Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

Ich bitte Sie, Rudolf Titzck ein kurzes Gebet zum Gedenken zu widmen.

Meine Damen und Herren, Sie haben sich zum Gedenken an den Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Gemeinsame Beratung

a) Planungen zur Struktur der Gerichte in Schleswig-Holstein

Landtagsbeschluss vom 17. Juni 2005 Drucksache 16/123

Bericht der Landesregierung Drucksache 16/342 (neu)

b) Reformbedarf bei Amtsgerichten

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/303

Bericht und Beschlussempfehlung des Innen- und Rechtsausschusses Drucksache 16/412

Antrag der Fraktion der FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 16/461 (neu)

Ich erteile zunächst dem Berichterstatter des Innenund Rechtsausschusses, Herrn Abgeordneten Werner Kalinka, das Wort.

Herr Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Landtag hat den Bericht der Landesregierung, Drucksache 16/342 (neu), und den Antrag der Fraktion der FDP, Drucksache 16/303, durch Plenarbeschluss vom 11. November 2005 dem Innen- und Rechtsausschuss überwiesen. Der Ausschuss hat sich mit dem Bericht der Landesregierung in seiner Sitzung am 16. November und mit dem Antrag der Fraktion der FDP am 7. Dezember 2005 beschäftigt. Er empfiehlt dem Landtag bei Stimmenthaltungen von FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Bericht der Landesregierung betreffend Planungen der Struktur der Gerichte in Schleswig-Holstein, Drucksache 16/342 (neu), zur Kenntnis zu nehmen. Den Antrag der Fraktion der FDP betref

(Vizepräsidentin Frauke Tengler)

fend Reformbedarf bei Amtsgerichten, Drucksache 16/303, empfiehlt er dem Landtag einstimmig zur Annahme.

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wortmeldungen zum Bericht sehe ich nicht. Dann darf ich darauf hinweisen, dass mit der Drucksache 16/303 ein Berichtsantrag zur November-Tagung vorgelegen hat. Soll der Bericht in dieser Sitzung gegeben werden?

(Zuruf: Ja!)

Dies ist der Fall. Dann lasse ich über den Berichtsantrag mit der Maßgabe der Berichterstattung in dieser Sitzung abstimmen. Bei Annahme würde ich das Wort dem Herrn Minister Döring erteilen.

Wer dem Berichtsantrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag einstimmig angenommen.

Ich erteile das Wort dem Minister für Justiz, Arbeit und Europa, Herrn Uwe Döring. - Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu später Stunde noch ein vergleichsweise emotionsloses Thema gegenüber dem, was wir vorher gehört haben! Wir haben einerseits einen Bericht vorliegen aus der November-Tagung. Das war auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Ich habe dem Innen- und Rechtsausschuss ein Konzept für eine Strukturreform der Amtsgerichte vorgelegt, der als Umdruck vorliegt. Ich hoffe, dass dieser vorliegende Umdruck als Bericht aufgefasst wird, auch wenn er eine Drucksachennummer haben müsste. Ich hoffe, das ist im Sinne des Parlaments und wird so akzeptiert.

Meine Damen und Herren, starke unabhängige Gerichte sind ein Grundpfeiler unseres Rechtsstaates. Die Amtsgerichte sind dabei für unser Gemeinwesen besonders wichtig. Als Justizminister sehe ich mich in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass unsere Amtsgerichte ihre Aufgaben auch in Zukunft erfüllen können. Mein Ministerium hat deshalb ein Konzepte für eine auch in den nächsten Jahrzehnten tragfähige Amtsgerichtsstruktur entwickelt.

Wir sind davon überzeugt, dass es richtig ist, die Zahl der Amtsgerichte zu verringern, dass es eben richtig ist, fünf der vorhandenen Amtsgerichte aufzulösen, damit etwas weniger, als mein erster Vorschlag im August vorgesehen hatte. Dies ist eine Folge der Haushaltsmittel, die zur Verfügung stehen, und der entsprechenden Ressourcen.

Meine Redezeit ist leider gemessen am Thema relativ kurz, deswegen will ich mich auf die wichtigsten Kriterien beschränken. Wir sind davon überzeugt, dass Amtsgerichte Mindestgrößen brauchen, um die Spezialisierung der Richter zu gewährleisten, um Vertretungen zu erleichtern und die Einführung neuer Steuerungselemente zu ermöglichen sowie eine weitere Professionalisierung. Schließlich sollen sie weiterhin Bürgernähe garantieren. Nur wenn dies erfüllt ist, haben wir auch in Zukunft eine entsprechend gute Amtsgerichtsstruktur. Weiter ist darauf zu achten, dass das Ganze insgesamt wirtschaftlich ist. Ich bin davon überzeugt, dass das gelungen ist.

Meine Damen und Herren, ich meine, das vorliegende Konzept trägt diesen Kriterien in bestmöglichem Umfang Rechnung. Das ist ein erster guter Aufschlag für eine Strukturreform, die sich die Landesregierung vorgenommen hat. Solche Reformen erfreuen sich natürlich nie besonderer Beliebtheit, und ich verstehe hier auch den Unmut der Betroffenen in Bad Schwartau, Bad Oldesloe, Geesthacht, Kappeln und Mölln. Ich verstehe auch, dass die betroffenen Wahlkreispolitiker an dieser Stelle nicht hurra rufen können. Ich war auch einmal in einer ähnlichen Situation; das kenne ich. Die anderen Kritiker verstehe ich weniger. Den einen gehen die Reformen nicht weit genug. Da bitte ich zu erklären, woher wir denn das Geld bekommen können für weitere Gerichtsneubauten. Andere würden gerne alles beim Alten lassen. Sie halten die unregelmäßige und oft sehr kleinteilige Gerichtsstruktur offensichtlich für das Non plus Ultra, das man nicht verbessern kann. Oder Sie wollen alle möglichen Verwaltungs- und Justizreformen abwarten und meinen, wir könnten das auf den Sankt-Nimmerleins-Tag schieben, wie das ja in der Vergangenheit auch immer geschehen ist.

Meine Damen und Herren, ich habe mich in der Diskussion im Innen- und Rechtsausschuss etwas gewundert - darüber haben wir uns ja schon ausgetauscht –, dass wir unterschiedlicher Auffassung sind darüber, ob Amtsgerichte aus strukturpolitischen Gründen erhalten bleiben müssen. Dann könnte man sich vielleicht sogar darüber unterhalten, dass wir noch mehr Amtsgerichte brauchen, um

(Werner Kalinka)

die Strukturen zu stärken. Ich bin der Auffassung, dieses Argument trägt an dieser Stelle nicht. Sie sollten möglichst gleichmäßig auf die Region verteilt sein, um entsprechend den fachlichen Gesichtspunkten gerecht zu werden.

Über Kappeln haben wir ausführlich diskutiert und werden wir im Ausschuss weiter diskutieren. Es ist das kleinste Amtsgericht und aus den Gründen, die wir kennen, ist nicht erkennbar, warum ausgerechnet dieses Gericht erhalten bleiben sollte. Dann hätten wir Probleme mit der Begründung bei allen anderen und würden die gesamte Struktur infrage stellen. Das ist aber ein Punkt, über den wir sicherlich noch diskutieren werden, wenn die Gesetzentwürfe vorliegen.

Meine Damen und Herren, die optimale Gerichtsstruktur gibt es natürlich nicht. Deswegen werden wir uns immer streiten, welches die richtigen Größen sind, wo die Grenzen liegen. Wir sind davon überzeugt, dass unsere Kriterien sachgerecht sind.

Wir haben eine lange Liste von Kriterien von den Grünen vorgelegt bekommen in einer Pressemitteilung. Die fand ich sehr interessant. Ich kannte sie allerdings, weil sie sich auch in meinen Akten befindet. Insofern gibt es Kontinuität, Frau Lütkes. Das ist nicht schlimm, nur wenn man das anhand dieser Liste nachprüft, werden Sie auf dieselben fünf Gerichte kommen, die ich Ihnen vorschlage. Ich bin davon überzeugt, dass Sie letztlich alle zu diesem Ergebnis kommen werden, denn Sie haben sie ja zum Teil benutzt. Vielen Dank für die Vorarbeit.

(Zuruf der Abgeordneten Anne Lütkes [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

- Frau Lütkes, der Unterschied ist nur, wir haben festgestellt, es war kein Erkenntnismangel, sondern es war ein Handlungsmangel.

(Heiterkeit und Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Das ist das, was die große Koalition auch an vielen anderen Punkten aufzulösen versucht. Der Erkenntnisstand war vorhanden, aber es wurde nicht gehandelt. Das ist jetzt anders. Ich wage auch die Prognose, Sie werden im Endeffekt unseren Vorschlägen folgen.

Lassen Sie mich zusammenfassend zu dem Konzept sagen, das tägliche Leben gibt das an anderer Stelle auch her: Manchmal ist weniger mehr.

(Beifall bei SPD und CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. Ich rufe alle Punkte zur gemeinsamen Beratung auf. Da der Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der älteste Antrag ist - mit der Drucksachennummer 16/123 - erteile ich das Wort zunächst für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deren Fraktionsvorsitzenden, der Frau Abgeordneten Anne Lütkes.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich kann mich beim Thema Amtsgerichtsstruktur immer noch echauffieren. Das ist so, ich sehe es nicht nur als ein sachliches Thema, sondern als eines, das mir nach wie vor am Herzen liegt. Ihren Dank für die Vorarbeit möchte ich einfach in die letzte Reihe zurückgeben, denn ich kann wahrlich nicht behaupten, dass ich die Vorarbeit gemacht habe. Ich habe sicherlich einiges dafür getan, dass das Haus die Gerichtsstruktur in diesem Land sehr intensiv analysiert hat, und das, wie ich glaube, ziemlich gut.

Die Wiederholung macht es nicht besser, aber in der Debatte um die Gerichtsstruktur kommt dann immer wieder die Bemerkung, die Grünen hätten es machen können, warum hat sie es denn nicht gemacht, nachdem sie so viel Material hatte. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich dieses platte Schließen von Amtsgerichten für falsch erachte. Es ist der falsche Weg, Gerichte einfach mal so zu schließen. Das habe ich nicht gewollt und das will ich persönlich auch heute noch nicht, egal, in welcher Position ich über diese Frage rede. Die Gerichtsstruktur der Zukunft macht sich eben nicht nur an der Zahl der Richter und nicht nur an der Zahl der gesparten Quadratmeter in den Gerichten fest.

Sie sagen, weniger ist manchmal mehr: Der erste Bericht war doch recht wenig. Ich habe im Ausschuss gesagt, er war quasi ein Nullum, was die Amtsgerichte anging. An dem Punkt wäre bei aller Vorarbeit mehr Sorgfalt angebracht gewesen. In der Darlegung dessen, was möglich ist, hätte ich es begrüßt, wenn Sie sich beispielsweise mit den Konzentrationsmöglichkeiten auseinander gesetzt hätten, wenn Sie sich auseinander gesetzt hätten mit veränderter Präsidialstruktur. Sie haben in der Vergangenheit - und ich weiß, dass Sie es immer noch intensiv tun könnten - mit den Praktikern über die Strukturreform der Gerichte diskutiert.

Die „Zukunftswerkstatt“ hat sich vor einigen Jahren sehr intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt. Es hat mehrere Arbeitsgruppen dazu gegeben,

(Minister Uwe Döring)

die auch sehr konkrete Vorschläge gemacht haben, die eben nicht nur das Schließen, sondern beispielsweise auch die Bündelung von Aufgaben bei kleinen oder als zu klein erkannten Gerichten benannt haben. Es gab auch, was ich persönlich sehr wesentlich finde, den Punkt der Neustrukturierung von Justizverwaltung, also die Wegnahme von mittleren Aufgaben an übergeordnete Landgerichte. Das ist durchaus zulässig und nicht nur Teil einer irgendwann einmal zu gebenden großen Justizreform.

Ein weiteres Beispiel, wo ich einfach enttäuscht bin über das, was Sie vorlegen, ist das Umgehen mit dem möglicherweise nächstes Jahr wirklich werdenden Großen Familiengericht. Das Große Familiengericht ist ja nicht aus Jux und Tollerei auf die Tagesordnung gesetzt worden. Der Gedanke ist in Schleswig-Holstein entwickelt worden, zum Beispiel unter guter Mitarbeit des Oberlandesgerichts Schleswig. Wenn Sie sagen, es habe keinen Einfluss auf die Struktur eines Amtsgerichts, so ist das - ich möchte das vorsichtig ausdrücken - rechtsund wirklichkeitsfern, denn diese Struktur zusammen mit den Möglichkeiten der Konzentration führt notwendig zu einer anderen Bündelung von Aufgaben und einer anderen Struktur im Verhältnis zwischen Amtsgericht und Landgericht. Der schlichte Hinweis, das werde wohl nicht so viel sein, denn so viel Vormundschaftssachen haben wir in Schleswig-Holstein nicht, der ist ein wenig fahrlässig und zu kurz gesprungen. Wir haben das im Ausschuss angedeutet.

Ich bin der Auffassung, dass alle vorgelegten Berichte nicht in der Lage sind, eine Grundlage für eine zukunftsfähige Justizreform, die den Namen verdient, zu sein. Es ist in diesem Sinne keine echte Reform. Es ist ein Schließen, das dazu führen wird, dass sich die Gerichte zunächst mit sich selbst zu beschäftigen haben und dass sie planen, wie es weitergeht. Das wird die geordnete Rechtsprechung auf Dauer nicht gefährden, aber Sie wirbeln alles ohne Not durcheinander. Ich habe es neulich schon gesagt: Die Begründung dafür ist, dass dies im Koalitionsvertrag steht. Sonst drängt es sich von nirgendwoher auf. Die geordnete Rechtsprechung wird nicht auf Jahre verhindert, aber für die nächsten Jahre durchaus etwas reduziert.

Der Bericht ist - ich wiederhole es - keine Basis für aktives Handeln. Ich bin sehr gespannt darauf, wie Sie das Gesetz tatsächlich begründen wollen. Ich darf daran erinnern, dass sich unser Berichtsantrag nicht nur auf die Amtsgerichte bezog, sondern auch auf die gesamte Gerichtsstruktur. Dankenswerter

weise wird angedeutet, dass nun endlich auch von Ihrer Seite ein Landesverfassungsgericht wünschenswert sei. Ich habe es im Übrigen in diesem Lande nie verstanden, warum sich eine Mehrheit den Luxus des Gangs nach Karlsruhe leistete. Das ist das einzige Land, das bis heute kein Landesverfassungsgericht hat. Insofern haben wir einen Antrag für die Januar-Tagung gestellt. Die SPD sieht das auch so.

Ich komme zum Schluss. Die Struktur der Fachgerichte sollte eine eigene Debatte wert sein und nicht in einem Nebensatz geschehen. Zum Antrag von SSW und FDP sage ich: Ich teile die Kritik, dass hier keine strukturpolitischen Erwägungen Eingang gefunden haben. Ich meine aber, dass man in der jetzigen Zeit kein einzelnes Amtsgericht herausgreifen kann. Ich schlage vor, diesen Antrag an den Ausschuss zu überweisen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Kollegen Thomas Stritzl das Wort. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.