)

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Liebe Kollege Müller hiernach fordert der Landtag die Landesregierung auf, einer Erhöhung der Mehrwertsteuer im Bundesrat nur zuzustimmen, soweit zugleich eine spürbare Senkung der Lohnnebenkosten erfolgt. Ich gebe zu, dass der Erkenntnisgewinn aus der heutigen Mehrwertsteuerdebatte nicht besonders hoch ist. Das spürt natürlich auch der Kollege Müller als Wiederholungsantragssteller.

(Thomas Stritzl [CDU]: Wiederholungstä- ter!)

Ihm geht es bei seinen parlamentarischen Initiativen offenbar weniger darum, die Landesregierung auf ein bestimmtes politisches Handeln festzulegen. Vielmehr möchte er uns seine heimliche Freude darüber mitteilen, dass sich die Bundestagswahlprogramme von SPD und CDU im Bereich der Steuerpolitik - und hier natürlich insbesondere im Bereich der Mehrwertsteuer - von den Inhalten des nun in Berlin geschlossenen Koalitionsvertrages unterscheiden.

(Klaus Müller [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das sollen die Menschen wissen!)

Wie sollte es auch anders sein bei ursprünglich entgegengesetzten inhaltlichen Festlegungen der Parteien und einem Bundestagswahlergebnis, das zwei nahezu gleich starke Koalitionspartner hervorgebracht hat? Der Antragsteller hat mit seiner Feststellung aber Recht, dass es im Schleswig-Holsteinischen Landtag eine breite Mehrheit dafür gibt, Lohnnebenkosten stärker über Steuern zu finanzieren. Das gilt auch für die Sozialdemokraten, die ja lediglich während der Dauer des Bundestagswahlkampfes gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer eingetreten sind. Ich glaube, für beide Regierungsfraktionen sprechen zu können, wenn ich sage, dass wir erwarten, dass die Senkung der Lohnnebenkosten höher ausfallen soll, als dies bisher geplant ist.

(Beifall bei der SPD - Klaus Müller [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Mann, ein Wort!)

- Herr Müller, das, was Sie jetzt beklatschen, ist das, was wir fordern, nämlich die spürbare Senkung der Lohnnebenkosten. Sie soll spürbarer sein, als sie es im Moment ist. Das werden wir unterstützen. Beide politischen Schwerpunkte - die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und übrigens auch des Schleswig-Holsteinischen Haushaltes und die spürbare Senkung der Lohnnebenkosten - sind

Maßnahmen, die unser Land wieder auf einen Zukunftskurs bringen werden.