Protokoll der Sitzung vom 16.12.2005

Für die Fraktion der CDU erteile ich dem Kollegen Thomas Stritzl das Wort. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Steigerung der Leistungsfähigkeit der Amtsgerichte in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen, ist - so glaube ich - ein guter Ansatz, den die Landesregierung und der Minister gefunden haben. Ich glaube, es ist richtig, die Prämissen nach Effizienz, Leistungsfähigkeit und Bürgernähe zu setzen. Das sind ebenfalls wichtige Elemente dieser Diskussion. Insofern handelt es sich auch bei dem Konzeptionsentwurf in Berichtsform für die Amtsgerichtsstrukturreform durch die Landesregierung um einen guten Entwurf.

Dass es darüber hinaus aber bei der Überarbeitung im Vergleich zum Ursprungsentwurf noch zusätzlich gelungen ist, durch Wirtschaftlichkeitsberechnungen nachzuweisen, dass auch wirtschaftliche Entlastungseffekte für den Landeshaushalt zu erwarten sind, ist ein weiteres positives Element. Gleichwohl werden wir in der anstehenden parlamentarischen Beratung nach Vorlage des Gesetzentwurfs - ähnlich wie im Antrag von der FDP gefordert - noch einmal vertieft über regionalpolitische Aspekte diskutieren. Wir müssen uns auch Folgewirkungen, wie sie zum Beispiel durch die geplante Schließung des Amtsgerichts Bad Schwartau im Raum Lübeck zu erwarten sind, vergegen

(Anne Lütkes)

wärtigen. Auch dies bedarf sicherlich noch einmal der vertiefenden parlamentarischen Besprechung und Koordinierung, beziehungsweise auch der entsprechenden Beschlussfindung.

Die Grundlage findet sich auch in der Koalitionsvereinbarung. Insofern wird die CDU-Landtagsfraktion in diesem Sinne die Amtsgerichtsstrukturreform in der parlamentarischen Diskussion entsprechend konsequent und konstruktiv, aber eben auch kritisch begleiten. Das Für und Wider haben Sie angesprochen. Natürlich kann man auf der einen Seite sagen, regionalpolitische Aspekte können nicht der allein ausschlaggebende Faktor sein. Das ist völlig richtig. Damit machen Sie praktisch jede Reform bewegungsunfähig. Auf der anderen Seite muss man auch erkennen, dass es natürlich auch nach dieser Amtsgerichtsstrukturreform noch Gerichte geben wird, die auch regionalpolitisch begründet weniger als die acht Richterstellen vorhalten können. Darüber müssen wir ganz vernünftig miteinander reden. Wir müssen auch darüber sprechen, was im Bereich Lübeck nach der Schließung des Gerichts in Bad Schwartau eventuell räumlich für eine Funktion in der Gerichtsbarkeit notwendig ist. Ich finde, es ist vernünftig, das miteinander zu beschließen und darüber zu beraten.

Frau Kollegin Lütkes, zum Schluss noch eines: Ich meine es nicht persönlich, aber ich finde, dass ein Minister, der handelt, Respekt wert ist. Er weiß, dass er sich damit vor Ort nicht jede Beliebtheitsmedaille erwerben kann. Wenn man aber etwas verändern will, dann muss man handeln. Das Reden darüber ist ehrenhaft. Es muss aber letztlich das politische Ziel sein, zu Veränderungen zu kommen. In diesem Sinne werden wir den entsprechenden Weg parlamentarisch konstruktiv kritisch begleiten.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD erteile ich dem Kollegen Klaus-Peter Puls das Wort. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Justizminister hat im August einen Vorschlag zur Reform der Amtsgerichtsstruktur in Schleswig-Holstein vorgelegt, der vorrangig unter justizfachlichen Gesichtspunkten darauf ausgerichtet war, die Leistungsstärke unserer Amtsgerichte für die Zukunft zu sichern und auszubauen. Der Vorschlag geht davon aus, dass nicht zuletzt die wachsende Ver

rechtlichung in Staat und Gesellschaft eine zunehmende fachliche Spezialisierung des richterlichen und des nicht richterlichen Personals erfordert und dass mindestens in vier Kerngebieten amtsgerichtlicher Tätigkeit, nämlich Zivilrecht, Familienrecht, Strafrecht und freiwillige Gerichtsbarkeit, ständig Vertretung des Fachpersonals gewährleistet sein muss.

In sehr kleinen Amtsgerichten können diese Voraussetzungen nicht immer vollständig erfüllt werden. Der Minister kommt für eine optimale Erfüllung der Kernaufgaben zu einer anzustrebenden Amtsgerichtsgröße von mindestens acht Richterinnen, beziehungsweise Richtern und einer Gesamtbeschäftigtenzahl von 67. Er hat eben noch einmal darauf hingewiesen. Im Ergebnis endete der Vorschlag des Ministers im August damit, kurz- bis mittelfristig - in einem Fall längerfristig - insgesamt sieben der vorhandenen 27 Amtsgerichte in Schleswig-Holstein zu schließen.

Zu seinen Vorschlägen hat der Minister ein breit angelegtes Anhörungs- und Beteiligungsverfahren durchgeführt. Die Gelegenheit zur Stellungnahme wurde wahrgenommen und intensiv genutzt, und zwar von Land- und Amtsgerichtspräsidenten und –direktoren, von Landräten und Bürgermeistern betroffener Kreise, Städte, Ämter und Gemeinden, von Gerichtspersonalvertretungen und Gewerkschaften und von Rechtsanwalts- und Notarkammern sowie von sonstigen Interessenverbänden und Einzelpersonen.

Nach Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen modifizierte der Justizminister seinen Ursprungsvorschlag und die Landesregierung kam insbesondere und auch aufgrund einer ergänzend durchgeführten konkreten Wirtschaftlichkeitsberechnung zu dem Ergebnis, dass die Konzentration auf jeweils nur einen Amtsgerichtsstandort in den Kreisen Stormarn und Lauenburg wegen erforderlicher An–, Um- und Neubaumaßnahmen an den dann zentralen Aufnahmestandorten Ahrensburg und Schwarzenbek die Reform insgesamt unwirtschaftlich machen würde. Nach dem nunmehr vorgelegten Konzept der Landesregierung sollen in Schleswig-Holstein nicht mehr sieben, sondern nur noch fünf Amtsgerichte aufgehoben werden.

Gerichtsneubauten werden nicht mehr erforderlich sein. Durch kleinere und mittlere Umbaumaßnahmen und die Ausnutzung vorhandener Raumreserven wird es möglich sein, 5.542 qm Gesamtnutzfläche einzusparen. Der durch die Einsparung von Mieten und Unterhaltungskosten zu erwirtschaften

(Thomas Stritzl)

de Wert beträgt laut Vorlage der Regierung 3,5 Millionen €.

Eine unwirtschaftliche und erhebliche Investitionskosten verursachende Amtsgerichtsstrukturreform wäre aus Sicht der SPD-Landtagsfraktion angesichts chronischer Ebbe in allen öffentlichen Kassen nicht vertretbar. Wir unterstützen eine Strukturreform, mit der es gelingt, die Leistungsstärke unserer Amtsgerichte zu optimieren, ohne die öffentlichen Haushalte zu strapazieren.

Ich schlage zum Abstimmungsverfahren vor, dass wir die Drucksache 16/342 (neu) und den im Innenund Rechtsausschuss vorgelegten Umdruck 16/452 als Bericht der Landesregierung zur Kenntnis nehmen. Ich gehe davon aus, dass die FDP sodann ihren Berichtsantrag, Drucksache 16/303, für erledigt erklärt. Ich beantrage, den gemeinsamen Antrag von FDP und SSW in Sachen Kappeln, Drucksache 16/461 (neu), an den zuständigen Innen- und Rechtsausschuss zu überweisen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der FDP erteile ich dem Herrn Oppositionsführer und Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Kubicki das Wort. - Herr Oppositionsführer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Minister, ich bin immer wieder begeistert darüber, wie es Ihnen gelingt, den Eindruck zu erwecken, als seien Sie komplett neu in die Regierung eingetreten und als hätte es in der letzten Legislaturperiode keine Regierung aus SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gegeben, und zwar beziehe ich das auf die Angriffe auf die Grünen. Auch die Sozialdemokraten haben offensichtlich keinen Ansatz zum Handeln gesehen. Insofern ist der Vorwurf an die Kollegin Lütkes nur ein halber. Sie haben in der Pressemitteilung zu dem heutigen Bericht einen einzigen Satz gesagt, den ich sehr souverän fand. Dieser Satz lautet: Weniger ist manchmal mehr. Ohne persönlich werden zu wollen: Das kann für Sie und alle anderen auch gelten, und zwar in der Frage, ob weniger Schließungen nicht auch mehr sein können.

(Beifall bei der FDP)

Angesprochen auf die Reform der Struktur der Amtsgerichte als erste große Reform der großen Koalition erklärte der Herr Minister am 24.08.2005

im „Hamburger Abendblatt“: „Das machen wir mal zum Üben.“ - Das ist auch ein schöner Satz.

Nun, Herr Minister, bei all Ihrem Fortbildungsbedarf, was Reformen angeht, ist eine Reform der Amtsgerichte aus meiner Sicht zu schade, als Versuchskaninchen herzuhalten.

Eines muss man aber zugestehen: Bei einem konkreten Blick auf die Reform springt klar ins Auge, dass die große Koalitionsregierung noch beim Üben war und auch noch viel zu lernen hat.

Ähnlich wie bei der Verwaltungsstrukturreform zäumt die Landesregierung nach meiner Auffassung das Pferd von hinten auf. Denn auch bei der Amtsgerichtsstrukturreform gilt Folgendes: Grundlage aller Reformen muss eine Bestands- und Defizitanalyse mit entsprechender Evaluation sein. Die aber liegt uns bis zum heutigen Tag nicht vor.

Immer wieder heißt es in den Berichten und Stellungnahmen des Justizministeriums, dass eine größere Spezialisierung und durch die zunehmende Verrechtlichung der Lebensverhältnisse eine andere Struktur der Amtsgerichte notwendig werden. Dies sind bisher wohlklingende Behauptungen.

Gleichzeitig erklärte das Ministerium wieder gebetsmühlenartig, es sei nicht Ziel der Reform, weniger effiziente Amtsgerichte zu schließen. Im Übrigen, so das Ministerium, leisteten die heutigen Amtsgerichte durch die Bank effiziente Arbeit von hoher Qualität.

Aber wie kommt man dann zu der Auffassung, dass die heutigen Amtsgerichte die Arbeit nicht auch künftig in dieser Weise wahrnehmen werden? Wo sind hier die von vielen Fachleuten geforderten rechtstatsächlichen Untersuchungen? Bis heute herrscht in diesem Punkt Fehlanzeige. Wie Sie sehen, gibt es hier noch viel Raum zum Üben.

Was wir aber kennen, ist die wirtschaftliche Seite. Da entstehen zunächst, Kollege Wadephul, erhebliche Mehrkosten in den Jahren 2007 und 2008 in Höhe von cirka 3,5 Millionen € durch noch abzuwickelnde Mietverträge, Umzugskosten und Anbeziehungsweise Ausbauten bei den aufnehmenden Gerichten. Ab 2011 sollen dann aber jährliche Einsparungen in Höhe von über 800.000 € erwirtschaftet werden. Ich drücke es einmal so aus: Aus unserer Sicht bestehen begründete Zweifel daran, dass sich diese Berechnung so trägt, wie es sich das Ministerium vorstellt.

Das Ministerium will mittelbis langfristig 5.542 m2 Nutzfläche und damit Bewirtschaftungskosten einsparen. Insgesamt würden durch die Auf

(Klaus-Peter Puls)

gabe der nun noch fünf zu schließenden Amtsgerichtsstandorte 7.332 m2 Nutzfläche frei und lediglich 1.790 m2 müssten zur Aufnahme des Personals neu bei den aufnehmenden Gerichten an- beziehungsweise ausgebaut werden. Das bezweifeln wir. Denn bis auf die Wachtmeister, die keine zusätzlichen Räume brauchen, wird es wohl wenig ausreichen, das nun auf andere Gerichte verlagerte Personal mit einem so geringen Raum- und Mobiliaraufwand unterzubringen.

Darüber hinaus brauchen auch die neu aufgenommenen Richterinnen und Richter Büroräume und Sitzungssäle. Denn was nützt es ihnen, woanders tätig zu sein, wenn sie nicht verhandeln können? Durch den Umzug werden ja nicht weniger Verhandlungen notwendig werden.

Kurzum, das Raumeinsparungspotenzial halten wir für zu optimistisch, außer es wird an Personal signifikant und über die künftig wegfallenden Wachtmeisterstellen hinaus eingespart. Das aber ist bisher nicht ersichtlich.

Ein weiterer Punkt, der in diesem Konzept zu wenig Berücksichtigung findet, ist die Strukturpolitik. Kappeln hat aus gutem Grund in der Vergangenheit immer wieder einen Sonderstatus in den Reformbestrebungen bei den Amtsgerichten wegen seiner exponierten geografischen Lage, aber auch wegen der Strukturschwäche der Region gehabt. Ich erinnere daran, dass und wie wir Debatten über den Erhalt des Bundeswehrstandorts Kappeln geführt haben, und zwar gerade auch unter diesem Aspekt.

Behördenansiedlungspolitik ist immer auch Strukturpolitik. Das war bis heute auch das Credo SPDund CDU-geführter Landesregierungen, wenn es um den Rückzug von Bundeseinrichtungen insbesondere im Raum Angeln ging.

Die Landesregierung würde die Argumentation ad absurdum führen, wenn diese strukturpolitischen Gesichtspunkte bei der Reform der Amtsgerichtsstruktur künftig keine Berücksichtigung fänden. Fest steht aber, dass dies bisher versäumt wurde. Ich denke, wir sollten uns darüber im Ausschuss noch einmal intensiv unterhalten.

Herr Minister Döring hat im Innen- und Rechtsausschuss eingeräumt - aus seiner Sicht ist das bei dem Ansatz seines Konzepts auch verständlich –, dass im Fall Kappeln strukturpolitische Überlegungen wie bei der Reform insgesamt überhaupt keine Rolle gespielt haben oder spielen konnten. Doch ich sage: In Kappeln und Umgebung sind in den letzten Jahren in besonderem Maße Einrichtungen geschlossen worden. Das hat auch zu einer mentalen

Verwerfung in der Region geführt, auf die der Landesgesetzgeber Rücksicht nehmen muss. In Kappeln schlagen solche Verluste besonders zu Buche, übrigens auch mit ökonomischen Auswirkungen auf andere Bereiche, die wiederum Auswirkungen auf den Landeshaushalt Schleswig-Holstein haben oder haben können.

Es ist daher aus unserer Sicht bei der guten Arbeit des Amtsgerichts nicht nachzuvollziehen, warum das Land hier nun noch die letzte staatliche Einrichtung dichtmachen will. Wir sollten das nicht tun.

Wir bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Das bedeutet Überweisung. Ich erkläre hier jetzt, dass unser Berichtsantrag durch den gegebenen Bericht erledigt ist.

(Beifall bei der FDP)

Für den SSW erteile ich das Wort seiner Vorsitzenden, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer sich noch einmal den Ablauf der Gerichtsstrukturreform vor Augen führt, stellt fest, dass die Sache bisher nicht optimal gelaufen ist. Man könnte auch sagen, dass sich die Landesregierung in dieser Angelegenheit bis jetzt nicht mit Ruhm bekleckert hat. So wurde im Koalitionsvertrag der regierungstragenden Parteien vereinbart, die Strukturen der Amtsgerichte auf den Prüfstand zu stellen. Daraufhin war Ende Juli der Presse zu entnehmen, dass Justizminister Döring, wenn es nach ihm ginge, eine Art Kahlschlag in der schleswig-holsteinischen Amtsgerichtslandschaft durchführen würde. Aus dem Bericht ging hervor, dass er von den bisherigen 27 Amtsgerichten am liebsten nur noch vier Standorte übrig lassen wollte. Doch aus Rücksicht auf die GMSH wurde dieser Gedanke dann doch verworfen, da er den Tod der GMSH bedeutet hätte. Ich führe dies an, um deutlich zu machen, dass anscheinend nicht nur justizfachliche Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben.

Ende August wurden dann die Vorschläge des Justizministers den Amtsgerichtsdirektoren und den Präsidenten der ordentlichen Gerichtsbarkeit in einer Veranstaltung vorgestellt. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden auch die zuständigen Personalgremien, die betroffenen Kommunen und Kreise sowie die verschiedenen Verbände über die Pläne in Kenntnis gesetzt. Auch das macht deutlich, dass die

(Wolfgang Kubicki)

Entwicklung vielleicht nicht so gut gelaufen ist. Denn es wurde die Kritik laut, dass diejenigen, die davon betroffen waren und sind, erst der Presse haben entnehmen können, was denn jetzt eigentlich geschehen soll.

Worin ist die Reform des Justizministers begründet? Dem Konzept der Landesregierung ist zu entnehmen, dass es das Ziel des Ministeriums ist, die Amtsgerichte für die Zukunft fit zu machen. Denn die bereits hohe Regelungsdichte wird weiter zunehmen. Auch europäisches Gemeinschaftsrecht wird immer mehr Raum im Rechtsalltag einnehmen.